NSU-Prozess


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151. Verhandlungstag Ein bizzarer Tag

Ein bizarrer Tag, dieser 151. Verhandlungstag im NSU-Prozess. Erst große Erwartungen, dass der Zeuge Thomas G. endlich etwas preisgibt von seinem Wissen über die Neonazi-Netzwerke, die den NSU unterstützt haben, dann folgen Beanstandungen, Anträge und Beschlüsse, und kurz vor Schluss noch ein richtiger Eklat.

Von: Eckhart Querner

Stand: 16.10.2014 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

16 Oktober

Donnerstag, 16. Oktober 2014

„Waren Sie oder sind Sie Mitglied der Hammerskins?“ Diese Eingangsfrage von Richter Götzl blieb heute erneut unbeantwortet. Zeuge Thomas G. sollte dazu Stellung nehmen, aber er hütete sich. G. gilt als führender Thüringer Neonazi, bestens in der rechten Szene vernetzt, ein alter Freund des Angeklagten Ralf Wohlleben und mit einem unüberhörbaren Selbstbewusstsein ausgestattet. Bereits zweimal war er als Zeuge im NSU-Prozess geladen, beide Male weigerte er sich, über seine Rolle bei den Sächsischen ‚Hammerskins‘ (SHS) Auskunft zu geben.

Eine Herausforderung für Richter Götzl

Eine Herausforderung für Richter Götzl: Würde er heute, wenn G. wieder nicht aussagen will, endlich ein Ordnungsgeld verhängen? War der 35-jährige Zeuge nun Führungsmitglied des ‚Chapters‘ West-Sachsen. G. erklärte heute auf die Frage des Richters zunächst, sein Wertegefühl verbiete es ihm, darüber zu sprechen. Verschwiegenheit ist bei der rassistischen und antisemitischen Neonazi-Organisation ‚Hammerskins‘ eines der unumstößlichen Prinzipien. Schließlich berief er sich – unterstützt von seinem schlecht informiert wirkenden Rechtsbeistand – auf sein Aussageverweigerungsrecht. Denn die Mitgliedschaft bei den SHS wird juristisch als Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verfolgt.

Nach eingehender Beratung entschied der Strafsenat zwar, dass die Frage seines Vorsitzenden Richters zulässig sei, doch Götzl blieb auf der Hut: War es dem Gericht viel zu riskant, seine Entscheidung auch durchzusetzen? Vielleicht aus Sorge davor, dass der Bundesgerichtshof doch ein Aussageverweigerungsrecht erkennen würde und die Senats-Entscheidung kassieren würde?

Zwei Schweiger

Thomas G. gab heute also wieder den beredten Schweiger. An vieles konnte oder wollte er sich nicht erinnern. Weil aber die Gefahr bestand, er könne durch seine Antworten vor Gericht den Angeklagten Wohlleben belasten, beanstandete die Verteidigung Wohlleben diverse Fragen. Immer wieder musste der Zeuge den Saal verlassen, immer wieder zog sich das Gericht zu Beratungen zurück.

Prozesstag gewinnt doch noch an Dynamik

Am Nachmittag gewinnt dieser Prozesstag plötzlich wieder an Fahrt. Nebenklage-Anwalt Narin erklärt: Der Angeklagter und NSU-Unterstützer André E. trage einen Kapuzenpulli mit dem Aufdruck ‚Brüder schweigen’. Das sei ein anderer Name für ‚The Order‘, eine US-amerikanische Terrororganisation aus den 80er Jahren, die einen jüdischen Journalisten ermordet hatte. Deutsche Hammerskins fühlten sich dieser Organisation verbunden. Ist dieser Aufdruck also ein Versuch E.s, den Zeugen G. zu beeinflussen? Oder ihm und seinem Schweigen den Rücken zu stärken, Solidarität zu zeigen?

Wohlleben-Verteidiger Klemke meint, die Sache sei harmlos, wenn Zeuge G. das T-Shirt gar nicht gesehen hat.

Doch Nebenklage-Anwalt Hoffmann, springt Narin bei: ‚Brüder schweigen‘ sei Teil eines SS-Treueliedes und wurde deshalb von der US-Terrororganisation aufgenommen. Hoffmann wörtlich: „Wir haben einen positiven Bezug zu Hammerskins (durch E.) und einen Zeugen (G.), der sich auf sein Aussageverweigerungsrecht beruft und nichts zu den Hammerskins sagt.“

T-Shirt wird in Augenschein genommen

Narin beantragt schließlich, das T-Shirt in Augenschein nehmen zu lassen. Die Sitzung wird unterbrochen, E. mit seinem T-Shirt fotografiert. Zu sehen ist ‚Brüder Schweigen‘ in Fraktur-Schrift, darunter sind zwei Motorräder und dazwischen ein Totenkopf abgebildet.

Manchmal ist es zum Verzweifeln: offensichtlich gibt es keinen Weg, das Tragen solcher T-Shirts zu verhindern. Immerhin will die Bundesanwaltschaft (im NSU-Prozess die Anklage-Seite) prüfen, ob sich der mutmaßliche NSU-Terrorhelfer E. damit strafbar gemacht hat. Richter Götzl hat in diese Richtung heute leider keine Anstrengungen unternommen.


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