174. Tag im NSU-Prozess Tief im braunen Sumpf
Bereits zum zweiten Mal musste ein ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes Brandenburg im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht in den Zeugenstand. Seine Aussage wirft kein gutes Licht auf den Staatsschutz. Von Oliver Bendixen.
Er hatte vor Jahren seinem Führungsbeamten berichtet, dass drei Skinheads in den Untergrund abtauchen wollten. Vor allem für die Anwälte, die in dem Verfahren die Familien der NSU-Opfer vertreten, war dies ein klarer Hinweis auf Beate Zschäpe und die beiden Uwes. Klarheit brachte der 174. Verhandlungstag da nicht, wohl aber einige Erkenntnisse über die Aktivitäten des Verfassungsschutzes in der rechten Szene.
Ein Leben als Neonazi - vom Verfassungsschutz finanziert
Vier Stunden dauerte heute die Vernehmung des ehemaligen Verfassungsschutz-V-Mannes mit Decknamen „Piatto“, der jahrelang für die Behörden in Brandenburg die rechte Szene in den neuen Bundesländen ausgespäht hatte. Dann kam Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der den Zeugen immer wieder mit Fragen bombardiert hatte, zu einem ernüchternden Schluss. Es sei - so sagte er in einer Erklärung am Ende des heutigen Verhandlungstages – unfassbar, wie ein ausgemachter Neonazi jahrelang unter den Augen des Verfassungsschutzes habe seine rechte Gesinnung ausleben und sich sogar an Gewalttaten beteiligen können.
Das Geld für seine Spitzeldienste habe „Piatto“ dazu ein Leben in der rechten Szene erst ermöglicht. Selbst die Infobriefe , die er für die Neonaziszene und Hardcore-Gruppen wie „Blood and Honour“ herausgab, habe der Verfassungsschutz vor der Veröffentlichung erst einmal gelesen. Für den Anwalt, der mehrere Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, ist dies ein Beleg dafür, wie die Verfassungsschutzbehörden selbst in der Neonazi-Szene mitgemischt hätten. In einem Milieu, in dem Vernichtungsstrategien für Ausländer diskutiert wurden, und in dem nach Einschätzung des Nebenklageanwalts die untergetauchten NSU-Aktivisten kräftig unterstützt wurden. Ohne diese Szene hätte es auch die Verbrechen der rechten Terroristen nicht gegeben.
Verteidigung will Sachsens rechte Szene in den Zeugenstand holen
Mit einem ganzen Paket von Beweisanträgen schloss dann die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben den 174. Tag im NSU-Prozess ab. Geht es nach dem Willen seiner Anwälte und stimmt das Gericht dem zu – dann muss demnächst die vorderste Front vor allem der sächsischen Neonazis in München als Zeugen aussagen. Sie könnten belegen, dass Wohlleben keineswegs die Führungsfigur der rechten Szene war, wie ihn die Bundesanwaltschaft sieht. So lautet zumindest die Argumentation seiner Anwälte. Mit den Anträgen wird sich der Senat nun an den kommenden prozessfreien Tagen bis zum nächsten Dienstag beschäftigen. Dass die Bundesanwaltschaft für die Anhörung ganzer Kohorten von Neonazis keinen Anlass sieht, steht zu erwarten.