151. Tag im NSU-Prozess Die Ehre des Hammerskins
Für Juristen ein Lehrstück, für alle Nichtjuristen ein bizarres Schauspiel: Vor dem Oberlandesgericht München sollte heute wieder mal ein Zeuge aus der Neonaziszene aussagen – aber der wollte nicht.
Daraufhin entwickelte sich ein stundenlanges Wortgefecht über Inhalt und Grenzen des Auskunftsverweigerungsrechts zwischen seinem Zeugenbeistand, Verteidigern, Nebenklägern und dem vorsitzenden Richter Manfred Götzl.
Thomas G. war schon vor Monaten Zeuge im NSU-Prozess, damals stand er knapp vor einer Ordnungsstrafe, weil er Antworten auf die Fragen des Senatsvorsitzenden verweigerte. Götzl schickte ihn nach Hause, um sein Verhalten zu überdenken. Nun wurde er erneut vorgeladen.
In zahlreichen Neonazi-Organisationen aktiv
Thomas G. ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Neonazis Thüringens, er stand auch schon mehrfach vor Gericht, wegen Körperverletzung saß er lange im Gefängnis.
Er mischte mit bei der inzwischen verbotenen neonazistischen Gefangenenhilfsorganisation HNG, bei der NPD und bei zahlreichen Kameradschaften – unter anderem auch im Thüringer Heimatschutz, dem auch das Trio Mundlos, Bönhardt und Zschäpe entstammte. Und es deutet vieles darauf hin, dass Thomas G. auch heute noch in der Szene aktiv ist.
Die "Hammerskins" – ein internationales Nazi-Netzwerk
Unter anderem soll er auch Mitglied der sogenannten "Hammerskins" sein, einem internationalen neonazistischen Netzwerk, das streng hierarchisch wie ein Motorradclub strukturiert sein soll, weitgehend klandestin operiert und in dem nicht nur Rechtsrock und Propaganda-Material kursieren, sondern auch Waffen.
Hintergrund
Dass Thomas G. Mitglied bei den Hammerskins sein soll, sagte vor einigen Monaten die Zeugin Mandy S. vor dem Münchner Landgericht aus – auch sie zeitweise eine zentrale Figur der deutschen Neonaziszene und persönliche Bekannte der NSU-Mitglieder Mundlos, Bönhardt und Zschäpe. Beate Zschäpe nutzte bis zuletzt im Untergrund die Identität von Mandy S.
Wie glaubwürdig ist Mandy S.?
Auch um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu überprüfen, fragte Richter Götzl schon vor drei Monaten bei Thomas G.s erstem Auftritt in München: "Sind Sie Mitglied der Hammerskins?" Damals verweigerte der Zeuge eine Antwort, mit dem Hinweis, sein "ihm selbst gegebenes Ehrgefühl" verbiete ihm zu antworten.
Eine offene Missachtung des Gerichts - und schon damals wunderten sich viele Beobachter über die vergleichsweise milde Reaktion des Richters, der den Zeugen nur nach Hause schickte.
Heute erschien Thomas G. nun mit einem Rechtsbeistand vor Gericht – und der berief sich im Namen seines Mandanten auf das Auskunftsverweigerungsrecht, schließlich bestehe die Gefahr, dass Thomas G. sich selbst belaste und dann strafrechtlich verfolgt werde.
Dem äußerst ungeschickt agierenden Rechtsanwalt (er sprach zunächst fälschlicherweise von einem "Zeugnisverweigerungsrecht"), sprangen die Verteidiger des Angeklagten Ralf Wohlleben tatkräftig zur Seite – was nicht weiter verwundert, denn Thomas G. war ein enger Bekannter Wohllebens, beide organisierten zusammen Großveranstaltungen der Neonaziszene wie das sogenannte "Fest der Völker" und den "Thüringentag der Nationalen Jugend".
Ein guter Bekannter des Angeklagten Wohlleben
Wohlleben muss also durchaus befürchten, dass eine Aussage von Thomas G. unangenehm für ihn werden könnte. Zumal G., obwohl seit Jahren hochrangiger Kader der Neonaziszene, sich vor Gericht denkbar dumm anstellte.
Als Richter Götzl ihn nämlich persönlich ansprach und fragte, warum er nicht aussagen wolle, berief sich der Zeuge erneut auf sein Ehrgefühl – und eben nicht auf das gesetzliche Recht auf Aussageverweigerung.
Sein Rechtsbeistand und die Wohlleben-Verteidiger hatten in der Folge allerhand zu tun, um die Ungeschicklichkeit von Thomas G. etwas abzumildern und seine Wortwahl als "unjuristische Ausdrucksweise" darzustellen. Nach langer Diskussion und Beratung billigte das Gericht dem vorbestraften Neonazi ein Aussageverweigerungsrecht zu. Auf angedrohte Ordnungsmittel verzichtete der Senat.
Eklat im NSU-Prozess
Dabei kam es heute im Gerichtssaal noch zu einem Eklat: Der Angeklagte André E. , der schon in der Vergangenheit durch gewaltverherrlichende T-Shirts im Gerichtssaal aufgefallen war, soll sich heute auf einem Kleidungsstück zu einer rechten Terrorgruppe bekannt haben. Nebenklägeranwalt Yavuz Narin, der die Witwe NSU-Opfers vertritt, machte Richter Götzl auf das T-Shirt aufmerksam, der ließ es schließlich fotografieren und das Foto im Gerichtssaal zeigen.
Das T-Shirt trägt die Aufschrift "Brüder schweigen" – unter diesem Namen, der auf einen SS-Treueschwur zurückgeht , firmierte eine US-amerikanische Terrorgruppe, die in den 1980er Jahren mehrere Raubüberfälle beging und einen jüdischen Journalisten ermordete. Die Gruppe wird in Neonazikreisen bis heute verehrt. Anführer Robert J. Matthews nahm ein ähnliches Ende wie die NSU-Terroristen Mundlos und Bönhardt: Er wurde von der Polizei gestellt, zündete sein Versteck an und nahm sich das Leben.
Die Nebenkläger vermuten, dass sich der Angeklagte André E. mit der Aufschrift "Brüder schweigen" nicht zur zu rechtem Terror bekennt, sondern damit auch einen heute geladenen Zeugen beeinflussen wollte. Tatsächlich verweigerte der Zeuge Thomas G. ja eben in einem entscheidenden Punkt die Aussage und wollte keine Auskunft geben über das internationale Neonazi-Netzwerk Hammerskins, bei dem er aktiv sein soll.
Der Prozess
Dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) werden unter anderem zehn Morde zur Last gelegt. Opfer waren neun Menschen mit ausländischen Wurzeln und eine Polizistin.
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Marlen, Donnerstag, 16.Oktober 2014, 14:46 Uhr
1. "Denkbar dumm" ...
...ist eher der letzte Satz des Artikels "...Ob das Gericht dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht zubilligt oder nicht, war bis zum Mittag war nicht klar."