NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 188. Verhandlungstag, 26.2.2015
Am 188. Verhandlungstag geht es um den Mitangeklagten Carsten S. Als Zeugin geladen ist Christina H., eine frühere Freundin von S. Ein weiterer Zeuge ist Achim F., dessen Bruder Gunter bereits am Vortag ausgesagt hatte.
Carsten S. und Christina H. gehörten ab Mitte der 1990er-Jahre der rechtsextremen Szene in Jena an und stiegen dann gemeinsam aus. Carsten S. soll Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vor Beginn der Mordserie in Chemnitz eine Ceska-Pistole gegeben haben. Achim F. soll wie sein Bruder Gunter der rechten Szene in Chemnitz angehört haben. Achim F. soll über mögliche Zugänge des NSU zu Waffen aussagen.
Zeugen:
- Christina H., Aussteigerin aus rechtsextremer Szene
- Achim F., ehemaliger Rechtsextremer
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Sebastian Hesse-Kasein, MDR / Holger Schmidt, SWR)
9.49 Uhr.
Anwesend auch: Die Ehefrau des Angeklagten Wohlleben. Sie sitzt, wie auch schon an anderen Verhandlungstagen, neben ihm auf der Anklagebank.
Vorsitzender Richter Manfred Götzl belehrt RA Seda Basay (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Enver Simsek) über die Gültigkeit von Personalausweisen im Zeitraum von 1988 bis zum 31. 12. 1999 (das war Thema am Vortag).
Götzl: 10 Jahre und für unter 26-Jährige 5 Jahre.
Basay: Sie haben 10 Jahre gesagt und ich habe 6 Jahre gesagt. Na gut, dann sind es eben 5!
G: "Nein! Ich habe nicht 10 Jahre gesagt. Ich habe Sie gefragt, ob Sie sich sicher sind und Sie haben gesagt, Sie haben das überprüft. Sie haben mich mit falschen Informationen versorgt. Das stört mich. Und das will ich klipp und klar sagen!"
Nun erste Zeugin Christina H., geb. S. 30 Jahre alt, Studentin, Erzieherin, aus Leipzig.
G: Geht uns um Kontakt zu Carsten S. in den 90er Jahren.
H: Habe Carsten S. in der Szene in Winzerla (Jena-Winzerla) kennengelernt. Muss 1997 gewesen sein. Ich war 13. Habe die erste Situation noch gut in Erinnerung: Wir wollten zum Jugendclub fahren und da war ein Obdachloser, dem haben wir das Bier geklaut, sind in die Straßenbahn gestiegen und zum Jugendclub gefahren. Ich war die Jüngste in der Gruppe, der Hosenscheißer. Carsten hat immer auf mich aufgepasst, mich beschützt. Bis heute in Kontakt, zusammen ausgestiegen, über Gedanken und Gefühle ausgetauscht, den Schritt gemeinsam gewagt.
S. stieg 2000 aus der Szene aus, sie erst 2001, nach Beendigung einer Beziehung; mit 11 haben sich Eltern getrennt, Vater verließ Elternhaus, radikale Gruppe als Ventil.
G: Wie war die Szene?
H: Es gab die Skins und die Scheitels. Ich habe am Anfang zu den Skins gehört, Saufen, Party machen, Sexualität, was junge Leute so beschäftigt.
G: Wie würden sie Carsten S. charakterisieren?
H: Da könnte ich Bände drüber sprechen. Er ist ein recht tiefgründiger, nach innen gerichteter, mikrokosmischer Typ. Seine Vergangenheit hat er überwunden, mit tiefgehenden Therapien, das machte ihn aus, sich den Geistern stellen, das macht ihn aus. Ich war ja noch ein Stückchen länger in der Szene, da wurde ja heftig über ihn gewettert: "Der haut jetzt ab, der steigt jetzt aus!"
G: Reaktionen darauf von André K. oder Wohlleben, mal drüber gesprochen?
H: Nee, habe ich nicht, kann mich nicht erinnern. Mein Ausstieg, habe mit Wohlleben drüber gesprochen: "Ich will nicht mehr kommen." Er hat mich gezwungen, vor die Gruppe zu treten und mich zu rechtfertigen, warum ich nicht mehr kommen will. Ich habe mich dazu zwingen lassen.
G: Was haben Sie denn gesagt?
H: Ich habe gesagt: "Ich will das nicht mehr, ich komme nicht mehr." Ich glaube, genau so.
Kurz vor Silvester 2011/2012 bin ich zu ihm (Carsten S.) nach Düsseldorf gefahren. War sehr angespannt, ob wir über die Sache reden werden. Und abends in der Kneipe hat er mir dann gesagt, dass er Angst hat, was mit der Sache zu tun zu haben, dass es da um eine Waffe ging und dass er die Angst hatte, dass es die Waffe ist, die er besorgt hat. Habe versucht, ihn zu beruhigen. Er steigert sich ja gerne mal in so was rein. Habe gesagt: "Carsten. Was ist denn los?" Hat er gesagt, das mit NSU, was in der Presse war. Habe ich gesagt: "Und?" Dass er da was mit einer Waffe gemacht hat. Und dann ist er zusammengebrochen.
G: Zusammengebrochen?
H: Tränen in den Augen, konnte nicht mehr. Dass er sich nicht ganz sicher war, ob es die Waffe ist, um die es geht.
G: War von der Art der Waffe die Rede?
H: Überhaupt gar nicht.
G: Übergabe an wen?
H: Na so: "Ich habe denen damals eine Waffe gebracht."
G: Bestimmte Person?
H: Nein.
G: War vom Ort die Rede?
H: Auch nicht.
G: Schalldämpfer?
H: Auch nicht.
G: Wann?
H: 2 bis 3 Tage vor Silvester 2011 auf 2012.
G: Gedanken bei Übergabe?
H: Nein, glaube, das kam erst später. Hatte er verdrängt.
G: Übergabe "Abbruchgelände" - Beschreibung?
H: Nein.
G: Was meinten Sie in der Vernehmung mit: "Die drei waren Märtyrer"?
H: Die sind halt hoch gelobt worden für ihre Taten. Wie die Band "Eichenlaub" oder so ein Duo.
G: Was wurde über Taten gesprochen?
H: Bombenkoffer und Puppentorso. Das waren die Dinge, die bekannt waren.
G: Motivation für Carsten S.?
H: Es ging um seine Homosexualität, einen Weg, sich hinter einer anderen Sache damit zu verstecken.
G: Was verbinden Sie mit "THS" ("Thüringer Heimatschutz")?
H: Ich wusste, das gibt's, ich hatte nichts damit zu tun. Ich war ein absolutes Mitläuferkind, war froh, einen Familienersatz zu haben, habe mich für sowas gar nicht interessiert.
G: Vorhalt: Bei Döner Essen Liegestützen und Auspeitschen?
H: Muss ich relativieren. L. (?) kam nach mir in die Gruppe, war dann der Jüngste. War das einzige Mal, dass ich in Wohllebens Wohnung war, im Flur stand und es kam das Gerücht auf, L. habe Döner gegessen. Er kam dann. Wohlleben hat gesagt: "Musst 10 Liegestützen machen und das nächste Mal wirst Du ausgepeitscht." Er hatte auch so eine Peitsche aus Südafrika von der Versklavung der Afroamerikaner.
G: Hat er die Liegestütze gemacht?
H: Ja (Zschäpe und Wohlleben grinsen.) André K. und Wohlleben ging es nicht um zwischenmenschliche Beziehungen, sondern darum, andere zu indoktrinieren.
(Holger Schmidt, SWR)
11.20 Uhr.
Beratungspause für Wohlleben-Verteidigung
RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Sie sagten, traumatisches Erlebnis, als Eltern sich trennten. Schließe daraus, dass sie mit Mutter zusammenlebten. Richtig?
H: Ja.
K: Mutter neuer Partner?
H: Ja.
K: Gab es Spannungen zwischen dem neuen Partner ihrer Mutter und Ihnen?
Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten (Vertreter Bundesanwaltschaft) beanstandet: Kann beim besten Willen nicht erkennen, was das Verhältnis der Zeugin zum neuen Partner ihrer Frau Mutter hier mit zu tun haben soll.
Zeugin muss kurz raus.
K: Trauma überprüfen und Glaubhaftigkeit prüfen.
W: Gebe zu bedenken, dass es hier um die Motivation einer damals 12-Jährigen geht, sich der rechten Szene anzuschließen und dass das doch beim besten Willen hier nichts mit dem eigentlichen Verfahren zu tun hat. Gebe aber zu bedenken, dass man das im Blick hat, falls sich der Herr Klemke hier weiter als Traumatisierungsanalytiker aufführen will.
12.30 Uhr.
Nach Pause Beschluss über Beanstandung: Frage zulässig!
K: Bitte Frage beantworten!
H: Im Gegenteil, neuer Partner war ein Glücksfall, weil er mich akzeptiert hat.
K: Alkoholkonsum (der Zeugin)?
H: Wie bei einem Jugendlichen: Nicht regelmäßig, aber am Wochenende.
K: Was?
H: Bier. Keine harten Sachen.
K: Was hat André K. kritisiert?
H: Entgleisungen!
K: Was sind Entgleisungen? Waren sie volltrunken?
H: Angetrunken.
K: Was sind denn dann Entgleisungen?
H: Wenn man halt mal angetrunken ist, kennen Sie das nicht? (lautes Gelächter im Saal)
K: Wollen wir uns darauf einigen, dass ich die Fragen stelle?
H: Ja.
K: Nochmal, worum ging es?
H: Wenn zum Beispiel rausgekommen ist, dass man sich in jemand verliebt hat und das vor der Gruppe breitgetreten wurde.
K: Hat K. mehrfach Entgleisungen kritisiert?
H: Nein.
K: Sie erwähnten Fahrzeuge, die sie umkreist haben, als sie mit Carsten S. gezeltet haben. Wie viele?
H: Zwei.
K: Pkw?
H: Nehme ich an, weil wir nur die Rücklichter aus 600 bis 700 Meter gesehen haben.
K: Was hat das mit "Cops running" zu tun?
H: Wir haben erst gedacht, dass es wirklich Polizei ist und haben dann später gedacht, dass es eine Inszenierung von K. und Wohlleben sein könnte, um uns zu testen.
K: Wer kam auf die Idee, dass es so sein könnte?
H: Weiß ich nicht mehr.
K: Anhaltspunkte?
H: Naja, es war so wehrsportartig.
K: Was war denn daran wehrsportartig?
H: Das Fortlaufen.
K: Sind Sie denn fortgelaufen?
H: Ja, zwei oder drei Stunden durch den Wald.
K: hat jemand das Aufbruchssignal gegeben?
H: Das war so gang und gäbe, dass man weggerannt ist, wenn die Polizei drohte zu kommen. War eine Affektsituation, würde ich sagen.
K: Wie hat sich Herr S. verhalten?
H: Habe ihn genauso wahrgenommen, wie die anderen. War auf jeden Fall nicht so, dass er sich hingestellt und gesagt hat: Hey Leute, wir machen jetzt des oder des.
K: Nur einmal in Wohnung Wohlleben?
H: Ja, da im Flur.
K: Mal bei Wohlleben übernachtet?
H: Nein, habe ja eben gesagt, nur dieses eine Mal. Halbe Stunde bis Stunde.
K: Wie hat sich Herr L. verhalten?
H: Er hat sich ertappt gefühlt und hat das nicht als Spaß aufgefasst.
K: Wie kommen sie auf "ertappt"?
H: Gesichtsausdruck
K: Wie war Gesichtsausdruck?
H: Verängstigt.
K: Vor oder nach Liegestützen?
H: Als er auf den Döner angesprochen wurde.
(Eva Frisch, BR)
K: Was wissen sie von den politischen Aktivitäten des Herrn S.?
H: Das weiß ich nicht mehr. Die Sonntage waren ein nötiges Übel. Das hat mich nicht interessiert. Ich war froh dass ich eine Ersatzfamilie hatte. Und dass ich zu einer Gruppe gehörte.
K: Wer hat die geleitet?
H: Genau hat mich das nicht interessiert.
K: Was war Funktion von Carsten S.?
H: Das einzige, woran ich mich erinnere ist, dass er für den Nachwuchs zuständig war.
K: Sie hatten den Eindruck, dass S. von Wohlleben und André K. Befehle bekam?
H: Das ging alles von denen aus. Das kann man nicht an Handlungen festmachen. Das waren die Respektspersonen. Auch auf dem Grundstück: Ich hatte den Eindruck, dass Carsten geschickt wurde. Er kümmerte sich um uns.
K: Hat André K. Carsten S. für voll genommen?
H: Ja schon.
K: Kenntnisse von S. bei jungen Nationaldemokraten (JN)?
H: Für mich war das Wichtigste, zu einer Gruppe zu gehören. Und nicht alleine zu sein. Der Rest hat mich nicht interessiert.
K: Beim BKA haben sie gesagt, dass S. bei JN war.
H: Am Sonntag die Treffen waren JN-Treffen. Aber da ging es nicht um politisches. Sondern darum, wer seine Beiträge nicht gezahlt hat. Und dann haben wir alle gelacht.
K: BKA-Vorhalt: Dass er in der NPD im Vorstand war, wusste ich sicherlich.
H: Ich habe das nicht bewusst gewusst.
K: Als sie aussteigen wollten, mussten sie eine Begründung liefern und eine Rechtfertigung.
H: Ich wollte dorthin, um Wohlleben die Botschaft zu überbringen. Aber er sagte, dass du jetzt vor die Truppe gehst und allen sagst, dass du aufhörst. Er wollte eine Rechtfertigung. Davor gehst du nicht. Er hatte eine verängstigende Aura, ich dachte gar nicht daran zu gehen. Es war psychischer Druck, nicht körperlicher.
K: Wie war ihre Rechtfertigung?
H: Ich habe gesagt, Leute, ich komme nicht mehr und bin ganz schnell gegangen.
K: Hat Sie jemand gehindert zu gehen?
H: Nein.
K: Hat jemand nach Ihren Gründen gefragt?
H: Nein.
K: Sie sprachen heute von Pflichtveranstaltungen?
H: Es gab regelmäßige Treffen. Die Sonntage waren Pflichtveranstaltungen.
K: Was wären die Konsequenzen gewesen?
H: Ich glaube, hätte man die Sonntage nicht besucht, wäre man aus der Gruppe ausgeschlossen worden.
K: Sind mal welche ausgeschlossen worden?
H: Nicht dass ich wüsste.
K: Woran machen Sie das dann fest?
H: Na, das war für mich selbstverständlich, dass man da kommen muss.
K: Galt das auch für andere?
H: Das weiß ich nicht.
K: Sie sagten, S. war sich nicht sicher, ob es die Mordwaffe war.
H: Wenn man einen Menschen kennt, weiß man doch, ob Leute Angst haben oder sie verunsichert sind. Er hatte Angst, dass es die Waffe war, mit der Leute umgebracht wurden. Er wurde dann im Februar verhaftet. Wenn er sicher gewesen wäre, dass es die Waffe war, dann hätte er sich gestellt und gesagt, dass er das gemacht hat.
K: Haben Sie dann noch Kontakt nach dem Treffen gehabt?
H: Telefonischer Kontakt.
K: Hatten Sie nach seiner Freilassung noch Kontakt?
H: Ja. Prozess sollte unsere Freundschaft nicht beeinträchtigen. Es ging ihm darum, Verantwortung zu übernehmen. Aber wir haben wenig über den Prozess gesprochen.
K: Aber Sie haben über den Prozess gesprochen?
H: Da ging es aber auch darum, alles zu sagen, was man weiß. Wir könnten uns Tage über den Prozess unterhalten. Aber das ist nicht Inhalt unserer Freundschaft.
K: Haben Sie sich informiert?
H: Ich schaue kein Fernsehen und Radio. Habe mich aber nach seiner Festnahme informiert und verfolge den Prozess auch in der Presse.
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Wo war das Gespräch mit S.?
H: Wir sind durch die Altstadt (in Düsseldorf) gelaufen und waren dann in einer Rockerkneipe. Die war sehr laut. Das war vielleicht bewusst gewählt. Vielleicht ist es auch aus ihm herausgeplatzt. Das weiß ich nicht.
S: Hat sich das angebahnt?
H: Er war sehr angespannt. Er sagte, dass wir da später drüber reden.
S: Beim BKA sagten Sie, auf der Straße war das.
H: Jetzt, wo sie es sagen, fällt es mir ein. Es war auf der Straße. Am nächsten Tag waren wir in der Kneipe. Da habe ich etwas durcheinander gebracht.
S: Wie eng war Ihr Vertrauensverhältnis?
H: Sehr eng. Er hat die Ereignisse vergraben. Wenn er etwas gewusst hätte, dann hätte er sich mir anvertraut.
S: Vorhalt: Er hat den Rudolf Hess-Marsch mitorganisiert.
H: Das hat er mir erzählt. Da hat er was mitorganisiert. Dann musste er in U-Haft.
H: Das war für ihn ein einschneidendes Erlebnis, die U-Haft. Da hatte er dann auch schon Ausstiegsgedanken.
RA Jacob Hösl (Verteidigung Carsten S.): Erinnern Sie sich an eine Veranstaltung der NPD?
H: Ich weiß nur noch, dass wir uns angeschaut haben und uns gefragt haben: Was machen wir da eigentlich? Uns ging es beiden so.
Hösl: Wie lange waren sie bei der Veranstaltung?
H: Wir hatten ein schlechtes Gewissen, weil wir davor standen. Und wir haben uns die ganze Zeit unterhalten.
RA Johannes Pausch (Verteidigung Carsten S.): Verbinden Sie damit eine Äußerung? Vorhalt: 1999 war es dann vorbei mit der Zugehörigkeit von Carsten.
H: Sein Ausstieg (aus der Szene) war erst der Start unserer Freundschaft. Davor war das eher sein Beschützerinstinkt.
Mittagspause bis 13.30 Uhr.
(Eva Frisch, BR / Christoph Arnowski, BR)
13.45 Uhr.
Zeuge Armin F., 35 Jahre alt, Kaufmann aus Chemnitz, zum Trio und Waffen. (Zwillingsbruder des Vortags-Zeugen Gunter F., Szenespitzname des Brüderpaares: "Die Geklonten")
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Zeuge braucht Zeugenbeistand.
Diskussion mit Oberstaatsanwalt Weingarten.
Götzl: Brauchen Sie einen Zeugenbeistand?
F: Ich brauche keinen Zeugenbeistand.
G: Erzählen Sie mal!
F: Wir wurden von Herrn St. (Thomas St., "Blood & Honour"-Sektion Sachsen) angerufen, ob wir drei Leuten helfen können, die Mist gebaut haben. Und dann sind wir zur Mandy S. gefahren. Dann haben wir die (das Trio) noch zwei bis drei Mal besucht und dann ist der Kontakt abgerissen.
G: Hatten Sie noch mal Kontakt?
F: Der Kontakt ist dann abgerissen.
G: Können Sie noch mal erzählen, was St. von ihnen wollte?
F: St. hat angerufen, dass Leute Hilfe brauchen. Und wir waren bereit zu helfen. Uns ist die Mandy S. eingefallen. Die hatte einen Freund, der eine Wohnung hatte, die er kaum nutzte.
G: Wer waren die Personen?
F: Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos.
G: Was haben die gemacht?
F: St. sagte, die hätten Mist gebaut und müssten untertauchen.
G: Wo wurden die untergebracht?
F: Bei dem Freund von Mandy S.
G: Wem gehörte die Wohnung?
F: Einem Max.
G: War klar, dass die lange bleiben?
F: Meines Erachtens gingen die von einer kurzen Zeit aus.
G: Wissen Sie, wie der Aufenthalt in der Wohnung abgelaufen ist?
F: Wenn ich da war mit meinem Bruder, dann war da auch jemand da.
G: Wer war da in der Wohnung?
F: Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt.
G: Wie lange haben die Besuche gedauert?
F: 20 Minuten, halbe Stunde.
G: Worüber wurde gesprochen?
F: Über allgemeine Dinge. Mehr weiß ich nicht.
G: War mal Herr St. zugegen?
F: Nein.
G: Bis wann gingen die Besuche?
F: Bis Herbst 1998, würde ich schätzen.
G: In welchen Abständen?
F: Weiß ich nicht mehr.
G: Sie sagen, sie waren zwei bis drei Mal vor Ort. In welchen Abständen?
F: Vielleicht zwei bis drei Monate.
G: Gab es eine Veränderung bei den Personen?
F: Nicht dass ich wüsste.
G: Gab es da mal ein Gespräch, wie lange sie in der Wohnung bleiben wollen?
F: Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, dass sie ins Ausland gehen wollten. Nach Südafrika. Als das nicht passiert ist, habe ich den Kontakt abgebrochen. Das hat mir zu lange gedauert.
G: Sie sagten, die wollen nach Südafrika?
F: Das war die ganze Zeit Thema. Aber das hat mir dann zu lange gedauert.
G: Was haben Sie damals von den dreien mitbekommen?
F: Ich habe aus den Medien erfahren, was in Zwickau war.
G: Haben Sie sich mal mit Herrn St. unterhalten, was aus den dreien geworden ist?
F: Nein.
G: Haben sie mit Freund von Mandy S. darüber gesprochen, was aus den dreien geworden ist?
F: Nein.
G: Mit Mandy S.?
F: Die habe ich eher weniger gesehen.
G: Haben Sie mit anderen Personen über die Unterbringung der drei gesprochen?
F: Nein.
G: Sind Sie um Hilfe gebeten worden? Besorgungen? Geld?
F: Nein.
G: Wurde Ihr Bruder um Hilfe gebeten?
F: Er wurde um seinen Ausweis gebeten. Damit sie einen Pass beantragen konnten. Damit die Flucht nach Südafrika organisiert werden konnte.
G: Hat Uwe Böhnhardt den Pass erhalten?
F: Ja.
G: Was ist mit dem Pass passiert?
F: Wir haben den Pass zurückverlangt. Weil die ja nicht ins Ausland gegangen sind. Das war 1998.
G: Hat Ihr Bruder seinen Pass bereitwillig zur Verfügung gestellt?
F: Er hatte ein mulmiges Gefühl. Aber an genaues erinnere ich mich nicht. Das ist zu lange her.
G: Haben sie sich mal Gedanken gemacht, was das hieß: "Mist gebaut"?
F: Nein.
G: Gab es außer dem Personalausweis noch andere Hilfe?
F: Nein.
G: Wer hatte denn Kenntnisse über die Daten Ihrer engeren Familie?
F: Weiß ich nicht.
Götzl bittet den Zeugen nach vorne, um sich die Familienübersicht anzuschauen.
G: Haben Sie diese Liste schon mal gesehen?
F: Ich glaube, ich habe die bei der Vernehmung bei der Polizei gesehen.
G: Haben Sie eine Erinnerung, um welche Daten es ging?
F: Ich glaube, die Polizei hat mir den Zettel gezeigt.
G. liest vor: Namen und Daten von Vater, Mutter und Schwester des Zeugen.
F: Ich kann nur mutmaßen. Die Geburtsurkunde lag bei uns immer im Buch der Familie und das wurde mit der Geburtsurkunde hergegeben für den Ausweis. Vielleicht kommen die Daten daher.
G: Aber standen auch die Berufe drin? Also dass Ihr Vater arbeitslos ist.
F: Ich kann mich nicht erinnern, mit jemand über das Geburtsdatum meines Vaters gesprochen zu haben. Deswegen denke ich, dass das aus dem Buch der Familie gekommen ist. Woher die anderen Daten stammen, weiß ich nicht.
G. Sagt ihnen der Name Andreas D. etwas?
F: Ja, der hat bei uns im Haus gewohnt.
G: Haben Sie mit ihm über die drei gesprochen?
F: Nein.
G: Erinnern Sie sich, ob mit den dreien mal über die Ausstellung einer Bahncard gesprochen wurde?
F: Nein.
G: Ist mit den dreien mal über die Ausstellung einer Bürgschaft gesprochen worden für einen weiteren Mietvertrag?
F: Nein.
G: Da sind Sie sich sicher?
F: Da bin ich mir relativ sicher.
G: Können Sie sagen, wovon die drei Personen gelebt haben?
F: Nein.
G: Haben Sie sie unterstützt?
F: Nein.
G: Wissen Sie, ob es andere Unterstützer in Chemnitz gab?
F: Nein
G: Sagt ihnen der Begriff "88er" etwas?
F: Ja.
G: Was war das?
F: Das war ein Aufnäher auf einer Jacke, der Zusammenhalt signalisieren sollte.
G: Wie viele Personen gehörten dazu?
F: 30 bis 50 Personen.
G: Was haben sie gemacht?
F: Man hat sich getroffen, um auf Konzerte und auf Partys gefahren. Da waren auch Leute dabei, die keine Aufnäher hatten. Das hat keine Rolle gespielt.
G: Wann gab es die "88er"?
F: Ab 1997. Das ist aber nur eine Vermutung.
G: Gehörte Ihr Bruder auch dazu?
F: Ja.
G: Wer hat denn die Initiative ergriffen, die Aufnäher zu machen?
F: Weiß ich nicht mehr.
G: Wer gehörte denn dazu?
F: St. gehörte dazu. Aber es waren auch viele dabei, von denen ich die Namen nicht unbedingt kannte.
G: Sagt ihnen "Blood & Honour" Sachsen etwas?
F: Das ist ein Verein, der auch einen Aufnäher hatte und Konzerte organisiert hat.
G: Wer aus Ihrem Bekanntenkreis gehörte zu "B & H"?
F: Jan W.
G: St.?
F: Ja, ich glaube schon.
G: Waren Sie befreundet?
F: Ich kannte W. und St. Aber wir waren nicht sehr gut befreundet. Untereinander kannten sie sich besser.
G: Haben Sie heute noch Kontakt?
F: Nein.
G: Bis wann ging der Kontakt?
F: Ich würde sagen: 1999.
G: Warum riss der Kontakt ab?
F: Ich habe mir einen anderen Freundeskreis gesucht.
G: Wissen Sie, ob bei S. oder W. über die drei gesprochen wurde?
F: Nicht, dass ich mich entsinne.
G: Ist denn in dem Umfeld mal über die drei Personen 1998 gesprochen worden?
F: Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Das kann sein, aber ich erinnere mich nicht.
G: Ist denn mal darüber gesprochen worden, dass die drei von der Polizei gesucht werden?
F: Das weiß ich nicht mehr. Das ist 17 Jahre her.
G: Sie sagten, Ihr Bruder wollte den Reisepass wiederhaben.
F: Ja.
G: Hat es Sie nicht interessiert, wie es mit den dreien weitergegangen ist?
F: Nein. Interessiert hätte es schon. Aber nicht so, dass ich noch Kontakt gesucht hätte. Ich war froh, dass das vorbei war.
G: Haben Sie mit St. mal darüber gesprochen?
F: Ich hatte Angst, dass er mich dann wieder um Hilfe bittet. Und deshalb habe ich bei St. auch nicht nachgefragt.
G: Ist mal über Waffen gesprochen worden?
F: Nein.
G: Kannten Sie Leute, die Waffen besaßen?
F: Nicht dass ich wüsste.
G: Sagt Ihnen der Name Ralf Wohlleben etwas?
F: Nein. Erst jetzt durch die Zeitungen.
G: Kannte Sie Herrn E. (André E.)?
F: Vom Sehen, von Feiern.
G: Bei welchen Gelegenheiten haben Sie sich getroffen?
F: Bei Feiern.
G: Wie gut kannten Sie ihn?
F: Nur lose. Wenn Sie mir den Namen jetzt nicht gesagt hätten ...
G: Wann war das?
F: 1995 vielleicht.
G: Kennen Sie die Angeklagten Holger G. oder Carsten S.?
F: Nein.
G: Der Edeka-Markt, in dem Sie gearbeitet haben. Haben Sie mit den dreien mal darüber gesprochen?
F: Nicht das ich wüsste.
G: Wo haben Sie 1998 gearbeitet?
F: Auf dem Kaßberg in Chemnitz, da war so ein Edeka-Markt.
G: Fragen?
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Kennen Sie den Herrn R. (Enrico R.)?
F: Nein.
S: Haben Sie mal was von Schießübungen mitbekommen?
F: Nein.
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Wenn Sie mal darüber nachdenken, was fällt Ihnen zum Thema "Ausland" ein?
F: Am Anfang hieß es, dass sie ins Ausland gehen wollten und dass sie sich absetzen wollten.
S: Wissen Sie, ob alle drei ins Ausland gehen wollten?
F: Weiß ich nicht.
G: Waren die drei mal in Ihrer Wohnung?
F: Nicht dass ich wüsste.
G: Herr R. hat ausgesagt, dass er die drei bei Gunter F. (dem Bruder des Zeugen) in der Wohnung gesehen hat.
F: Wenn das der Herr R. so sagt, wird das so gewesen sein. Aber die Wohnung war sehr klein. Ab und zu kamen da Leute vorbei.
RA Yavuz Narin (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Theodoros Boulgarides): Erinnern Sie sich an eine Playstation in der Wohnung der drei?
F: Das weiß ich nicht. Das ist 17 Jahre her.
N: Kennen Sie Herrn G.?
F: Nein.
N: Unter dem Namen "Mucke"?
F: Ja, den kenne ich.
N: Haben Sie dem Herrn G. mal einen Job beim Edeka vermittelt?
F: Ja, kann sein. Ich bin aber kein Personalleiter.
N: Kennen Sie den Markus F.?
F: Kann sein. Wir waren auf Partys. Man hat halt Umgang gepflegt.
N: Waren Sie mal in Baden-Württemberg auf Konzerten?
F: Das glaube ich nicht.
N: Stefan A. (Zschäpes Cousin)?
F: Nein, Spitzname?
Götzl unterbricht: Ich versuche mir gerade vorzustellen, wenn der Zeuge detaillierteste Informationen hätte, was hätte das für eine Bedeutung für das Verfahren? (Götzl wird schnell sehr ungehalten.) Fragen Sie weiter!
Narin: Habe keine Fragen mehr.
RA Sascha Prosotowitz (Nebenklage Boulgarides): Wie haben Sie denn gewusst, dass die drei da waren, wenn Sie sie besucht haben?
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe) beanstandet: fast eine Fangfrage.
Götzl: Die Frage ist zu Recht beanstandet.
P: Haben Sie gewusst, dass die da sind?
F: Wir haben es halt versucht. Wir haben geklingelt.
Pz: Haben Sie gestern mit Ihrem Bruder über seine Vernehmung gesprochen, auch inhaltlich?
F: Über den Ablauf, wie das mit dem Warten ist.
RA Antonia von der Behrens (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik): Haben Sie mit Max-Florian B. über Aufenthalt (des Trios) in dessen Wohnung gesprochen?
F: Tut mir leid, das ist 17 Jahre her.
vdB: Wie kommen Sie auf präzise Schätzung die Treffen hätten 20, 30 Minuten gedauert?
RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben) beanstandet die Frage.
Götzl fordert von der Behrens auf, Frage zu ändern.
vdB: Auf welcher Grundlage sagen Sie, dass es 20, 30 Minuten waren?
F: Ich weiß es nicht mehr, wir waren eine Zeitlang dort, es können auch 10 oder 40 Minuten gewesen sein.
vdB: Mandy S. nennt Sie und Ihren Bruder als enge Kontaktperson von André E. War der Kontakt doch enger?
F: Vom Sehen, von Konzerten und Partys, dass ich jemand jeden Dienstag um 12 Uhr getroffen habe, kann ich nicht sagen.
vdB: Hat Ihre Frau mal in Zwickau gewohnt?
F: Ja, vor meiner Zeit, 96 bis 97.
vdB: Hatten Sie Kontakt zur rechten Szene in Zwickau oder ihre Frau?
F: Nein.
vdB: Mal vom Verfassungsschutz angesprochen?
F: Ja, wann, weiß ich nicht.
vdB: Was waren Inhalte der Gespräche mit dem Verfassungsschutz?
F: Er hat mich zum Essen eingeladen, ich habe abgelehnt. Ob mein Bruder auch angeworben wurde? Nicht dass ich wüsste.
Zeuge wird kurz darauf entlassen.
Schluss.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.