Wieder Befangenheitsantrag Verteidiger verschleppen Verteidiger-Plädoyers im NSU-Prozess
So voll war der Publikumsbereich im NSU-Verfahren schon lange nicht mehr: Medien- und Zuhörerplätze waren am Dienstagvormittag bis auf den letzten Platz gefüllt. Schließlich stand ein wichtiger Etappenschritt auf dem Programm: Der Beginn der Verteidiger-Plädoyers. Doch die Erwartungen wurden enttäuscht.
Viele Prozessbeobachter hatten schon im Vorfeld befürchtet, dass - trotz der erklärten Absicht des Münchner Oberlandesgerichts - die Schlussvorträge der Verteidiger heute doch nicht beginnen werden. Denn zuletzt hatten insbesondere die Anwälte des mutmaßlichen Mordwaffenbeschaffers Ralf Wohlleben alles daran gesetzt, das Verfahren zu verzögern. So auch heute: Nachdem die Anwälte Wolfram Nahrath, Nicole Schneiders und Olaf Klemke angekündigt hatten, einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat stellen zu wollen, wurde die Verhandlung mittags unterbrochen. Erst morgen geht es weiter.
Die Wohlleben-Verteidiger hatten zuletzt mehrere Beweisanträge eingebracht, und das obwohl die Beweisaufnahme im NSU-Prozess eigentlich schon seit vergangenem Sommer abgeschlossen ist. Seitdem braucht man schon einen besonders guten Grund, damit ein erneuter Antrag überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.
Der nächste Beweisantrag
Dass die Wohlleben-Verteidiger bei ihrer Verzögerungsabsicht bleiben wollen, zeigte sich schon zu Beginn des heutigen Prozesstages: Obwohl der Strafsenat seinen Beschluss über einen anderen, bereits vor zwei Wochen gestellten Wohlleben-Antrag noch gar nicht verkündet hatte, brachten die Verteidiger des 43-Jährigen gleich zu Sitzungsbeginn einen erneuten Antrag ein. Auch diesmal ging es wieder darum, nahezulegen, dass eventuell auch ein anderes früheres Mitglied der Thüringer Neonaziszene die Pistole Česká 83 geliefert haben könnte, mit der der NSU neun Migranten ermordete.
Nach einer kurzen Unterbrechung machte der Strafsenat unter seinem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl indes deutlich, dass ihm langsam der Geduldsfaden reißt: Er lehnte nicht nur den früheren Beweisantrag Wohllebens ab, sondern überraschend auch gleich noch den erst heute gestellten und er begründete dies umfassend und detailliert - wohl, um in Zukunft auf diese Grundsatzbeschlüsse verweisen und damit schneller gleichlautende Anträge ablehnen zu können.
Richter: "Verschleppungsabsicht" der Wohlleben-Anwälte
Zugleich bescheinigte der Senat den Wohlleben-Verteidigern unmissverständlich, ihnen gehe es um nichts anderes als eine Verzögerung des Prozesses: "Die Antragsteller waren sich bewusst, dass die Anträge nichts sachdienliches ergeben würden", so Richter Götzl. "Sie haben ihre Anträge ausschließlich in Verschleppungsabsicht gestellt."
Allerdings hatten die Anwälte mit dieser Taktik zumindest heute erneut Erfolg. Die geplanten Plädoyers wurden heute nicht gehalten. Stattdessen kündigten die Wohlleben-Verteidiger an, einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat stellen zu wollen, wofür sie bis morgen Vormittag Zeit bräuchten. Damit ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die Schlussvorträge der Verteidiger noch diese Woche beginnen werden.
Zschäpes Alt-Verteidiger müssen weiterverteidigen
Erwartungsgemäß hat das Oberlandesgericht heute auch einen erneuten Antrag der Alt-Verteidiger der Hauptangeklagten, sie von ihrem Mandat zu entbinden, abgelehnt. Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer werden Beate Zschäpe auch weiterhin verteidigen müssen, obwohl diese seit Jahren kein Wort mehr mit ihnen wechselt. Damit will das Oberlandesgericht gewährleisten, dass die Rechte der Angeklagten gewahrt bleiben. Denn Zschäpes neuer Wunschverteidiger Matthias Grasel ist erst seit dem 215. Verhandlungstag dabei, hat also die Hälfte des Mammutprozesses nicht mitgemacht.