330. Verhandlungstag, 14.12.2016 Beweisaufnahme neigt sich dem Ende zu
Dass sich die Beweisaufnahme im NSU-Prozess dem Ende zuneigt, merkt man daran, dass die Zahl der Themen immer geringer wird. Zuletzt beschäftigte sich das Oberlandesgericht wochenlang mit einer Holzhütte.
14. Dezember
Mittwoch, 14. Dezember 2016
Genauer gesagt geht es um eine Holzhütte an einer Trambahnendhaltestelle in Jena-Winzerla – und das Ganze war genauso spannend wie es sich anhört. Weitaus interessanter dagegen das aktuelle Thema: Das mutmaßliche Ausspionieren der Berliner Synagoge an der Rykestraße durch den NSU. Insbesondere der zum Gotteshaus gehörige Friedhof war immer wieder Ziel antisemitischer Anschläge, die bis heute ungeklärt sind. Und die emsigen Recherchen eines Nebenklage-Anwalts sowie die Zeugenaussage eines früheren Wachmanns legen nahe, dass der NSU die Synagoge im Jahr 2000 ausgekundschaftet hat. Und – was für den Prozess besonders relevant ist – dass Beate Zschäpe mit dabei war.
Zeugen mit vielen Erinnerungslücken
Allerdings verdeutlichte der heutige Prozesstag einmal mehr, an was der Prozess seit Anbeginn krankt und warum der NSU-Komplex auch vom Münchner Oberlandesgericht nicht restlos aufgeklärt werden wird. Da sind zum einen Zeugen mit auffälligen Erinnerungslücken – insbesondere solche aus der Neonaziszene. So trat heute eine aus Sachsen stammende Krankenschwester auf, die sich selbst als völlig unpolitisch und unwissend präsentierte (den Namen Zschäpe kenne sie nur aus der Zeitung) und selbstredend mit Rechtsextremen niemals etwas zu tun gehabt haben will. Und das obwohl ihre Zwillingsschwester zeitweise mit den obersten Köpfen der militanten deutschen Neonaziszene liiert war und mit dem Deutschland-Chef des verbotenen Netzwerks Blood and Honour sogar zwei Kinder hat. Selbst als der Senat Fotos zeigte, die die Zeugin mit einem mutmaßlichen Kontakt-Mann des NSU zeigen, konnte sie sich an nichts erinnern.
Landesamt hüllt sich in Schweigen
Die Fotos wiederum stammen vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Der hat besagten Kontaktmann des NSU nämlich im Frühjahr 2000 überwacht, fotografiert, seine Telefonate mitgehört. Von den zur Fahndung ausgeschriebenen Jenaer Bombenbastlern Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, mit denen der Überwachte in diesem Zeitraum an mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Verbindung stand, will der Geheimdienst trotzdem nichts mitbekommen haben. Und auch heute, 16 Jahre später, hüllt sich das sächsische Landesamt weitgehend in Schweigen. Es schickte nur die Fotos nach München und machte ansonsten keine weiteren Angaben zur Sache, was eine Nebenklagevertreterin zu der Frage veranlasste: „Gibt es die Akten von damals nicht mehr oder haben sie nicht alles mitgeteilt, was sich aus den Akten ergibt?“
Opferanwalt beschwert sich
Auch das Verhalten der Bundesanwaltschaft wirft Frage auf. Man habe im Vorfeld keinerlei Information über die Zeugin erhalten, monierte heute ein Opferanwalt. Deshalb habe man sie auch gar nicht anständig vernehmen können. So verstärkt sich zum Ende der Beweisaufnahme die traurige Gewissheit, dass der NSU-Prozess vieles nicht beleuchten wird, wohl auch vieles gar nicht beleuchten kann. Wie groß war der NSU tatsächlich? Wie sehr war die Neonaziszene darin verstrickt? Wie sehr der Staat? Welche Rolle spielten die Behörden, insbesondere die Geheimdienste und ihre V-Männer?
Hoffen auf Prozessende
Er werde über die kommenden Feiertage zu allen Göttern beten, dass der Prozess 2017 endlich zu ende gehen wird, so ein Opferanwalt heute am Rande des Prozesses. Die Angehörigen der NSU-Opfer haben die Hoffnung längst fahren gelassen. Der Münchner Prozess wird ihre Erwartungen nicht erfüllen, ihre Fragen nicht beantworten.