Pflegereform Was ändert sich im neuen Jahr?
Zum Jahreswechsel tritt eine umfassende Pflegereform in Kraft. Die bisherigen drei Pflegestufen sind dann Geschichte: Ab 1. Januar werden die Bedürftigkeit und der individuelle Hilfebedarf in fünf "Pflegegrade" eingeteilt. Neu dabei ist, dass auch Menschen mit geistigen und psychischen Einschränkungen in die Leistungen der Kassen einbezogen sind.
Erik Säger wird mit 44 Jahren zum Pflegefall. Seitdem ist der Münchner ständig auf Unterstützung angewiesen. Tagsüber betreut ihn die Stiftung Pfennigparade. Dann kümmert sich nach der Arbeit Ehefrau Sandra um ihn. Erik Säger wurde vom medizinischen Dienst heruntergestuft, von Pflegestufe 3 auf 2. Er sei mobiler und kognitiv besser geworden, hieß es. Der Pflegeaufwand für seine Frau ist aber gleich geblieben. Jetzt fehlt ihr das Geld. Den morgendlichen Pflegedienst musste sie schon streichen.
Kein Einzelfall
Ute Sonnleitner von der Fachstelle für pflegende Angehörige des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes berät Betroffene wie Sandra Säger. Sie sagt: Die Sägers sind kein Einzelfall.
"Wir haben den Eindruck, dass es jetzt vermehrt zu Rückstufungen kommt oder dass Einstufungsanträge abgelehnt werden. Wir raten dazu, wenn Bedarf besteht, auf jeden Fall noch eine Pflegestufe zu beantragen und dann auch wirklich in den Widerspruch zu gehen und sich nicht entmutigen zu lassen, wenn der Antrag beim ersten Mal abgelehnt wird."
Ute Sonnleitner
Fünf Milliardon Euro Kosten
Die Pflegereform kostet Geld, pro Jahr etwa fünf Milliarden Euro mehr. Doch wem bringt sie Vorteile? Die Beurteilung durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherungen richtet sich nach sechs Kriterien:
- Mobilität
- kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens
Das Neue: Bisher zählten körperliche Einschränkungen und der Hilfebedarf in Minuten. Künftig fließen auch geistige und psychische Handicaps in die Bewertung ein. Diese richtet sich dann nicht nach dem Zeitaufwand, sondern danach, wie stark die Selbstständigkeit beeinträchtigt ist.
Vor allem Menschen mit Demenz bringt die Reform eine Verbesserung. Für Pflegeexperte Kristjan Diehl ist das der große Vorteil der Pflegereform. Es gibt allerdings auch Konstellationen, unter denen Betroffene ab 2017 schlechter gestellt werden, etwa bei der Ersteinstufung. Deshalb solle man in diesem Jahr noch den Antrag stellen.
Jeder, der bereits jetzt eine Pflegestufe hat, genießt Bestandsschutz. Betroffenen mit dem höchsten Pflegegrad stehen 2017 sogar ein etwas höherer Betrag zu. Im Gegensatz zu Betroffenen in niedrigeren Pflegegraden. Ihnen könnte die Reform Nachteile bringen.
Grundproblem bleibt bestehen
Was bringt also das neue Gesetz? Es bringt zum Teil mehr Geld, gerade in der häuslichen Pflege. Doch für Pflegeexperte Claus Fussek bleibt auch nach der Reform das Grundproblem bestehen:
"Gesetze pflegen keine Menschen. Es fehlen die Pflegekräfte in der häuslichen wie stationären Pflege, die das umsetzen. Es wird weiter unter Zeitdruck gepflegt und damit bleiben wir im Prinzip auch bei der Minutenpflege, auch wenn die heute nicht mehr so heißt. Aus der Sicht der pflegebedürftigen Menschen hat sich, zumindest in den Heimen, wenig geändert."
Claus Fussek
Auch für Erik Säger wird sich mit der Pflegereform nichts verbessern. Die Leistungsansprüche wurden durch die Abstufung ihres Mannes herabgesetzt. Dagegen hat Sandra Säger jetzt Widerspruch eingelegt. Wird dem Widerspruch Recht gegeben, können die Sägers im kommenden Jahr auf mehr Geld hoffen. Wenn nicht, gehen sie bei der Pflegereform leer aus - wie andere auch.
Nützliche Infos
Fünf-Punkte-Check Pflegereform 2017 von der Deutschen Stiftung Patientenschutz
Stiftung Warentest zur Pflegeversicherung
Pflege-Antrag von der Verbraucherzentrale Bayern
Bundesministeriums für Gesundheit
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wm, Samstag, 03.Dezember 2016, 09:39 Uhr
2. Fünf Milliarden Mehrkosten......
Im Vergleich zu den steigenden Flüchtlingskosten sind die 6 Milliarden Mehrkosten in der Pflege eher Peanuts!
R.B., Freitag, 02.Dezember 2016, 12:35 Uhr
1. Pflegereform
Wie auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens wird der Bürger mit immer höheren Eigenanteilen belegt. Gute Medizin ist kostspielig, dass ist richtig. Aber mit mehr Haushaltsdisziplin im Bund könnte man dies verhindern, weil mehr Steuergeld für die wichtigen Bereiche vorhanden wäre. Gleiches gilt z.B. für die Zahnmedizin. Hier wird damit argumentiert, dass die hohen Eigenanteile deshalb notwendig sind, weil es bei den Zähnen um "Schönheitsbehandlungen" geht. Das mag ja für den ein oder anderen zutreffen und der kann es dann ja auch bezahlen. Gerade die Zahn-/Kieferkrankheiten sind auch maßgeblich für viele Krankheiten in Betracht zu ziehen. Was z.B. würde dagegen sprechen, wenn Menschen die ihre Angehörigen pflegen denselben Satz erhalten wie Seniorenheime. Das wäre gerecht. Aber die Politik sichert sich lieber die zukünftigen Posten, in dem sie den Lobbyisten alles recht macht. Man könnte auch von "modernen Raubrittern" sprechen.