Teure Privatschulen Vereinbar mit dem Grundgesetz?
Privatschulen bieten vieles, was staatliche Schulen nicht haben. Immer mehr Eltern sind bereit, dafür viel Geld zu zahlen. Arme Familien dagegen schicken ihre Kinder auf öffentliche Schulen. Eine wissenschaftliche Studie sagt jetzt: Das ist verfassungswidrig.

Verfasst haben die Studie die Professoren Marcel Helbig und Michael Wrase vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Für den Juristen Wrase wird eine wichtige Passage im Grundgesetz missachtet. Demnach dürfen Privatschulen keine Schulgelder erheben, die ärmere Kinder ausschließen.
"Wir haben festgestellt, dass aber genau das stattfindet. Das heißt also, dass die soziale Zusammensetzung, soweit wir die Daten vorliegen haben, an den Privatschulen, dass da eben jetzt hauptsächlich Kinder aus besser gestellten Familien sind. Also genau das, was eigentlich das Grundgesetz nicht möchte."
Professor Michael Wrase, Berlin
Es war eine alte Forderung der deutschen Sozialdemokraten, zwar reformpädagogische Schulen, aber keine Eliteschulen zuzulassen, wie es sie für reiche Familien in anderen Ländern wie Großbritannien oder Belgien gibt. Dafür, dass das Sonderungsverbot des Grundgesetzes eingehalten wird, müssten die Landesbehörden sorgen. Tun sie aber nicht, meint Wrase: Die Gesetze seien sehr uneinheitlich und würden kaum kontrolliert. Von Bundesland zu Bundesland verschieden ist auch die Höhe des Schulgeldes, die als zulässig angesehen wird. In Bayern sind das aktuell 300 Euro pro Monat und Schüler.
"Das muss man sich mal vorstellen! Schon mal bis 300 Euro! Das heißt, Sie können ganz legal ohne weitere soziale Staffelung in Bayern ein Schulgeld von 300 Euro pro Monat erheben. Dass das natürlich von vornherein eine Sonderung der Schüler bedeutet, das ist ganz klar, das kann sich nicht jeder leisten, vor allen Dingen, wenn er mehrere Kinder hat, selbst der Durchschnittsverdiener nicht."
Proessor Michael Wrase
Ein Beispiel: Das Privatgymnasium in Holzkirchen
Ortswechsel: Holzkirchen bei München. Heribert Zimmermann leitet die private Volksschule und das Privatgymnasium am Ort. Kinder können hier den ganzen Tag von 07.30 Uhr bis 17:00 Uhr im Ganztag zur Schule gehen. Das Schulgeld pro Monat liegt bei bis zu 295 Euro.
"Die Eltern geben gern von ihrem Nettoeinkommen, das dann ja höher ist als unser Schulgeld, einen Teil an unsere Schule ab als Zuschuss, um ihre Kinder den ganzen Tag zu beschulen: Sie sind aus der Straße weg, sie haben ihre Hausaufgaben erledigt am Abend, und die Eltern können in Ruhe arbeiten, sie können ihr Familieneinkommen erhöhen und somit beitragen, dass sie hier in dieser teuren Gegend um München herum mit ihrer Familie leben können."
Schulleiter Heribert Zimmermann
Auch Alleinerziehende können dadurch wieder zur Arbeit gehen, seine Schule sei keineswegs nur für Doppelverdiener und Reiche.
"Es wird bei der Aufnahme des Kindes überhaupt nicht nach dem Einkommen oder Vermögen gefragt. Das Kind wird aufgenommen rein aus anderen Überlegungen, was uns wichtig ist."
Schulleiter Heribert Zimmermann
Und wenn Eltern wegen einer Scheidung oder wegen des Verlustes ihres Arbeitsplatzes den vollen Beitrag nicht bezahlen könnren, dann seien auch Ermäßigungen oder sogar Freiplätze möglich, sagt Zimmermann. Derzeit seien in jeder der zwölf Jahrgangsstufen zwei bis drei Kinder vom Schulgeld befreit:
"Kein Kind verlässt diese Schule in einer schwieriger werdenden Situation finanziell wegen der Eltern. Da sind wir eine Solidargemeinschaft!"
Schulleiter Heribert Zimmermann
Außerdem gehört zum Konzept, jedes Kind speziell zu fördern: Die Klassen sind klein, die Leistungen der Schüler im Abitur überdurchschnittlich hoch. Trotzdem verstehen sich die Schüler nicht als Elite, betont der 18-jährige Paul aus der 12. Klasse. Auch wenn einige seiner Mitschüler sehr reiche Eltern hätten, sei das Privatgymnasium vor allem eine Schule für Kinder aus der Mittelschicht:
"Mittelschicht ist meiner Meinung nach, dass die Kinder nicht von Tag zu Tag leben und sich jeden Tag darum sorgen müssen, dass sie am nächsten Tag noch genug zum Essen haben."
Paul, Schüler, 18 Jahre
Der Schulleiter räumt ein: Gäbe die öffentliche Hand mehr Geld für Privatschulen, dann könne er auch mehr Freiplätze für Bedürftige anbieten. Der Verband der Privatschulen betont, durch ihre Einrichtungen würden Kinder in keiner Weise nach Vermögensverhältnissen gedrennt. Private Förderschulen und Berufsfachschulen sind komplett vom Schulgeld befreit, kirchliche Schulen kassieren oft nur 50 Euro im Monat. Wieder an anderen Schulen wird das Schulgeld gestaffelt, um auch für einkommensschwächere Familien offen zu sein. Außerdem gebe es in Bayern viel weniger bedürftige Kinder als beispielsweise in Berlin:
"Die Sozialhilfequote bei Schülern weicht in Berlin um 500 Prozent mehr gegenüber den bayerischen Schülern ab. Das heißt, bei uns sind ungefähr fünf bis sechs Prozent Schüler, die in einer Sozialhilfesituation leben, und in Berlin ist es ungefähr jedes dritte Kind – also ein Riesenunterschied."
Bernd Dietrich, Vorsitzender des Verbands Bayerischer Privatschulen e.V.
"Privatschule" geht aber auch anders
Allerdings gibt es eben auch einige wenige internationale Schulen, die tatsächlich "teuer" seien. Bayernweit seien das aber nur vier von insgesamt 1.300 Privatschulen, so Verbandsvorsitzender Bernd Dietrich. Die Klientel dafür: Kinder international gefragter Arbeitsmigranten:
"Die kommen zu uns, müssen in so einer Schule in mehreren Muttersprachen beschult werden, in mehreren Jahrgangsstufen, in mehreren Schwierigkeitsstufen und verlassen oftmals nach ein, zwei oder drei Jahren die Schule wieder, um irgendwo anders auf der Welt wieder eine vergleichbare Schule zu finden. Das ist teuer."
Bernd Dietrich, Vorsitzender des Verbands Bayerischer Privatschulen e.V.
Das Schulgeld dafür übernehmen in der Regel die Firmen, auch da gebe es also keine Sonderung nach dem Einkommen. Das Kultusministerium teilt auf Anfrage mit, in Bayern sei generell kein Höchstbetrag für das Schulgeld festgeschrieben, jede Schule werde überprüft und es komme immer auf den Einzelfall an. Der allerdings müsse viel stärker kontrolliert werden, verlangt Forscher Michael Wrase: Der Staat solle nur noch Schulen bezuschussen, die ganz klar das Sonderungsverbot einhalten, so seine Forderung:
"Dass man also sagt, wenn eine Schule wirklich nur Schüler von Besserverdienenden aufnimmt, dann muss sie entsprechend mit der staatlichen Förderung gekürzt werden, oder man muss eben – das sagt das Bundesverfassungsgericht – in diesen Fällen strikt kontrollieren und im Notfall auch die Genehmigung entziehen."
Sozialforscher und Jurist Michael Wrase
So weit allerdings will es in Bayern niemand kommen lassen.
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Atze, Dienstag, 06.Dezember 2016, 10:37 Uhr
2. Sozialkompetenz
"Das Kind wird aufgenommen aus rein anderen Ueberegungen..." Nebulöse Beschreibung ! Was ist ihnen denn wichtig, Herr Zimmermann? Ich bin nicht fue r Privatschulen und schon gar nicht fue r ihre Bezuschussung.Dadurch wird die Spaltung der Erwachsenenwelt auf die Kinder ausgedehnt.Kinder haben meiner Meinung nach einen Schutz verdient.Einen Schutz vor Konkurrenz beim Lernen.Das Leben wird fue r sie in der heutigen Zeit noch hart genug.Kinder sollten gemeinsam möglichst bis zur 8.Klasse gehen.So behalten Sie Freundschaften bei und sind reif genug, selbst zu entscheiden, ob sie aufs Gymnasium gehen.Durch den Kontakt zu allen Schichten der Bevölkerung erwerben Sie auch Sozialkompetenz und können sich ein Bild von der Gesellschaft, in der sie leben, machen.Wenn Schueler von abgehobenen Privatschulen Politiker werden, ist mir nicht wohl dabei.Im eigenen Saft geschmort.
Thilo, Dienstag, 06.Dezember 2016, 09:14 Uhr
1. Öffentliche Schulen sind in Bayern eigentlich besser
der Faktor Migrationshintergrund spielt hier wohl die zentrale Rolle.