NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 161. Verhandlungstag, 19.11.2014

Am 161. Verhandlungstag wird erneut Kai D. in den Zeugenstand gerufen. Er war Ende der 80er bis Ende der 90er Jahre zentrale Figur der Neonazi-Szene und gleichzeitig V-Mann des Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz.

Von: Tim Aßmann, Eckhart Querner, Holger Schmidt

Stand: 19.11.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Die Aussage von Kai D. zeigt, dass er faktisch eher verdeckter Ermittler als V-Mann  war.

Zeuge:

Kai D. (ehem. V-Mann)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR)
Beginn 9:44 Uhr - Zuschauertribüne gut gefüllt
Götzl stellt fest: Zeuge M. (Hans-Ulrich aus der Schweiz) ist, entsprechend seiner Ankündigung, heute nicht erschienen.
Es kommt nun zum zweiten Mal der Zeuge Kai D. Götzl belehrt ihn erneut als Zeuge.
Es wird verlesen: Schreiben des Präsidenten Verfassungsschutz Bayern vom 18.11.2014: Aussagegenehmigung vom 5.11.14 umfasst Erkenntnisse zum THS (Thüringer Heimatschutz) und dessen Umfeld und erstreckt sich damit auch auf Gespräche des Zeugen mit seinen VP-Führern in dieser Sache. Wir erweitern Aussagegenehmigung auf Bekundungen des Herrn D. gegenüber seinen VP-Führern.
Rechtsanwalt Scharmer (Nebenklage Kubasik): Guten Morgen Herr D.
D: Morgen
S: Wöchentliche Besuche in Thüringen: von wann bis wann fanden die statt?
D: Mindestens ab 95, vielleicht auch 94. Ende 97 hab ich mich aus Thüringen zurückgezogen.
S: Ablauf des Stammtisches.
D: War immer Mittwochs gewesen.
Zeuge liest von irgendwas ab
D: Abschlussbericht Thüringen. Da hab ich verifiziert, dass Stammtische Mittwochs waren.
G: Würde sie bitten, das auf die Seite zu legen.
D: Treffen waren immer ab 19 Uhr gewesen, Name Gaststätte kenn ich nicht mehr. Anwesend? Sagen wir mal 10 Personen waren es immer, je nach Lust und Laune zwischen 15 und 20 Personen. Ablauf war völlig zwanglos. Brandt war mein Ansprechpartner. Haben vorher telefoniert ob ich komme oder nicht.
Waren mehrere Tische, gab keine Sitzreihung, man hat ab einem gewissen Führungspunkt zusammen gesessen, normal unterhalten über das politische Geschehen.
S: Gewisser Führungspunkt?
D: Ich war in der Nähe von Brandt oder er in meiner und die man so kannte von Demonstrationen, waren mit am Tisch.
S: Was war Thema?
D: Organisation wenn Demos anstanden.
Wo man hin fährt? Wieviel Mannstärke dabei ist? Welche Fahrzeuge man nehmen kann?
S: Wie war Mann/Frau-Verteilung bei Stammtischen?
D: Mindestens 95 Prozent Männer
S: Erinnern sie sich noch an Gesichter von Frauen?
D: Vielleicht wenn Fotos vorgelegt werden
S: Konkret Frau Zschäpe.
D: Nein.
S: Mal Handy mit Brandt getauscht?
D: Ja. Brandt hatte immer die neuesten Sachen. Ich hatte älteres. Habe gefragt, ob ich es haben kann und er hat gesagt: Kannst auch gleich die Nummer haben.
S: Dann hatten sie dessen Handy und die Nummer?
D: Ja
S: Wie lange?
D: Kann ich nicht mehr genau sagen. Über Monat auf jeden Fall.
Nun wird Fernsehreportage von Spiegel TV aus den 90ern gezeigt, wo sich Neonazis auf altem Truppenübungsplatz treffen und mit Waffen üben wie man z.B. Asylantenheim stürmt.
Interviewpartner ist auch Thomas Dienel, der erklärt auf welche Art von Kampf sich die Gruppen spezialisieren.
S: Personen erkannt?
D: Dienel kenn ich persönlich und der maskierte Vorredner müsste von seiner Gestik und seiner Art her Sven R. sein.
S: War Ausländerhass Thema bei Stammtischen?
D: Im Prinzip ja.
Ob man am Stammtisch auch über die Ausschreitungen gegen Asylantenheime sprach, weiß der Zeuge nicht mehr. Film wird weiter gezeigt. Dienel reißt in einer Rede schlimme antisemitische und ausländerfeindliche Sprüche.
D: Ich war da dabei. Dienel war da schlimm betrunken, volltrunken.
S: Da wurde Sieg Heil gerufen. Auch von Ihnen?
D: Ich weiß, dass ich da irgendwann rausgegangen bin.
S: War das was Dienel gesagt hat, inhaltlich auch bei Stammtischen Thema?
D: Ich habe Dienel da nie gesehen, aber unabhängig davon hat sich der Führungskreis dort von Dienel weg bewegt.
S: Mir geht's um die Inhalte. Ist dort über solche Inhalte gesprochen worden.
D: Ich kann es weder bestätigen noch dementieren.
S: Sven R. mal in Haft gewesen?
D: Kann sein.
S: Wegen welcher Delikte?
D: Mir nicht bekannt.
S: Hierarchie im THS beschreiben.
D: Absoluter Ansprechpartner war immer Tino Brandt gewesen.
S: Aufgabenteilung im THS?
D: Organisatorische Schiene unter Tino Brandt und die mit den Waffen im weitesten Sinne - um R.. Scharfe Waffen sind mir nicht bekannt geworden, aber wenn was thematisiert wurde, ging es immer um ein Luftdruckgewehr. War aber vor Gründung des THS, sondern in Wendezeit so um 1990 - in dem Dreh.
S: Wen machen sie in dieser Gruppe außer R. noch fest?
D: Den, der im letzten Drittel zu sehen ist, mit Bomberjacke und blondierten Haaren. Den würde ich festmachen in der Gruppe. Waren mindestens fünf, maximal zehn.
S: Auf Liste, die in der Garage (in Jena, wo die Rohrbomben gefunden wurden, bevor Trio abtauchte) gefunden wurde, waren ihr Name und ihre Nummer. Sind sie nach 98 kontaktiert worden?
D: Meine Nummer war deutschlandweit vertreten. 1998 bin ich meines Wissens aus Verfassungsschutz raus und die Nummer hab ich danach platt gemacht, also abgeschaltet in der Form.
S: War die Nummer dem Verfassungsschutz in Bayern bekannt?
D: Ja.
S: Wurde ihnen gesagt, ob da überwacht wird?
D. will antworten, Stahl beanstandet. Der Zeuge muss kurz raus

Rechtsanwalt Stahl (Verteidigung Zschäpe): Soweit diese Frage und die Fragen davor gestellt werden, kann ich nicht erkennen welchen auch nur mittelbaren Sachzusammenhang mit den angeklagten Taten die Antworten zu geben vermögen. Ihre Fragen sind nur darauf gerichtet Ermittlungsversäumnisse aufzudecken bzw. Szene-Voyeurismus zu betreiben, komplette Szene in Ostdeutschland zu beleuchten und irgendeine Verknüpfung herzustellen. Prozessstoff wird in unzulässiger Weise ausgedehnt.
Scharmer: Hat mit dieser Sache zu tun. Geht um Sachen die Rückschlüsse auf die Angeklagten zulassen und auf die Glaubwürdigkeit Brandts.
Wenn Kommunikation des Handys aufgezeichnet wurde, können wir Erkenntnisse gewinnen. Geht um die Frage der Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Stahl: Bewegt sich auf einer Grenze. Natürlich ist alles denkbar auch mit Blick auf die Strafvorwürfe. Aber wir brauchen einen wenigstens mittelbaren Zusammenhang zu den angeklagten Taten. Wehre mich dagegen, dass das Verfahren ausgedehnt wird, was mit Blick auf das Beschleunigungsgebot nicht zulässig ist.
Scharmer: Wenn ihre Mandantin Mitglied der rechtsextremen Szene war, könnte sie das hier auch sagen.
Bundesanwalt Diemer: Neun Morde. Das ist Militanz pur. Wer sonst noch im THS militant war, ist meiner Auffassung nach, nicht Gegenstand dieses Prozesses.
Scharmer: Waren zehn Morde. Und Gegenstand ist eben auch der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Stahl: Was die Mandantin hier sagen soll Herr Scharmer, müssen sie schon uns überlassen. Ihre Art von Befragung, ist von Anklage nicht gedeckt, nicht zulässig.
Götzl: Vielleicht schlagen wir nochmal Bogen zur Ausgangsfrage. Inwiefern hat die Relevanz?
Scharmer: Geht mir darum ob D.s Kommunikation vom Bayerischen Verfassungsschutz aufgezeichnet wurde. Problem ist ja dass D. sich an verschiedene Dinge nicht erinnert oder erinnern will. Möglicherweise wäre das ja mit Hilfe solcher Aufzeichnungen möglich.
Götzl: Ich denke, dass man die Frage vor diesem Hintergrund zulassen kann.
Stahl zieht Beanstandung zurück
Götzl: Grundsätzlich hat der Appel aber seine guten Gründe und ich bitte das zu beachten.
Zeuge Kai D. kommt wieder rein.

S: Hat der Verfassungsschutz ihre Kommunikation mit den Thüringern aufgezeichnet?
D: Also mir wurde immer gesagt, dass Telefonnummern immer heiß sind.
S: Von ihren V-Mann-Führern etwas darüber erfahren?
D: Meines Wissens nach nicht.
S: Kommunikation zwischen Brandt, anderen und ihnen über Thule-Netz?
D: Ja
S: Können Sie das erklären.
D: Gab eine Mailbox in Erlangen. Ich hatte da Zugang, Brandt war auch im Verteiler. War eine Art altes E-Mail-System.
S: Wer noch dabei?
D: Noch in Erinnerung: Frank Schwerdt (NPD-Politiker) und ein Drucker, der die Berlin-Brandenburgische Zeitung damals gesetzt hat.
S: Im Netz über Gewalt kommuniziert worden?
Rechtsanwalt Klemke (Verteidigung Wohlleben) will beanstanden, braucht er nicht, Götzl bittet Scharmer von sich aus, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und erinnert an Beschleunigungsgebot.
S: präzisiert: Mit Brandt und THS Dinge über Thule-Netz über politischen Gegner ausgetauscht worden?
Stahl beanstandet jetzt auch, betont Frage wurde in letzter Vernehmung von D. bereits beantwortet. Frage war dort, ob Gewalt in Gesprächen mit Brandt Thema war. Das ist beantwortet worden und jetzt wird es halt kleinteiliger gefragt.
D. muss wieder raus
Stahl: Mit wem D. über welche Mittel in der rechten Szene gesprochen hat, ist egal.
Nach der Gewaltdiskussion ist schon gefragt worden und deshalb ist diese Frage hier völlig überflüssig.
Götzl: Solange es um den Aspekt Gewalt / Gespräch mit Brandt geht, halte ich das für zulässig. Wenn es aber in der Richtung weiter geht, müssen sie mit Beanstandungen rechnen Herr Scharmer. Ich bitte sie einfach sich zu konzentrieren.
Stahl hält Beanstandung aufrecht.
15 Minuten Pause für Beschluss

(Eckhart Querner, BR)
Fortsetzung um 11:06 Uhr
Beschluss des Gerichts: Frage ist zulässig. Sie war nicht Gegenstand der letzten Befragung. Dort ging es nur um verbale Kommunikation, nicht um Kommunikation im Internet.
Rechtsanwalt Scharmer (Nebenklage Kubasik) stellt seine Frage noch mal.
D: Wir hatten Kontakt über Thule-Netz. Als Punkt in diesem Mailboxverbund des Thule-Netzes bin ich mitverantwortlich dafür, dass es nicht zu Straftaten kommt.
S: Wie nannte sich Brandt im Thule-Netz?
D: Eugenspiegel.
S: Wurde verschlüsselt kommuniziert?
D: Ja. Wenn sie verschlüsselt war, hatte ich keinen Zugriff zu Entschlüsselungen.
S: Hatte Mundlos Zugang?
D: Meines Wissens nein.
S: War Mundlos in anderen Knotenpunkten des Thule-Netzes registriert?
D: Meines Wissens nein.
S: Ihre Haltung zu Gewalt?
D: Waffen waren nie ein Thema für mich. Während meiner Zeit beim Verfassungsschutz habe ich nie eine Schusswaffe gesehen und deshalb auch nicht in die Hand genommen. Meine Devise war: Ohne Waffen, ohne Gewalt.

D: Zweimal ist versucht worden, ein Attentat auf mich zu verüben.
Zu seinen V-Mann-Berichten für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz:
D: Berichte gingen an Herrn R. oder Herrn H. und Herrn F.
S: Wie oft haben Sie berichtet?
D: Wenn ich beim Mittwochstreffen war, habe ich am Donnerstag jeweils einen ausführlichen Bericht zugeleitet.
S: Alle Namen der Teilnehmer am Mittwochstreffen aufgeschrieben?
D: Ja.
S: Über Militanz mit dem Verfassungsschutz gesprochen?
D: z.B. Hausbesetzung in Thüringen, am Donnerstag wurde das von mir sofort wahrheitsgemäß gemeldet, über eine sichere Leitung, zeitnah an den Dienst. Wenn Erkenntnisse vorlagen, wurden die zeitnah an den Verfassungsschutz übermittelt.
Götzl: Es geht hier um den Thüringer Heimatschutz (THS).
D: THS wurde in der Mitte der 90er Jahre gegründet. Bis Ende 97, Anfang 98, als ich aufhörte zu berichten, habe ich Berichte weitergeleitet.
S: Bundesweite Kontakte des THS?
D: Brandt hat das immer versucht (aufzubauen).
S: Zu Ihrer Vernehmung durch das BKA am 30.10.2012. Die Vernehmungssituation: Waren Sie vor Ort, waren die Beamten bei Ihnen? Sie saßen in Haft. Mir geht es um Folgendes: Aussage D.s: "Wenn Haftstrafe aufgehoben würde, wäre ich zu weiteren Aussagen bereit und würde weitere Videoaufnahmen zur Verfügung stellen."
D: Ich hab keinen Zugriff mehr auf Filmmaterial. Es geht um Gruppe von Sven R. Ich hab kein Material mehr. Durch viele Umzüge verschollen gegangen.
S: Das war erst 2012. Wussten Sie damals, dass Sie es noch hatten?
D: Ich dachte.
S: Was waren die von Ihnen in Aussicht gestellten Aussagen?
D: Ich dachte, ich hätte noch Unterlagen, Mitgliedsunterlagen aus der Gruppe in Thüringen. Aber ich hatte das dann doch nicht zur Verfügung.
S: Was waren die Aussagen, die Sie damals nicht gemacht haben?
D: Wenn ich hätte nachschauen können, ob noch Unterlagen dagewesen sind, hätte ich mich mit dem BKA in Verbindung gesetzt. Ich hab den Vorschlag gemacht, im festen Glauben, ich hätte noch Unterlagen.
Rechtsanwältin Basay (Nebenklage Simsek):
Kennen Sie einen Herrn Kai Diesner?
D: Namentlich schon. Hat an Autobahnraststätte einen Polizisten erschossen.
Basay: Im Thule-Netz haben Sie Verständnis dafür geäußert. Es sei nachvollziehbar, dass der Polizist umgebracht wurde. Wie passt das zu Ihrer Gewalteinstellung?

D: Für V-Mann wie mich ist es wichtig, Straftaten zu erkennen und V-Mann-Führer zu informieren, um Straftaten zu verhindern.
Basay: Ich nehme das jetzt mal so hin. Können Sie sich an Broschüre mit Todesliste von 250 Personen aus Polizei und Justiz erinnern?
D: Mir wurde immer angeheftet, dass ich Autor dieser Broschüre war. Hab davon zum ersten Mal aus der Presse gehört.

B: Der Generalbundesanwalt hat gegen Sie ein Verfahren wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung geführt. Wussten Sie das?
D: Hab, glaub ich, keinen Besuch vom BKA bekommen.
B: Haben Sie mal einen Staatsanwalt in Coburg bedroht?
D: Ich? Nein. Wenn es so gewesen wäre, hätte mich der Verfassungsschutz sofort kontaktiert und Maßnahmen ergriffen.
Rechtsanwalt Langer (Nebenklage Turgut): Donnerstagsberichte an das Landesamt, wie erfolgten die?
D: Telekommunikationsleitungen waren nicht sicher, das ging auch über Telefonzellen. Erst telefonisch, dann schriftlich. Das erfolgte immer. Bei wichtigen Dingen wurde abends telefoniert. Man hat Vormittags oder Frühmorgens telefoniert. Es wurde der Grundkonsens durchgegeben und Details schriftlich nachgeliefert.
Mittagspause bis 13:10 Uhr

(Tim Aßmann u. Eckhart Querner, BR)
Weiter um 13:17 Uhr
Zeuge Kai D. schildert jetzt, auf Nachfrage von Rechtsanwalt Narin (Nebenklage Boulgaridis), erneut die aus seiner Sicht zunehmende Radikalisierung des Thüringer Heimatschutzes. D. spricht von Eigendynamik, bleibt aber insgesamt sehr theoretisch und belegt die angebliche Militarisierung und Radikalisierung nicht mit Beispielen.
Narin: Braune Armee-Fraktion?
D: Ja, ja so von meiner Erfahrung her.. gab so ein leichtes Anheizen der Situation.. hat sich dann verflüchtigt, auch mit meiner Tätigkeit dazu.
Narin versucht nun weiter zu fragen, gerät aber immer wieder mit Götzl aneinander, der sowohl den Fragestil als auch den Inhalt der Fragen moniert und keinen Bezug zum Verfahren sieht.
N: Auch für andere Behörden gearbeitet als für das Landesamt?
D: Nein
Rechtsanwältin Wierig (Nebenklage Tasköprü): Sie sagten Brandt hätte mit Straftaten bis „ganz nach oben“, Christian Worch u. A. geprahlt. Wie muss ich das "ganz nach oben" verstehen?
D: Er hat alles getan, damit wir davon erfahren, um in der Szene eine höhere Akzeptanz zu bekommen.
W: War Christian Worch denn "ganz oben"?
D: Ja.
W: Welche Funktion hatte Worch?
D: War nicht unumstritten. Die einen wollten es radikaler, andere wollten Weg über Gerichte gehen, Worch verfügte über absolut umfangreiches Fachwissen der Juristerei.
W: Standing von Worch?
D: Gab zwei Truppen. Wenn Demo verboten wurde, sagte ein Flügel: Wir gehen trotzdem. Worch sagte: Nein wir gehen vor die Gerichte.
W: Gab es Treffen zwischen Worch und Brandt?
D: Direktes Treffen nicht, gehe davon aus dass es am Rande von Demos Treffen gegeben hat.
Rechtsanwältin von der Behrens (Nebenklage Kubasik): Waren sie in rechtsextremer Szene aus eigener Überzeugung tätig oder auf Weisung des Landesamtes?
D: Auf Weisung des Landesamtes (für Verfassungsschutz).

B: Hatten sie Auftrag vom Landesamt Mitglieder für die "Deutsche Alternative" zu werben?
D: Nein
Weingarten (Bundesanwaltschaft) beanstandet: Das geht wirklich zu weit und hat mit dem Verfahren nichts zu tun.Es wird historisierend die Szene aufgeklärt - zu Zeiten, die mit dem Verfahren nichts zu tun hat.
B: Haben sie Anweisung bekommen (vom VS) zum Mittwochs-Stammtisch nach Thüringen zu fahren?
D: Ich sag es mal so: Es wurde geduldet. Ich musste immer sagen, wo ich bin, damit, falls ich in die Verhaftung gehe, reagiert werden kann.
B: Waren sie aus eigener Überzeugung dort (beim THS)?
D: Nein
Rechtsanwältin von der Behrens will jetzt wissen ob D. in Berlin, wo er vor seinem Umzug nach Oberfranken war, auch spitzelte. D. will das nicht beantworten, sagt, dass er erst einen Rechtsbeistand wolle.
B: Wann war das?
D: 1986/87
B. will weiterfragen, Götzl greift ein - 86,87 liegt zu weit zurück, um mit dem Verfahrensgegenstand zu tun haben zu können.
Rechtsanwältin Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Zu dem Beitrag von Spiegel TV: Ist darüber bei Stammtisch gesprochen worden.
D: Aufnahmen entstanden nahe der Grenze. Dienel galt als begnadeter Redner. Dass das aus dem Ruder laufen konnte, hat man gesehen. Meines Wissens nach, ist da damals auch Geld geflossen (von Spiegel TV an die Neonazis?) und dann ist die Sache aus dem Ruder gelaufen. Journalisten hatten Interesse daran. Wenn Medien nicht da gewesen wären, wären die Worte von Dienel in dieser Form nicht gefallen. Bin ich mir richtig sicher.
S: Haben sie mal mitbekommen, dass sowas konkret bestellt wurde.
D: Bei dem Fall hab ich das nicht in Erinnerung, aber das sowas regelrecht bestellt wurde, um eine harte, radikale, rechte Szene darzustellen, ist mir bekannt. Das ist so gewesen.
Schneiders stellt nun nochmal Nachfragen zu Aufträgen an D., er beruft sich teils erneut auf seine eingeschränkte Aussagegenehmigung, meint die Fragen drehten sich um taktische Maßnahmen und das sei nicht gedeckt. Er will auch seinen Decknamen beim Verfassungsschutz nicht nennen.
Schneiders: Hatten sie für Thüringen spezielle Aufträge vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz?
D. will auch das nicht beantworten: Vielleicht gibt es auch noch eine dritte, erweiterte Aussagegenehmigung. Dann nehme ich gerne dazu Stellung.
Rechtsanwalt Hedrich (Verteidigung André E.): Treffen Gaststätte "Zum Weinberg" in Saalfeld mit Dienel, Schwerdt, ihnen, André K. und Brandt. Wussten sie damals, dass Dienel V-Mann ist.?
D: Nein. Hab es vermutet, aber nicht gewusst.
H: Wissen sie, ab wann sie es vermutet haben.
D: Nein
H: Vorhalt: Kai D. – Arbeitsname beim Verfassungsschutz "Tassilo".
D: Nein. Mehr gebe ich hier auch nicht preis.
H: Heute morgen, sagten sie: Wenn ich in Thüringen war, hab ich Dienel nie gesehen. Jetzt auf Vorhalt sagen sie er war in der Gaststätte.
D: Wissen sie. Ich kann mich nicht erinnern. Schwerdt war da, aber den Vorhalt lass ich hier nicht stehen.
D. ereifert sich gegenüber Hedrich, Götzl schreitet ein: Was fällt Ihnen ein? Es werden Fragen an sie gestellt und diese Frage ist zulässig und richtig und die beantworten sie bitte. Und meine Anmerkungen kommentieren sie auch nicht. Haben Sie mich verstanden Herr D.?
D: Ja
Rechtsanwalt Kaiser (Verteidigung André E.): Haben sie größten Teil ihren Lebensunterhalts mit dem Geld vom Verfassungsschutz bestritten?
D: Deckt sich nicht mit Aussagegenehmigung.

K: Beziehen sie heute noch Geld vom Verfassungsschutz?
D: Dazu kann ich auch nichts sagen.

Schneiders: Gab es Vorgespräch mit Verfassungsschutz über ihre Zeugenaussage hier?
D. zu Götzl: Deckt sich das (mit Aussagegenehmigung)?
G: Müssen Sie wissen
D: Es gab keinen Kontakt
Zeuge entlassen
Pause bis 15:15 Uhr

(Holger Schmidt, SWR)

Erklärung von Rechtsanwältin von der Behrens (Nebenklage Kubasik) und Rechtsanwalt Kuhn (Nebenklage Keupstr.) im Namen mehrerer Nebenklage-Vertreter zur Vernehmung des Zeugen Norbert W. (ehemaliger V-Mann-Führer von Tino Brandt beim Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen): Forderung: Strafverfahren gegen W. anregen wegen Falschaussage entweder vor Untersuchungsausschuss des Bundestages oder im Prozess zur Frage nach dem Zeitpunkt seines Telefonats mit dem Leiter der Polizeidirektion Gotha (nach dem Auffinden der Leichen von Böhnhardt und Mundlos).

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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