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Stress im Cockpit Von wegen Traumjob Pilot

Sie setzen sich krank ins Cockpit, übermüdet, verunsichert: So schildern Piloten ihren Alltag. Reine Behauptungen? Oder bittere Wahrheit? BR24 ist auf Spurensuche gegangen und auf eine Branche gestoßen, die der Ruf nach billig an den Abgrund treiben könnte.

Von: Ariane Stürmer

Stand: 23.03.2017 | Archiv |Bildnachweis

Airbus A320 Cockpit | Bild: picture-alliance/dpa

Matthias Meier hat Hunger, als er sich ins Cockpit des Ferienfliegers setzt. Mehrere Kilo hat er bereits verloren - nicht, weil er auf seine Figur achten müsste, sondern weil er sparen muss: an seiner Miete, seinen Versicherungen, seinem Essen. So hat Matthias Meier BR24 seinen Alltag als Pilot geschildert. Er heißt eigentlich anders, hat aber nur unter der Bedingung einem Interview zugestimmt, dass er in keiner Weise identifizierbar ist. Er ist einer von europaweit zwei Piloten, die sich nach wochenlangen Bemühungen überhaupt aus der Deckung gewagt haben. Er sei auch schon krank zur Arbeit gegangen. Egal. Er habe schließlich für den Flug gezahlt, er konnte ihn nicht einfach verfallen lassen.

Piloten zahlen dafür, arbeiten zu können

Richtig gelesen: Der Pilot Matthias Meier behauptet, für den Flug mit dem Jet bezahlt zu haben, den quer durch Europa steuerte. Matthias Meier sagt, er habe sich auf einen Deal eingelassen: Er zahlte einem Vermittler mehrere zehntausend Euro, der Vermittler brachte ihn ins Cockpit einer Airline und Matthias Meier konnte als Erster Offizier Flugerfahrung sammeln. Er brauche die Flugstunden schließlich dringend. Denn im Anschluss an seine Pilotenausbildung habe er bislang keine feste Stelle gefunden.

Matthias Meier hat für seine Ausbildung rund 80.000 Euro bezahlt. Piloten wie er, die sich an einer privaten Flugschule zum Flugzeugführer haben ausbilden lassen, gibt es inzwischen zu Hauf. Freie Stellen im Cockpit sind dagegen rar. Also landen junge Piloten - wenn überhaupt - meist zunächst auf dem rechten Cockpit-Sitz von Low-Cost-Airlines, auch über sogenannte Pay2Fly-Verträge. Die Jungpiloten bezahlen zehntausende Euro, um fliegen zu dürfen und damit Flugerfahrung und den Nachweis über geleistete Flugstunden sammeln zu können. Ihre Hoffnung: Im Anschluss einen regulären Job zu ergattern und ihre Schulden begleichen zu können.

"Das ist Sklaverei. Das hat nichts mit Luftfahrt zu tun. Das ist Mafia. Es gibt keine Regeln, die können verlangen, was sie gerade wollen. 50.000 oder 80.000 Euro."

Matthias Meier, Pilot, über Pay2Fly. Name geändert.

Pay2Fly bedeute auch, dass Airlines viele Kosten auf ihre Piloten abwälzen, die lange Zeit standardmäßig übernommen wurden. Das beginne bei geringen Kosten etwa für das Bordessen oder die Getränke und ende beim teuren Type Rating, sagt James Lee Phillips, Vorstand der Vereinigung Cockpit, der Gewerkschaft der Piloten in Deutschland. Type Rating heißt: Nach der Ausbildung hat ein Pilot einen Pilotenschein, darf also grundsätzlich fliegen. Allerdings funktioniert jedes Flugzeug ein wenig anders, eine Boeing 737 ist nicht mit einer Airbus A320 zu vergleichen. Deswegen erhalten Piloten eine Schulung speziell für den Flugzeugtyp, den sie bei ihrer Airline fliegen sollen - ähnlich der Zahnarzthelferin, die in der neuen Praxis in das Programm zur Patientenverwaltung eingewiesen wird. Nur, dass das Typerating für ein Flugzeug rund 20.000 bis 30.000 Euro kostet und mehrere Stunden dauert.

Viele Fluggesellschaften übernehmen diese Kosten. Einige Billigairlines aber stellen Piloten nur noch unter der Voraussetzung an, dass sie das Type Rating selbst bezahlen - eine Garantie, dass sie anschließend übernommen werden, gibt es nicht.

Start in die Karriere mit 150.000 Euro Schulden

Ausbildung, Type Rating, Erfahrung sammeln - summa summarum bedeute das also für junge Piloten im schlechtesten Fall 80.000 Euro Ausbildungskosten, 30.000 Euro Type-Rating, 40.000 Euro fürs Flugstundensammeln durch Pay2Fly, also 150.000 Euro Schulden, rechnet James Lee Phillips von der Vereinigung Cockpit auf.

Schwierige Nachweise

Die Gewerkschaft sammelt bereits seit längerem Nachweise für die Pay2Fly-Praxis, um sie auch auf europäischer Ebene anzuprangern und Gesetzesänderungen zu erwirken. Doch die meisten Piloten trauen sich nicht, ihre Erfahrungen auch schriftlich zu dokumentieren. "Die Welt der Airlines ist klein in Europa", sagt James Lee Phillips. "Denn durch den Zusammenschluss vieler Airlines sind es letztlich nur eine Handvoll Fluggesellschaften, die den Markt bestimmen." Das heißt: Piloten, die an Pay2Fly-Programmen teilgenommen haben, und dann die Geschäftspraktiken der Fluggesellschaft publik machen, bekommen kaum noch einen Fuß auf den Boden.

Die meisten Airlines distanzieren sich von der Pay2Fly-Praxis und bestreiten auf Anfrage vehement, Piloten über das Pay2Fly-System zu beschäftigen. BR24 liegen zwar mehrere Dokumente vor, die wie Vertragsentwürfe aussehen und auch die Namen von Airlines enthalten, allerdings lässt sich kaum nachweisen, ob diese auch wirklich authentisch sind. Das System funktioniert laut der Vereinigung Cockpit stets nach dem gleichen Muster: Ein weltweites Netz aus Vermittlern bringt Piloten und Airlines zusammen. Die Vermittler schreiben "Trainings" aus, die Piloten zahlen den Vermittlern zehntausende Euro, in der Regel ohne zuvor zu wissen, an welche Fluggesellschaft sie vermittelt werden.







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Raymond, Donnerstag, 23.März 2017, 11:11 Uhr

12. nicht gerade beruhigend ?

das traegt nicht gerade dazu bei als Kunde/Passagier beruhigt zu sein , nach Meinung vieler ist das Flugzeug --das sicherste - aller Reisemoeglichkeiten .....
wollen wir mal hoffen das sich dies nicht aendert.

R.B., Donnerstag, 23.März 2017, 09:56 Uhr

11. beruf Pilot

@Nürnberger, 09:39 Uhr, @jw, 09:19 Uhr: Es geht hier nicht um das Prestige, oder den Verdienst eines Piloten. Es geht um den Erhalt der Berufsfähigkeit und darum ein "Beschäftigungsmodell" zu etablieren, dass man dann durchaus auch auf andere Sparten erweitern könnte. Dies passiert in dem asoziale Subjekte zumindest schon den Arbeitsmarkt der Piloten erfolgreich am umkrempeln sind. Ich möchte solche Zustände nicht haben und es gehört verboten. Als Beispiel: Ärzte müssen dafür bezahlen, dass er Patienten behandeln und/oder operieren darf. Oder ein Handwerker müsste dafür bezahlen, dass er die "Gültigkeit" seines Meisterbriefes verlängert bekommt. Vielleicht wird das eigentliche Problem jetzt klarer.

  • Antwort von Tanja, Donnerstag, 23.März, 11:00 Uhr anzeigen

  • Antwort von R.B., Donnerstag, 23.März, 12:27 Uhr anzeigen

Hermann, Donnerstag, 23.März 2017, 09:46 Uhr

10. Stress?

Stress im Cockpit - früher war es stressiger als heute. Da waren die Piloten noch mehr gefordert als heute, wo die Technik fast alles übernimmt.. Heute wird der Autopilot eingesetzt und der steuert die Maschine von Amerika nach Europa. Früher war das ohne die Technik eine fliegerische Meisterleistung.

Übermüdet? Man sollte man die Flugdienstregelungen ansehen. Da kann einer nicht übermüdet sein, es sei denn, die Herren Piloten vergnügen sich während der Ruhezeiten auswärts in der Disco anstatt zu schlafen. Permanentes Jammern gehört anscheinend in der heutigen Zeit dazu.

  • Antwort von ps_ed, Donnerstag, 23.März, 10:38 Uhr anzeigen

  • Antwort von R.B., Donnerstag, 23.März, 12:44 Uhr anzeigen

  • Antwort von Rumplhanni, Donnerstag, 23.März, 14:23 Uhr anzeigen

  • Antwort von R.B., Donnerstag, 23.März, 15:12 Uhr anzeigen

  • Antwort von Rumplhanni, Donnerstag, 23.März, 18:38 Uhr anzeigen

Nürnberger, Donnerstag, 23.März 2017, 09:39 Uhr

9. wirkliche Wahrheit

Für die echte Wahrheit muss man aber beide Seiten sehen, nicht nur die womöglich gewerkschaftsmotivierte Aussagen der Piloten. Da wäre auch der BR im Sinne einer objektiven Berichterstattung gefordert.
Wer wirklich krank ist, wird nicht fliegen. Wenn einem dagegen ein Furz durch den Bauch geht, ist man bestimmt nicht arbeitsunfähig, obwohl das für manche schon schwer krank ist.
Eines geht auch nicht: Top-Gehälter, der Arbeitgeber zahlt großzügig alles und gleichzeitig zum Niedrigsttarif die Tickets verkaufen, so wie die Kunden das wollen. Also Arbeitgeberleistungen wie früher, Ticketpreise rauf, so dass sich kein Privatmann das leisten kann. Piloten kündigen, weil man dann kaum noch welche braucht.
Wenn Piloten eine Ausbildung auf eigene Kosten machen Auch in anderen Berufen kann man auf eigene Kosten eine Ausbildung machen und sich dann von einem Personalvermittler kostenpflichtig zu einem Arbeitgeber vermitteln lassen. Wer vorher das Geld nicht dazu hattte, hat auch da Schulden

  • Antwort von Zwanghafter, Donnerstag, 23.März, 10:01 Uhr anzeigen

  • Antwort von PS_ED, Donnerstag, 23.März, 10:33 Uhr anzeigen

jw, Donnerstag, 23.März 2017, 09:19 Uhr

8. Gesellschaftlicher Status

Mir hat mal ein aktiver Privatpilot einen guten Gedankenansatz mitgegeben, den ich zumindest für erwähnenswert halte.
Der Status, den ein Verkehrspilot in der Gesellschaft hat, ist vollkommen überbewertet. 2 jährige Ausbildung und ne Musterzulassung, fertig. Sicher das schafft nicht jeder und es sind einige außergewöhnliche Fähigkeiten vonnöten. Das gilt allerdings auch für einen Physik Absolventen. Und der hat länger auf der Schule zu tun. Ich denke das kommt noch aus den Pionierzeiten des Fliegens und ggf. auch aus den Kriegszeiten. So kommt es, dass Leute diesen Beruf wählen, die mit fliegen eigentlich zunächst nichts am Hut hatten. Gerade in Zeiten des narzistischen Selbstdarstellertums, drängt sich der Gedanke schon auf. Daraus folgen viele Piloten und wenig Nachfrage und was das bedeutet, weiß jeder.
Vielleicht erklärt das einwenig, warum vergleichsweise viele in diesen Beruf investieren. Das entschuldigt das Verhalten der Airlines nicht, für 50€ Europa geht aber auch nicht.