Durch die Aussagen der drei Beamten wird die Zerstörungskraft des Sprengsatzes deutlich.

Zeugen:

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Christoph Arnowski, BR)
9:40 Uhr
Deutlich mehr Besucher (Journalisten) als zuletzt, aber dennoch genügend freie Plätze, unter ihnen Joachim Stamp, FDP-Landtagsabgeordneter aus NRW, samt wissenschaftlicher Mitarbeiterin vom Landtags-Untersuchungsausschuss in NRW, der sich mittlerweile konstituiert hat.
9:45 Uhr
Zschäpe kommt, in grauem Hosenanzug mit bunt gemustertem Halstuch und dreht sich, wie gewohnt, gleich um, Heer und Sturm flankieren sie, das neue Jahr beginnt nicht anders, als das alte aufgehört hat.
9:50 Uhr
Götzl kommt und begrüßt in üblicher Weise die Verfahrensbeteiligten im "neuen Jahr", dann Präsenzfeststellung.

(Ayca Tolun / WDR)
Unter den Zuschauern ist auch eine Abordnung der Initiative "Keupstraße ist überall", dem Unterstützerkreis für die Opfer des Anschlags in der Keupstraße

(Holger Schmidt, SWR, Tim Aßmann, BR, Paul-Elmar Jöris, WDR, Christoph Arnowski, BR, Ayca Tolun, WDR)

Zeuge: Dirk S., 57 Jahre alt, Polizeibeamter, LKA Düsseldorf

Götzl verliest eingeschränkte Aussagegenehmigung. Innerdienstliche Vorgänge, die andere Beamte gefährden oder polizeiliche Taktiken offenlegen könnten, sind davon nicht gedeckt.
Götzl (G): Es geht um Anschlag vom 9.6.2004 in der Keupstraße

S.: Zum damaligen Zeitpunkt war ich Sachgebietsleiter Spreng- und Brandtatortgruppe des Landeskriminalamts. Ein Mitarbeiter war damals gegen 16:00 Uhr schon zu Hause, das war der Martin W., habe ihm gesagt, er soll direkt zum Tatort. Er war als erstes da, deswegen habe ich gesagt, er soll die Leitung vor Ort übernehmen. Muss dazu sagen, wir haben als LKA keine eigene Zuständigkeit, sondern kommen nur auf Anforderung der Bezirkspolizei. Köln sah sich nicht in der Lage und hat uns deshalb angefordert.
W. hat uns in die Lage eingewiesen. Keupstraße ist an der Stelle Einbahnstraße mit geschlossener Bebauung. Im Erdgeschoss meist Geschäfte, Dönerläden und andere Restaurants. Die Anwohner sind überwiegend türkische Mitbürger, vereinzelt leben da auch deutsche Personen. Erste Vermutung: Explosion einer Sprengvorrichtung auf einem Fahrrad vor einem Friseurladen, Hausnummer 29. Ein Kollege sagte gleich, er wisse, dass das Fahrrad bei Aldi an einem Aktionstag verkauft worden sei. Wir haben einen sehr großen Schaden am Tatort, aber auch in den Hinterhöfen festgestellt. Haben Tatort in Spurenbereiche aufgeteilt. Ist so üblich, waren 26 oder 27 Spurenbereiche im Umkreis von ungefähr 250 Metern um das Sprengzentrum. Das war die Stelle, wo das Fahrrad abgestellt worden ist. Die Spurenbereiche außen waren etwas größer, als zum Zentrum hin, weil dort weniger Splitter zu erwarten sind. Hin zum Zentrum werden die Bereiche immer kleiner. Vorgehen: Man nimmt die Schäden auf und tütet alle Splitter ein, um sie später nochmal auf der Dienststelle anzuschauen. Der gesamte Bereich wird erst einmal "besenrein" gemacht.
Beschreibung vom Sprengzentrum aus:
Auf dem besagten Fahrrad war Sprengvorrichtung zur Umsetzung gekommen und hat beträchtlichen Sachschaden verursacht. Als wir kamen, waren keine Verletzten mehr anwesend. Man hat uns gesagt, dass ungefähr 22 Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Kann mich erinnern, dass Splitter zum Teil in den Hauswänden und in Fahrzeugen steckten. Im Nahbereich eine Vielzahl von Nägeln und schwarzen Kunststoffsplittern, Vielzahl Stofffetzen. Vielzahl Splitter, die auf einer Seite blau waren., einer steckte in einem Auto, Nägel steckten in Holzsäulen. Wir konnten Bauteile aus dem Bereich Modellbau zuordnen, Teile Batterien, Litzen, Drähte, einen einzelnen Wippschalter, etwas entfernt einen silbernen Gegenstand, den man später als einen Quarz aus dem Flugzeugmodellbau identifizieren konnte.
Bilder wurden gemacht, Lichtbildmappe erstellt, Tatortskizze, Liste der Teile mit Identifizierung der Zugehörigkeit.
Zuordnungen: Die blauen Splitter konnten einer Campinggasflasche zugeordnet werden, die schwarzen Kunststoffteile einer schwarzen Plastikbox, einer Motorradbox "Kappa" wie für einen Helm, die Stoffteile einer Fahrradtasche. Die elektronischen Bauteile waren zwei so genannte Servos, die im Flugzeugmodellbau Verwendung finden, der Quarz sendete auf einer Frequenz 35 Punkt..  - den Rest weiß ich nicht mehr, ein Kanal, der speziell für Flugmodelle freigehalten wird, so dass wir davon ausgegangen sind, dass die Sprengvorrichtung funkferngezündet worden sein könnte.
Haben zahlreiche Nägel gefunden, waren teils stark deformiert. Haben insgesamt 702 Nägel gefunden, die noch in voller Länge, aber eben teils stark deformiert waren. Haben auch kleine Kabel gefunden, die als Leitungen zwischen den einzelnen Bauteilen funktionierten. Batterien als Stromversorgung für Zünder gefunden. Nachgewiesen wurden Rückstände von Schwarzpulver durch Abriebe, mit Hilfe der Chemiker des LKA. Wenn man das in Behältnis einschließt, baut es Druck auf, so dass es zu explosionsartiger Ausbreitung kommt. Relativ große Splitter der Gasflasche, Flasche hat Sollbruchstellen, falls mal was schief geht, damit sie da dann aufbricht. Haben auch E10-Fassung mit Glühbirnchen gefunden, wie bei Taschenlampe. Wenn die Glühwendel erhitzt und der Glaskolben vorher entfernt wird, kann sie den Sprengkörper zur Explosion bringen.
Aufbau stellte sich für uns so dar: Fahrrad silbern aus Aldi-Werbung, auf Gepäckträger Hartschalen-Helmkoffer, in dem sich Nägel und Campinggasflasche befunden haben. Seitlich Fahrradtasche mit Empfängervorrichtung, Servos, Quarz, Ein-Aus-Schalter. Damit wurde Stromversorgung zwischen Campinggaskartusche, Glühbirne und der Zündvorrichtung mit den Batterien geregelt und beim Transport ausgeschaltet. Diese Stromversorgung musste vor Zündung wieder eingeschaltet werden. Man nennt das Transportsicherung.
Die Schäden, die wir vor Ort gefunden haben im Umkreis von 200 Metern sind einzig auf Sprengvorrichtung zurückzuführen, die wir auf dem Fahrrad gefunden haben.

Zeuge soll nun auf Karte den Tatort finden, die Karte hat aber einen viel zu großen Maßstab. Nun wird kleinerer Maßstab vorgelegt und der Zeuge zeigt den entsprechenden Abschnitt der Keupstraße mit der Hausnummer 29. Dort war der Friseurladen, vor dem das Fahrrad abgestellt war. Zeuge erklärt auch, wie weit sich der Bereich erstreckte, in dem die Spurensicherung tätig war.

S.: Fahrrad: Ich war bei Aldi, die haben uns freundlicherweise ein Vergleichsfahrrad aus ihrem Depot zur Verfügung gestellt. Uns ist aufgefallen, dass das Fahrrad am Tatort einen Aufbockständer hatte, statt des normalen Seitenständers. Weil Bombe circa 5,5 kg Sprengstoff enthielt, ist ein solcher Ständer plausibel. Haben das Fahrrad als Rekonstruktion aufgebaut und den Kollegen in Köln zur Verfügung gestellt.
G: Wann war Rad im Handel bei Aldi?
Zeuge: Im April. Uns wurde mitgeteilt, dass es in dieser Form für 249,- Euro bei Aldi Süd angeboten wurde, Citybike, Damenrad.

G: Zu Servos?
Zeuge: Herstellerfirma hat mitgeteilt, dass Produktion 2002 eingestellt wurde.
G: Zu übrigen Teilen?
Zeuge: Wir sind an Firma Umarex bezüglich Tasche herangetreten. Bei Platinen wussten wir nicht, wo wir die zuordnen sollen. Sie hätten auch von einem Fahrradrücklicht stammen können. Eine war dann tatsächlich vom Empfängerteil. Bezüglich Batterien haben wir auch Herkunftsermittlungen durchgeführt. Stammten aus dem Modellbau. Konnten genaue Zahl nicht mehr ermitteln, da sie stark zerstört waren. Und zu Hartschalenkoffer konnten wir feststellen, dass er von Firma Kappa stammt und nur in Fachgeschäften verkauft wird, um Helm aufzubewahren.
G: Nägel, welche Länge?
Zeuge: 100 Millimeter Länge, 5 mm Stärke, haben sie damals glaube ich als Zimmermannsnägel bezeichnet.

(Christoph Arnowski / BR)
Rechtsanwalt Reinecke (Nebenklage Keupstraße): Wie lange beschäftigt mit Anschlag?
S: Zwei Tage
Reinecke: waren Sie auch, drei Jahre zuvor, nach dem Anschlag in der Probsteigasse eingesetzt? Haben sie da einen Zusammenhang gesehen?
S: Ja, war auch dort, habe keinen Zusammenhang gesehen.

Keine weiteren Fragen, Zeuge wird um 10.45 Uhr unvereidigt entlassen.

Pause bis 11.05 Uhr


(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 11.09 Uhr mit dem Zeugen Martin W., Kriminaloberkommissar, LKA NRW in Düsseldorf, 44 Jahre alt.

Götzl: Womit waren Sie am Tatort befasst?
W: Als Mitglied der Tatortgruppe wurde ich über Anschlag um 16 Uhr in der Keupstraße informiert. Bin von zuhause hin, war ca. 45 Minuten vor den anderen da. Ich übernahm dann die Sachbearbeitung für unsere Dienststelle in dieser Sache. Wir haben Spurenbereich festgelegt, uns Überblick verschafft, sind dann zur Tatortarbeit übergegangen, sind die Bereiche durchgegangen, in der Regel werden alle Gegenstände, von denen man vermutet, dass sie zu Vorrichtung gehören, eingesammelt. Jeder Bereich bekam eigene Spurensicherungstüte. Nachdem wir fertig waren – das hat zwei Tage gedauert - haben wir in der Dienststelle gesichtet. Asservate wurden fotografiert, aufgelistet, Lichtbildmappe zusammen mit Tatortfotos erstellt. Man konnten dann ganz gut visualisieren in welchem Bereich welche Splitter aufgefunden worden sind.

Nun beginnt die Lichtbildvorlage. Geht los mit einem Stadtplan.

W: Ist recht multikulturelles Viertel. Keupstraße ist recht stark von türkischstämmigen Einwohnern geprägt. Damals war dort auch Firmensitz des Senders Viva.

Nun zeigt der Zeuge den betroffenen Bereich auf Luftaufnahmen. Enge Straße, geschlossene Bebauung, Parkstreifen in Längsrichtung auf beiden Seiten. Größte Zerstörung klar vor dem Friseurladen mit dem Sprengzentrum (Haus 29).

W: Ab Haus 46 erste Schäden fest gestellt. Man sieht überall auf dem Gehweg verteilt Glassplitter.

Zweite Lichtbildmappe

W: Es wurden auch Nägel in Gärten gefunden, wo kein unmittelbarer Zugang war (d.h. Nägel sind über Dächer dorthin geschleudert worden).
Zu sehen: Transporter, der gegenüber geparkt war, und in dem noch ein Zimmermannsnagel steckt.
Bis zu Hausnummer 68 wurden Spuren gesichert.
Rund um den Anschlagsort ist eine quasi vollständige Entglasung festzustellen. Eine Säule im Eingangsbereich wurde durch die Druckwelle sogar verschoben. Hausnummer 29 weist massive Beschädigungen auf. Der Gehweg vor dem Haus ist ein Trümmerfeld, die Außenverkleidung im unteren Bereich teils herausgerissen, die Haustür neben dem Ladenlokal ist nach innen aus den Angeln gesprengt worden. Auch im Keller des Hauses an den Lichtschächten nach oben sind Schäden festzustellen.

(Ayca Tolun, WDR)
(Zschäpe, sichtlich gelangweilt, guckt  in den jetzt offenen Laptop, André E. schaut mal auf die Tastatur seines Laptops, mal schaut er interessiert die Bilder an der Wand an)

Mittagspause bis 13.00 Uhr

Nach der Mittagspause geht es um 13.06 Uhr weiter mit KOK W.

Zuschauertribüne nach Mittagspause stark ausgedünnt.

Zschäpe hat Laptop zugeklappt, scheint an den Ausführungen immer mal Interesse zu zeigen. Mitangeklagter Holger G. von Anfang an sehr interessiert, Carsten S. und André E. nicht. E. schaut weiterhin fast bewegungslos auf die Tastatur seines Laptops.

(Tim Aßmann, BR)
Der Zeuge erklärt nun weiter die Schäden anhand von Lichtbildern (mit den Fotos 102 bis 134). Es sind zunächst Fotos aus dem Inneren des Friseursalons zu sehen, vor dem das Rad mit der Bombe stand. Das Geschäft wirkt verwüstet. Überall sind Splitter und Glasscherben, teils sehr große scharfe Scherben, auch im Wartebereich des Ladens, der vorne direkt hinter der Scheibe war. Dort musste mit schweren Verletzungen gerechnet werden, erklärt der Zeuge.
Zu sehen: Das Rad auf dem die Bombe war. Das Vorderrad ist weg, im hinteren Bereich sind deutliche Spuren von Flammeneinwirkung zu sehen, dort ist alles schwarz, das Hinterrad ist völlig verbogen.
Ebenfalls zu sehen: Rückstände einer Stichflamme, die an der Hauswand hochging bis zur Markisenaufhängung des Friseurladens. Zeuge schätzt: Ungefähr 2 Meter war die Stichflamme hoch.
Nun sind Bilder der teils völlig verbogenen Zimmermannsnägel und Reste der blauen Gaskartusche zu sehen, in der der Sprengstoff war.
Nun kommen Bilder zur Sprengvorrichtung. Darauf sind u.a. Reste des Elektromotors, der zur Bombenzündung gehörte.
Alleine im Spurensicherungsbereich des Gehwegs vor Hausnummer 29 wurden 121 Nägel gefunden. Auf der Fahrbahn vor dem Haus wurden noch einmal 75 Nägel gefunden.

Pause bis 14.10 Uhr

Weiter um 14.14 Uhr mit dem Zeugen Martin W.

Es werden weiter Fotos gezeigt. Auf einem ist auch der Zweibein-Fahrradständer zu sehen, der im Ursprungszustand nicht an dem Rad war, sondern nachträglich montiert wurde, damit das Rad auch bei schwerer Beladung sicher stehen kann.
Anhand einer Stoßstange, in der ein Nagel steckt, erklärt der Zeuge nochmal, dass die Nägel auch schwere Stichwunden und Verletzungen hätten verursachen können.
Die Einvernahme des Zeugen W. wird nun erstmal unterbrochen. Er kommt morgen um 9.30 Uhr wieder.

Fünf Minuten Pause.

Weiter um 14.40 Uhr mit dem Zeugen Heribert S., 62 Jahre alt, Kriminaloberkommissar, ehemals LKA, Düsseldorf, mittlerweile Rentner.
Götzl: Bitte von sich aus schildern, inwiefern sie mit Ermittlungen befasst waren.
S: Wurde gegen 17.15 Uhr informiert, mit Fliegerstaffel in Verbindung gesetzt, bin von denen zum Tatort transportiert worden, habe dann Markierungen dort angebracht für Tatortvermessung. Dann Luftaufnahmen vom Einsatzort gefertigt. Damit war die Arbeit für mich vor Ort erledigt.
G: Was dann auf Dienststelle gemacht?
S: Können Einsatzort genau vermessen, erreichen Abweichung von maximal 3cm. Es ist ein digitaler Bildplan erstellt worden, ist wie Foto senkrecht auf den Einsatzort. Man kann also in dem Bildplan messen wie auf einer Zeichnung.
G: Was wurde nachgemessen?
S: Straßenbreite, Gehwegbreite. Alle Maße, die eigentlich erforderlich sind. War hauptsächlich zur Übersicht der Kollegen von der Tatortgruppe. Dass man sich auch Bild machen kann, wie es ausgesehen hat, auch wenn man selber nicht vor Ort war.

Zeuge erklärt nun auf Nachfrage von Götzl, warum er sich noch so gut an die Aufnahmen erinnert. Er hatte die Luftbilder in seinem Büro hängen. Ein solcher Tatort sei ja "nichts Alltägliches" und wenn Besuch gekommen wäre, sei das "eine sehr schöne Sache" gewesen - für Schulungszwecke.

G: Was haben sie alles vermessen?
S: Kann ich Ihnen im Einzelfall nicht mehr sagen.

(Ayca Tolun, WDR)
S: Nach einem Monat wurden auch die Viva-Aufnahmen (gemeint sind die Überwachungskameras vor dem Sitz des Senders, die auf die Straße gerichtet waren) nachvermessen z.B. die Größe von Menschen. Auf den Viva-Aufnahmen sind zwei Männer zu sehen, die laut Anklage Mundlos und Böhnhardt sein könnten.

Die Luftbilder scheinen Zschäpe und die anderen Angeklagten zu interessieren. Alle schauen gespannt auf die Bilder an der Wand, auch André E.

Wenig später wird Zeuge entlassen und Verhandlungstag ist zu Ende.