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Selbstjustiz Wie Brüder den Mord an der Schwester rächen wollten

Nasko (Name geändert) und seine Brüder waren nah dran, Blutrache zu verüben – Rache für den Mord an der Schwester. Der Fall zeigt: Es gibt Selbstjustiz in Bayern. Wie weit ist sie verbreitet?

Von: Joseph Röhmel

Stand: 30.01.2016 | Archiv

An der Justiz vorbei: Wie Brüder den Mord an der Schwester rächen wollten

"Ist verdammt schwer der Abschied, ist verdammt schwer", textet Rapper Jeton (Name geändert) in seinem Song "Abschied". Er hat den Song seiner Tante Lara (Name geändert) gewidmet. Es war seine Art, ihren tragischen Tod zu verarbeiten - eine Geschichte, die auch von Wut berichtet. Es war die Wut einer ganzen Familie - von Nasko und seinen Brüdern, die Blutrache schworen, als sie vom Tod ihrer Schwester erfuhren. Lara wurde vom alkoholsüchtigen Ehemann erstochen. Danach richtete sich dieser selbst.     

"Als wir das erfahren haben, war mein erster Gedanke Rache - seine Schwester und seinen Bruder umzubringen."

Nasko

Der Bruder des Mörders habe Lara dazu überredet, bei ihrem Ehemann zu bleiben, sagen Nasko und seine Brüder. Diesen Fehler würden sie ihm nie verzeihen.

Der Vater als Schlichter

Der Vater hat die Brüder wieder zu Verstand gebracht. Sie sollten doch an die eigenen Familien denken und an ihr Gewissen, sagte er. Sie haben schließlich auf ihn gehört.

Heute, einige Jahre später, sind Nasko und die anderen erleichtert. Trotzdem: Was der Fall zeigt: Es gibt sie – die sogenannte Paralleljustiz. Jenseits von Gesetz und Ordnung oder einfach dem deutschen Justizsystem nehmen Menschen das Recht in ihre eigene Hand. Sie sind Teil von Clans, abgeriegelt vom Rest der Gesellschaft.

Die Täter erpressen Schutzgeld, erzwingen Falschaussagen. Opfer ziehen Anzeigen zurück. Nach den kulturellen Vorstellungen mancher Zuwanderer aus dem arabischen Raum, aber auch bei Sinti und Roma, sind viele dieser Fälle schlicht eine "Familienangelegenheit", die den Staat nichts angeht.

"Wir hatten an verschiedenen Stellen Fälle, wo wir in aller Regel sagen können, es ist nicht die Religion, die den Ausschlag gibt. Es ist auch nicht der ethnische Hintergrund. Es sind altverwurzelte, kulturelle Vorstellungen und Verhaltensweisen in Verbindung mit einer Lebensführung - ganz weit weg von der deutschen Mehrheitsgesellschaft."

Professor Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist von der Universität Erlangen-Nürnberg        

Das "andere Blut" in den Adern

Der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe hat im letzten Jahr für eine Studie Strukturen in einigen Berliner Stadtteilen untersucht. Das Ergebnis: Immer mehr Clans dominieren die Paralleljustiz. Unklar ist, wie häufig dieses Phänomen in Bayern vorkommt. Allerdings sei die Frage, kaum zu beantworten, sagt Rohe. Paralleljustiz sei ein Dunkelphänomen.

Einzelfälle gibt es, wie die Geschichte von Nasko und seinen Brüdern zeigt.

"Das ist vielleicht bei euch Deutsche, dass man sagt, das ist erledigt. Aber bei uns, das sind vielleicht andere Gedanken, andere Blut haben wir in den Adern."

Nasko      

"Oma weint, Großvater schreit"

Letztlich hat jeder die Trauer anders verarbeitet. Am eindrucksvollsten wohl Jeton mit seinem Song. Der Text ist ein Beleg für die innere Zerrissenheit der Brüder.  

"Oma weint, Großvater schreit und dein jüngster Bruder im Ausland hält die Bomben bereit. Du siehst aus, als wenn du ruhig schläfst. Ich kann es immer noch nicht glauben, es tut so weh."

Auszug aus dem Song Abschied   

Zahlen fehlen im Dunkelfeld

Ehre, Blutrache, Mord: Das bayerische Justizministerium kann keine Zahlen nennen, wie häufig Paralleljustiz im Freistaat vorkommt. Justizminister Winfried Bausback findet: Es geht es auch nicht darum zu erheben, wie viele Fälle es in Bayern überhaupt gibt. Er will verhindern, dass sich Paralleljustiz im Freistaat überhaupt festsetzt:  

"Paralleljustiz ist sicherlich mehr ein Thema in den großstädtischen Lagen von Köln und Berlin als in Nürnberg und München. Trotzdem: Der Rechtsstaat muss präsent sein, muss stark sein. Deshalb machen wir uns hier auf den Weg."

Justizminister Winfried Bausback

Die Staatsregierung sieht sich ganz offensichtlich als ein Vorreiter, wenn es um den Kampf gegen die Paralleljustiz geht. Bausback spricht nicht ohne Stolz darüber, dass die Staatsregierung sich um die Einsetzung einer länderübergreifenden Expertengruppe bemüht hat.

Die Arbeitsgruppe hat ein Papier entwickelt, was für Staatsanwaltschaften und Gerichte in ganz Deutschland als Grundlage dienen kann. Auf diese Weise sollen Richter und Staatsanwälte sensibilisiert werden, damit sie in der Lage sind, Formen der Paralleljustiz zu erkennen.

Bausback spricht auch über die aktuelle Flüchtlingskrise. Diese schürt ganz offensichtlich die Angst, dass sich Paralelljustiz großflächig ausbreiten könnte: Viele Menschen würden die Grundsätze des deutschen Rechtstaates nicht kennen, ist der Justizminister überzeugt. Eine mögliche Lösung: Rechtskurse. Die bieten bis zum Frühjahr mehr als 800 Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger in Flüchtlingsunterkünften an. Die "Lehrer" haben sich freiwillig gemeldet. Es ist ihr Beitrag, um Phänomene abseits von Recht und Ordnung zu verhindern.  


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