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Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Auf dem rechten Auge hellwach Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Stand: 12.05.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Die Zutaten extrem rechter Ideologie sind stets die selben: Rassismus, Gewalt, Sehnsucht nach einem starken Führer, Hass auf alles, was nicht ins eigene Weltbild passt. Doch das Gewand, in dem diese Ideologie daherkommt, wandelt sich ständig. Deshalb gilt: Hellwach sein auf dem rechten Auge.

Von: Thies Marsen

Der NSU-Prozess dauert nun schon ein Jahr. Ein guter Anlass zu fragen, was wir aus dieser Affäre gelernt haben. Und leider muss die Antwort wohl kurz und knapp lauten: Nichts. Oder zumindest: Viel zu wenig. Diese Einschätzung ist zugegebenermaßen ziemlich pessimistisch. Dass sie trotzdem nicht aus der Luft gegriffen ist, wurde ausgerechnet am 6. Mai deutlich, dem ersten Jahrestag des NSU-Prozesses - und zwar ausgerechnet in einem bayerischen Gerichtssaal.

Fassungslos in Kempten

Belegt wurde diese These nicht im Saal A 101 des Münchner Justizzentrums, wo seit nunmehr 12 Monaten gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und ihre Unterstützer verhandelt wird, sondern im Saal 169 des Landgerichts Kempten. Dort wurde gegen einen Thüringer verhandelt, der im April 2013 auf dem Kaufbeurer Tänzelfest einen Mann totgeschlagen hatte. Der Täter ist ein einschlägig vorbestrafter Neonazi, das Opfer stammte aus Kasachstan – eigentlich hätte es ziemlich nahegelegen, von einem rassistischen Motiv für die Tat auszugehen, was einen niederen Beweggrund darstellt und damit ein Mordmerkmal.

Ausländerfeindliches Motiv "nicht beweiskräftig festgestellt"

Die zuständige Staatsanwaltschaft Kempten aber teilte noch kurz vor Prozessbeginn mit: "Ein ausländerfeindliches/rassistisches Motiv konnte bis dato nicht beweiskräftig festgestellt werden." Ja, so war das schon bei den fünf bayerischen Opfern des NSU: Ein rassistisches Motiv konnten die zuständigen Behörden bis zur Selbstenttarnung des NSU nie beweiskräftig feststellen, was wohl hauptsächlich daran lag, dass sie gar nicht nach einem solchen Motiv suchten. Immerhin, in der Anklageschrift erwähnte die Kemptener Staatsanwaltschaft dann doch kurz einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat auf dem Tänzelfest. Ansonsten spielte das Thema im Prozess jedoch keine Rolle. So wurde der Täter am Ende auch nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, nicht wegen Mord. Der Richter erklärte in seiner Urteilsbegründung, man habe "keinen Bezug zu einer rechtsradikalen Tat" herstellen können. Der aus Kasachstan stammende Familienvater sei ein "Zufallsopfer" gewesen.

Es ist kein Zufall, wenn Neonazis morden

Das mag schon sein, aber Neonazis suchen sich für ihre brutalen Angriffe, die sie im übrigens oftmals vorab bei Wehrsport- und Kampfsportübungen regelrecht trainieren - eben nicht aus reinem "Zufall" - Migranten aus, sondern gezielt. Dass der Angeklagte laut mehreren Zeugen vor der Tat brüllte: "Scheiß-Polaken", "Scheiß-Russen", "die haben meine Oma vertrieben" – spricht auch eher gegen eine zufällige Tat. Mag der Tote auch zufällig Opfer geworden sein, es ist eben kein Zufall, wenn Nazis morden. Ihre Ideologie läuft auf nichts anderes hinaus als auf Hass und Gewalt, und deshalb muss diese Ideologie berücksichtigt werden, von der Gesellschaft, der Politik, den Medien, der Polizei und der Justiz. Doch in dem Kemptener Prozess ist – wie so oft – die  extrem rechte Ideologie des Täters kaum thematisiert worden – weder seine unzähligen einschlägigen Vorstrafen, noch seine Runen-Tatoos, die auf Fotos, die dem BR vorliegen, dokumentiert sind. Höchst fragwürdig auch, dass der Prozess gegen einen seiner mutmaßlichen Mittäter, der belegbar enge Verbindungen zur NPD hat, ohne Vorankündigung abgesetzt wurde. Der bis vor kurzem noch dringend tatverdächtige Mittäter, war plötzlich nicht mehr verdächtig. Das Verfahren vor dem  Kemptener Landgericht zeigt somit exemplarisch, wie im Freistaat rechtsextreme Gewalt verharmlost wird. Nach dem Motto: Besser nicht nachforschen und nachfragen, dann findet man auch nichts – und schon gibt es hierzulande keine Neonazi-Gewalt.

Kurzer Aufschrei - sonst nichts

Der Tote vom Kaufbeurer Tänzelfest wird wohl bald vergessen sein. Der kurze öffentliche Aufschrei in Kaufbeuren über die grausame Tat ist ohnehin schon lange verhallt. Der Publikumsandrang zu einem Benefizkonzert zugunsten der Witwe und der beiden kleinen Kinder war mehr als bescheiden, zu einer Diskussionsveranstaltung über Neonazis im Allgäu anlässlich des Jahrestags der Tat erschien Ende April gerademal eine Handvoll Interessierter. Und nach dem Urteil des Kemptener Landgerichts wird der Tote von Kaufbeuren nun auch in keiner offiziellen Statistik über rechtsextreme Gewalttaten in Bayern auftauchen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – selten passt das Bild der drei Affen besser.

Während sich alle Augen auf den NSU-Prozess und die „Nazi-Braut“ Beate Zschäpe richten, ist die Neonazigewalt im Land ungebrochen, werden weiter Migranten, Antifaschisten, Punks angegriffen, horten Rechtsextreme Waffen und Sprengstoff. Was haben wir gelernt? Nichts.

Mit freundlicher Unterstützung von Robert Andreasch