Hans-Herrmann-Schule in Regensburg Aufarbeitung ohne Vorurteile
Hans Herrmann war bei der NSDAP und förderndes Mitglied der SS - jetzt hat sich die nach ihm benannte Schule entschlossen, den Namen abzulegen. Zuvor bildeten sich Lehrer, Schüler und Eltern eine Meinung über den ehemaligen Bürgermeister.
Am Schuleingang prangt groß - von den Schülern auf einem weißen Plakat selbstgemalt - der Schriftzug "Hans-Herrmann". Rundum kleben viele kleine, bunte Hippie-Blümchen. Dass Schulleiter Rainer Lacler das Plakat in der Debatte um die Namensgebung der Schule nicht hat entfernen lassen, zeigt seinen Kurs während des Meinungsbildungsprozesses: Seine Schule setzte sich mit der Person Hans Herrmann auseinander. Jeder sollte in diesem Meinungsbildungsprozess selbst zu einer Bewertung kommen.
"Wer war Hans Herrmann?"
Die Kernfrage, die sich nicht nur durch den Unterricht, sondern auch durchs Schulhaus zog, hieß: "Wer war Hans Herrmann?" Auch über der Gedenktafel des Bürgermeisters in der Aula hing diese Frage. Die Idee, Pro- und Kontrastellwände rechts und links daneben aufzustellen, hatte die Schulleitung abgelehnt.
"Unsere Unterrichtseinheiten sind darauf ausgelegt, sich mit Hans Herrmann zu befassen - ohne suggestiv zu werden und den Meinungsbildungsprozess der Schüler in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einer Person, die während eines totalitären Regimes agiert hat, nicht näher kommen dürfen, indem wir uns selbst der Manipulation und den Instrumente von Propaganda bedienen. Deswegen haben wir sehr sorgfältig darauf geachtet, dass Schüler dazu angehalten werden, sich selbst eine Meinung zu bilden."
Rektor Rainer Lacler
Die Diskussion um den Namen der Hans-Herrmann-Schule wurde auch in den 80er und 90er Jahren immer wieder geführt. Neu in der Auseinandersetzung 2014 war, dass zum ersten Mal die Schüler miteinbezogen wurden. Eine Arbeitsgruppe aus Rektor und zwei Lehrern hatte auf Basis der Stellungnahme, die die Stadt bei Historikern in Auftrag gegeben hatte, Unterrichtsmaterial zusammengestellt. Das Material sollte den Schülern Informationen zur Person von Hans Herrmann vermitteln.
Größtes Problem für die Lehrer: Die Mehrheit der Schüler der Mittelschule interessierte sich per se gar nicht für das Thema. Berthold Pirzer, der die Unterrichtsvorlagen miterstellt hatte, legte deswegen besonderen Wert darauf, dass sie die Schüler hineinziehen und ihre Neugier wecken. Mit vorgefertigten Meinungen käme man nicht weit, so der Religionslehrer. In Gruppen sollten die Schüler der Klassen acht bis zehn verschiedene Stationen durchlaufen. Mit Hilfe der Materialien erarbeiteten die Schüler dann langsam die unterschiedlichen Lebensabschnitte und Perspektiven auf das Leben Hans Herrmanns. Für die jüngeren Schüler gab es ein ihrem Alter angepasstes Konzept.
"Wie kann man die aufrütteln, die sich nicht interessieren? Ich hab mich jetzt wirklich eingearbeitet in das Leben Hans Herrmanns. Und Schüler merken immer, wenn man sich wirklich mit etwas auseinandersetzt und offen mit ihnen spricht - dann setzen sie sich auch mehr damit auseinander. Bloß Blätter austeilen und sagen: 'Macht’s mal!' bringt nichts. Ich muss da schon mit Herzblut rangehen."
Religionslehrer Berthold Pirzer
Zur Person
Durch die öffentliche Debatte waren die Schüler oft auch von außen auf das Thema aufmerksam gemacht worden. Dabei seien die unterschiedlichsten Diskussionen entstanden, erzählt Elvira Hensch, Schülersprecherin der Hans-Herrmann-Schule. Als wichtiges Element der Schulfamilie hatten auch die Schüler eine Stimme im Schulforum, das über den Namen entschieden hat.
"Für uns Schüler war es gut, in diesen Entscheidungsprozess miteinbezogen zu werden. Jeder hat ein Mitspracherecht. Es geht uns alle etwas an, wir alle gehen in diese Schule und sind ein Teil davon - wir sollten mitentscheiden."
Elvira Hensch, Schülersprecherin
Eindeutige Entscheidung des Schulforums
Hans-Herrmann-Grundschule
An der gleichnamigen Grundschule hatte man die Entscheidung schon früher gefällt. Rektorin Amalia Hartung-Käser hatte nach der Aufforderung des Kultusministeriums mehrere Male Einsicht in die Personalakte Hans Herrmans bei der Stadt Regensburg genommen. Über den Stand ihrer Erkenntnisse hat sie das Lehrerkollegium und die Elternschaft informiert. Gemeinsam beschloss man, den Namen zu ändern. Der einzige Grund, warum das bis dato noch nicht geschehen ist, sei der, dass man warten hatte wollen, bis auch die Mittelschule ihre Entscheidung gefällt habe, erklärt Hartung-Käser. Die Schulgemeinde freue sich schon sehr darauf, der Schule einen neuen Namen geben zu können. So eine Chance zur Neuausrichtung bekäme nicht jeder.
Am 2. Dezember hat das so genannte Schulforum der Hans-Herrmann-Mittelschule entschieden, den Namen abzulegen. Drei Schüler, drei Lehrer, drei Eltern, der Rektor der Schule und Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD) hatten abgestimmt und eine eindeutige Entscheidung gegen den Namen getroffen. Weil die Stadt Regensburg die Entscheidung der Schulfamilie überlassen wollte, hatte Wolbergs seine Stimme als letzter abgegeben.
"Bei der Diskussion ging es nicht um eine abschließende Bewertung Hans Herrmanns, es ging vielmehr im Kern um die Frage: Was bedeutet ein Schulname? Und eins ist klar: Ein echtes Vorbild war er nicht. Wenn man sich nach einer Person benennt, sollte es eine besondere Person sein."
Oberbürgermeister Joachim Wolbergs
Die Frage, wer statt des Altoberbürgermeisters Namenspatron der Schule werden könnte, hat man in der Schule bisher bewusst hinten angestellt. Man wollte das Kapitel Hans Herrmann be- und verarbeitet haben. Jetzt aber freue man sich auf den kreativen Prozess, so Schulleiter Rainer Lacler. Er lädt alle Beteiligten - auch Anwohner oder ehemalige Schüler ein - Vorschläge zu machen. Bis zu den Osterferien 2015 soll die Schule der Stadt Regensburg einen Vorschag für einen neuen Namen melden. Diese wird dann die Namensänderung bei der Regierung der Oberpfalz beantragen.
Experte zum Thema
Als Mitarbeiter im Bereich Holocaust Education, Gedenkstättenpädagogik an der Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit berät und unterstützt Dr. Robert Sigel u.a. Schulen in ihrem Prozess der Meinungsbildung über ihren Namensgeber.
"Es gibt einige Grundsätze, wie man Schüler die Verbrechen des Nationalsozialismus lehrt; solche Grundsätze gelten nicht nur für Schulen, die einen problematischen Namenspatron haben, sondern für alle. Der Besuch in einer Gedenkstätte – zum Beispiel im ehemaligen Konzentrationslager Dachau – oder die Einladung eines Zeitzeugen, mit dem die Schüler sprechen können, sind wichtige Bestandteile – und werden auch vom Staatsminister empfohlen. Im Falle der Hans-Herrmann-Schule könnte das zum Beispiel bedeuten, Nachkommen einer Familie zu finden, die durch die von Hans Herrmann unterschriebene Arisierung ihr Zuhause verloren hat, deren Familiengeschichte zu recherchieren, soweit das möglich ist, direkten Kontakt aufzunehmen. Das Interesse der Schüler kann man oft wecken, wenn man konkrete Anknüpfungspunkte im regionalen Umfeld der Schüler schafft – wie es zum Beispiel die Hans-Herrmann-Schule macht, indem sie ihren Schulnamensgeber untersucht. Am Beispiel Hans Herrmann könnte man sehr nachvollziehbar erklären, was die SS war, weshalb sie im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als verbrecherische Organisation eingestuft wurde – und was "förderndes Mitglied der SS" bedeutete, was Herrmann ja war.
Wichtig ist, wenn man sich mit einer Biographie, wie der von Hans Herrmann, auseinandersetzt, den Schülern genug Kontext-Informationen zu geben, damit sie die Biographie der Person, ihr Handeln, ihre Verantwortung einordnen und beurteilen können. Im Falle der Regensburger Schule könnte diese Diskussion auch gut als Startpunkt für weitere spannende Projektarbeiten von Schülern sein. Es wäre toll, wenn die Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht mit dem Ablegen des Namens vorbei wäre, wenn vielmehr in der Debatte um schulische Identität, schulisches Profil und damit eine möglicherweise neue Namensgebung der Prozess des historisch-politischen Lernens fortgeführt würde.
Dabei kann die Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit helfen
Die Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit kann den betreffenden Schulen in solchen und ähnlichen Fällen in vielen Belangen zur Seite stehen. So werden Mitarbeiter als außenstehende Dritte eingeladen, den Meinungsbildungsprozess und die Diskussionen der Schulgemeinde zu moderieren. Sie stellen aber auch gern Kontakte her – sei es zu anderen Schulen mit demselben Problem zum Erfahrungsaustausch, aber auch zu Zeitzeugen oder Historikern, die sich auf den Umgang mit Kindern in diesem schwierigen Feld spezialisiert haben. Oft begleitet die Landeszentrale Schulen auch auf dem Weg, einen neuen Namen zu suchen. Lehrkäfte können zudem Unterrichtsmaterialien in vielfältiger Form erhalten und so ihre eigene Kompetenz sinnvoll nutzen.