Stress im Cockpit - Teil 2 Ein System, das in der Katastrophe enden könnte
Sie setzen sich krank ins Cockpit, übermüdet, verunsichert: In Teil 2 geht es um die Sicherheit in der Luft.
Hunderte Foreneinträge von Piloten im Internet, als glaubhaft eingestufte Schilderungen von Betroffenen gegenüber der Vereinigung Cockpit, Dokumente, Studien, Petitionen: Es kann kein Zweifel bestehen, dass in Europa regelmäßig Piloten Passagiermaschinen fliegen, die keinen Lohn für ihre Arbeit erhalten, sondern dafür zahlen oder mit wenigen hundert Euro Monatsgehalt auskommen müssen.
Beispiele für Pay2Fly-Modelle
Croatia Airlines fliegt in Bayern von München aus Ziele in ganz Europa an. Die Fluggesellschaft zählt zum "Star Alliance"-Verbund und ist damit auch Partner von Airlines wie Lufthansa oder Swiss. Das heißt: Die Partner-Airlines kombinieren ihre Strecken, um die Fluggäste möglichst zu jedem beliebigen Ziel zu bringen. So kann ein bei Lufthansa gebuchter Gabelflug auch mit Croatia Airlines vom Zwischenstopp weiter zum Ziel führen. Croatia geht offen mit dem Thema Pay2Fly um. Ausführlich antwortet die Fluglinie etwa auf die Frage, warum Croatia Pay2Fly anbietet: Das breite Interesse junger Piloten habe den Ausschlag gegeben, das Programm 2014 zu starten. 24 Piloten hätten das "commercial training program" seither durchlaufen, 13 würden derzeit auf dieser Basis beschäftigt - und ja, die jungen Piloten würden dafür bezahlen, schreibt Croatia. Unbeantwortet bleibt nur die Frage, wieviel.
Auch Air Baltic fliegt von München aus diverse Ziele in Europa an, nicht nur im baltischen Raum. Ein Dokument gibt Aufschluss über das "First Officer Qualification Project" für eine Bombardier Dash 8 Q400, eine Turbopropmaschine wie sie für regionale Flüge europaweit im Einsatz ist. Anders als beim klassischen Pay2Fly zahlen die Piloten nicht mehrere zehntausend Euro, um ins Cockpit steigen zu dürfen, sondern erhalten während einer achtmonatigen, "saisonalen Beschäftigtung" ein Minimalgehalt zwischen 370 und 1100 Euro monatlich. In dieser Zeit fliegen sie bereits im regulären Cockpiteinsatz zahlende Passagiere durch die Weltgeschichte. Die Kosten für das Type Rating in Höhe von 27.400 Euro müssen die Piloten selbst zahlen. Im Anschluss können sie auf eine Anstellung für 3140 Euro hoffen. Die schriftliche Nachfrage von BR24 blieb unbeantwortet.
Ein System, das in der Katastrophe enden könnte
Pay2Fly ist aber letztlich nur ein System von vielen, die seit einigen Jahren die gesamte Flugbranche erschüttern. Ein weiterer Auswuchs: Piloten, die als Scheinselbständige arbeiten und nur bezahlt werden, wenn sie auch im Cockpit sitzen - nicht aber, wenn sie krank sind oder Urlaub machen. Von irgendwas aber müssen die gewaltigen Schulden bezahlt werde, die viele Piloten für ihre Ausbildung aufgenommen haben.
Piloten, die krank fliegen, überarbeitet oder übermüdet: Das kann nicht im Sinne der Sicherheit sein. Der Rechercheverbund Future Sky Safety hat im Auftrag der EU-Kommission untersucht, wie es um die Sicherheitskultur in der europäischen Luftfahrt steht. Eine der zentralen Erkenntnisse: Mehr als die Hälfte der über 7.000 befragten Piloten gaben an, das Thema Müdigkeit würde in ihrer Airline nicht ernst genommen. Zu einem ähnlichen Ergebnis war auch bereits die Universität Gent gekommen, die ebenfalls im Auftrag der EU-Kommission erforscht hatte, welche atypischen Beschäftigungsformen es in der Luftfahrt gibt. Damit sind alle Vertragsformen abseits der klassischen Anstellung gemeint, also beispielsweise Leiharbeit, selbständig arbeitende Piloten auf Stundenbasis oder eben auch Pay2Fly. Auch an dieser Studie nahmen fast 7.000 Piloten teil. Viele ihrer Aussagen geben einen Einblick in eine Industrie, die der Ruf nach billig, billiger, noch billiger offenbar an den Abgrund treibt:
"Die Flugindustrie ist eine Schande. (…) Ich schätze, wir werden einfach auf den nächsten großen Unfall warten müssen, damit sich die Dinge ändern. Zum Glück für die Passagiere sind die Auto-Piloten inzwischen so verlässlich, dass die miesen Training-Standards und die Müdigkeit (...) von den tatsächlichen Sicherheitsprotokollen verdeckt werden."
Zitat eines Piloten aus einer Studie der Uni Gent.
"Die Abwärtsspirale muss von der EU gestoppt werden, bevor Passagiere sterben. Menschen begehen Suizid wegen der skandalösen Art, in der sie behandelt werden. (…) Es gibt eine tickende Zeitbombe, wenn es um die Situation vieler Piloten in der EU geht."
Zitat eines Piloten aus der Genter Studie.
"Ich habe mit angesehen, wie die Bedingungen für Piloten über die letzten 15 Jahre in Europa beständig schlechter wurden. Heute werden die jungen Leute von einer Werbeindustrie in den Pilotenberuf gelockt, die Karrieren verspricht, die es so nicht mehr gibt. Die ganze Industrie befindet sich in einer Negativspirale mit stets schlechter werdenden Arbeitsbedingungen, Gehältern, Standards und Kompetenzen. Vor allem weil Low-Cost-Airlines zu günstige Tickets verkaufen (…) Die Konditionen für Piloten werden immer schlechter, weil es viel mehr Piloten als Jobs gibt, und die Fluggesellschaften lieber billige Piloten anheuern anstatt gut ausgebildete oder erfahrene."
Zitat eines Piloten aus der Genter Studie.
Auch dem BR gegenüber haben mehrere Piloten telefonisch geschildert, wie sie unter den Arbeitsbedingungen und unter unsicheren Verträgen leiden. Sie erzählen, wie sie sich krank ins Cockpit setzten oder sich vor Existenzsorgen nicht mehr in der Lage sahen, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, Fehler machten, gar einen Landeanflug abbrechen mussten und durchstarten.
Wer ist verantwortlich?
Die Frage bleibt: Wer hat Schuld an dieser Entwicklung? Die Gesellschaft, weil sie Flugreisen zu absurd niedrigen Preisen fordert? Die Fluglinien, weil sie auf den Ruf nach Billig antworten und gleichzeitig Profit machen wollen? Die Piloten, weil sie sich auf die Bedingungen der Airlines einlassen? Die privaten Flugschulen, die jedem die Pilotenausbildung ermöglichen, solange er dafür bezahlt?
Fakt ist, dass die Luftfahrtbranche in der Krise ist. Fakt ist auch, dass es einen gnandenlosen Wettbewerb um billige Flugtickets gibt. Ryanair hat beispielsweise angekündigt, die Preise weiter zu senken. Maximal 33 Euro soll ein Ticket im Schnitt im Jahr 2025 kosten.
Matthias Meier will weiter für seinen Traum und die Tilgung seiner Schulden kämpfen. Solange er keinen Job im Cockpit hat, wird er weiter als Mitarbeiter des Bodenpersonals einer namhaften Fluglinie arbeiten und parallel dazu Flugstunden sammeln. Er wird weiter Kollegen verzweifeln sehen, die sich auf einen Pay2Fly-Deal eingelassen haben. Und er wird weiter ins Cockpit von Ferienfliegern steigen, die Gedanken bei seinem Kontostand, der Magen knurrend, der Kopf schwer von einer Erkältung.