NSU-Prozess


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183. Verhandlungstag, 05.02.2015 Der Weg des Carsten S.

Er gilt als Kronzeuge der Anklage, seine Aussage belastet vor allem den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer. Sein Werdegang klingt stellenweise mitleiderregend, doch wie glaubwürdig ist die Geschichte von Carsten S.?

Von: Julian von Löwis

Stand: 05.02.2015 | Archiv

Julian von Löwis | Bild: BR

05 Februar

Donnerstag, 05. Februar 2015

Er ist Mitte 30 doch wirkt in seinem Auftreten eher wie ein Jugendlicher. „Ich habe ihn als zurückhaltend und scheu kennen gelernt“, sagte ein Jugendgerichtshelfer heute vor Gericht. Der Zeuge führte im Auftrag eines psychiatrischen Gutachters mehrere Gespräche mit dem Angeklagten. Dabei geht es um die Frage, ob bei Carsten S. das Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Die ebenfalls für heute angesetzte Aussage und Einschätzung des Gutachters musste aus Zeitnot aber verschoben werden.

Mobbing in der Schule und homosexuelle Neigungen

Tageszusammenfassung

Archivbild: Der Angeklagte Carsten S. betritt am 19.05.2014 den Gerichtssaal | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel 183. Verhandlungstag, 05.02.2015 Ein Außenseiter und ein "Ahnungsloser"

Am Vormittag stand der Angeklagte Carsten S. im Zentrum des Prozess: Ein Zeuge schilderte, wie der junge Mann in die Neonaziszene kam. Am Nachmittag präsentierte sich ein anderer Zeuge als Gipfel der Ahnungslosigkeit. [mehr]

Der Diplom-Sozialarbeiter, der heute auf dem Zeugenstuhl vor dem Oberlandesgericht saß, erzählte knapp zwei Stunden über den Werdegang von Carsten S.. Über seine Probleme in der Schule, seine jahrelange Unsicherheit über die eigene Sexualität und schließlich den Anschluss an die rechte Szene.

„Ab seinem 13 Lebensjahr wurde er zum Gespött seiner Mitschüler, weil er sich anders verhielt, er wurde als Mädchen beschimpft“, so der Sozialarbeiter. „Heute würde man das Mobbing nennen“. Wenn es in der Klasse darum gegangen sei, „irgendeinen Scheiß zu bauen“, habe sich S. aber immer bemüht so gut wie möglich mit zu machen.

Ab 1997 Einstieg in die rechte Szene

Carsten S. war tief in der rechten Szene in Jena verwurzelt, er hatte nach eigener Aussage Kontakt zu den untergetauchten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und besorgte in ihrem Auftrag eine Schusswaffe – die mutmaßliche Mordwaffe. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben soll dazu alles organisiert und ihm unter anderem den Kontakt genannt haben, von dem S. die Waffe letztlich auch bekommen haben soll.

Bei den Kameraden in der Szene hätte er auf einmal das Gefühl gehabt, jemand zu sein, sagte Carsten S. dem Jugendgerichtshelfer. Außerdem fühlte er sich zu einem der jungen Männer hingezogen. S. beteiligte sich an Szenetreffs und Aktivitäten der Organisation "Thüringer Heimatschutz" und war Mitglied der sogenannten Kameradschaft Jena, so der Zeuge heute.

Der Entschluss auszusteigen

Im August 2000 verbrachte Carsten S. mehrere Tage in Haft. Kurz danach traf er sich mit Wohlleben und anderen Bekannten aus der Szene. „Wohlleben machte sich dann über ihn lustig“, sagte der Sozialarbeiter. Dabei sei es um die Homosexualität von S. gegangen. Dies habe ihn sehr getroffen und daraufhin beschloss er, aus der Szene auszusteigen.

Heute lebt der Mitte-30-Jährige im Zeugenschutzprogramm, wirkt während den Verhandlungen im NSU-Prozess konzentriert und interessiert. Hört man, wie heute vor Gericht, noch einmal seine Geschichte, bekommt man stellenweise auch etwas Mitleid mit dem schüchtern und zurückhaltend wirkenden jungen Mann. Man darf dabei aber nicht vergessen: er ist wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt. Er tut nun wohl das bestmögliche in seiner Situation, er kooperiert, gibt sich geständig. Wie glaubwürdig seine Version des Geschehens ist muss am Ende das Gericht entscheiden.


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