NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 189. Verhandlungstag, 4.3.2015
Einziger Zeuge ist heute Christian K., der Bruder von André K. Der ehemalige Neonazi schildert seine Eindrücke der rechten Szene in Jena seit den 1990er-Jahren.
Christian K. selbst will mit seiner Vergangenheit abschließen, distanziert sich während der Verhandlung immer wieder von ihr und behauptet, er sei schockiert gewesen, als er von den Taten des Trios erfuhr. K. kannte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von rechten Demos und anderen Veranstaltungen. Er war Mitglied der Band "Eichenlaub" und widmete den dreien das Lied "5. Februar". Mundlos beschreibt er als intelligent, offen nationalsozialistisch und rassistisch. Böhnhardt sei eher verschlossen gewesen, unberechenbar und zu Gewalt neigend. Zschäpe habe den Eindruck einer nicht sehr intelligenten Mitläuferin gemacht, die opportunistisch handelte.
Zeuge:
- Christian K. (Erkenntnisse zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und zur Angeklagten Beate Zschäpe)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Ina Krauß, BR)
Beginn: 9.50 Uhr.
Zschäpe kommt rein, grauer Pullover, schwarze Hose, Haare zurück gebunden, keine Neonazis erkennbar auf Zuschauertribüne.
(Alf Meier, BR)
Besucher- und Presseplätze fast komplett gefüllt. Zschäpe wirkt angeschlagen.
9.59 Uhr.
Richter Manfred Götzl: Frau Zschäpe, geht es Ihnen gut heute? Wir halten es heute wie immer, Sie sagen über Ihre Anwälte wie es Ihnen geht.
(Ina Krauß, BR)
Zschäpe nickt. Der Zeuge Meyer-Plath, Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes und ehemaliger V-Mann-Führer von "Piatto", wurde wieder abgeladen, weil gestern nicht klar war, ob Zschäpe heute gesund sein würde.
(Marcel Fürstenau, DW)
RA Stephan Kuhn (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße) gibt eine Erklärung nach Paragraf 257 der Strafprozessordnung ab (auch im Namen der RA Elberling und Hoffmann). Es geht um die Gutachten der Sachverständigen vom Verhandlungstag am 11. Februar 2015. Die Sachverständigen haben die Sprengwirkung und die psychischen Folgen des Nagelbomben-Anschlags in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 begutachtet. Ihren Berichten zufolge hatte die Nagelbombe eine "mörderische Dimension". Das Fazit: Es bestand Gefahr für Leib und Leben. Folge: posttraumatische Belastungsbeschwerden (Albträume, übertriebene Schreckhaftigkeit). Schlussfolgerung der Anwälte ist nun: Für alle Menschen am Tatort, auch in umliegenden Gebäuden bis in die erste Etage bestand demnach eine konkrete Gefahr von lebensgefährlichen Verletzungen.
(Ina Krauß, BR)
Götzl: Verteidigung von Zschäpe will Erklärung zu Zeugin letzte Woche abgeben.
RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe): Weil Zschäpe gestern krank war, ist heute keine Erklärung möglich.
H: Zschäpe konnte der Zeugin nicht vollständig folgen.
G: Das hätten Sie sofort signalisieren sollen. So ist die Absprache. Dann wird die Zeugin nochmal geladen.
(Marcel Fürstenau, DW)
Erklärung RA Olaf Klemke (Verteidigung Angeklagter Ralf Wohlleben): Zeugin Christina H. habe in der Vernehmung vom 26. Februar 2015 versucht, den Angeklagten Carsten S. möglichst zu entlasten. Die Zeugin habe ihre früheren Angaben beim BKA teilweise erheblich relativiert.
(Ina Krauß, BR)
Klemke: Sie hat deutlichen Belastungseifer insbesondere gegen Wohlleben gezeigt, darum ist die Aussage mit erheblicher Vorsicht zu genießen.
G: Weitere Erklärungen?
Nebenkläger wollen Aufschub bis nächste Woche.
Götzl rügt sie, gestern wäre doch den ganzen Tag Zeit gewesen: "Wir müssen schauen, dass wir die Zeit sinnvoll nutzen", verlorene Zeit wieder reinholen. Bei Zschäpe sei es wegen Krankheit ok, dass sie sich nicht vorbereiten konnte, bei den Nebenklage-Vertretern nicht.
(Marcel Fürstenau, DW)
RA Björn Elberling (Nebenklage-Anwalt Keupstraße) stellt im Namen zahlreicher Nebenkläger-Anwälte den Antrag, Tom T. als Zeugen zu laden. Er soll in den 1990er-Jahren zum Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe gehört haben. T. werde darlegen, dass die "Kameradschaft Jena" (KSJ) 1995 gegründet worden sei. Vorbild seien die "Rudolstädter" gewesen (die Gruppe um Tino Brandt vom "Thüringer Heimatschutz"). Ziel der "KSJ": Umsturz des Staates. Von Anfang an habe es eine Diskussion um militante Aktionen gegeben. Mundlos habe geglaubt, den Nationalsozialismus wieder einführen zu können. Ralf Wohlleben habe diese Einstellung geteilt. Tom T. habe bis 1997 weiter Kontakt zum Trio gehabt. Mundlos sei von Anfang an überzeugter Nationalsozialist gewesen; Wohlleben und André K. hätten sich erst später dieser Einstellung angeschlossen. Da es Tom T. in der "KSJ" zu radikal zugegangen sei, habe er die Gruppe schon nach zwei Monaten wieder verlassen. Wohlleben und Gerlach hätten Kenntnis von Mundlos' "aggressiven Rassismus" gehabt. Schon vor dem Abtauchen des Trios habe es eine "rassistische und gewaltbejahende Einstellung" gegeben.
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben) kündigt Stellungnahme zu diesem Antrag an.
Pause.
(Ina Krauß, BR)
Weiter 11.20 Uhr .
Zeuge Christian K., Bruder von André K., 34 Jahre alt, aus Jena, tätig in Softwarefirma.
Götzl: Geht uns um Kenntnisse 1998 bis 2000, um Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt, bitte Sie zu berichten, wann Sie sie kennengelernt haben.
K: Erste Hälfte 1992 kennengelernt, durch meinen Bruder, waren zwei, drei Jahre älter als ich, gemeinsame Demos und gemeinsame Veranstaltungen.
G: Erzählen Sie von sich aus.
K: Kontakt war so, dass man zusammen auf politische Veranstaltungen gegangen ist, aber es war ein Altersunterschied da, was in dem Alter ja wichtig ist, ich war 16. Im Jenaer Kameradschaftskreis waren ca. 40 Personen, man hat sich regelmäßig getroffen, ist abends mal gemeinsam weggegangen.
K: Waren regelmäßig auf Demos gemeinsam ... Dresden, in Sonneberg, bin mitgenommen worden, wollten auf Rudolf Heß-Gedenkmarsch, 10 bis 12 Leute wurden aber vorher festgenommen.
G: Wenn Sie einzeln auf Personen eingehen, was können Sie zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sagen, wie fanden Sie Kontakt, hatten Sie zu allen Kontakt?
K: Nach meiner Einschätzung war das bis 1998 kein Trio, sondern eine Clique, ich war nicht in den Freundeskreis eingebunden, aber durch meinen Bruder gab es regelmäßige Kontakte. Mundlos habe ich als intelligenten Menschen kennengelernt, dachte, er studiert, Böhnhardt war verschlossen, heute würde man sagen: eine "Black Box", Affinität zu Gewalt und Waffen, unberechenbar. Zschäpe fröhlich, als nicht besonders intelligent wahrgenommen, opportunistisch, Bauernschläue, Affinität zu Uwes, da gab es wohl Liebschaften.
G: Was ist mit opportunistisch gemeint?
K: Gewisse Bewunderung und Zuneigung zu Uwes.
G: Wie verstehen Sie opportunistisch?
K: Ziehe Begriff zurück, ich meine Zuneigung, meines Erachtens war sie mit Böhnhardt liiert, Neckereien, Späße, Jahr 1996, 1997.
G: Beziehung zu Mundlos?
K: Das muss zu anderer Zeit gewesen sein.
G: Haben Sie die drei zur selben Zeit kennen gelernt?
K: Ganz genau weiß ich es nicht mehr, Anfang Mitte 1996 durch meinen Bruder.
G: Was meinen Sie bei Böhnhardt mit Unberechenbarkeit?
K: Er konnte lachen und wenn einer was Falsches sagte, konnte er schlagartig anders werden. In Disko schlagartig aggressiv geworden, wollte auf den losgehen, hat ihn angeschrien, unkontrolliert wirkte das. Da war bei mir, als Jüngerer, so etwas wie Bewunderung, hatte eine Autorität durch seine Unberechenbarkeit, hatte Schlagstock dabei immer, ist wegen Waffen mit Polizei in Konflikt gekommen.
G: Können Sie was zu scharfen Waffen sagen?
K: Nein, kann ich nicht.
G: Beobachtung Waffe bei Mundlos?
K: Kann es zeitlich nicht genau sagen, 1996, 1997 haben sie sich optisch radikalisiert, plötzlich Uniform, braun getragen, sahen fast wie Brüder aus in der Zeit, konkrete Erinnerung an Waffen habe ich nicht.
G: Was ist gesprochen worden?
K: Keine konkreten Sachen. Hatten eine Ankerkralle, wollten in Bergen klettern gehen, so eine Kralle wie man in Bankräuberfilmen sieht, damit ist einer mal über Balkon zu Zschäpe geklettert.
G: Verhalten Zschäpe?
K: Bei den Treffen, wo ich sie erlebt habe, habe ich sie nicht als Pärchen erlebt, keine Umarmungen oder Zärtlichkeiten, eher Neckereien, sich gegenseitig aufziehen.
G: Sie zählen Wohlleben und Holger G. und Ihren Bruder zur Clique und die drei.
K: Ich würde schon sagen, dass große Sympathie unter den dreien war, weiß nicht, ob ich beeinflusst bin durch heutige Wahrnehmung, sie sind häufig zusammen gefahren, aber das hat sich auch mal mit anderen gemischt.
G: Ihr Bruder, Holger G., Wohlleben - Rollenverteilung?
K: Mein Bruder und Wohlleben haben erst nach dem Abtauchen der drei eine führende Rolle übernommen, vorher haben die drei den harten Kern der Jenaer Szene gegeben, nach Abtauchen haben mein Bruder und Wohlleben organisatorische Aufgaben übernommen, Wohlleben hat die Jüngeren betreut, mein Bruder hatte überregionale Aufgaben, Holger G. ist mir mehr wie Mitläufer vorgekommen, der ist, glaub ich, weggezogen, der hat uns mal zu Konzert nach Hildesheim eingeladen.
K: Verhältnis zwischen Bruder und mir: verstehen uns nicht sehr gut, war auch in politischer Zeit so, Hoch und Tief, Wohlleben hat versucht uns Junge zu fördern und weiterzuentwickeln. Hat Schulungen angeregt, uns zu Veranstaltungen eingeladen, hat sich viel und stark um die jungen Leute gekümmert, wenn mal jemand wo hingebracht werden musste, hat er sich gekümmert.
G: Was ist mit überregionaler Tätigkeit bei Bruder gemeint?
K: War gut vernetzt über Jena hinaus, gute Kontakte nach Thüringen, zu Tino Brandt.
G: Was meinen Sie mit abgetaucht, was haben Sie mitbekommen?
K: Im Frühjahr 1998, Demo in Dresden, wir waren etwa 20 Leute, danach wurde es plötzlich still und dann bekam ich Mitte Februar Anruf von Carsten S., sagte: "Schau mal in Zeitung, da war Bild von Armbrust (aus Zschäpes Wohnung) und mehr, kannst dir ja vorstellen, wer das ist." Ein bis zwei Tage später Fahndungsaufruf in Zeitung mit Bildern von den dreien.
Mir war das Spiel "Pogromly" bekannt, hatte das schon mal gesehen, bei Zschäpe wohl, da war ich mal bei ihr zuhause.
(Alf Meier, BR)
K: Besonders "Progromly" in Erinnerung geblieben.
G: Warum?
K: Hatte ich mal gesehen, ich glaube bei Beate Zschäpe. Hat mich damals nicht so berührt wie es das heute getan hätte, war ja damals auch in rechter Szene.
(Ina Krauß, BR)
K: Fünf Geschosse, Plattenbau in Winzerla, da war die Wohnung von Zschäpe. Weiß nicht mehr, warum ich da war.
G: Ist Ihnen die Wohnung in Erinnerung geblieben?
K: Das Spiel und ein Balkon.
K: Letzter Kontakt (zum Trio) war Demo im Januar 1998, Dresden, kann auch Erfurt gewesen sein. Danach kein Kontakt mehr zu den Personen. Im Januar 2000 von Edda S. angesprochen worden, sie sagte, dass Leute aus Chemnitz kommen würden, die Kontakt zu uns in Jena hätten, bei Veranstaltung angesprochen worden. Bin in Richtung Wald gelaufen, der Begleiter der Frau sagte, er kenne drei Leute, die Bombenattrappen gebaut haben, die würden in Plattenbau leben, was machen die da? Die spielen Playstation, ich habe mich sehr unwohl gefühlt in der Situation und habe vermieden, Fragen zu stellen. Da war eine Veranstaltung in Eisenberg bei Jena, in der Jugendherberge, über "Tradition und Brauchtum", Vortrag gehalten und Tino Brandt hat dort zum Geburtstag geladen, war Tradition dort, hat alle eingeladen.
G: Die männliche Person?
K: Er war größer, braune Haare, älter als ich, ich war 19, und er trug keine szenetypische Kleidung, wurde mir nicht namentlich vorgestellt.
K: Hinzuzufügen wäre auch, es gebe Verfassungsschutzbericht dazu, wurde Journalisten zugespielt, ich hätte mit Brandt und Wohlleben danach darüber gesprochen. Das stimmt nicht, es war nur Edda S., die das Gespräch forciert hat.
G: Sie schildern, dass Frau S. Sie angesprochen hat?
K: Dass die in Chemnitz sein sollten, wirkte auf mich banal, in Szene wurde viel spektakulärer über sie berichtet. Ich hatte zwei Jahre nichts von denen gehört. Ich habe das viele Jahre für mich behalten, als ich mal Bruder erzählt habe, sagte er, dass er nichts davon wissen wollte. Erst 2011 dachte ich wieder dran, wusste nicht, ob ich's preis geben sollte. Erst als Journalist mir Notiz des Verfassungsschutzes zeigte, kam es raus.
K: Ich war sehr konsterniert, dass die drei so einen Mist gebaut haben mit den Bombenattrappen, wir haben die älteren bewundert, haben uns geschützt gefühlt.
G: Sie haben mit Bruder darüber gesprochen, wann?
K: Zwischen 2005 und 2007, war bei einer Autofahrt, hat ungehalten reagiert und gesagt: "Ich will so was gar nicht wissen und es ist besser, wenn du es auch nicht weißt."
G: Wie ging Gespräch mit Frau S. zu Ende?
K: Ist im Sande verlaufen.
K: Was mich heute wundert, warum jemand aus Baden-Württemberg zu uns kommt, um mit uns über ein Geschehen in Chemnitz zu reden, in Jena hieß es, wer darüber redet, der muss beim Verfassungsschutz sein.
G: Sie haben Carsten S. angesprochen. Wie war Kontakt zu ihm?
K: 1994 kennengelernt, für Nachhilfe Studienkreis besucht, 1996 oder so wieder getroffen in Bus, als wir zu Demo fuhren, hat er mich angesprochen. Wirkte bei Schülerhilfe ruhig, da (im Bus) trug er dann Szeneklamotten, wirkte aufgeschlossen, offen. Hat sich Freundschaft entwickelt, keine großen Sprüche gekloppt, nicht so militant, hat sich um alle gekümmert, offen, hat sich zu angesehener, charismatischer Führungsfigur entwickelt, hatte einen sehr guten Stand bei den Leuten, er wirkte etwas anbiedernd auf mich, als müsse er sich behaupten oder beweisen, wurde als zu soft wahrgenommen in Szene, Spitzname "Der Inder", weil er in Indien geboren wurde, hat sich immer für andere eingesetzt.
G: Gehörte er zu Freundeskreis, den Sie anfangs geschildert haben?
K: Das war ein abgeschlossener Freundeskreis, die älteren, später, als die drei abgetaucht sind, war er eng mit Wohlleben befreundet.
K: Ich weiß nicht, ob ich mit ihm über die drei gesprochen habe, konspirativ, in Szene wurde sehr darauf geachtet, nicht über sie zu sprechen.
G: War mal Unterstützung angesagt?
K: In Club in Jena wurde mal Klingelkasse herumgereicht, für Kameraden. Bei Interviews mit Band wurde mal nachgefragt nach den dreien. Es gab Kadergehorsam und Solidarisierung mit den dreien: "Das sind welche von uns."
G: Mal mit Bruder darüber gesprochen?
K: Nein, im Nachhinein gedacht, dass ich ihn in der Zeit des Untertauchens kaum gesehen habe.
Pause bis 13.15 Uhr.
(Ina Krauß, BR)
Weiter um 13.20 Uhr.
G: Hatten Sie Kontakt zu Ausländern?
K: Ein türkisches Mädchen aus Augsburg, Russlanddeutsche bei uns. Ich hatte eigentlich keinen Kontakt zu Ausländern, das war paradox, wir kannten keine Ausländer, dachten aber, gegen Ausländer sein zu müssen. Alle waren gegen Ausländer. Ich weiß eigentlich gar nicht, wogegen ich eigentlich war. Ich kann nur für mich sprechen. Ich habe es nachgeplappert.
G: Vorhalt: "Das waren schon Nazis, vor allem der Mundlos".
K: Der Nationalsozialismus war Vorbild, Phasen, in denen Mundlos und Böhnhardt in brauner Uniform rumliefen, sah wie SA aus, das hatte Bezug dazu.
K: Von Frühjahr 1998 bis 2000 ist mir nur in Diskothek der Klingelbeutel in Erinnerung, wo gesammelt wurde, sonst wurde einem gesagt, wenn man gefragt hat, warum fragst du das? Man dachte, die seien im Ausland oder von Geheimdienst umgebracht worden. Darum war ich so irritiert, als ich 2000 auf sie angesprochen wurde.
G: Die Rede ist hier von Listen von Zivilfahrzeugen.
K: 1996, 1997 war es fast wie ein Sport, wenn eine Polizeikontrolle mit Zivilfahrzeugen war, sollte man die Kennzeichen aufschreiben und das an Mundlos und Böhnhardt weitergeben, wir fanden das als Jüngere ganz toll, dass wir das machen und Listen anfertigen sollten.
G: Mal von Ausweisen die Rede gewesen?
K: Gerücht, Ukrainer würden 6.000 Mark bezahlen für Ausweis, aber weiß nicht mehr darüber. Keine Infos, dass jemand Pass gebraucht hätte.
G: Zu Wohlleben, Vorhalt: "Mein Gefühl war, dass er bis Untertauchen gleichberechtigt mit den dreien war, danach war er logistischer Kopf und koordinierender Part."
K: Habe mehr mit Wohlleben zu tun gehabt, nicht mit Bruder, der war Hitzkopf und cholerisch. Wohlleben hat positiven Stand gehabt in rechter Szene in Jena, war bemüht, die Leute in Aktion zu halten, hat sich für Lokalpolitik engagiert und NPD gegründet, mich hat er mal zu Konzert gefahren, wo ich kein Auto hatte, da war er immer verfügbar.
G: Vorhalt: "Gewalt war allgegenwärtig. Man sollte sich auf Tag X vorbereiten und Land verteidigen."
K: Tag X: Gesellschaft bricht zusammen, Revolution, kann das nicht konkretisieren, der Tag an dem die Neonazis das Ruder übernehmen, darauf musste man sich vorbereiten, ideologischer Kampfbegriff, müssen bereit sein dafür.
K: Gewalt habe ich häufig erlebt, dass jemand die Haarfarbe oder politische Gesinnung nicht gefallen hat, da wurde vor allem in Skinhead-Szene mit Gewalt reagiert. Mein persönliches Empfinden war aber, dass wir nicht mit Gewalt System verändern müssen, sondern politisch.
G: Ist über Waffen gesprochen worden, wo man Waffen kaufen oder besorgen könnte?
K: Mir nicht bekannt, aber Gerüchte, man könnte auf jeden Russenmarkt gehen und da könnte man angeblich Waffen kaufen. Keine konkreten Ansätze. In Jena selbst nichts bekannt.
RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Komme nochmal zurück auf Bemerkung, dass Frau Zschäpe nicht besonders intelligent gewesen sei, bauernschlau, opportunistisch. Was bedeutet der Begriff?
K: Dass man unkritisch einer Sache hinterherläuft, aber ich habe ihn zurückgezogen. Ich weiß nicht, warum ich den Begriff verwendet habe vorhin.
S: "Mit Böhnhardt zusammen", sagen Sie. Was war mit Mundlos?
K: Mit Mundlos war sie wohl früher mal zusammen. Beide Männer haben sie hochgezogen, sie hat die beiden Männer hochgezogen. Eine Empfindung, die ich mitgenommen habe aus der Zeit, eine besondere Verbundenheit zwischen den dreien. Keine Sätze oder Bilder.
S: "In der Gesamtzeit war das kein Trio für mich." Was gemeint?
K: Der Begriff Trio trifft meines Erachtens erst zu, nachdem sie abgetaucht waren, davor in meiner Wahrnehmung waren in Gruppe alle auf Augenhöhe, durch die privaten Bezüge war zwischen den dreien eine Spezial-Situation.
S: Was wussten Sie über die Beziehungen?
K: Ich weiß, dass sie früher mit Mundlos zusammen war, Beziehung mit Böhnhardt war wechselhaft, es gab Liaison mit anderem, da zogen die beiden sie auf.
S: Ideologie - Erinnerung, dass Zschäpe Ideologie vorgelebt hat?
K: Mundlos war ideologischer Kopf in Gruppe. Sie habe ich ideologisch nicht so in Erinnerung, dass sie uns indoktriniert hat. Sie würde ich ideologisch eher als Mitläuferin einstufen. Ich selbst war Mitläufer, habe mich radikalisiert, streng ideologisch, was ich heute sehr bereue.
S: Das merkt man. Kontakt zu Journalisten, warum?
K: Zu zweien, mir wurde aufgelauert, das ZDF hat versucht mich zu erpressen, habe ich abgelehnt, "Spiegel" hab ich auch abgelehnt, mit "taz"- und "Stern"-Journalisten und Autor "Die Zelle" gesprochen. November 2011 mit den drei Journalisten gesprochen. Dann nicht mehr, fühlte mich ausgenutzt.
K: Habe Rechtsanwalt eingeschaltet gegen ZDF. Einstweilige Verfügung. Wurde behauptet, ich wäre Unterstützer des Trios, das möchte ich auch hier ausdrücklich zurückweisen. Mein Name wurde ausgeschrieben. Darum habe ich nur mit den dreien gesprochen, hat mich erschüttert, wollte einordnen in Gesamtkontext.
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe): Mit drei Journalisten gesprochen, skizzieren Sie wie, häufig und wie lange Sie mit denen sprachen?
K: Je einmal, je zwei Stunden maximal.
S: Konkrete Fragen gestellt worden?
K: Vor allem: "Erzählen Sie mal, wie war das damals?"
S: Zu den dreien?
K: "Erzählen Sie, wie waren die drei?"
S: 1996 bis 1998 - können Sie kurz skizzieren, wie und mit wem Sie unterwegs waren? Wie häufig die Leute getroffen?
K: Kann es soweit rekonstruieren, war mehr mit Rechten meiner Altersklasse unterwegs, Carsten S., ehemalige Schulkameraden. Man hat sich getroffen, hat was unternommen, mit Älteren eher am Wochenende, auf eine Demo, in eine Disko gegangen. Ich vermute, es war alle zwei bis drei Wochen.
S: Wer gehörte zu "Kameradschaft Jena"?
K: Namentlich weiß ich nicht, Leute, die sich im "Winzerclub" getroffen haben. Da hat sich ein fester Kreis herausgebildet. Komme nicht auf Namen.
RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Sind ausgewichen, gerade haben auf Schulkameraden verwiesen.
K: 1997 mehr mit Schulkameraden unterwegs, 1998 Studenten kennengelernt, der war in Burschenschaft, Anschluss gefunden, habe Bild Nationalsozialismus eher losgelassen, mehr konservative Einstellung gewonnen. War zwischen Neonazis und eher akademischen Kreisen.
K: Carsten S. ist immer mehr aufgeblüht, hat immer mehr Anerkennung gewonnen, kann ich mich erinnern, er hat Plakat aufgehängt, für das es Haue gegeben hätte, ist immer mutiger geworden. Die Punker wären mit ihm nicht zimperlich umgegangen. Rechts und Links waren sich nicht grün und haben sich gegenseitig nichts geschenkt, umgekehrt hätten die Linken auch einen auf den Deckel gekriegt.
Klemke: Was war persönliche Ideologie?
K: Ideologisches Spektrum: latenter Antisemitismus, latente Ausländerfeindlichkeit, rassistisch, völkisch, Großmachtstreben, Ansichten, die in Szene gepredigt wurden, persönlich mit Zweitem Weltkrieg beschäftigt, mich selbst mit Flucht aus Ostgebieten beschäftigt - aus familiärem Bezug.
Klemke: Was meinen Sie mit latent?
K: Parolen aus Musiktexten auf Schulungen weitergetragen.
Klemke: Auf welchen Schulungen waren Sie?
K: In Jena mal auf Schulung, wo Vertreter der Weltkriegsgeneration gesprochen hat, in Eisenberg, wo es um Kultur und Tradition ging, wo immer wieder das nationalsozialistische Weltbild hergestellt wurde, wo wir uns im Alltag argumentativ auseinandersetzen hätten können.
Klemke: Geht um die Frage, ob Wohlleben ideologische Führungsrolle innehatte nach Untertauchen?
K: Ja, er hatte ideologische Führungsrolle und hat in Jena beigetragen, dass rechte Strukturen sich weiterentwickeln.
Klemke: Vorhalt. Was meinten Sie bei Vernehmung mit Aussage: "Sein ideologisches Bild war für mich schwer greifbar"?
K: Wohlleben hatte fast bürgerliches Leben, im Gegensatz zu uns anderen, wir haben immer wieder die Arbeit verloren, er hatte feste Arbeit, feste Partnerschaften.
Klemke: Gab es Absprache Gewalt anzuwenden gegen Ausländer oder andere?
K: Nein, da ist mir nichts in Erinnerung. Also verbale Gewalt gegen Ausländer war schon Thema, das war akzeptiert. Ich habe nicht erlebt, dass Ausländer verprügelt wurde. In Rhetorik war es gang und gäbe, das einzige, was ich mal konkret mitgekriegt habe, ist, dass eine Dönerbude in Jena kaputt gemacht wurde.
(Ina Krauß, BR)
Fortsetzung 15.05 Uhr.
Klemke: Sie haben von verbaler Gewalt Wohllebens gegenüber Jüngeren gesprochen. Beispiele?
K: Wenn einer zu viel getrunken oder sich daneben benommen hat, konnte es sein, dass er geschrien hat, bei Infoständen gab es Ausfälle über Linke, gewalttätige Sprache.
Klemke: Ist Ihnen Vorfall bekannt, bei dem Pkw von Wohlleben in Brand geriet?
K: Tino Brandts Auto geriet vor Wohllebens Haus in Brand. Keine Reaktionen darauf in Erinnerung.
Klemke: Carsten S. war weniger dogmatisch, sagen Sie. Bei BKA-Vernehmung haben Sie das anders beschrieben, gesagt, dass S. später politisch gefestigt gewesen sei.
K: Ich habe S. so wahr genommen, dass er alles nachgeplappert hätte, hat sich nicht abschätzig gegenüber Ausländern oder Homosexuellen geäußert, er wurde politisch gefestigt, konnte argumentieren über politischen Unterbau. Darauf bezieht sich das.
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Würden Sie die Person, die mit Edda S. und Ihnen im Wald gegangen ist, mit Farbbildern besser erkennen als beim BKA mit Schwarz-Weiß-Bildern?
K: Ich hatte damals Schwierigkeiten, jemand wiederzuerkennen.
Schneiders legt Foto mit drei Männern vor. Dann weiteres Bild eines einzelnen.
K. erkennt keine der gezeigten Personen wieder.
Schneiders: Persönliche Verhältnisse Wohlleben: Hat er mal so viel ausgegeben wie Brandt?
K: Das kann ich ausschließen, Brandt hat für 100 bis 150 Leute was ausgegeben (gemeint sind Getränke).
Carsten S.: Kannst du Dich erinnern, wie Kontakt nach Fahrt nach München war zwischen uns?
K: Nein.
Carsten S.: Kannst du Dich erinnern, dass ich Dich gefragt habe, wie ich Kontakt zur Szene aufbauen könnte?
K: Ich weiß, dass Du das von uns aus Winzerla erfahren hast, gehe davon aus, dass wir Telefonnummern getauscht haben.
Rechtsanwalt Nebenklage: Hatten Sie über Band "Eichenlaub" Kontakt zu "Blood & Honour"?
K: Nein, Holger G. hatte ein "B & H"-Konzert organisiert, ich habe erst dort mitgekriegt, dass es "B & H"-Konzert war. Sonst kein Kontakt.
RA Nebenklage: Gab es von "Eichenlaub" eine CD?
K: Ja, eine, selbst vertrieben.
RA NK: Wer hat Interview in "B & H"-Magazin vermittelt?
K: Über G. oder Freund von ihm. Kannte keine "B & H"-Leute in Sachsen oder Thüringen, ein "Riese" ist mir ein Begriff, aus Gera. Mir ist nicht bekannt, dass es in Jena "B & H"-Aktivisten gab, gab Band "Vergeltung", die sind häufig zu "B & H"-Konzerten gefahren.
RA NK: Kannten Sie Heft "White Supremacy"?
K: Nein.
RA Antonia von der Behrens (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik): Wer hat Interviews vermittelt?
K: Feuer und Sturm-Interview oder eines sächsischen Fanzines wurde über Ralf Wohlleben vermittelt, das andere von Holger G. vermittelt.
vdB: Warum Lied "5. Februar" genannt?
K: Erst hieß es "Warum?" Habe versucht, Datum zurückzurechnen anhand von Zeitungsartikeln (gemeint ist Datum des Untertauchens der drei. Das war aber nicht im Februar, sondern im Januar 1998). Jetzt weiß ich, es war im Januar. Mein Bruder hat mich nie auf den Titel angesprochen.
vdB: Mal Spenden gesammelt worden?
K: Nur für meine Auftrittsgage.
vdB: Tibor R. erwähnt, Telefongespräch mit Ihnen: "Gab an, dass von Band 'Eichenlaub' auf mehreren Konzerten Spenden für die Drei gesammelt wurden."
K: Ist eine Lüge, er war gewaltbereit, hat sich ab 1998 einen SS-Anstrich gegeben, wir waren uns nicht grün.
vdB: Wer hatte noch Kontakt zu Edda S.?
K: Ich nehme an, Tino Brandt, viele kannten sie, weil sie bekanntes Gesicht der rechten Szene war.
RA Seda Basay (Nebenklage-Anwältin der Angehörigen des ermordeten Enver Simsek): Kennen Sie Grundstück in Kahla unterhalb der Leuchtenburg?
K: Hanggrundstück, zwischen Kahla und Leuchtenburg, von Tino Brandt u. a. gekauft, Lagerfeuer auch in Beisein von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Einmal weiß ich, wurde mit Luftgewehren geschossen.
B: Tarnanzüge?
K: Mal gezeltet dort ein Wochenende. Polizei kam vorbei, Personalien kontrolliert, manche hatten Militärhosen oder so an, Militärklamotten waren damals sehr beliebt.
15.45 Uhr, Zeuge entlassen.
RA Nicole Schneiders (Verteidigung Wohlleben): Beweisantrag: Zeugin Edda S. laden, kann Angaben zu der Person des Mannes machen, der bei Gespräch dabei war.
Schluss. Morgen 9.30 Uhr weiter.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.