NSU-Prozess


6

356. Verhandlungstag, 5.4.2017 Die Frage der Schuldfähigkeit

Es scheint fast so, als ginge es den Verteidigern von Beate Zschäpe, Hermann Borchert und Mathias Grasel, nur noch darum, die Höhe einer zu erwartenden Strafe zu mildern - eine gefährliche Taktik.

Von: Julian von Löwis

Stand: 05.04.2017 | Archiv

Julian von Löwis | Bild: BR

05 April

Mittwoch, 05. April 2017

Ein eigenes psychiatrisches Gutachten aufzustellen ist im Strafprozess keine Besonderheit. Ein Gutachten allerdings, das in einem wesentlichen Punkt vollständiger ist als das offizielle Gutachten des Gerichts, das war ein cleverer Schachzug von Zschäpes neuen Verteidigern. Wie und wann die Erkenntnisse daraus im NSU-Verfahren vor der Münchner Oberlandesgericht eingebracht werden, ist allerdings noch offen.

Zschäpes Wunsch-Psychater

„9.30 Uhr, Prof. Dr. B.“ – so stand es auf der Zeugenladungsliste des Oberlandesgerichts für diese Woche Donnerstag. Gemeint ist damit der Freiburger Psychiater Joachim Bauer, der Beate Zschäpe vor kurzem in der JVA besucht und mit ihr zwölf Stunden lang gesprochen hat. Darin ist er offenbar zur Erkenntnis gelangt, dass bei Zschäpe zu den jeweiligen Tatzeitpunkten eine schwere Persönlichkeitsstörung vorgelegen habe, und ihre Schuldfähigkeit damit zumindest eingeschränkt wäre. So ließ es Zschäpes Verteidigung anklingen.

Zeuge oder Sachverständiger?

Das „B.“ auf der Ladungsliste steht dabei bezeichnend für den Knackpunkt in der Angelegenheit: Das Gericht will Bauer nur als Zeugen laden und deren Identität darf nicht offiziell genannt werden, also „B.“. Zschäpes Anwalt Mathias Grasel hat dagegen beantragt, Bauer als Sachverständigen zu hören. Das Dilemma: Für den Fall, dass er nur als Zeuge erscheint, entbindet Zschäpe den Psychiater nicht von seiner ärztlichen Schweigepflicht. Aus Sicht des Senats genügt es aber, Bauer als Zeugen zu hören und den bereits bestellten Sachverständigen Prof. Henning Saß den Inhalt dieser Aussage dann in sein Gutachten einfließen zu lassen.

Zschäpe wurde darin bereits die volle Schuldfähigkeit bescheinigt. Mit Saß hatte die Angeklagte allerdings jegliche Zusammenarbeit verweigert. Sein Gutachten stützt sich auf die Aktenlage und die Beobachtungen im Prozess, wie z.B. Zeugenaussagen aus Zschäpes damaligem Umfeld oder ihre eigenen Einlassungen. Sind also die Einschätzungen von Bauer überlegen?

Zschäpe will die Kontrolle

Beate Zschäpe könne nicht durch Verweigerung einer Untersuchung einen anderen Sachverständigen erzwingen, argumentierte heute Bundesanwältin Anette Greger. Und damit trifft sie genau ins Schwarze. Nur weil sich Zschäpe von ihrem Wunsch-Psychiater hat befragen lassen, heißt es nicht, dass die Einschätzungen des renommierten Forensikers Saß plötzlich wertlos wären. Saß hat Zschäpe an den meisten der 356 Verhandlungstagen gegenüber gesessen und nichts anderes getan als auf ihr gesamtes Verhalten zu achten, es regelrecht zu studieren.

Sicher, ein persönliches Gespräch hätte geholfen, doch wäre es wissenschaftlich nicht möglich, ein Gutachten ohne Mitwirken eines Angeklagten aufzustellen - es wäre für jeden, der auf der Anklagebank sitzt, ein Leichtes, sich einer psychologischen Einschätzung zu entziehen.

Ein finaler Schwachpunkt

Für die Argumentation von Zschäpes Verteidigern kommt erschwerend hinzu: Bauer ist zwar Psychiater, aber kein Fachmann für Forensik wie Saß. Das Gericht bestellt einen Gutachter, um sich von seiner Expertise beraten zu lassen. Dabei wählt es denjenigen, dessen Fachkenntnisse am geeignetsten sind. Und das wird wohl auch im NSU-Prozess so bleiben – ungeachtet dessen, ob die Angeklagte mit dem Gutachter sprechen möchte oder nicht.


6