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Sendling im Porträt Biomarkt und Tradition in der Großstadt-Hektik

Es gibt Ober-, Mitter-, Untersendling, oder gar Sendling-Westpark. Und es gibt das wahre Sendling - ganz romantisch mit der Alten Sendlinger Kirche, dem ökologisch-alternativen Stemmerhof, seiner Nähe zum Zentrum... und zur Wiesn.

Von: Stefanie Gentner

Stand: 20.12.2013 | Archiv

Stemmerhof | Bild: BR / Stefanie Gentner

"Die wohnt eher so wo's out ist", vermutet der ewige Stenz in der Münchner Kultserie Monaco Franze. Gesucht wird die Elli. Und wo soll die her sein. "Vom Harras! Genau da ist die her!" Das war in den 80er-Jahren. Inzwischen sind Sendling und sein Harras gar nicht mehr so out.

Arbeiterviertel mit gewissem Charme

Im Nobelstadtteil Bogenhausen oder auch in Schwabing erzeugt Sendling als Arbeiterviertel vielleicht ein gewisses Naserümpfen. Gewaltig bahnt sich die Lindwurmstraße ihren Weg aus der Innenstadt raus. Doch was am Sendlinger Tor noch dröhnend und laut daherkommt, wird knapp drei Kilometer weiter - am Sendlinger Berg - allmählich gemütlicher und fast schon romantisch: zur Linken die Alte Sendlinger Kirche, zur Rechten das Schmied-von-Kochel-Denkmal, dazwischen die Stemmerwiese mit Stemmerhof, der noch bis 1992 der letzte Bauernhof mit Milchwirtschaft im engeren Stadtgebiet war.

Baugerüst statt Misthaufen

Der Stemmerhof hat sich inzwischen ein bisschen gewandelt. Kühe und dampfende Misthaufen gibt es nicht mehr. Dennoch: Von der Gentrifizierung ist Sendling - trotz hohem Altbaubestand von 47 Prozent und seiner Nähe zur Innenstadt - bisher eher verschont geblieben. Kritiker sehen zwar durchaus die Modernisierungen im Viertel, sehen immer mehr Baugerüste, teure Autos und ein neues, schickeres Sendling.

Willkommen im Bioladen am Stemmerhof

Den Stemmerhof lässt das bisher aber kalt. Er beherbergt heute eine bunte Mischung von Läden mit ökologisch-alternativem Hintergrund - und das zu moderater Pacht. Da ist der Hofladen, es gibt einen Biomarkt, Musik- und Malerwerkstätten und ein Café. In der sanierten früheren Westscheune ist eine therapeutische Tagesstätte untergebracht. Wer Ruhe braucht, ist in dieser kleinen dörflichen Oase in der Großstadt genau richtig.

Heizkraftwerk - Großmarkthalle - Moscheenstreit

"Kunst in Sendling" und Mordweihnacht 1705

Auch mit Aktionen wie "Kunst in Sendling" will das Viertel ein Viertel im ursprünglichen Sinne bleiben und dem Größenwahn, wie er vor allem in Schwabing und im Glockenbachviertel eingekehrt ist, trotzen. Rund 50 Standorte gingen zuletzt mit kreativen Aktionen an den Start. Bleibt zu hoffen, dass die Ateliers erschwinglich bleiben.

Alte Sendlinger Kirche

Die Sendlinger sind sich ihrer Ursprünge jedenfalls bewusst - trotz Sanierungen und Gentrifizierungsbeobachtungen. So findet sich am Ende des Sendlinger Bergs, gegenüber vom Stemmerhof, ein Stück Historie. Die Sendlinger Kirche im Stil einer oberbayerisch-barocken Dorfkirche hat eine besondere Geschichte. Sie ist der Nachfolgebau für ein vorher wahrscheinlich gotisches Gotteshaus, das bei der Sendlinger Mordweihnacht so stark zerstört wurde, dass es neu errichtet werden musste. Die Historie schwingt an diesem Ort, am Ende des Lindwurmbergs, unweigerlich mit. 1705 haben sich hier die letzten Gefechte bei der Sendlinger Mordweihnacht zugetragen. Die österreichischen Besatzungstruppen haben etwa 1.000 Menschen, vorwiegend Bauern und Kleinbürger aus dem Oberland, niedergemetzelt. Hunderte wurden gefangengenommen und später hingerichtet.

"Schmied von Kochel"

Fresko zur Sendlinger Mordweihnacht von Wilhelm Lindenschmit

Auf dem kleinen Friedhof rund um die Alte Sendlinger Kirche liegen zwischen ein- bis zweihundert der Opfer in Massengräbern begraben. Das Fresko des Historienmalers Wilhelm Lindenschmit über dem nördlichen Portal der Kirche zeigt die erste bekannte Darstellung des legendären Volkshelden "Schmied von Kochel". Gegenüber der Kirche auf der anderen Seite der Lindwurmstraße steht das Denkmal für den gewaltigen "Schmied von Kochel". Er soll dem Mythos zufolge bis zuletzt tapfer Widerstand geleistet haben gegen die österreichischen Besatzungstruppen.

Womöglich höchste Kirche Münchens

Genaugenommen gilt diese Alte Sendlinger Kirche übrigens als höchste Kirche Münchens. Den Titel lassen sich zumindest die Sendlinger nicht nehmen. Und tatsächlich könnten sie recht haben. Nimmt man nämlich die Höhe über dem Meeresspiegel als Grundlage und nicht die Höhe über dem Grund, so ist das schmucke Gotteshaus glatt zehn Meter höher als die Frauenkirche am Marienplatz.

Die Wiesn - ein Fest für Münchner, Sendlinger, die Welt

Riesenrad mit Trachenumzug auf dem Oktoberfest

Ebenso stolz sind die Sendlinger auf ein weiteres ehrwürdiges Denkmal in unmittelbarer Nähe. Theresienhöhe, Schwanthalerhöhe, Sendling, Westend, wer kann das schon so genau sagen. Anmutig und behütend steht die mit Sockel fast 30 Meter hohe Bavaria, weibliche Symbolfigur und Patronin Bayerns, auf der Theresienwiese. 14 Tage im Jahr feiert die ganze Welt ausgelassen auf dem Oktoberfest. Die Sendlinger haben keinen Zweifel, dass Statue und Wiesn zu ihrem Terrotorium zählen.

Wie sie sich übrigens insgesamt vor allem diesem Stückchen Stadtteil zugehörig fühlen, das im Stadtteilbuch oder auf Google Maps auch wirklich Sendling heißt - oder manchmal vielleicht noch Untersendling. Die Nähe zu Zentrum, Westend und Wiesn ist entscheidend. Ober- und Mittersendling oder gar Sendling-Westpark sind nämlich mal wirklich mega-out!


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