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Islamfeindlichkeit im bürgerlichen Gewand

Auf dem rechten Auge hellwach Islamfeindlichkeit im bürgerlichen Gewand

Stand: 03.03.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Die Zutaten extrem rechter Ideologie sind stets die selben: Rassismus, Gewalt, Sehnsucht nach einem starken Führer, Hass auf alles, was nicht ins eigene Weltbild passt. Doch das Gewand, in dem diese Ideologie daherkommt, wandelt sich ständig. Deshalb gilt: Hellwach sein auf dem rechten Auge.

Von: Thies Marsen

Neonazis sind gerade ein bisschen neidisch auf Michael Stürzenberger, den Landeschef und Münchner Spitzenkandidaten der neuen Partei „Die Freiheit". Denn bei den bayerischen Kommunalwahlen am 16. März werden weder in Augsburg, noch in Fürth Neonazis für die Stadträte kandidieren (siehe Kolumne vom 17. Februar). Sie haben es einfach nicht geschafft, genug Unterstützungsunterschriften zu sammeln. Der schwäbische NPD-Kader Roland Wuttke muss frustriert feststellen: „Dass dies aber möglich ist, zeigt die Leistung der Freiheit unter M. Stürzenberger in München, die in knapp zwei Tagen noch über 400 Unterschriften einholte.“

Islamfeindlichkeit im bürgerlichen Gewand

Stürzenberger hat es vorgemacht, wie man mit dumpfen Parolen und blankem Hass erfolgreich auf Unterschriftenfang geht. Man darf sich halt nicht so plump anstellen, wie die bayerischen Neonazis, aber die können eben nicht aus ihrer Haut. Stürzenberger dagegen ist eloquent, tritt stets mit Sakko und wissendem Lächeln auf. Schließlich hat er als einstiger Sprecher der Münchner CSU unter der damaligen Vorsitzenden Monika Hohlmeier gelernt, wie man gut bürgerlich rüberkommt. Und mit Israel, dem großen Feindbild aller Neonazis, solidarisiert er sich ausdrücklich.

Der Islam als "Krebsgeschwür"

Stürzenberger hat stattdessen ein anderes Feindbild, das er aber mit mindestens genauso großem Hass verfolgt wie die Neonazis ihre Gegner: Den Islam und mit ihm gleich alle Musliminnen und Muslime. Und so wie die Neonazis ihr Weltbild auf einer imaginierter jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung aufbauen, so halluziniert Stürzenberger quasi eine muslimische Weltverschwörung: „Der Islam ist ein Krebsgeschwür, das die (noch) freien Völker dieses Planeten zersetzt.“

Morddrohungen gegen politische Gegner

Jede und jeder, der diese krude Weltsicht nicht teilt oder ihr gar widerspricht, ist für Stürzenberger und seine Mitstreiter natürlich Teil der großen Verschwörung. Sich selbst gerieren sie ständig als Opfer – auch das haben sie mit den Neonazis gemein: Als Opfer „medialer Hetze“ und „etablierten Politiker“, „gehirndurchweichter Gutmenschen“ und „extremer Linker“. Zugleich müssen Musliminnen und Muslime sowie politische Gegner bei den beinahe täglichen "Freiheit"-Kundgebungen und Infoständen auf Münchner Plätzen und Straßen stets mit Beleidigungen und Schlimmerem rechnen. Und natürlich mit Diffamierungen im Internet und Hassmails – bis hin zu Morddrohungen. Hier einige Auszüge aus Mails, die dem BR vorliegen: „Andernfalls habt ihr noch die Option nach dem großen Knall als Hochverräter an der nächsten Laterne zu hängen!“ „Sie sind krank! Gehen Sie zum Arzt (...), damit man sie in die Psychatrie einweisen kann.“ „Es wird der Tag kommen wo das ausgebeutete missbrauchte Deutschland jetz ist Schluss sagt! Da wohlen sie liber nicht auf Seiten der Vaterlands Verräter sein!“ (alle Fehler im Original)

Gegen die, die anders sind

Die Parolen, mit denen „Die Freiheit“ aktuell auf Münchens Straßen auf Stimmenfang geht, könnten durchaus auch von der NPD stammen. Es geht gegen Asylbewerber, gegen den Bau einer Moschee und ganz allgemein gegen Migranten und eine multikulturelle Stadtgesellschaft. „Weiß-Blau ist uns bunt genug“, heißt es auf einem der „Freiheit“-Plakate. Womit wohl weißlich unterschlagen wird, dass die Münchner Stadtfarben ja eigentlich schwarz und gelb sind. Und dass die Geschichte der Musliminnen und Muslime in München längst Jahrhunderte alt ist, ja, dass so mancher gestandene Bayer von Muslimen abstammen dürfte.

München mit langer türkischer Tradition

Denn  bereits vor 300 Jahre verschleppte der bayerische Kurfürst Max Emanuel an die Tausend türkische Kriegsgefangene, darunter auch Frauen und Kinder, nach München, als Beute aus den Türkenkriegen. Viele mussten Zwangsarbeit leisten. So hoben sie etwa einen Kanal aus, der entlang der heutigen Türken(!)straße verlief. Insbesondere junge Türkinnen wurden zur Heirat mit christlichen Ehemännern gezwungen. Viele mussten in bizarren Veranstaltungen vor tausenden Besuchern öffentlich ihrem muslimischen Glauben abschwören und sich taufen lassen – und sie erhielten dabei Namen, die noch heute im Freistaat weit verbreitet sind: Liebgott, Christ, Osmann, Muselmann, Ofner oder Murath. (mehr zur gemeinsamen bayerisch-türkischen Geschichte hören sie hier)

Forderung an Muslime: "Abschwören oder Abreisen"

Michael Stürzenberger, Ex-CSU-Sprecher und Chef der "Freiheit"

"Freiheit"-Chef Michael Stürzenberger hätte an solchen Maßnahmen zur Zwangsintegration vermutlich großen Gefallen gefunden, schließlich fordert er auch im Jahr 2014 noch von allen Musliminnen und Muslimen hierzulande, dass sie ihren Glauben ablegen müssen – seine Parole: „Abschwören oder Abreisen. Für den zweiten Fall stehen genügend islamische Länder zur Auswahl.“ Immerhin fordert Stürzenberger (noch) nicht, Muslime in die Isar zu werfen, wie vor mehr als 250 Jahren geschehen: Am 13.Mai 1746 wurde das Richter Nandl in einen Sack eingenäht und in die reißende Isar geworfen – die türkischstämmige Frau war als „Hex von der Au“ denunziert worden, nachzulesen in der Münchner Stadtchronik: „Als sie sich mit der Zeit auch der Küchlbäckerei zuwandte und wegen ihrer guten Ware bald ein gutes Geschäfte machte, verfolgte sie bald der Brotneid der eingesessenen Konkurrenz. Eine scheelsüchtige Küchlbäckerin setzte sogar das Gerücht in Umlauf, die Richter sei im Besitz von dämonischen Geheimnissen und backe ihre Nudeln mit teuflischen Künsten.“

Gegner der "Freiheit" machen mobil

Verteufeln und denunzieren – so war das schon vor einem Vierteljahrtausend und so ist es heute noch. So gesehen knüpft die „Freiheit“ mit ihrer Abneigung gegenüber Musliminnen und Muslime tatsächlich an eine alte Münchner Tradition an – eine ziemlich traurige Tradition allerdings. Immerhin wollen viele Münchnerinnen und Münchner den Islamhassern nicht kampflos das Feld überlassen. Sie wollen verhindern, dass Stürzenberger und Co. in den Stadtrat einziehen und haben deshalb im Internet einen Aufruf für Respekt und Toleranz gestartet.

Und noch ein Internet-Tipp: Eine der treffendsten – und lustigsten – Analysen über Stürzenberger und Co. kommt aus Österreich, wo man dank Haider und FPÖ mit Islamhassern ja schon länger Erfahrungen hat: Das „Islamlied“ vom Kabarett-Duo Christoph und Lollo.