NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 8. Verhandlungstag, 11.06.2013
Der Angeklagte Carsten S. sagt weiter aus. Er will "reinen Tisch" machen. Emotional berührt schildert er weitere Einzelheiten aus seinem Leben in der rechtsextremen Szene. Und: Er erzählt von einem weiteren möglichen NSU-Anschlag in Nürnberg, 1999. Damals explodierte eine mit Sprengstoff präparierte Taschenlampe in einer türkischen Kneipe. Ein 18-Jähriger wird dabei verletzt.
Carsten S. belastet an diesem achten Verhandlungstagen den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer. Zu Beginn der Verhandlung steht aber wieder ein juristischer Schlagabtausch. Es geht um die Frage, wie mit der sogenannten "129er-Liste" umgegangen werden soll. Eine Aufzählung von (inzwischen mehr als) 129 Personen aus dem rechtsextremen Milieu, möglicherweise rund um den NSU, erstellt für den Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU. Bereits im Ausschuss war umstritten, wie mit der Liste umgegangen werden soll. Oft sei nicht klar, ob den Personen auf der Liste mehr nachzuweisen ist, als dass sie das Trio gekannt haben.
Befragung des Angeklagten Carsten S.
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Tim Aßmann, BR)
9.50 Uhr, Beginn. Carsten S. sitzt in Reihe zwei wieder direkt hinter Zschäpe. Erneut dunkelblauer Kapuzenpulli. Zschäpe erneut dunkler Hosenanzug.
(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
9.42 Uhr, Beginn verzögert - Kameraleute warten noch.
Carsten S. trägt blauen Kapuzenpulli so lange Kameraleute anwesend. Zieht den Pulli aus, als der Vorsitzende Richter den Raum betritt - hellblaues, gebügeltes Hemd, glattrasiert, ordentliche Frisur, Blick die meiste Zeit nach unten. Beate Zschäpe: dunkles Kostüm, weiße Bluse, Haare offen, Laptop vor sich - Lesebrille auf, wenn sie ihn benutzt. Neue "129er-Liste" (jetzt über 500 Leute, vorher eben 129) - den Gelisteten Zutritt zu verwehren abgelehnt, da nur einige darauf als Zeugen befragt werden. Diese Liste wurde von den Ermittlungsbehörden zusammengestellt und benennt Personen, die sich mutmaßlich im rechtsextremen Umfeld der Angeklagten bewegt haben - bislang gingen Nebenkläger und Verteidiger von 129 Personen aus, um jetzt zu erfahren, dass es sich um über dreimal so viele handelt. Anklage soll Liste zugänglich machen. Staatsanwaltschaft benennt diejenigen, die als Zeugen in Betracht kommen. Viele kommen nicht in Betracht, sind daher reguläre Öffentlichkeit und können nicht ausgeschlossen werden.
(Tim Aßmann, BR)
Antrag, alle die auf „129er-Liste“ sind dürften nicht im Saal sein, weil sie Zeugen sein könnten, wird abgelehnt. Begründung: Nur weil auf der Liste heißt nicht, dass sie als Zeugen in Betracht kommen. Deshalb: Ausschluss als Besucher unzulässig.
Rechtsanwalt Scharmer (Nebenklage-Vertreter. Gamze Kubasik) Will nochmal mit Daten unterfüttern und hätte dazu gerne von GBA aktualisierte Liste. Carsten S. nun im hellblauen Hemd.
Oberstaatsanwältin Greger: Sprechen über etwa 500 Personen, die natürlich nicht alle in Betracht kommen. Müssen das im Einzelfall klären. Können doch nicht einfach 500 Leute ausschließen.
RA Scharmer: Will diese aktuelle Liste, um selber prüfen zu können, wer in Betracht kommt. Wieso haben wir die bisher nicht?
OStA Greger: Weil 129er vom Senat angefordert wurde?
RA Scharmer: Ist doch selbstverständlich, dass wir aktuelle Liste wollen.
Bundesanwalt Diemer: Soweit Personen relevant waren, sind sie eingeflossen und als Zeugen benannt. Falls noch weitere nötig, werden wir sie benennen und zwar rechtzeitig.
Nebenkläger-Anwältin Lunnebach: Kann man nicht akzeptieren, weil nach Anklageverfassung noch weitere dazu gekommen sind und das können wir nicht akzeptieren.
Nebenkläger-Vertreter Tasköprü: Will wissen ob Personen aus Hamburg, Lübeck und Schwerin dabei sind?
Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Schön, dass Verteidigung auch mal zu Wort kommt. Will Klärung über die unterschiedlichen Listen.
Bundesanwalt Diemer bittet um Unterbrechung.
Unterbrechung bis 10.25 Uhr.
(Tim Aßmann, BR)
10.40 Uhr, Fortsetzung.
Oberstaatsanwältin Greger: Möchte Liste erklären. Ausgangspunkt war Fragestellung des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Bundeskriminalamt/BKA hat abgeklärt. Bundesanwaltschaft/GBA bat ursprünglich um Daten zu 38 Personen, die uns relevant erschienen. Als der Untersuchungsausschuss dann auch fragte, waren es schon mehr als 38 Personen. Darauf wurde die sogenannte 129er-Liste erstellt. Mit Aufnahme in Liste ist Bedeutung für dieses Verfahren nicht verbunden. Zum Beispiel wurden auch Leute, die in Tatortnähe wohnten, aufgenommen, um Bezüge zu den Taten zu prüfen. Wenn sich das ergab, sind die Leute in die Ermittlungen eingeflossen. Liste ist Vorstufe zu den Ermittlungen. Die vernommenen Personen sind weniger als die ursprünglich abgeklärten Personen auf der Liste. Die neue Liste erklärt sich wieder aus Wünschen des Untersuchungsausschusses. Auf Liste Kategorie der ‚Kontaktpersonen‘. Dazu gehören Personen, die vor und nach Abtauchen Kontakt zum Trio hatten. Das erklärt die hohe Zahl, die nun auf der Liste steht. Listen haben eine rein administrative Funktion zur Unterrichtung des Untersuchungsausschuss-Mitglieder. Sie erfüllen keinen Zweck im Zusammenhang mit diesem Strafverfahren. Deshalb sind wir der Beiziehung zunächst entgegen getreten.
Stellungnahme Nebenklage-Anwalt Scharmer: Können wir die Liste bekommen, um Hinweise selber abklären zu können? Wo befinden sich abgeklärte Hinweise, die nicht in die Liste eingeflossen sind?
Bundesanwalt Diemer: Wir haben alles Relevante in die Gerichtsakten getan. Die Spurenakten, die Scharmer nun noch fordert, haben keine Bedeutung für das Verfahren, können aber eingesehen werden. Die Listen können Sie haben, aber sie haben keine Bedeutung.
Verteidigerin Sturm: Was sind das für Namen, die nun noch zusätzlich auf der Liste sind? Wem sind die aufgefallen? Ihnen (gemeint ist GBA/Staatsanwaltschaft) oder dem VS (Verfassungsschutz)?
OStA Greger: Sind Personen, die sich im Ermittlungsverfahren ergeben haben.
Rechtsanwalt Bliwier (vertritt Nebenkläger Yozgat): Nach welchen Kriterien wurde abgeklärt, wer relevant ist und wer nicht? Wo können wir das aktenmäßig nachvollziehen?
Diemer: Akten können gerne auf Antrag bei uns eingesehen werden. Wir haben nichts zu verheimlichen.
Bliwier: Wonach sind die sortiert? Nach Namen?
Diemer: Sie beantragen einfach, was Sie sehen wollen - und dann werden wir das entscheiden.
Bliwier: Dann schau ich mal, ob ich bekomme, was ich beantragt habe.
Nebenkläger-Vertreter: Wann kriegen wir 500er Liste?
Diemer: Nächste Woche. Jetzt sitzen wir ja hier.
Greger: Selbstverständlich sind die Akten vollständig. Diese Listen haben hier keine Relevanz.
Nebenkläger-Vertreterin: Man kann sich eben nicht immer sicher sein, was die Ermittlungsbehörden relevant finden. Ganz besonders nach den Fehlern in diesem Fall.
Greger: Das ist uns bewusst, weswegen wir immer offen Auskunft gegeben haben.
Richter Götzl: Beantwortet G.(Holger G.) noch Fragen?
Rechtsanwalt Hachmeister (Verteidiger Holger G.): Nein.
Götzl: Auch nicht zur Person?
Hachmeister: Nein
Götzl: Weise daraufhin, dass Ihre Einlassung schon noch Fragen aufwirft.
Bliwier: Sind Sie bereit, Fragen zur Zusammenarbeit mit Behörden zu beantworten? Zum Beispiel, ob es anderweitige Verpflichtungen gibt, zu manchen Dingen nichts sagen zu dürfen?
Hachmeister: Keine weiteren Fragen, werden nicht beantwortet.
Bliwier will nun Erklärung abgeben, dass festgestellt wird, dass G.s Vernehmung damit vorbei ist. Rechtsanwalt Stahl (Verteidiger Zschäpe) will das auch.
Verteidiger Heer (Verteidiger Zschäpe): Können wir die Erklärung auch morgen abgeben?
Richter Götzl: Ich befinde jetzt nichts.
Heer: Danke.
Götzl: Bitte.
Bliwier: Der Angeklagte Holger G. hat Angaben gemacht, aber keine Fragen beantwortet. Das ist im Namen meiner Mandanten in höchstem Maße bedauerlich und wird strafrechtlich entsprechend gewürdigt werden müssen. Familie erkennt an, dass sich G. entschuldigt hat, aber das ist zu wenig, weil es der Familie Yozgat nicht primär um Strafen geht, sondern um Aufklärung des Sachverhalts. G. hat die Möglichkeit, Aufklärung zu leisten, dass er sich dieser Möglichkeit verweigert ist bedauerlich und halbherzig. G. sollte Weg finden, sich vollständig zu erklären. Er hätte große Chance (wendet sich persönlich an G.) damit einen Teil des Unrechts jedenfalls in Ansätzen wieder gut zu machen.
Rechtsanwalt Rabe (Nebenklage-Vertreter für Semiya Simsek) schließt sich an und gibt Erklärung für Familie Simsek ab (die Angehörigen des ersten NSU-Mordopfers, Enver Simsek, erfolgreicher Blumengroßhändler in Nürnberg, am 9. September 2000 durch acht Schüsse schwer verletzt. Zwei Tage später stirbt er): Sie erkennt Entschuldigung an. Er soll uns den Gefallen tun, alles zu erzählen, was er weiß. Leider ist er auf halbem Weg stehen geblieben. Er sollte sich in den nächsten Tagen entscheiden, alle Fragen zu beantworten.
Verteidiger Stahl (Verteidigung Zschäpe) will Erklärung dazu morgen abgeben.
Götzl: Nein, das können Sie nach der Pause tun.
Götzl will nun unterbrechen und dann mit Carsten S. weitermachen.
Verteidiger Hösl (Verteidigung Carsten S.): Wir wollen fortsetzen. Jetzt.
Götzl: Wie lange?
Hösl: So zwei Stunden.
Stahl: Die Erklärung ist tiefer gehend, deshalb wollen wir noch vorbereiten und deshalb morgen.
Götzl: Ich erwarte schon, dass Sie sich vorbereiten, aber nicht, dass Sie die Verhandlung dazu nutzen. Stahl: dass Sie uns unterstellen, wir würden uns nicht vorbereiten, ist starkes Stück. Wir gingen davon aus, dass es mit G. weiter geht, und rechneten damit, dass das etwas länger dauert. Deshalb bin ich vorbereitet, aber noch nicht fertig. Mache das gerne in der Mittagspause, aber ich möchte da auch eine Pause haben.
Bliwier: War doch klar, dass G. keine Fragen mehr beantwortet. Ich will jetzt keine Pause, sondern mit Carsten S. weiter machen.
Hösl: Wir möchten alle bitten, Carsten S. die Gelegenheit zu geben, seine Vernehmung jetzt fortzusetzen.
Verteidiger Klemke (Anwalt des Angeklagten Ralf Wohlleben): Wollen nach Zschäpe-Verteidigung auch noch Erklärung zu Vernehmung von Holger G. abgeben.
Stahl: Wann wird das sein?
Götzl: Wenn Zeit ausreicht machen wir das im Anschluss an Carsten S. Je nachdem, wie lange das dauert.
Geht los mit Carsten S.
(Tim Aßmann, BR)
11.19 Uhr.
Rechtsanwalt Heer (Verteidigung Zschäpe): L. (der psychiatrische Gutachter für Carsten S.) muss informiert werden was bisher war. Das beantrage ich hiermit.
Richter Götzl: L. bekommt jederzeit Fragerecht
Verteidiger Pausch (Anwalt des Angeklagten Carsten S.): Informieren ihn jederzeit und haben das mit ihm besprochen, möchten jetzt aber Vernehmung fortsetzen.
Heer: Information muss jetzt erfolgen.
Götzl unterbricht bis 11.30 Uhr.
(Tim Aßmann, BR)
11.36 Uhr.
Richter Götzl: Entscheidung: Befragung S. hat Vorrang. Wann L.(Gutachter) informiert wird, ist Ermessen des Gerichts.
Carsten S. beginnt nun.
(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
11.50 Uhr.
Carsten S.: "aussagebereiter Beklagter" - Punkt, wo er reinen Tisch machen möchte, Sachen zurückgehalten, nicht getraut, weil er jedem gerecht werden möchte; auf den Tisch packen; Erkenntnis, dass er viele Ängste hat, es sich zu leicht macht, Nervenzusammenbruch der Mutter, Konsequenzen für sich und Familie befürchtet: DDR-Zeit, Pionier-Zeit hat ihm gefallen, rotes Halstuch / Urkunden / Abzeichen scharf drauf; Drittes Reich hat imponiert (Uniformen, HJ/Hitlerjugend etcetera); hat Briefmarken gesammelt, getanzt, gefochten, dann mit ‚Drittem Reich‘ beschäftigt (war damals neun, zehn Jahre alt) - fasziniert davon. Keine Rechten in der Schulklasse; Mitschülerin, die Skinhead-Bekannten hatte, die Schutz boten, wenn man sie grüßte. Nach der Schule: in Hannover, während der Ausbildung, Rechtsextremismus kein Thema. Dann in Jena in alter Clique - langweilig - in alten Kumpel verschossen, der mehr wagte (Sau rauslassen, Scheiben eingeworfen, randaliert). Kampfsport, Nervenkitzel gesucht; Randale-Kumpel (Marco N.) fand rechte Richtung toll, mit ihm an rechte Szene angenähert, NPD-Starterkit, München-Demo. Thema Waffen: als Skin mit Cousin Diabolo-Pistole, damit im Wald rumgestromert, von Dunklem fasziniert. Ninja-Sterne gekauft und geworfen, Zwille, Plaste-Pistole, Stahlkugeln mitgenommen und auf Fensterscheiben geschossen, Springmesser - Faszination Waffen. Mitte 1997 bei Antenne THÜ Beach-Party mit Zelt und rechter Flagge: Skins kamen und nahmen ihn mit, Kumpels machten große Augen, sexuelle Komponente beim Glatze-Rasieren mit Skins.
(Holger Schmidt, SWR)
12.00 Uhr.
JN-Veranstaltung (‚Junge Nationaldemokraten“ – Nachwuchsorganisation der NPD): schwarz-weiß-roten Aufnäher "Thüringen" gekauft und aufgenäht. War mit Kumpel aus der „Stino-Clique“ bei McDonalds. Autonome kamen rein. Autonome wieder raus. Habe Angst bekommen. Kumpel hatte Schreckschusswaffe. Habe ich genommen, Hinterausgang. Aber da standen sie. Bestimmt acht. Haben versucht, Aufnäher abzumachen. Kumpel stand dabei und hat Chicken McNuggets gegessen ohne mir zu helfen. Bin in eine Sackgasse gerannt. Glastür, Nottür. War umringt, sie haben auf mich eingeschlagen. Habe mit der Pistole auf Scheibe eingeschlagen. Ging auch kaputt. Autonome weg. Kumpel wollte Geld für kaputte Waffe, habe ich ihm nie gegeben. War zwei Wochen nach JN-Veranstaltung in Furth im Wald. Waffen waren in der rechten Szene ein Thema. Hatte Teleskopschlagstock. Tierabwehrspray, Schreckschusspistole, hatte sie immer dabei, aber nur einmal benutzt: Silvester. Ende November 2011 habe ich die Pistole in den Rhein geworfen. Weil ich nicht wollte, dass es heißt: Sozialpädagoge festgenommen, Waffe gefunden!
(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
12.27 Uhr.
Szene: immer wieder Gewalt, etwa NPD-Infostand in der Stadt Jena. Autonome kamen mit Ketten und Schraubenschlüssel, fast eingepinkelt aus Angst. Polizei kam und Autonome abgedampft. Erzählt Prügelanekdoten, recht wirr, nicht chronologisch, immer wieder getrunken, Punks getroffen, "vieles kommt durcheinander", will alles erzählen, Schlägerei: Wohlleben rannte einem hinterher und sprang ihm auf dem Gesicht herum.
(Tim Aßmann, BR)
12.35 Uhr.
Waffenübergabe. Hab' am Wochenende nochmal versucht, das hochzuholen, zu fühlen. Mir ist hochgekommen, dass bei Waffenbeschaffung es so beschrieben wurde, dass sie keinen Trommelrevolver wollen, sondern eine Halbautomatik. Bin dann hin und hab gesagt, der Wohlleben schickt mich - will möglichst deutsches Kaliber und zur Munition: Sie haben auf jeden Fall gesagt, genug Munition. Bin wegen den meisten Sachen zu Wohlleben und hab mir das OK besorgt. Auch als der Verkäufer sagte, es wäre keine deutsche Waffe. Hat mir dann gesagt, er habe Waffe, aber nicht so viel Munition. Ich habe dann gesagt: Ja, die nehmen wir. Vor Waffenübergabe sind wir in Chemnitz im Bahnhof an BGS/Bundesgrenzschutz vorbei. Die haben dann gesagt, ich soll T-Shirt "ACAB" (A.C.A.B., englisch, abgekürzt, bedeutet "All Cops Are Bastards", wörtlich „"Alle Polizisten sind Bastarde") ausziehen. Hatte Troublemaker-Shirt drunter. Da waren sie auch nicht erfreut.
Sind dann in ein Café in Chemnitz, da saßen wir zu dritt. Ein Uwe rechts, ein Uwe links. Haben dann gesagt (Carsten S. weint, schluchzt), sie hätten in Nürnberg in irgendeinem Laden eine 'Taschenlampe' in einem Geschäft abgestellt. Wusste nicht, was sie meinen. Haben dann gesagt: Passt - als Zschäpe kam. Sollte das nicht mitbekommen. Später nachts hab ich dann gedacht, die haben da vielleicht Sprengstoff eingebaut. Konnte mir das nicht vorstellen (weint). Die haben aber nicht gesagt: türkisches Geschäft oder so was. Das hab ich dann für mich behalten, hab ich ganz schnell weggetan.
Einmal haben wir mit denen telefoniert. Wohlleben und ich. Wohlleben hat aufgelegt, gelacht, gesagt, die haben jemanden angeschossen. Ich hab mir gedacht: hoffentlich nicht mit der Waffe. Als ich das Geld von denen bekam waren da Banderolen drum. In kleinen Scheinen. Habe gedacht, die müssen aus Banküberfall sein. Als es dann hieß, die haben jemanden angeschossen, hab' ich gedacht, es muss ein Wachmann gewesen sein. Als die Waffe in meinem Besitz war, hatte ich Überlegung Schalldämpfer weg zu tun, aber da war ja das Gewinde dran und ich hatte Angst, dass sie sagen: Da fehlt doch was. Angst, dass sie denken ich hintergehe sie (schnieft).
Bei Wohlleben im Arbeitszimmer haben wir uns Waffe angeguckt. Er hat Schalldämpfer drauf geschraubt, auf mich gerichtet und gelacht. Ich hab Schreck bekommen. Damit zielt man nicht auf Menschen. Warum ich das jetzt alles erst erzähle? Im Kopf hab ich immer gehabt: Du enttäuschst Deine Eltern. Will andere nicht reinreiten (hier meint er einen, der vor ihm ausgestiegen ist), aber es geht nicht anders und es ist wichtig. Auch das, was der Vertreter von Yozgat gesagt hat, sehe ich auch so (weint). Seit ich dreizehn bin, schaue ich drauf, was andere von mir denken. Jetzt ist es dran, dass ich entscheide. Weiß, dass ich mich meiner Verantwortung stellen muss. Muss meinem Herz Luft machen (weint, schluchzt, Stimme bricht fast weg).
(Tim Aßmann, BR)
12.44 Uhr.
Er war dann viel später (nach seinem Ausstieg) auf Veranstaltung über die rechte Szene und dort wurde auch Fahndungsplakat von den dreien (Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe) gezeigt. Dachte später, die drei wären im Ausland, hätten sich ihre Zukunft dort aufgebaut.
Pause bis 14.15 Uhr. Danach weiter Vernehmung.
(Holger Schmidt, SWR)
15.00 Uhr.
Weiter mit Carsten S. "Nationale Herbstwanderung". Meist zu einem Grundstück bei Kahla. Einmal auf dem Weg Schweigeminute vor einem Heldengedenkstein. Mann wollte Ausweise. Nicht gegeben. Sollte sich vorstellen: LKA (Landeskriminalamt), Löffler. André K.: Kommen Sie mit in den Wald. Er: Kann auch anders: Plötzlich kamen viele Streifenwagen. Ich war damals kein Rassist. Meine Schwester hat einen Mann geheiratet, der aus Ghana kam.
Nochmal zu dem Ablauf mit der Waffenbestellung: Habe das am Anfang wie Motorradklau für eine Sinnlosaktion gehalten. Dann hat mich Wohlleben zu Andreas S. geschickt. Da wurde das schon ernster, war ja ein Klamottenladen. Als er sagte, er hat eine, da habe ich das realisiert, dass es um eine scharfe Waffe geht ...
(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
15.37 Uhr.
Nachfragen des Vorsitzenden Richters: Nürnberg:“Taschenlampe hingestellt", warum nicht nachgefragt? Carsten S: Weil Zschäpe kam und die ZWEI 'pscht' machten, sie sollte es nicht mitbekommen. Taschenlampe: nicht berichtet, weil Angst um Eltern, Freunde, die schlecht über ihn denken könnten. Taschenlampe erst mit zwei Kölner Sachen in Verbindung gebracht, jetzt erst zu dem Entschluss gekommen: wahrscheinlich schon früher ein versuchter Anschlag, der nicht geklappt hat. Wohlleben nicht von der Taschenlampe erzählt, nicht nachgefragt; nicht früher gesagt, weil nicht getraut. Wollte nicht damit konfrontiert werden, wollte sich dem nicht stellen.
Pause.
(Sebastian Hesse-Kastein, MDR)
16.35 Uhr.
Carsten S. weiterhin unkonzentriert und müde, für heute zu Ende, morgen: Vernehmung fortsetzen. Fragen der anderen Verfahrensbeteiligten zugelassen; Erklärung Holger G. (acht Seiten) auch morgen.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.