331. Verhandlungstag, 20.12.2016 Zschäpe-Gutachter mit Spannung erwartet
Im NSU-Prozess will das Gericht heute mit der Befragung des psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß zum Gutachten über Beate Zschäpe beginnen - wenn die Verteidigung der Hauptangeklagten nicht versucht, dies per Anträge in das nächste Jahr zu verschieben. Das Gutachten ist von großer Bedeutung im Verfahren, in dem die Beweisaufnahme kurz vor ihrem Ende steht.
Wer ist Beate Zschäpe? Die Frau, die seit über dreieinhalb Jahren im Zentrum des NSU-Prozesses steht, gibt nach wie vor Rätsel auf, denn sie verrät wenig über sich. Nur ein einziges Mal äußerte sie sich persönlich, ansonsten ließ sie ihre Anwälte lange vorbereitete Aussagen verlesen. Wie diese Einlassungen einzuordnen sind und vor allem in welchem Maße Zschäpe schuldfähig ist, soll nun ein psychiatrisches Gutachten klären. Zschäpe weigerte sich zwar, mit Saß zu sprechen, das hindere den Gutachter aber nicht an einer Einschätzung, so Andrea Titz, Sprecherin des Oberlandesgerichts (OLG) München.
"Der Sachverständige war ja während des größten Teils der langjährigen Verhandlungen nun anwesend und hat sich daraus ein Bild gemacht. Der Sachverständige kann auch bestimmte Äußerungen, die die Angeklagte in der Verhandlung gemacht hat, und bestimmtes Verhalten, das sie an den Tag gelegt hat, in sein Gutachten einfließen lassen."
OLG-Sprecherin Andrea Titz
Es geht um Zschäpes Glaubwürdigkeit
Die Präsentation des psychiatrischen Gutachtens wird mit Spannung erwartet, kann sich aber im Laufe der Verhandlung weiter verzögern. Die Verteidigung von Zschäpe hat sich viele Wochen auf diesen Tag vorbereitet - möglich, dass sie das Gutachten angreift. Denn es geht für Zschäpe um viel - auch darum, ob ihre Aussagen, die sie von ihren Anwälten verlesen ließ, glaubwürdig erscheinen oder nicht, erklärt Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke.
"Was allerdings sich andeutet, ist, dass der Gutachter auch Hinweise darauf gibt, dass die Darstellung, die die Frau Zschäpe gegeben hat, nicht sehr nachvollziehbar ist. Das entspricht auch wohl der Beobachtung der meisten Prozessbeobachter."
Nebenklageanwalt Eberhard Reinecke
Reinecke vertritt mehrere Opfer, die beim Nagelbombenanschlag auf die Kölner Keupstraße schwer verletzt worden waren. Von diesem Bombenattentat hat Zschäpe laut eigener Aussage erst im Nachhinein erfahren, genau wie von den Morden an neun Migranten und an einer Polizistin. Sie schilderte sich selbst als Mitläuferin - emotional abhängig von ihren beiden Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Anklage sieht Zschäpe dagegen als gleichberechtigtes Mitglied einer Terrorgruppe und als Mittäterin. Viele Zeugenaussagen stützen diese These, so Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler, der mehrere Opferfamilien vertritt.
Nebenklage: "Ich kaufe ihr das nicht ab"
"Wir haben Zeugenaussagen, die sie als Person beschreiben, die mittendrin war, die eine überzeugte Nationalsozialistin war, die in einer männerdominierten Welt der Nazis ihr Wort erhob. Das ist eine starke Persönlichkeit und diese Persönlichkeit, die wir da sehen, passt nicht zu der Persönlichkeit, die sie über sich beschreiben lässt. Das passt einfach nicht. Ich kaufe ihr das nicht ab."
Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler
Anschließende Sicherungsverwahrung droht
Ob der psychiatrische Sachverständige ihr "das abkauft" oder nicht, wird für Zschäpe zur entscheiden Frage. Sieht der Gutachter keine Mitläuferin, sondern eine Mittäterin, droht ihr die Verurteilung wegen Mordes mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und möglicherweise sogar die Anordnung der anschließenden Sicherungsverwahrung. Das würde bedeuten, Zschäpe käme frühestens nach 20 oder mehr Jahren wieder aus dem Gefängnis - wenn überhaupt.
"Es ist schon ein bisschen Ironie der Geschichte, dass auf Beate Zschäpe jetzt quasi Recht angewandt werden soll, das die Nazis 1938 eingeführt haben mit der Sicherungsverwahrung. Ich bin auch ein erklärter Gegner davon, aber gut, es muss jetzt nun mal geklärt werden ob von Frau Zschäpe eine Gefährlichkeit ausgeht oder nicht. Liegen die Voraussetzungen vor? Das ist alles ziemlich kompliziert mit dem Recht der Sicherungsverwahrung. Ich würde die Prognose wagen, dass das am Ende keine große Rolle spielen wird."
Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer
Doch Prognosen sind in diesem bereits mehr als drei Jahre dauernden Mammutverfahren schwierig. So ist noch nicht absehbar, wann die Beweisaufnahme endgültig abgeschlossen sein wird. Es könnte Wochen, aber auch noch Monate dauern.