NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 185. Verhandlungstag: Skinhead im Zeugenstand
Erster Zeuge am heutigen Prozesstag ist der hessische Skinhead Bernd T. Der Neo-Nazi bestreitet heute, das Trio gekannt zu haben und kann sich an vieles nicht erinnern bzw. widerspricht immer wieder früheren Aussagen.
Um früher aus der Haft entlassen zu werden, soll Bernd T. angeboten haben, Informationen über den NS, konkret zu Mundlos und Böhnhardt, weiterzugeben. Zweiter Zeuge ist ein Sprengstoffexperte, der die Sprengwirkung der Nagelbombe, die in der Kölner Keupstraße explodierte, untersucht hat. Das Gericht befragt auch einen medizinischen Sachverständigen zu den Verletzungen der Opfer in der Keupstraße.
Zeugen:
- Bernd T. (Erkenntnisse zu Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe)
- Rüdiger Mölle (Sprengstoffexperte LKA Bayern)
- Oliver Peschel (med. Sachverständiger)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Heike Borufka, HR)
9.50 Uhr Sitzungsbeginn
Zuschauertribüne voll (viele junge Leute, 1 Skinhead mit Glatze und in Szeneklamotten).
Zschäpe: hellgraue Cardigan, weißes T-Shirt, geflochtener, hochgesteckter Zopf.
Vorsitzender stellt Präsenz fest: Nebenkläger Yozgat und Arslan sind anwesend.
(Tim Aßmann, BR)
Es kommt der Zeuge Bernd T. - Skinhead in schwarzer Bomberjacke und olivfarbener Hose. T. ist 40 Jahre alt, "selbstständiger Unternehmer". Als Götzl es erst nicht versteht, schreit T. es förmlich in den Saal und spricht ansonsten stakkatoartig - klingt wie "Sportpalast"-Stil.
(Heike Borufka, HR)
Götzl: Geht um Zschäpe, um Ihre Erkenntnisse.
T: Kann ich keine Angaben zu machen.
G: Geht darum, ob Sie sie kennen?
T: Kann ich leider keine Angaben zu machen.
G: Was bedeutet das?
T: Das bedeutet, mir wurde gesagt, gegen mich wird ermittelt, dann kann ich nichts sagen.
G: Wüsste nicht, was das zu bedeuten hat.
T: Dann kann ich mich an nichts erinnern.
G: Was bedeutet das? Ja gut, in der Form, wie Sie das machen, dann stellt sich die Frage, ob Sie die Aussage [macht Satz nicht fertigt]
T: Wie gesagt, ich kann keine Aussage machen, ich möchte auch keine machen.
G: Wenn ich Sie frage, kannten Sie Uwe Mundlos?
T: Nein.
G: Böhnhardt?
T: Nein.
G: Wie ist es mit Frau Zschäpe?
T: Nein.
G: Sind Sie von der Polizei, vom BKA vernommen worden?
T: Ja, die haben mir eine Menge in den Mund gelegt, aber gesagt habe ich nichts. Man hat versucht, mich zu vernehmen, mir Angebote zu machen.
G: Welche?
T: Nichts halbes, nichts ganzes.
G. wird nun hörbar sauer.
T: Ich saß in Haft, man hat mir Hafterleichterung angeboten, die habe ich nicht angenommen.
G: Haben Sie dann ne Aussage oder Angaben gemacht?
T: Nein.
G: Gegenüber STA?
T: Kann ich mich nicht daran erinnern
G. hält ihm vor
T: Da ist bestimmt nicht meine Unterschrift drunter.
G: Da ist eine Unterschrift drunter, das sieht nach Bernd T. aus (bittet ihn sehr väterlich vor).
T: Ach ja, das ist meine Unterschrift, aber ich habe nichts ausgesagt.
G: Unterschrift haben Sie geleistet, da steht, Sie wollen aussagen. Wer war denn anwesend?
T: Keine Ahnung, waren 3 Personen
G: Wie soll ich diese Antwort einordnen? Warum erst keine Ahnung und dann im selben Moment 3 Personen?
T. schweigt lange, dann: Kann ich nicht erklären
G: Gehen mal darauf ein, welche Personen, in welcher Funktion?
T: Kann ich nichts zu sagen, weiß ich nicht
G: STA zugegen? Können Sie sich erinnern?
T: Weiß ich nicht
G: Hier heißt es KHK Tr., KHK W. aus Kassel und Staatsanwalt Wi. Fand damals das Gespräch in der JVA Hünfeld statt?
T. schweigt
G: Sie waren in Haft. Wann sind Sie entlassen worden?
T: 21.10.2014
G: Und das, was Sie angesprochen haben, mit Hafterleichterung, worauf bezieht sich das?
T: Man wird irgendwas tun, ich habe da kein Interesse dran.
G: Haben Sie sich an die Behörden gewandt?
T: Ja
G: Worum ging es Ihnen?
T: Ich wollte einfach nur gucken, was passiert.
G: Brief geschrieben? An wen?
T: Weiß ich nicht mehr
G: Wann war das?
T: Weiß ich nicht mehr, halbes Jahr vor dem Termin, den Sie eben genannt haben
G: Vorhalt: 15.12.2011 Schreiben an Landesamt für Verfassungsschutz, Abt. Rechtsextremismus, stimmt das?
T: Das kann sein.
G: Vor 29.3.2012 - war da nochmal Kontakt von Behörden zu Ihnen?
T: Irgendjemand war da. Keine Ahnung, was die wollten. Die wollten Informationen zur Szene in Kassel, ich habe denen keine gegeben.
G. fragt weiter nach (sehr mühsam)
T: Erstes Gespräch hat 5 Minuten gedauert, ich wollte mit denen nicht sprechen
G: Aber was haben die wissen wollen?
T: Wen ich kenne, ob ich in ein Aussteigerprogramm will, habe nichts dazu gesagt, dann haben die mir Zeugenschutzprogramm angeboten, dann habe ich die ausgelacht und dann war das Gespräch beendet.
G: Zeitlich eingeordnet, wann waren die vom Landesamt ungefähr bei Ihnen?
T: Februar
(Zschäpe schaut wie immer in ihren Laptop oder vor zu den Richtern, Kinn auf Hand aufgestützt)
G: Sie haben ja den Brief geschrieben, warum?
T: War aus einem Spaß heraus, wollte mal gucken, was passiert.
G: Woraus sollte denn der Spaß bestehen?
T: Langeweile, haben einige im Knast gemacht.
G: Haben Sie im Brief geschrieben, dass Sie aus Knast entlassen werden wollen? Hält vor: "Ich befinde mich z. Zt. wegen Bedrohung und Beleidigung bis zum 2.5.12 in der JVA Hünfeld und möchte meine Hilfe anbieten, über Fluchtwege, Vernetzungen und vieles mehr. Verfüge über einiges mehr. Als Gegenleistung erwarte ich, dass man sich für mich einsetzt und ich so schnell wie möglich aus der Haft entlassen werde."
T: Ja, habe ich geschrieben. Wenn Sie das so vorlesen, wird das so sein. Möchte aber angeben, aus hafttaktischen Gründen war das so gewesen.
G: Dann im Februar das Gespräch mit dem Landeskriminalamt. Sie hätten das Gespräch beendet. Dann das Gespräch 29.3.12. Habe Sie da Informationen zu Böhnhardt und Mundlos gegeben?
G. hält weiter vor [zu angeblichem Konzertbesuch mit den beiden Uwes]
T: 2006 saß ich in Haft. Habe in der Zeitung gelesen, ich soll auf einem Konzert gewesen sein. Kann nicht sein.
(Tim Aßmann, BR)
G: Vorhalt: Geburtstag von Stanley R. Gespielt hat "Oidoxie"-Band. Da waren auch Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
T: Habe ich nie gesagt
(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Vorhalt durch Götzl: "Die waren zur Feier mit dem Zug anreist nach Kassel-Wilhelmshöhe."
T: Die Aussage war vom BKA-Mann.
(Heike Borufka, HR)
G. hält weiter vor, wer ihn vernommen hat
T: Die Namen sagen mir nichts
(Tim Aßmann, BR)
G: Wie war denn die Situation (Vernehmung)?
T: Einer hat geredet, einer hat geschrieben und einer hat immer dazwischen geredet, irgendwelche Sachen in den Raum geschmissen. "Wir wissen dies, wir wissen das, Sie waren doch dabei". Ich hab gar nichts dazu gesagt.
G: Staatsanwalt anwesend?
T: Weiß ich nicht.
G: Funktionen der Anwesenden?
T: Kann ich mich nicht erinnern. Tonband haben die mir auch nicht vorgespielt. Einer hat geschrieben, zwei haben geredet. Diktiert hat da keiner was.
G: Was haben die gesagt? (die Vernehmer)
T: Das weiß ich nicht mehr.
(Heike Borufka, HR)
G. hält aus Vernehmung durch das BKA vor, dabei sagte T., er habe Böhnhardt und Mundlos vom Bahnhof abgeholt.
T: Stimmt nicht, der BKA-Beamte hat das gesagt. Personen sind mir nicht bekannt und in Kassel waren sie auch nicht.
G: Nochmal nachgefragt: Haben Sie bei dem Gespräch am 29.3.12, was davon gesagt, dass Sie Mundlos und Böhnhardt schon mal in Kassel gesehen haben?
T: Nein.
G: Was hat denn der BKA-Beamte Ihnen gesagt?
T: Der hat versucht, mir verschiedene Sachen in den Mund zu legen. Er hat erzählt und erzählt und wollte dann Bestätigung von mir haben. Ich habe nichts bestätigt. Wenn Sie dann genaues wissen wollen, müssen Sie den Herrn selber fragen.
G: Um welche weiteren Punkte ging es?
T: Das weiß ich nicht, will auch nichts Falsches hier aussagen. (Gelächter im Publikum) Kann ich mich nicht dran erinnern, was die gesagt haben.
G: Nochmal nachgefragt, weil hier von der Geburtstagsfeier Stanley Röske die Rede ist
T: Kann sein, ist Bekannter von mir
G: Gabs irgendwann mal eine Geburtstagsfeier?
T: Ja, jedes Jahr, er hatte ja jedes Jahr Geburtstag.
G: Waren Sie 2006 auf der Geburtstagsfeier?
T: Nein, ich saß in Haft.
G: Waren Sie Freigänger damals?
T: Ja.
G: Dann waren Sie ja nicht immer in Haft.
T: Ja, morgens und nachmittags, aber abends nicht.
G: Dann waren Sie nicht zugegen [bei Geburtstagsfeier]?
T: Nein.
(Tim Aßmann, BR)
G: Vorhalt: "Ich habe sie vom Bahnhof abgeholt und mein Bruder ist den Bus gefahren."
T: Das widerspricht sich ja.
G: Wieso?
T: Ich soll sie abgeholt haben und mein Bruder soll gefahren sein. Widerspricht sich.
G: Wie sind Sie denn heute hier her gekommen?
T: Mit dem PKW
G: Selber gefahren?
T: Nein.
G: Sehen Sie. Geht also doch. Mitzufahren ohne selber zu fahren. Möchten Sie mir dann den Widerspruch nochmal erklären?
T: Nein, möchte ich nicht. Haben Sie deutlich gemacht.
(Heike Borufka, HR)
G. hält vor: "Eigentlich müsste Polizei Bilder davon haben"
T: Nein, habe ich nicht gesagt, woher sollte ich wissen, was die Polizei für Bilder hat?
G. hält vor: "Habe gesehen, wie Polizei Bilder gemacht hat, sind hinter uns hergefahren, habe sie erkannt, hatten möglicherweise Kennzeichen HSK (Hochsauerlandkreis), nicht Kassel. Waren mir von anderen Gelegenheiten bekannt"
T: Polizei fährt öfter mal hinter uns her, ob ich das gesagt habe, weiß ich nicht, aber diese Aktion ist nicht gerade untypisch
G. hält weiter vor: "Wir sind dann noch mehrfach durch Kreisel gefahren, dann falsch in die Einbahnstraße, wurden angehalten, aber keine Personalien festgestellt, weil wir persönlich bekannt waren. Die Fotos haben wir selbst gemacht, haben damals Polizeifahrzeuge fotografiert und online gestellt"
T: Ob ich das so angegeben habe, weiß ich nicht, aber Fotos haben wir online gestellt. Ob das 2005, 2006 oder 2002 war, kann ich Ihnen nicht sagen.
G: Geht hier weiter mit dem Thema Geburtstagsfeier. Da heißt es auf Nachfrage, wann genau die Geburtstagsfeier stattfand, "kann ich nur sagen, dass es die Geburtstagsfeier von Stanley R. war. Ort war Keller in einem Handel in Kassel"
T: Weiß ich nicht. Deshalb will ich mich nicht festlegen. Also, die Räumlichkeiten kenne ich. Eigentlich haben alle ihre Geburtstage da gefeiert.
G: Dann kommt der Satz: "Mundlos und Böhnhardt kommen zu dieser Feier mit 7 Leuten." - Haben Sie das gesagt?
T: Nein, das habe ich nicht gesagt.
G: Weiter unten heißt es: "Anlässlich dieser Feier haben Mundlos und Böhnhardt in Kassel übernachtet. Wo genau, will ich nicht sagen."
T: Woher soll ich das wissen, ich kenne diese Personen nicht mal
G: Haben Sie das gesagt?
T: Nein, das habe ich nicht gesagt
G: "Sturm 18 Cassel", was können Sie dazu sagen?
T: Gar nichts, weil vom Innenministerium ein Verbotsverfahren geführt wird
G: Was befürchten Sie?
T: Ich mache keine Angaben, dann muss ich nichts befürchten. Bin im Vereinsregister als erste Person eingetragen, also befürchte ich, dass ich die erste Person bin, gegen die es gehen wird.
G: Waren Sie mal auf einer Feier in Zwickau?
T: Ja.
G: Erzählen Sie mir, worum es da geht
T: Weiß ich nicht mehr, mein Bruder hat da gewohnt, war 2003/2004. Gehe davon aus, 10 Jahre wird das her sein, als er da wohnte
G: Was hat' s mit Ihrem Bruder zu tun?
T: Mein Bruder hat Feier organisiert, da bin ich da hingefahren
G: Wo fand das statt?
T: In einer Lokalität in Zwickau. Wie die heißt, kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Das weiß ich nicht
G: Waren Sie da öfter in Zwickau? Bei welchen Gelegenheiten?
T: Alle 2 Monate, meinen Bruder besuchen
G: Und was irgendwelche Feiern anbelangt, gab's da öfter Feiern?
T: Kann mich nicht genau dran erinnern, aber es gab bestimmt öfter mal Feiern
G: Wie lange war Bruder in Zwickau?
T: 2 oder 3 Jahre.
G. hält vor: "Habe Mundlos und Böhnhardt auf einer Garagenfeier getroffen."
T: Kann ich mich nicht daran erinnern, so was gesagt zu haben.
G. hält vor: "War alles in der Zeit, als mein Bruder dort gewohnt hat."
T: Also ich war nie mehr in Zwickau, wo mein Bruder weggezogen ist. Auf der Feier waren auch keine Leute, die politisch motiviert waren, denn mein Bruder hat mit der Szene gar nichts zu tun.
G: Gab's mal eine Feier, die in Zwickau in einer Garage stattgefunden hat?
T: Nein
G: Sind denn bei den Feiern in Zwickau irgendwelche Bilder gemacht worden?
T: Es werden auf jeder Feier Bilder gemacht. Und die Bilder hat der Staatsschutz mitgenommen und es waren kein Mundlos, kein Böhnhardt, kein sonst wer drauf.
G: Woher wissen Sie das?
T: Weil ich einen Bescheid von der Generalstaatsanwaltschaft bekommen habe.
G: Haben Sie die Tötung des Herrn Yozgat 2006 mit bekommen?
T: Ja, aus der Zeitung
G: Wo befanden Sie sich damals?
T: In der JVA Baunatal. Darüber gibt's auch ein Protokoll in der JVA
G. hält vor: "Er war im Freigang, musste sich abends um 22 Uhr melden, Wochenenden waren frei, mittwochs musste er sich früher melden"
T: So wie sie es vorlesen, hört sich das richtig an. Und am 6.4. war ich schon um 17 Uhr in der JVA.
G: Mir geht's um die Frage, ob Sie Infos dazu haben, dass sich Mundlos und Böhnhardt damals in Kassel aufgehalten haben.
T: Nein, habe ich nicht.
G: Haben Sie von Dritten Informationen dazu bekommen?
T: Nein, auch das nicht.
G: Ist über diese Tat gesprochen worden?
T: Nur das, was in der Zeitung stand. Da hat ganz Kassel darüber gesprochen
G: Gab es Informationen über die Täter Ihnen gegenüber?
T: Nein.
G. hält vor: "Ich weiß, dass Mundlos und Böhnhardt dort waren, d. h. in Kassel waren, ich weiß, wer sie eingeladen hat und wo sie geschlafen haben"
T: Habe ich nie gesagt, weiß nicht mal, wer das ist. Jetzt weiß ich es durch die Presse. Ich habe über die Personen gar nichts angegeben, weder in Haft noch nach der Haft.
(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: "Auch wurde in der Szene über die Tat gesprochen."
T: Diese Aussage stammt von dem Typen vom LKA.
(Heike Borufka, HR)
G: War denn am 29.3. nur von Kassel oder auch von anderen Orten oder Anschlägen die Rede?
T: Die haben nur vom 6.4.2006 gesprochen.
G: War Nürnberg ein Thema?
T: Kann ich nicht sagen, weiß ich nicht.
G: Hier heißt es: "Ich kann Ihnen den Anlaufpunkt von Mundlos von Böhnhardt nennen und darüber hinaus auch den Anlaufpunkt in Nürnberg."
T: Nein, ich kenne niemanden in Nürnberg.
G. hält weiter vor: "Anlaufpunkte sind bekannt, können auch in Netzwerken nachvollzogen werden."
T: Nein, kann ich nichts zu sagen
G: Sagt Ihnen das Netzwerk „ATB“ etwas: "Arische Terrorbrigade"?
T: Habe ich schon mal irgendwo gelesen
G. hält vor: "Hier handelt es sich um das Netzwerk ATB, die aus Österreich operiert"
T: Kann ich mich nicht daran erinnern.
(Heike Borufka, HR)
11.56 Uhr
20 Minuten Pause
T. meidet jeden Blick auf und zu Zschäpe, hat feuerrote Ohren (bei der Glatze gut sichtbar).
11.23 Uhr
G: Nachfrage zu Freigang: Sie hatten gesagt, sei richtig, "morgens zur Arbeit, 21 oder 22 Uhr wieder melden, mittwochs musste ich früher da sein wegen Reinigungsarbeiten, Wochenenden meistens frei."
T: Ja, ist in Baunatal so.
G: Hatten doch gesagt, hatten nur vormittags Möglichkeit gehabt, nicht nachmittags. Ist doch Widerspruch?
T: Nach Arbeit musste man sich in JVA einfinden, dann haben die entschieden, ob es noch mal rausgeht oder nicht.
G: Noch weitere Ausführungen zu ATB. Vorhalt: Aussage T. damals: "Mir wäre es auch möglich, einen Zugang zu beschaffen. Setzt aber voraus, dass ich wieder auf freiem Fuß bin."
T: Habe ich nie so gesagt.
G: Nochmal Thema Mundlos/Böhnhardt, hält vor: "War 2006, als Mundlos und Böhnhardt bei Oidoxie-Konzert anwesend waren"
T: Habe ich nicht angegeben. Definitiv nicht. 2006 war ich auf keinem Konzert.
G. hält weiter vor: "Weiteres Konzert 2008 in Hessisch Lichtenau"
T: Keine Ahnung.
G: Geburtstagsfeier von Stanley R. fand definitiv vor Tat an Halit Yozgat statt?
T: Weiß nicht mal, wann er Geburtstag hat. Kann ich nichts zu sagen.
G: Hier steht außerdem, es kam sogar zu Polizeieinsatz wegen Ruhestörung.
T: Polizei kommt jedes Mal. Ob sie 2006 da war, kann ich nicht bestätigen.
G: Befürchten Sie irgendwelche Repressalien von Dritten, wenn Sie hier zu dem Thema etwas sagen?
T: Nein.
G: Haben Sie irgendwelche Befürchtungen damals gegenüber den Beamten geäußert?
T: Nein.
G: Ist denn die Tötung des Herrn Yozgat Ihnen gegenüber damals angesprochen worden? Ob Sie Infos dazu hätten?
T: Nicht vom LKA, vom BKA. Die haben das angesprochen.
G: Führen Sie das bitte nochmal aus
T: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Die haben irgendwas erzählt, ich habe nicht genau zugehört. Was die genau gesagt haben, kann ich nicht sagen.
G: Gespräch mit LKA, inhaltliche Fragen?
T: Kann ich gar nichts mehr sagen. Ich meine, es ging nur um Kassel.
G. hält aus Vermerk LKA vor: "Habe in Haft gesessen, allerdings einen Tag später Ausgang gehabt und so von dem Aufenthalt erfahren." - Haben Sie das so gesagt?
T: Nein
G: Was haben Ihnen LKA-Beamten gesagt, warum Sie hier sind (gemeint ist Besuch in JVA am 15.12.2011)?
T: Kann ich Ihnen nicht mehr sagen, ist schon eine Weile her.
Götzl fragt erneut, ob er Repressalien fürchtet, T. verneint.
Götzl fragt weiter nach, ob er sich Hafterleichterung versprochen hat und deshalb geredet hat.
(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Vorhalt: "Hintergrund des Treffens war, dass T. angeboten hatte, Angaben zur rechten Szene zu machen. Zu Angaben bereit sei."
T: Da kann ich mich gar nicht daran erinnern.
G: Vorhalt: "T. lehne den Kontakt zum Staatsschutz ab."
T: Ich lehne generell den Kontakt zur Polizei ab.
(Heike Borufka, HR)
G: Ist Ihnen ein Grund ersichtlich, warum die Beamten Vermerke schreiben, wenn es diese Gespräche gar nicht gab?
T: Nein, kein Grund erkennbar. Müssen Sie die Herren fragen.
(Während Götzl in Akten blättert, schaut sich T. interessiert im Saal um, schaut zu Zschäpe, die aber den Blick nicht erwidert.)
G. hält vor: "Ich erwarte, dass ich zeitnah aus Haft entlassen werde."
T: Das hat für meine Sozialprognose gut ausgesehen
G: Was haben Sie sich denn versprochen von diesem Schreiben?
T: Im Endeffekt ging es mir nur um den Sozialdienst in der JVA. Denen habe ich vorgespielt, dass ich aus der Szene aussteigen will
G: Wem vorgespielt?
T: Der JVA.
G: Die JVA ist eine Einrichtung.
T: Wollen Sie Namen hören?
G: Natürlich.
T: Die weiß ich nicht, die, die im Dienst waren, habe mir Namen nicht gemerkt. Vollzugslockerung wollte ich erreichen. Ausgang, Urlaub. Gab's aber nicht, weil ich keine Informationen gegeben habe.
11.54 Uhr
Unterbrechung der Befragung. Fortsetzung morgen früh 9.30 Uhr.
Mittagspause bis 13 Uhr
(Heike Borufka, HR)
Zuschauerraum nicht mehr ganz so voll, aber immer noch gut besucht. Skinhead ist weg von der Tribüne. Die meisten Presseplätze sind belegt, z.T. von Zuschauern.
13.07 Uhr
Dr. Mölle, Rüdiger, 42 Jahre alt, Sprengstoffsachverständiger, Bayerisches Landeskriminalamt.
G: Geht um Sprengsatz Keupstraße. Um die Auswirkungen, die Sprengwirkungen.
M: Am 9.4.2013 erhielt ich Auftrag zu gutachterlicher Aufgabe zur Wirkung und Reichweite der Nagelbombe in der Keupstraße.
Der Sachverständige zeigt Bilder von einem Fahrrad mit Korbtasche auf dem Gepäckträger, 5-Liter-Druckgas-Campingtasche aus Stahl mit 2 mm dicker Wand. Spurenauswertung ergab auch, dass es sich hinsichtlich der Zündung der Bombe um eine 6-Volt-Glühlampe (typisch für Taschen- oder Fahrradlampen) handelt. Glühbändel hatten direkten Kontakt zu Schwarzpulver. Es wurden ca. 800 Stahlnägel verwendet. Verbrannte Watte wurde gefunden, spricht dafür, dass im unteren Bereich des Koffers viel Watte war. Frage: Wie waren die Nägel positioniert? (Der Sachverständige zeigt ein Foto vom BKA mit einer Variante und eine Fotomontage, auf der die Nägel lose rings um die Flasche aufgeschüttet waren.) Das Spurenbild spricht dafür, dass die Nägel um die Flasche positioniert waren. Auch ein Wippschalter wurde gefunden. Das spricht für eine Transportsicherung, damit eine frühzeitige Sprengung verhindert wird. Langsam wirkender Sprengstoff. Würde zu Stichflamme führen, wenn man es ohne Dämmung anzünden würde. Deshalb musste Dämmung eingehüllt werden. 1 kg Schwarzpulver setzt sich um in etwa 340 Kilo Gasvolumen. Wenn man es umrechnet, Gasvolumen von 1840 Litern, ruft immensen Innendruck hervor und führt zu explosionsartigem Freiwerden einer 2000 Grad heißen Gaswolke und schlagartigen Beschleunigung der Splitter im Umfeld der Bombe und der Flasche selbst.
Die Ausdehnung der Gaswolke ist schwer prognostizierbar. Das spiegelte sich auch bei Sprengversuchen des BKA wieder. Auswirkung auf Lunge und Trommelfelle sehr gefährlich. Kann zum Tode führen. Splitter und Fragmente der Gasflasche, des Fahrrads und des Kunststoffkoffers und primär die Nägel werden massiv beschleunigt. Führen zu massiven Verletzungen, dringen sofort in Haut ein, kann auch zu stumpfen Verletzungen führen, wenn Splitter nicht eindringt, aber massiv auftrifft.Durch die Druckwelle sind Menschen durch den Friseursalon geschleudert worden. Durch die extrem heiße Gaswolke und den Feuerschein besteht akute Feuergefahr. Zudem konnten noch Giftstoffe. Schwefel, Stickoxide und Kohlenmonoxid entstehen, wenn Schwarzpulver sich umsetzt.
Der Sachverständige konsultierte den erfahrensten Ballistiker des LKA, um kinetische Energien zu errechnen. Da ergab sich eine nicht lineare Abnahme der Geschwindigkeit. Bedeutet: je niedriger die Geschwindigkeit eines Nagels wird, desto geringer wird Einfluss des Luftwiderstandes.
Gefahr: Schwere Verletzungen mit Todesfolge möglich.
Der Sachverständige zeigt eines der Fotos vom Tatort, um die Wirkung zu demonstrieren. Markiert ist die gewaltige Druckauswirkung. Bis weit ins Innere der Wohnung im ersten Stock waren Splitter zu finden. Auf einer Länge von ca. 100 Metern waren Splitterschäden, ebenso an Fenstern und Gebäudefassaden.
Nächstes Foto zeigt Friseurladen. Schmauchspuren sind zu sehen.
Foto aus dem Friseurladen. Spraydosen geplatzt, möglichweise heiße Splitter eingedrungen und Propangemisch entzündet, was zu Stichflammen führen kann.
Foto von Fenster zum Hof. Scheiben total zerstört (der Sachverständige nennt das Totalentscheibung). Nächstes Foto zeigt den Sprinter-Transporter gegenüber vom Explosionsort. Deutliche Einschläge der Nägel sind zu sehen. Der Sachverständige zeigt anhand einer Skizze, wo sich die Opfer befanden und wie gefährdet sie waren.
(Die Polizisten zwischen Angeklagten und Richtern dösen, Beate Zschäpe muss trinken, dann stiert sie wieder in ihren Laptop, verschränkt die Arme und lehnt sich mit leidendem Blick zurück, muss erneut trinken)
(Ayca Tolun, WDR)
14.11 Uhr
Weiter mit dem Sachverständigenzeugen Rüdiger Mölle.
Fazit: Alle im Friseurladen waren der akuten Lebensgefahr ausgesetzt.
Rechtsanwalt Kaiser (Verteidigung André E.): Wer hat die Parameter für die Versuchsanordnung gegeben?
M: Ich und mein Kollege anhand von fachlich gültigen technischen Referenzen.
Kaiser: Selbst in der Keupstr. gewesen?
M: Ja
Rechtsanwalt Kuhn (Nebenklage Keupstr.): Kann man über die bisher gemessenen Geschwindigkeiten der (Splitter) Teile errechnen, bis zu welcher Entfernung diese Teile noch tödlich bzw. schwerverletzend wirken?
M: Es wurden in diese Richtung keine Messungen gemacht
(Mira-Catherine Barthelmann, BR).
Rechtsanwalt Reinecke (Nebenklage Keupstr.): Schalter, der scharf gestellt werden musste? Heißt das, dass die Gefahr einer Selbstzündung nicht bestand?
M: Das ist alles spekulativ. Aber es ist durchaus üblich bei derartig gebauten Sprengsätzen, dass man mehrere Schaltkreise einbaut, die alle kurz vor der Explosion geschlossen werden müssen.
Reinecke: Das Fahrrad wäre sehr vorsichtig geschoben worden?
M: Ja, der gesamte Sprengsatz hat ja ein Gesamtgewicht von 18 Kilogramm. Im Falle einer ungeschützten Glühwendel, ist es durchaus verständlich, dass das Fahrrad vorsichtig geschoben wurde.
(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Rechtsanwalt Hoffmann (Nebenklage Keupstr.): Einfach möglich, die Glühwendel vor Ort ins Schwarzpulver einzubringen?
M: Wenn vorher die entsprechenden Bohrungen gemacht worden wären, entsprechende Drähte, dann sollte es durchaus möglich, das vor Ort zu machen ohne größere Umstände.
Hoffmann: Keupstraße 58. In den zwei Zimmern, die die Fenster zur Keupstraße hatten: Bestand da in diesen zwei Zimmern für Leib und Leben der darin befindlichen Menschen Gefahr?
M: Ja.
H: Im gesamten Bereich?
M: Im Nahbereich der Fenster, wo die Nägel hätten durchschlagen können, ja.
(Ayca Tolun, WDR)
Es kommt Dr. Oliver Peschel, 50, Gerichtsmediziner aus München
Erklärt die Verletzungen: Es ist mit Verletzungen an der Lunge und an den Ohren zu rechnen. Die Lunge ist das schwächste Organ bei einem Sprengstoffanschlag, wurde aber bei der Keupstr. nicht berichtet. Auch Verletzungen des Magen-Darm-Trakts, auch hier Rupturen im Magen, Darm und Leber möglich, wurden aber im Zusammenhang nicht berichtet. Auch möglich: Verletzungen am Ohr - Rupturen am Trommelfell + Knalltrauma, davon wurde berichtet.
Gasdruckwelle: Je größer die Entfernung desto unwahrscheinlicher diesbezügliche Verletzungen. Splittereinschlag durch Gasdruckwelle: bis zu 500 g schwere Splittereinschläge sind berichtet worden. Psychische Folgen: z.B. posttraumatische Belastungsstörung sind bei den Keupstr.-Opfern möglich.
Zschäpe-Verteidigung interveniert: Peschel sei kein Fachmann für psychische Erkrankungen. Der Zeuge entgegnet, er würde auch nur bei diesen Allgemeinplätzen bezüglich psychischer Störungen bleiben und die Opfer/Zeugen nicht in diesem Bereich beurteilen. Peschel geht nun die Zeugen durch - anhand deren angegebener Verletzungen.
Fazit: Gravierende Verletzungen mit möglichem Tod im Bereich von 25 m Radius um die Bombe. Gefährdungspotential über die 25 m hinaus möglich, aber spekulativ.
Zeuge wird entlassen. Kurz darauf Verhandlungsende.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.