NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 193. Verhandlungstag, 18.3.2015

Zunächst tritt heute der Sachverständige Norbert Leygraf in den Zeugenstand und schildert seine Eindrücke des Angeklagten Carsten S. und sein psychiatrisches Gutachten über ihn.

Von: Holger Schmidt, Alf Meier

Stand: 18.03.2015 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

In der Schule sei Carsten S. gemobbt worden und habe Schwierigkeiten gehabt, mit seiner Homosexualität umzugehen. Dies sei auch einer der Gründe für sein Abrutschen in die rechte Szene gewesen, da er das dortige Männlichkeitsideal bewundert habe. Zwei weitere Zeugen berichten von ihrer Vergangenheit in der rechten Szene: Zunächst ein Zeuge aus Chemnitz, der jedoch sehr wortkarg und beleidigt antwortet. Das Trio habe er nicht gekannt, aber "Blood & Honour"-Konzerte mitorganisiert. Der letzte Zeuge kannte das Trio hingegen sehr gut - er ist ein ehemaliger Klassenkamerad von Zschäpe und kannte dadurch auch Böhnhardt und Mundlos etwas näher.

Zeugen:

  • Prof. Dr. Norbert Leygraf, Institut für Forensische Psychiatrie Essen (hins. Angeklagten Carsten S.)
  • Giso T. (Umfeld Angeklagte)
  • Mike M. (Umfeld Angeklagte)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Alf Meier, BR)
9.42 Uhr.
Zschäpe kommt rein, dreht sich nicht wie gewohnt um. Gibt ja nur noch zweimal im Monat Film- und Fotoaufnahmen (auf Antrag der Zschäpe-Verteidigung).

9.47 Uhr.
Zeuge Prof. Norbert Leygraf, 62 Jahre, Direktor Institut für Forensische Psychiatrie Essen. Schlank, graue Haare, graues Sakko.
Richter Manfred Götzl: Geht um Ihr Gutachten, geistige Reife von Carsten S. zur Zeit seiner Taten.

(Holger Schmidt, SWR)
Leygraf: OK. Also, ich habe Herrn S. am 26. März und 2. und 4. April 2012 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln exploriert und Unterlagen über eine frühere psychotherapeutische Behandlung zugezogen. S. freundlich, zugewandt, aber in einer in sich gekehrten Haltung verblieben, sagte kaum etwas von sich aus und wartete Fragen ab, wobei insbesondere bei Zugehörigkeit rechte Szene und Tatvorwürfen häufig lange Pausen eintraten, in denen er nachdachte, bevor er antwortete. Trotz langer Pausen blieben diese Angaben am ersten Untersuchungstag recht blass und wenig konkret.
Ist ihm wohl selbst klar geworden, hatte sich vor zweitem Tag Notizen gemacht und diesen Zettel abgearbeitet. Eher ungeordnet abgearbeitet, ohne dass roter Faden erkennbar geworden wäre. Tendenz: Darstellung eher unter dem Aspekt einer jugendlichen gemeinsamen Freizeitgestaltung zu beschreiben. Ideologische, fremdenfeindliche Gesinnung nur auf Nachfrage.
Tendenz zur Psychologisierung, Antworten in fertigen Bildern, die er kaum mit Leben zu füllen mochte. Tendenz zu "man" und "irgendwie". Gespräche verliefen schleppend und mühsam. Er erschien gehemmt und unsicher, aber auch geltungsbedürftig. Er ist ein Mensch, der sich im direkten Kontakt eher zurückhält und sich von anderen Menschen beeindrucken lässt. Keinerlei Hinweise auf psychopathologische Momente, keine psychiatrische Erkrankung.

Psychiatrisch relevante Aspekte seiner Lebensgeschichte aus seinen Angaben:
Jüngeres von zwei Kindern, in Neu Delhi geboren. Mutter hatte manische Krankheitsphase, weshalb Aufenthalt in Indien abgebrochen werden musste. Er selbst hat in seiner gesamten Biographie keine Phase gehabt, die verdächtig für psychiatrische Erkrankung wäre, keine körperliche Erkrankungen. In Düsseldorf offenbar psychosomatische Magen-Darm-Probleme.
Zu Vater offenbar in der gesamten Jugendzeit angespanntes Verhältnis, zwanghaft kontrollierend, Ordnungsbedürfnis. Nähe zu Mutter, diese ängstlich. Kaum Beziehung zur deutlich älteren Schwester, die schon mit 18 das Elternhaus verlies.
10 Jahre Grundschule, Realschule. Nicht sonderlich leistungsorientiert, eher zurückgezogenes Leben. Unter Mitschülern hat er sich rangmäßig relativ weit unten eingeordnet. Fühlte sich "gemobbt", sei als "Mädchen" gehänselt worden.
Konditorlehre in Springe bei Hannover. Meister: Zu langsam! Nach Probezeit nicht übernommen. Eltern haben ihn nach Jena zurückgeholt, Lehre zum Kfz-Lackierer abgeschlossen. Bundeswehr hat ihn nicht eingezogen, 9 Monate arbeitslos, dann etwa 2 Jahre bei Zeitarbeitsfirma. Rückzug aus der rechten Szene, Fachabitur, Studium der Sozialpädagogik. Abschluss: Diplom. Schon gegen Ende des Studiums Halbtagsstelle bei der Aidshilfe + 10-Stunden-Stelle eines schwul-lesbischen Jugendzentrums. Von wesentlicher Bedeutung war homosexuelle Orientierung, die er frühzeitig festgestellt und als Mangel empfunden hat. Lange Zeit Hoffnung, es würde sich eine "normale" = heterosexuelle Orientierung einstellen.

(Alf Meier, BR)
L: Er hat seiner Familie das nicht offenbart, besonders Vater hätte das nicht verstanden.

(Holger Schmidt, SWR)
L: Nachdem er mit ca. 20 seine dauerhafte Homosexualität akzeptiert hat, hat er sich nach und nach dem engsten Umfeld offenbart.
Beginnende rechtsradikale Einstellung hat er mit Provokation seiner Eltern und Aufwertung seines Selbstwertgefühls erklärt.

(Alf Meier, BR)
L: Einstieg in rechtsradikale Szene mit Protest gegen Eltern und Protest gegen eigene Homosexualität begründet. Das ist teilweise nachvollziehbar, so Leygraf. Protest mag eine Rolle gespielt haben. Hinwendung zur rechte Szene aus Ablehnung der eigenen Homosexualität möglich, wird manchmal beobachtet. Aber sicher auch sexuelle Anziehung durch Mitglieder der rechten Szene.

(Holger Schmidt, SWR)
L: Erste Begegnung mit Uwe Böhnhardt muss sehr eindrucksvoll gewesen sein, so dass ihm fast die Tränen gekommen sind, als er mir davon berichtete.
Zu den Tatvorwürfen hat er sich bei mir ein Stück zurückhaltender eingelassen als hier in der Hauptverhandlung. Drei Punkte, die er bei mir nicht gesagt hat:
1. Begegnung, bei der er die Waffe übergeben hat: Böhnhardt und Mundlos hätten gesagt, dass sie schon bewaffnet seien - hat er bei mir nicht gesagt.
2. Taschenlampe (Nürnberg) und Explosion bei mir nicht berichtet.
3. Er hat bei mir nicht berichtet, dass Herr Wohlleben gesagt haben soll, dass sie jemand angeschossen haben sollen.

Frage des Erwachsenenwerdens kein gleichförmiger Prozess, sondern auch Sprünge. Allgemein werden "Reifekriterien" nach Esser zu Grunde gelegt. Sie beziehen sich auf 10 Merkmale, von denen ich im schriftlichen Gutachten einen unterschlagen habe:

  1. Äußerer Gesamteindruck
  2. Realistische Lebensplanung
  3. Eigenständigkeit von Eltern
  4. Einstellung zu Arbeit und Schule
  5. Realistische Alltagsbewältigung
  6. Stimmungslage
  7. Alter der Freunde
  8. Bindungsfähigkeit
  9. Fähigkeit, intime Beziehung einzugehen und längerfristig aufrecht zu halten


Tatsache, dass er mit Kontakthalten und Waffenübergabe betraut wurde, lässt schließen, dass er nach außen hin keinen besonders jugendlich-unbedarften Eindruck gemacht hat. Auch mit Hinblick auf Peer Group keine besonderen Auffälligkeiten - nicht auffällig jünger oder älter. Verhalten zu intimer Beziehung, Verdrängung der eigenen Sexualität und keine intime längere Beziehung, lässt davon ausgehen, dass noch keine gefestigte Persönlichkeit, sondern Entwicklungspotenzial vorlag.

(Alf Meier, BR)
L: Im Tatzeitraum noch jugendlich? Schwer zu sagen. Kann nicht mehr feststellen, ob er damals zu einer Lebensplanung fähig war. Beruflich eher nicht, aber eigene Sexualitätsentwicklung noch nicht abgeschlossen. Protest gegen Eltern spricht dafür, dass Entwicklung zu einer Eigenständigkeit noch nicht abgeschlossen war. Aber nicht unbedarft oder zu impulsiv. Deutliche Defizite aber bei Bindungsfähigkeit zu Partnern, Beziehung gab es damals ja gar nicht und Sexualität nicht von Offenheit geprägt. Dadurch in Reife zu einem eigenständigen Menschen behindert. Vermutung deshalb, dass er damals noch keine verfestigte Persönlichkeit hatte.
Ausstieg aus Szene mit 20 Jahren. Hatte Coming-out. Deshalb dann auch mit Vergangenheit und rechter Szene auseinandergesetzt. Ernsthaft distanziert und auch Beziehung eingegangen.

(Holger Schmidt, SWR)
L: Zusammenfassend: Genaue Feststellung nach nunmehr 15 Jahren kaum mehr möglich. In einigen Bereichen durchaus altersgerecht, andererseits auch Einschränkungen festzustellen, die zu Reifedefiziten geführt haben und insbesondere verweist der weitere Verlauf darauf, dass er sich noch in einer Reifungsphase befand, die noch zu erheblichen Veränderungen seiner Persönlichkeit geführt hat.

G: Wann Übergabe Waffe terminiert?
L: Bei mir Anfang 2000.
L: Entscheidend wohl Jahr 2000: Erstens Unterbindungsgewahrsam: Eltern warten aber trotzdem auf ihn und nehmen ihn auf. Zweitens: Er denkt, dass er als Märtyrer gefeiert wird - aber wird stattdessen ausgelacht und drittens Eindruck, Wohlleben wisse von Homosexualität und werfe sie ihm vor.

Oberstaatsanwältin Anette Greger (Vertreterin Bundesanwaltschaft): Haben Sie die Unterlagen zur Therapie des Angeklagten ausgewertet?
L: Ja, soweit man es lesen konnte.
G: Kann man Behandlungszeiträume eingrenzen?
L: Angefangen im November 2009, psychosomatische Beschwerden im Magen-Darm-Bereich. Sehr dynamische Therapie, abgehoben auf Vater-Sohn-Verhältnis und Wut und Ärger, offenbar soweit erfolgreich, Beschwerden verschwunden.
G: Weitere Behandlungen gefunden?
L: Nein.
G: Tatvorwürfe in der Therapie besprochen?
L: Nein, in Unterlagen findet sich nichts und S. sagte, er habe es nicht angesprochen. Wenn da Pistole gestanden hätte, wäre es mir aufgefallen.

(Holger Schmidt, SWR)
Keine Fragen Verteidigung.
Keine Fragen Nebenklage.
Henning Saß (psychiatrischer Gutachter Zschäpe): Berichte über Treffen mit Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt?
L: Ja, wenige. Treffen mit den Dreien unter Vermittlung von Christian K., Treffen in der Wohnung von Zschäpe, in die er später eingebrochen ist, und ein Treffen in einem Lokal "Hugo", vielleicht auch im Anschluss, wo man eine "Jana" zur Rede stellen wollte und dann noch eine Autofahrt zu einer Demo. Inhalte hatte er nicht in Erinnerung. Später bei den Telefonaten immer mit einem der Uwes gesprochen und der andere sei im Hintergrund gewesen, bei ein oder zwei Telefonaten auch Zschäpe im Hintergrund. Und dann noch das Treffen bei der Waffenübergabe, bei dem Zschäpe dazugekommen sei und man Smalltalk gemacht habe und sie Blankovollmachten unterschrieben habe - dann Zschäpe wieder weg und Waffenübergabe in Abbruchhaus.
S: Angaben zum Verhältnis der drei Personen untereinander?
L: Nein.

Ende Befragung Leygraf 11.05 Uhr.

(Alf Meier, BR)
Zeuge Giso T., Glatze, muskulös, Stiernacken, 44 Jahre alt, Maurer, starker Akzent, kaum verständlich.

(Holger Schmidt, SWR)
Verständigungsprobleme schon beim Beruf mit Götzl. Vernuschelte Mundart, stockender Duktus.
T: Was soll ich dazu sagen? Ich hatte keen Kontakt mit den Leuten [dem Trio]. Kenne ich gar nicht.
G: Ihr Bezug zu Chemnitz, Thema rechte Szene?
T: Was soll ich denn dazu sagen? Da kenne ich ein paar Leute.
G: Ja, wie war es denn in den 90er Jahren? Holen Sie mal etwas aus!
T: Man war halt dabei.
G: Sie waren dabei, was bedeutet das?
T: Ich war halt dabei, was soll das bedeuten?
G: Erzählen Sie halt!
T: Denn Herrn L. kenne ich, Herrn F.
G: Jörg W.?
T: Kumpel von mir.
G: Thomas St.? ("Blood & Honour" Sachsen)
T: Kenne ich.
G: Bleiben wir mal bei W. und St.
T: St. kenne ich aus Chemnitz, Kontakt hatten wir über "Blood & Honour". Wir haben Konzerte veranstaltet.
G: Wer?
T: St., Jan W., Jörg W.
G: Welche Rolle haben Sie gespielt?
T: Ich habe Security gemacht. Jörg W. hat auch Security gemacht, Thomas St. und Jan W. haben die Connection hergestellt.
G. (energisch): Können Sie bitte etwas höflicher sein? Sie tun so, als wäre ich Ihnen lästig. Kann auch sein, dass ich Ihnen lästig bin, aber ich erwarte höfliche Antworten, verstehen wir uns, Herr T.?
T: Ja.

G: Wissen Sie was über die "88er"?
T: Ja, so haben die sich ne Zeitlang genannt.
G: Wer?
T: Na, die Namen von eben
G: Was haben die gemacht?
T: Party.
G: Haben die "88er" was mit "Blood & Honour" zu tun?
T: Nee.
G: Haben sie dazu gehört?
T: Nee.
G: Was hat die ausgemacht?
T: Die haben sich einen Aufnäher auf die Jacke gemacht und das war's.
G: Was können Sie zum Thema Waffen sagen?
T: Zu Waffen kann ich nichts sagen.
G: Waren Waffen ein Thema?
T: Nee, war kein Thema.
G: Überhaupt nicht?
T: Nein.
G: Kannten Sie Personen, die im Besitz von Waffen waren?
T: Nee, kenne ich nicht
G: Wie gut kennen Sie eigentlich Herrn Jörg W.?
T: Gut!
G: Sprengstoff ein Thema?
T: Haben die mich gefragt bei der Polizei: "Tacke" habe gesagt, ich hätte welchen gehabt. Stimmt aber nicht.
G: War Sprengstoff Gesprächsthema in der Szene?
T: Nee.
G: Wissen Sie, ob Herr W. Bezug zu Sprengstoff hatte?
T: Ja, hatte er.
G: Was?
T: Habe ich im Nachhinein erfahren.
G: Was?
T: Dass er da experimentiert hat.
G: Ich stelle mir das Gespräch also so vor: "Ich habe mal mit Sprengstoff experimentiert. Punkt"?
T: Habe es von der Polizei erfahren.
G: Was denn nun?
T: Habe ihn dann darauf angesprochen. Dass er von einer Rohrbombe verletzt wurde (G. versteht Rohrbombe akustisch erst im dritten Durchgang.)
G: Hat W. Ihnen gesagt, dass er den Sprengstoff an St. übergeben hat?
T: Ja.
G: Wann?
T: Am Tag der Vernehmung der Polizei.

RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe) interveniert, man verstehe den Zeugen nicht.
G: Das liegt daran, dass Sie so beleidigt antworten, Sie können sich etwas entspannen und über einen Halbsatz hinaus antworten und mir was erklären.
T: Mhmh.
G: Woher Sprengstoff?
T: Er hätte es von einem Kameraden, der zwischenzeitlich verstorben ist.
G: Wer?
T: Weiß ich nicht.

(Alf Meier, BR)
G: Hat W. erzählt, wofür St. Sprengstoff brauchte?
T: Nein, nicht gesagt.
G: Rede von Seiten W.s, ob Sprengstoff für St. selbst oder für andere?
T: Weiß ich nicht.
G: Mitbekommen, dass jemand gesucht wurde?
T: Nein.
G: Was ist mit Geld aus den "Blood & Honour"-Konzerten passiert?
T: Neue Konzerte geplant.
G: Geld für Leute gesammelt?
T: Nö, weiß ich nicht.
G: Kontakt zu Jan W. besteht noch?
T: Nö, bin ja 2004 nach Rosenheim gezogen.
G: Wo Konzerte veranstaltet?
T: Sachsen.
G: Rolle Antje P.?
T: Kasse bei Veranstaltungen.

(Holger Schmidt, SWR)
G: War Antje P. verheiratet?
T: Ja.
G: Mit wem?
T: Mit ihrem Mann. Namen weiß ich nicht.

(Alf Meier, BR)
G: Kannten Sie "Riese"?
T: Ja.
G: Kennen Sie André E., "Weiße Bruderschaft Erzgebirge"?
T: Nein.
G: Mit W. mal über Böhnhardt oder Mundlos gesprochen?
T: Nein.
G: Kannte Jörg W. Mundlos?
T: Weiß ich nicht.

Mittagspause bis 13.00 Uhr.

(Alf Meier, BR)
Weiter um 13 Uhr.
RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik): Mal vom Verfassungsschutz angesprochen?
T: So 1998, haben sich als vom Innenministerium vorgestellt. Wollten was über Konzerte wissen, habe abgelehnt.

Lichtbilder von zwei Männern vorgelegt.
T. erkennt sie als "Kicke" und "Kacke".
T: Haben in einer Band zusammengespielt. Hieß "Blitzkrieg".

Zeuge wird um 13.40 Uhr entlassen.

(Alf Meier, BR)
13.45 Uhr. Pause bis 14.00 Uhr.

Weiter um 14.04 Uhr.
Zeuge Mike M., 40 Jahre alt, aus Jena, volle Haare, Brille, dunkler Pullover, momentan arbeitslos, will aber Adresse nicht öffentlich sagen. Hat einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand dabei, der sagt, dass Zeuge Adresse wegen Gefahr für Leib und Leben nicht preisgeben will. Götzl akzeptiert Adresse des Rechtsanwalts als ladungsfähige Anschrift.

(Holger Schmidt, SWR)
G: Was wissen Sie über Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, Wohlleben?
M: Ich war Klassenkamerad von Beate, wir waren eine Clique. Bis ca. 1991, da bin ich in die Lehre, danach gab es keinen Kontakt mehr.
G: Und Böhnhardt und Mundlos?
M: Böhnhardt aus dem Winzerclub Jena und Wohlleben über seinen Bruder, flüchtig.
G: Zeitliche Zuordnung?
M: 1984 nach Winzerla gezogen, 1988, 1989 außerhalb der Schule cliquenmäßig getroffen, ab 1991 keinen Kontakt mehr.
G: Alltag?
M: Nach der Schule regelmäßig getroffen, an der Kaufhalle oder Max-Steenbeck-Straße und den Nachmittag verbracht.
G: Was gemacht?
M: Geredet, in die Stadt gefahren, was Jugendliche so machen, einfach getroffen.
G: Wann letzter Kontakt?
M: Nach Gerichtsverhandlung, wo ich mich distanziert habe. War wegen Diebstahl, hatte Sozialstunden bekommen. War letzter Kontakt. Da ich politisch links war, habe ich es für sinnvoll gehalten, Abstand von der Gruppe zu halten.
G: Welche Gruppe?
M: Die ganze Gruppe, waren ja nicht nur die Angeklagten und die Verstorbenen, waren ja noch mehr.
G: Wie viele?
M: Schwer zu sagen. 10 bis 20.

(Alf Meier, BR)
G: Welche Gerichtsverhandlung?
M: Wegen Diebstahl bei Horten (Kaufhaus), Soziallstunden dann abgeleistet. Horten hatte uns schon länger in Verdacht. Zschäpe mit dabei.
G: Gerichtsverhandlung, Distanzierung?
M: Ich wollte mit diesen Leuten nichts mehr zu tun haben, Risiko weiterer Diebstähle.
G: Wieso?
M: Wurde immer über neue Mutproben geredet.
G: Politische Distanzierung?
M: Gruppe war rechts orientiert.
G: Woran festgemacht?
M: Bomberjacken, weiße Schnürsenkel.
G: Diskussionen?
M: Meistens über Gerechtigkeit, soziales System.
G: Welche Haltung hatten Zschäpe und Mundlos?
M: Immer gegensätzlich zu mir.
G: Waren sie akzeptiert?
M: Ja, zum größten Teil.
G: Was zu Böhnhardt sagen?
M: Hatte definitiv Respekt vor ihm. Jeder wusste, dass er Spring- oder Klappmesser in der Tasche hatte, also reizen durfte man ihn nicht.
G: Klappmesser gesehen?
M: Ja, ich hatte auch eins.
G: Wann Böhnhardt kennengelernt?
M: 8. oder 9. Klasse.
G: Mundlos?
M: Auch so etwa, Zschäpe hatte schon Beziehung mit ihm.
G: Was über Zschäpe erfahren?
M: Kein Kontakt mehr nach Schulabschluss.
G: Selbe Klasse?
M: Ja. War während der Schulzeit unauffällig.
G: Familie?
M: Selten bei ihr zuhause, kannte Mutter.
G: Verhalten außerhalb Schule?
M: Aufgeschlossen, freundlich, höflich, hatte nix auszusetzen.
G: Mundlos beschreiben?
M: Adrett gekleidet, gebügelt, aber angesehen, dass er rechte Szene: Bomberjacke, weißes Hemd, Schlips, Stiefel, hat sich sehr um Bruder gekümmert, der im Rollstuhl sitzt. Eher ruhiger Typ.
G: Beziehung Zschäpe?
M: Ganz normal.
G: Ging es auch mal um Gewalt?
M: Nein, vielleicht mal Rangelei.
G: Verhältnis zu Ausländern?
M: Nix aufgefallen, es gab in Jena zu dem Zeitpunkt wenig Ausländer.
G: Böhnhardt, Verhalten?
M: Schnell aufbrausend, leicht reizbar.
G: Mutproben?
M: Diebstähle Kaufhaus, Wände besprüht in Winzerla.
G: Rolle Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt?
M: Anwesend.
G: Wortführer?
M: Nein.
G: Weiteres Leben von Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe verfolgt?
M: Als sie in Jena zur Fahndung ausgeschrieben wurden, wieder was gehört.
G: Wohlleben?
M: Kenne ich flüchtig, weil ich mit Bruder Alexander befreundet war.
G: Kennen Sie André K.?
M: Sagt mir nix.
G: Verhältnis Zschäpe zu Mundlos, Böhnhardt?
M: War mit Mundlos liiert. Mundlos sehr gebildet, Böhnhardt aufbrausend.
G: Status?
M: Auf Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt hat man eben gehört.
G: Vorhalt: Konzert "Exploided" im Kulturzentrum, Gruppe überlegte, wie man Konzert stören könnte?
M: Ja, es gab Massenschlägerei.

(Holger Schmidt, SWR)
G: Vorhalt: "Als wir in Jena auf dem Wochenmarkt waren, wo viele Vietnamesen einen Verkaufsstand hatten. Die Vietnamesen wurden von uns allen beleidigt mit 'Kanake' oder 'Fidschi'. Da fing einer an mit der Pöbelei und alle machten mit. Waren wir in der Gruppe unterwegs, wurden auch Parolen wie 'Deutschland den Deutschen' gerufen. Wenn wir zusammen unterwegs waren, haben wir immer rumgepöbelt und Leute beleidigt, das war an der Tagesordnung."
M: Ja. Das war so. Das haben wir gemacht.

(Alf Meier, BR)
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe): Gab es nur eine Clique?
M: Ja.
S: Wie alt war Böhnhardt?
M: Kann ich nicht sagen, sah jung aus, mit Basecap.
S: Nicht erinnern, ab wann Böhnhardt dabei war?
M: Nicht genau, hatte Spitznamen bei uns.
S: Wie?
M: "Böhnchen".
S: Immer bei Treffen dabei?
M: Nicht jeden Tag.
S: Was von Strafverfahren gegen Böhnhardt mitbekommen?
M: Nein.
S: Bild von Böhnhardt vor Augen?
M: Ja, wie er mit Butterfly-Messer rumgespielt hat.
S: Gab es innerhalb der Gruppe zwischen Personen engere Beziehungen als zu anderen?
M: Mundlos und Zschäpe.
S: Auseinandersetzung mit Mundlos erinnern?
M: Ja, mit ihm konnte man diskutieren, ohne dass er ausfällig wurde, schlichten musste man nur bei Böhnhardt.
S: Wie oft Zschäpe in Bomberjacke gesehen?
M: Keine Ahnung, schon öfters.
S: Hatten Sie Interesse an Frau Zschäpe?
M: Nicht, dass ich wüsste. Ich war seiner Zeit immer mit zwei, drei anderen aus der Clique abwechslungsreich liiert.

RA Olaf Klemke (Verteidigung Wohlleben): Wie lange mit Alexander Wohlleben (Bruder von Ralf) befreundet?
M: Vier, fünf Jahre.
K: Wann kennengelernt?
M: So nach Gerichtsverhandlung mit Zschäpe.
K: Wie haben Sie Ralf Wohlleben flüchtig kennengelernt?
M: In der Wohnung von den Eltern, kurz Hallo und Tschüss.

Klemke beschwert sich bei Götzl: Götzl würde seine Fragen stören, Götzl versteht es nicht.

K: Was hat Alexander für einen Musikgeschmack?
M: "Depeche Mode", Punk, Synth-Pop, was so im "Casablanca" gespielt wurde.
K: War er älter oder jünger?
M: Ein Jahr jünger, war eine Klasse unter mir.
K. Verhältnis Brüder?
M: Weiß ich nicht mehr.
K: Alexander eine Freundin?
M: Weiß ich nicht.

Pause bis 17.20 Uhr.

(Holger Schmidt, SWR)
17.49 Uhr.
Zeuge berichtet länger über den nicht existenten Bruder von Ralf Wohlleben.
Dann dieser Dialog:
Klemke: Wie war denn Ihre Haltung zu Ausländern?
M: Gar nicht. Es gab ja kein Problem in Jena mit Ausländern, die Stadt hat das ja gut in den Griff bekommen, dass man die nicht so gesehen hat.
Erklärung Klemke: Zeugen kein Wort glauben!
Erklärung RA Bernd Max Behnke (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut): Zeuge hat immer noch Angst.

(Alf Meier, BR)
Schluss für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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