219. Verhandlungstag, 20.07.2015 Die Eskapaden der Beate Z.
Eigentlich geht es im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München ja um eine beispiellose Mord- und Terrorserie, bei der zehn Menschen ums Leben gekommen und Dutzende verletzt worden sind. Doch der Verhandlungsgegenstand gerät angesichts der Eskapaden rund um Beate Zschäpes Verteidigung immer mehr in den Hintergrund.
20. Juli
Montag, 20. Juli 2015
Die unausgesprochene Prozessstrategie von Zschäpes Verteidigung war es von Anfang an, die Hauptangeklagte als Unschuldslamm hinzustellen, bestenfalls als Mitläuferin, die von den Mordtaten ihrer beiden Uwes, sollte es die überhaupt gegeben haben, nichts mitbekommen hat. Doch die Art und Weise, wie es Zschäpe derzeit schafft, den Lauf des Prozesses mitzubestimmen, spricht dieser Strategie Hohn.
Seit Monaten geht es im und um den Prozess vornehmlich um Zschäpes angeblich angeschlagene Psyche, um ihr mangelndes Vertrauen in ihre Pflichtverteidiger, um ihren neuen Verteidiger, den sie zu sich in die Zelle kommen lässt, usw. Da werden Verhandlungswochen verkürzt, wird stundenlang über ihre Anträge debattiert, wird ihr sogar - was höchst außergewöhnlich ist - ein vierter Verteidiger zugestanden und deshalb die Verhandlung nochmals ausgesetzt, damit der sich einarbeiten kann.
Antrag auf Stühle rücken
Und heute ließ Zschäpe gar - mitten in der Aufregung um ihre drei Pflichtverteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer, die vom Zschäpe-Mandat entbunden werden wollten - einen Antrag ihres neuen Anwalts verlesen. Darin forderte Zschäpe, die Sitzordnung auf der Anklagebank zu verändern, damit sie in Zukunft am äußersten Rand des Tisches Platz nehmen könne, weit weg vom Publikum und vom gerichtlichen Gutachter, mit dem sie jedes Gespräch verweigert. Das Publikum quittierte den Antrag mit Unverständnis und Gelächter. Bundesanwalt Jochen Weingarten zeigte sich gar fassungslos darüber, dass "wir uns als erwachsene Menschen mit so etwas befassen müssen".
Mit Schweigen den Prozess prägen
Recht hat er. Denn eigentlich geht es beim NSU-Prozess doch um etwas ganz anderes: um Zschäpes Schuld und die Schuld der anderen vier Angeklagten, die ohnehin immer mehr aus dem Blickfeld geraten, obwohl sich einige von ihnen wegen schwerster Verbrechen wie Beihilfe zum Mord verantworten müssen. Und es geht um das Leid, das die Terrortruppe NSU verursacht hat, um die Angehörigen der Opfer, die immer noch hoffen zu erfahren, warum ausgerechnet ihre Söhne, Väter und Ehemänner von den Neonazi-Mördern hingerichtet wurden. Dass Zschäpe schweigt, ist ihr gutes Recht und es ist ja auch durchaus faszinierend zu beobachten, wie sehr sie trotz des Schweigens den Prozess prägt. Andererseits drängt sich dem Beobachter der Eindruck auf, dass das Oberlandesgericht langsam aufpassen muss, den Eskapaden der Hauptangeklagten nicht zu viel Raum zu geben. Es geht nicht nur um Zschäpe. Und vor allem geht es im NSU-Prozess nicht um Zschäpes Befindlichkeiten. Es geht um Mord aus niedersten Beweggründen. Es geht um Mord aus Rassismus.