Trauer um Max Mannheimer Der unermüdliche Zeitzeuge
Der Jude Max Mannheimer überlebte unter anderem die Konzentrationslager Auschwitz, Warschau und Dachau. Nach dem Holocaust wollte er eigentlich nie mehr Deutschland betreten – und doch wurde er zu einem der wichtigsten Zeitzeugen und Aufklärer über das NS-Grauen.
"Dort würde ich auf einem Bänkchen in einem Altersheim sitzen und auf den Todesengel warten. Aber wer könnte in Deutschland besser das System der KZs erklären und zur Versöhnung mahnen als ein Auschwitz-Überlebender?"
Max Mannheimer auf die Frage, warum er nicht in Israel lebe.
Bis Mitte der 1980er-Jahre war Max Mannheimer eher einem kleinen Kreis bekannt, Menschen, die sich für seine Bilder interessierten, die er unter dem Künstlernamen ben jakov ausstellte. 1985 erhielt er die Anfrage vom Historiker Wolfgang Benz und von Barbara Distel, damals Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, seine Aufzeichnungen aus der Zeit des Nationalsozialismus freizugeben. Sie wurden daraufhin veröffentlicht, in der Folge hielt Mannheimer Vorträge – vor allem vor Schülern – über seine KZ-Inhaftierungen. Bis ins hohe Alter. Dabei übernahm er nie die Rolle des Anklägers oder Richters. "Ich kann nicht hassen", sagte er einmal.
Mannheimer wurde in Deutschland zu der Instanz, was Aufklärung über die NS-Zeit durch einen Holocaust-Überlebenden betrifft. Wie es war – und wie es nie wieder werden darf – darüber zu sprechen wurde zu Mannheimers Lebensinhalt. Daher setzte er sich auch unermüdlich gegen Rechtsextremismus ein.
Reaktionen auf den Tod Max Mannheimers
Stadt München
"Der Tod von Max Mannheimer ist ein großer Verlust für unsere Gesellschaft und insbesondere für die Stadt München. [ ... ] Max Mannheimer war als Überlebender des Holocaust einer der wichtigsten Mahner und Versöhner in einer Person und ein herausragender Botschafter des demokratischen Deutschlands. Unermüdlich ist er in den letzten Jahrzehnten unterwegs gewesen, um die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus wach zu halten und gerade junge Menschen für diese Zeit zu sensibilisieren. Sein Motto war, wie es das Motto von uns allen sein muss: Wir dürfen nicht vergessen.“
Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einer Pressemitteilung
KZ-Gedenkstätte Dachau
"Wir verlieren einen guten Freund. Einen Mann, der sich wie keinZweiter mit seiner ganzen Person eingebracht, um gegen das Vergessen anzukämpfen und gleichzeitig als Versöhner aufzutreten." Kinder erreichte er mit den Worten: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."
Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann zum BR
Bundesregierung
"Kanzlerin #Merkel trauert um Max #Mannheimer – Holocaustüberlebender, Mahner gegen das Vergessen + großer Versöhner. Wir schulden ihm Dank."
Tweet von Regierungssprecher Steffen Seibert
Bayerische Staatsregierung
"Der Tod Max Mannheimers ist ein schmerzlicher Verlust. [...] Als Holocaust-Überlebender hat Max Mannheimer unermüdlich gegen das Vergessen angekämpft und gleichzeitig sein Leben in den Dienst der Versöhnung gestellt. Dabei hat er mit leidenschaftlichem Engagement eine Brücke gerade zu den jungen Menschen gebaut.
Max Mannheimer war mir stets ein wertvoller Gesprächspartner. In zahlreichen Begegnungen habe ich ihn als eine einzigartige Persönlichkeit kennengelernt. Unvergesslich bleibt mir unsere gemeinsame Reise nach Israel vor vier Jahren. Von Max Mannheimer stammt der Satz: ‚Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.‘ Dieser Satz Max Mannheimers bleibt unser Auftrag heute und in Zukunft. Das ist unsere Verantwortung."
Ministerpräsident Horst Seehofer in einer Pressemitteilung
Kulturstaatsministerin Grütters
"Mit Max Mannheimer verliert die Bundesrepublik eine tief beeindruckende, herausragende Persönlichkeit. [...] Zeitzeugen-Stimmen wie diejenige Max Mannheimers haben großen Anteil an der Erinnerungskultur, die Deutschland mühsam erlernt hat. [...] Wir werden ihm immer dankbar bleiben für seinen unschätzbaren Beitrag bei der Aufarbeitung dieses dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte und für sein Engagement zur Wiederannäherung zwischen Deutschen und Juden in der Bundesrepublik und der Welt. Deutschland muss sich in Zukunft auch ohne die großen Zeitzeugen wie Max Mannheimer in der historischen und moralischen Bewältigung seiner jüngeren Geschichte bewähren."
Pressemitteilung von Kulturstaatsministerin Monika Grütters
Internationale Auschwitz Komitee
"Max Mannheimer war ein Überlebender des Grauens, der die Menschen trotz aller bitteren Erfahrungen liebte." Christoph Heubner, Vizepräsident des Komitees erklärte in einer Mitteilung: "Viele dieser jungen Menschen hat er in ihrer Entscheidung für die Demokratie, gegen den Antisemitismus und gegen den Hass entscheidend geprägt."
Stiftung Bayerische Gedenkstätten
"Das ist ein unersetzlicher Verlust! Max Mannheimer hat Großartiges für Frieden, Versöhnung und Demokratie geleistet!“
Stiftungsdirektor Karl Freller, CSU
Bündnis 90/Die Grünen
"Sehr traurig & zugleich beglückt, dass ich ihn so nah kennenlernen durfte! Was für ein Mensch! Wirklich #Tränen&Lachen zugleich."
Claudia Roth, Grüne, Bundestags-Vizepräsidentin via Twitter
"Er war ein Großer und Deutschland hat ihm viel zu verdanken. #Shoa #niewieder #Verantwortung"
Tweet von Katrin Göring-Eckardt
SPD
"Max Mannheimers Mahnen und sein Leben sind für uns alle Verpflichtung und Auftrag zugleich." Vorsitzender der Bayern-SPD Florian Pronold
Max Mannheimer Studienzentrum
"Max Mannheimer ist gestern Nachmittag verstorben - wir verlieren so viel mehr, als nur den Namensgeber unserer Einrichtung."
MMSZ bei Twitter
Fünf Angehörige in Auschwitz ermordet
Erste Anzeichen von Antisemitismus hatte Mannheimer in den 1930er-Jahren in der Handelsschule von Nový Jičín (Neutitschein) bemerkt. In diesem nordmährischen Städtchen in der damaligen Tschechoslowakei war er am 6. Februar 1920 als ältestes von fünf Kindern geboren worden. Seine Eltern betrieben dort ein Handelsgeschäft. Weitere Ausgrenzungen erfuhr die Familie, als Nový Jičín nach dem Münchner Abkommen von 1938 an das Deutsche Reich fiel. Anfang Februar 1943 wurde Mannheimer ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert - zusammen mit seiner Frau Eva, mit der er seit wenigen Monaten verheiratet war, und dem größten Teil seiner Familie. Innerhalb eines guten Monats wurden seine Eltern, seine Frau, seine Schwester und einer seiner Brüder ermordet. Ein weiterer Bruder war 1942 in einem Gestapo-Gefängnis gestorben.
Krank, aber frei
Nach mehreren Monaten schwerer Zwangsarbeit in Auschwitz musste Mannheimer gemeinsam mit seinem Bruder Edgar weitere Strapazen während einer Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager durchmachen: Transport nach Warschau im Oktober 1943, Transport nach Dachau im August 1944 und kurz danach in dessen Außenlager Karlsfeld, Transport ins Außenkommando Mettenheim bei Mühldorf im Februar 1945. Dieses ließ die SS angesichts der heransrückenden US-Armee Ende April 1945 zwangsevakuieren. An Typhus erkrankt und bis auf 47 Kilogramm abgemagert wurde Mannheimer gemeinsam mit seinem Bruder am 30. April 1945 in Tutzing am Starnberger See von den Amerikanern befreit.
"Ohne meinen Bruder Edgar hätte ich das alles nicht überlebt. Er war der Optimist von uns beiden."
Man Mannheimer
Zweite Ehe mit einer Deutschen
Wieder genesen, kehrte Mannheimer zunächst nach Nový Jičín zurück. Eigentlich wollte er nie wieder ins Land der NS-Täter zurückkehren, doch er verliebte sich ausgerechnet in die deutsche Widerstandskämpferin Elfriede Eiselt. Sie heirateten 1946 und zogen nach München.
Aus der Ehe ging die Tochter Eva hervor. Für sie schrieb er seine Lebensgeschichte auf, nachdem seine zweite Frau 1964 an Krebs gestorben war - jene Erinnerungen, deren Freigabe 20 Jahre danach Benz und Distel erbaten und die dann unter dem Titel "Spätes Tagebuch" erschienen.
Schwierige Reise nach Auschwitz
1965 heiratete Mannheimer die Amerikanerin Grace Franzen, mit der er seinen Sohn Ernst bekam. Bis zu seiner Rente arbeitete Mannheimer als Kaufmann, zuletzt als Geschäftsführer eines Lederwarengeschäfts. Ab 1986 widmete er sich intensiv seiner Arbeit als Zeitzeuge. 1990 wurde er Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. Anfang der 1990er-Jahre half Mannheimer einem prominenten deutschen Neonazi beim Ausstieg aus der Szene. 1991 fuhr Mannheimer erstmals wieder an den Ort zurück, wo seine Angehörigen ermordet wurden: nach Auschwitz. "Die Begenung mit dem Lager berührte mich sehr. Ein paar Wochen nach meiner Rückkehr hatte ich wieder leichte Depressionen", schrieb er in seiner Autobiografie "Drei Leben".
Begleitet wurde damals von der Filmhochschulstudentin Carolin Otto, die einen Dokumentarfilm über Mannheimer drehen wollte. Das Material verwendete sie später für ihren Film "Der Weiße Rabe", der vom Bayerischen Rundfunk produzierte wurde und 2009 in die Kinos kam.
Premiere in Dachau - Merkel folgt Mannheimers Einladung
Seine Vorträge hielt Mannheimer unter anderem regelmäßig in Dachau. Dorthin hatte er 2013 Angela Merkel eingeladen. Am 20. August jenes Jahres folgte die Bundeskanzlerin der Einladung - ein Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau, das hatte noch keiner ihrer Amtsvorgänger getan.
"Wer kämpft , kann verlieren - wer nicht kämpft, hat schon verloren."
Zitat von Brecht, Motto von Mannheimer
Max Mannheimer wurde 96 Jahre alt. Er verstarb bereits gestern in Dachau.
Kommentieren
AFDlerin, Montag, 26.September 2016, 17:15 Uhr
12. Er wird uns immer Mahnung sein,
dass die Demokratie nicht in die falschen Hände geraten darf. Sein Angedenken wird uns Erinnerung sein, dass wir es besser machen müssen.
Sven Langenbuch, Montag, 26.September 2016, 12:22 Uhr
11. Danke!
Lieber Max,
letztes Jahr hast Du uns noch zu Deinem 100. Geburtstag eingeladen. Nun werden wir ihn in 3 1/2 Jahren ohne Dich begehen müssen.
Sei ganz herzlich bedankt für Deine Freundschaft und Deinen Humor! Danke für Dein unermüdliches Eintreten gegen Hass und gegen das Vergessen! Danke für Dein Vermächtnis!
Wir werden Dich nie vergessen und immer im Herzen behalten!
Dein
Sven und David Langenbuch
Ismayr Bernhard, Montag, 26.September 2016, 08:22 Uhr
10. Dank an Max Mannheimer
Max Mannheimer gebührt unendlicher Dank für sein unermüdliches Mahnen um Wachsamkeit. In zahllosen Gesprächen schöpfte er aus den schrecklichen Erlebnissen seines Lebens unter Feindseligkeiten und Terror, denen er sich so ein ums andere Mal wieder stellen mußte. Nun heißt es für uns, ich denke ganz in seinem Sinn, seine Hinterlassenschaft als Rüstzeug zu sehen und intoleranten, menschenfeindlichen Strömungen entgegenzutreten.
Ich danke Ihnen für Ihr unfaßbares Engagement, Herr Mannheimer.
Lorenz Schreiber, Sonntag, 25.September 2016, 23:17 Uhr
9. Danke für diese Erfahrung
Es war mir eine Ehre ihn getroffen zu haben. Er war damals an unserer Schule und eine Sache werde ich niemals vergessen: er erzählte, dass mal bei einem Schulbesuch, eine Lehrerin besorgt zu ihm gekommen sei und ihm sagte, dass in einer Klasse ein rechtsradikaler Schüler wäre. Sie fragte ihn, ob er Angst davor hätte. Er verneinte das und fügte hinzu, er habe seinen gesammten Vorrat an Angst schon in Auschwitz verbraucht.
Es war erstaunlich zu sehen wie dieser Mann mit seiner Vergangenheit umgegangen ist
Ruhe in Frieden
Francesco, Sonntag, 25.September 2016, 13:28 Uhr
8. Es ist eine Schande für Deutschland...
..., dass es trotz der unermüdlichen Aufklärungsarbeit eines Zeitzeugen immer noch Ewiggestrige gibt, die den Holocaust leugnen. Herzlichen Dank, Herr Mannheimer, für Ihre wertvolle Lebensleistung, ruhen Sie in Frieden. Sie waren ein ganz Großer !!