Netzwerk gegen Terrorismus Wie Bayern sich gegen Islamisten wappnet
Die Terrorserie von Paris: Inzwischen hat sich der Islamische Staat dazu bekannt. Schon länger stellt sich die Frage, wie man abseits polizeilicher Maßnahmen gegen religiösen Extremismus vorgeht. Bayern installiert gerade ein eigenes Programm - ein erster kleiner Schritt.
Diskussion in Kempten
Kempten Anfang des Jahres im Haus Hochland, ein Restaurant mit einem großen Veranstaltungsraum. Hier haben sich rund 200 Menschen versammelt. Auf einer Bühne diskutieren Vertreter von katholischer und evangelischer Kirche, von Polizei und Moscheeverbänden über eine Frage, die Kempten in Atem hält: Was kann eine Stadt tun, um mit radikalen Muslimen fertig zu werden? Zu diesem Zeitpunkt wird viel über die Islamisten-Szene in Kempten gesprochen – zum Beispiel über David G.. Der junge Mann aus dem Allgäu wurde als Kämpfer des Islamischen Staates in Syrien getötet.
Der Kemptener Muslim Korhan Erdön will auf seine Weise dafür sorgen, dass soetwas nie wieder passiert. Erdön ist ein kräftiger Mann, lächelt freundlich. Er hat die Diskussion organisiert. Auch Muslime in seiner Stadt müssten etwas unternehmen, sagt er. Gleichzeitig fordert er aber Unterstützung im Umgang mit jungen Menschen, die sich radikalisieren.
"Man kann nicht die Moslemgemeinden alleine lassen und sagen, dass nur sie für das Problem zuständig sind. Da müssen die unterschiedlichen Konfessionen, die Stadt und sozialpädagogische Einrichtungen zusammenarbeiten."
Korhan Erdön
Gedrückte Stimmung
Die Stimmung während der Diskussion ist gedrückt. Zufällig fällt die Veranstaltung mit einem Ereignis zusammen, das die Welt erschüttert: Bei einer Terror-Attacke auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo" werden mehrere Menschen getötet.
Einige Monate später herrschen nach den jüngsten Anschlägen von Paris wieder Terror und Trauer in Frankreich – noch schlimmer, sagen viele. Präsident François Hollande hat den Ausnahmezustand ausgerufen.
Die Menschen beschäftigt eine Frage: Könnte so etwas auch in Deutschland passieren? Schon längst wird über Gegenmaßnahmen diskutiert. Ministerpräsident Horst Seehofer zum Beispiel fordert kurz nach den Anschlägen schärfere Sicherheitsmaßnahmen. Innenminister Joachim Herrmann betont weiter, dass es bereits seit den Terrorakten von Paris und Kopenhagen zu Beginn des Jahres ein erhöhtes Anschlagrisiko gebe. "Deshalb haben wir seitdem die Überwachung islamistischer Gefährder noch einmal verstärkt, auch personell", sagt er.
Aber reicht das? Wer denkt an junge Menschen, die verführt werden und ihr ganzes Leben noch vor sich haben? Wer sorgt dafür, dass sie eben nicht irgendwann als Gefährder gelten? Politiker wie Katharina Schulze, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, fordern deshalb neue Wege, sprechen von Prävention und Intervention. Das Problem soll sozusagen an der Wurzel angepackt werden. Das hat auch der Freistaat erkannt. Es geht darum, junge Menschen vor Auswüchsen des Islam zu schützen, dass sie sich davon eben nicht angezogen fühlen.
Auf Augenhöhe
Recherche
Eine mögliche Lösung findet sich in Kempten. Seit der Diskussion hat sich etwas verändert im Leben von Korhan Erdön.
Er arbeitet nun für einen Verein, der gegen religiösen Extremismus vorgeht. Das sogenannte Violence Prevention Network (VPN) ist in ganz Süddeutschland aktiv. Seit 2013 arbeitet VPN mit der Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen. Besorgte Eltern wenden sich über eine Hotline an das Bundesamt. Die VPN-Mitarbeiter kümmern sich dann um verzweifelte Eltern, die nicht weiter wissen, weil das Kind zum Islam konvertiert ist und nicht mehr mit ihnen reden will.
Lange Zeit hat jemand gefehlt, der vor Ort in Bayern mit gefährdeten Jugendlichen zusammenarbeitet. Das ist dank Korhan Erdön nun anders.
Dass ihn VPN wollte, ist kein Zufall. Erdön ist Muslim und damit jemand, den die Jugendlichen erst nehmen. Er bringt das Wissen mit, um den jungen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Muslimische Mitarbeiter seien anfangs ein Türöffner, sagt Geschäftsführer Thomas Mücke. Radikalisierte würden viele Gesprächspartner ablehnen.
"Radikale Ideologie gefährdet Zusammenhalt"
Erdöns Stelle wird derzeit aus Spenden finanziert. Bald könnte es aber auch eine Kooperation mit dem Freistaat geben. Bayern installiert gerade ein eigenes Netzwerk, entwickelt von Innen-, Kultus-, Sozial- und Justizministerium.
Teil davon ist das sogenannte Kompetenzzentrum gegen Salafismus. Das Bayerische Landeskriminalamt baut dieses Zentrum auf, jährlich finanziert mit 400.000 Euro aus dem Polizeihaushalt. Das Zentrum soll mit einem zivilen Träger zusammenarbeiten. Einer der möglichen Kandidaten ist Violence Prevention Network.
"Jugendliche müssen fundamentalistische Versprechungen durchschauen und eigene Argumente dagegen parat haben", teilt das Sozialministerium mit. Es ist zuständig für die Kooperation mit einem weiteren Träger, der präventiv arbeitet: Der Berliner Verein ufuq.de eröffnet derzeit eine Zweigstelle in Augsburg. Von dort sollen zwei Mitarbeiter künftig durch Bayern reisen und unter anderem in Schulen Workshops anbieten, dort mit Jugendlichen über Auswüchse des Islam sprechen.
"Eine radikale Ideologie gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und dafür brauchen wir Partner wie ufuq.de. Denn die setzen genau hier an und arbeiten mit Jugendlichen. Sie unterhalten sich über das Thema, wie wollen wir denn leben. Was sind die Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten?"
Christiane Nischler-Leibl, Ansprechpartnerin vom Sozialministerium für Kooperation mit ufuq.de
Auch woanders in Deutschland, vor allem in Nordrhein-Westfalen, werden derartige Programme, wie sie der Freistaat plant, schon länger praktiziert.
Vielleicht ist das bayerische Netzwerk nur ein erster kleiner Schritt. Allerdings braucht es solche Programme, um Islamisten nicht nur mit restriktiven Maßnahmen zu begegnen. So twittert der Fachblog Erasmus Monitor nach den jüngsten Pariser Anschlägen: "Selbst schärfste Sicherheitsgesetze können professionell geplante und durchgeführte Anschläge nicht verhindern."