Chronik eines Streits Von Hausfrauengehalt bis Betreuungsgeld
Soll man Mütter fürs Daheimbleiben bezahlen? Die Frage erhitzt die Gemüter - nicht erst seit auf Druck der CSU das Betreuungsgeld, spöttisch "Herdprämie" genannt, beschlossen wurde. Der Streit beginnt in den 70er-Jahren - eine Chronik der Begriffe.
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1972
Joseph Beuys
1972
Hausfrauengehalt
Als "Erfinder" des Hausfrauengehalts gilt der Künstler Joseph Beuys. Auf der Dokumenta 5 fordert er die "Anerkennung der Haushaltstätigkeit als Beruf". In Deutschland ist dieser Gedanke neu, den Feministinnen im englischsprachigen Ausland schon länger diskutieren. Beuys kritisiert das ökonomische System und den Kapitalismus mit der Frage, "wie bei uns mit Volksvermögen umgegangen wird (...). Ist die Hausfrauenarbeit Leistung oder ist sie keine Leistung? Wenn man dazu kommt, sie als Leistung zu erkennen, muss sie abgegolten werden".
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1977
Streitbare Frauen in London sind Vorbild für Frauen in Deutschland.
1977
Lohn für Hausarbeit
In Berlin formiert sich die Gruppe "Frauen für Lohn für Hausarbeit" nach ausländischem Vorbild. Die erste Publikation ist der Aufruf des Londoner "Kollektivs Frauenmacht" in der Zeitschrift "Courage": "Hausarbeit ist die Schlüsselindustrie der Gesellschaft! (...) Jetzt wollen wir den Reichtum zurück, den wir geschaffen haben. Wir wollen ihn bar, rückwirkend und sofort und zwar vollständig." Die Feministinnen ziehen aber nicht an einem Strang. Alice Schwarzer etwa ist gegen ein Hausfrauengehalt. Hausarbeit sei eine "Kette, die uns ans Haus fesselt."
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1986
Zum ersten Mal gibt's Geld fürs Muttersein.
1986
Erziehungsgeld
Der erste politische Beschluss kommt: Das Erziehungsgeld, eine Ausgleichsleistung für den Elternteil, der das Kind erzieht. Jeweils 600 D-Mark für die ersten zehn Lebensmonate eines Babys. Dabei war eine Teilzeitarbeit von maximal 30 Wochenstunden erlaubt. Außerdem gab es Erziehungsurlaub für die ersten drei Jahre, also eine Freistellung von der Arbeit.
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1998
Christa Müller, dritte Ehefrau von Oskar Lafontaine, sagt: "Mütter gehören zu ihrem Baby."
1998
Erziehungsgehalt
Viele kritisieren das Erziehungsgeld als viel zu niedrig, weil es nur in Kombination mit der Sozialhilfe existenzsichernd sei. Außerdem sei es zu gering, um arbeitende Männer zum Daheimbleiben zu bewegen. In den Folgejahren werden verschiedene Vorschläge zu einem Erziehungsgehalt diskutiert. Am bekanntesten ist das "Erziehungsgehalt 2.000" - der Deutsche Arbeitskreis für Familienhilfe fordert 2.000 D-Mark pro Kind für die ersten sieben Lebensjahre. Auch Oskar Lafontaines dritte Ehefrau Christa Müller kämpft für ein Erziehungsgehalt.
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2006
Ursula von der Leyen mit vier ihrer Kinder und Hund
2006
Elterngeld
Die siebenfache Mutter Ursula von der Leyen ist Familienministerin (CDU). Sie will Akademikerinnen Lust aufs Kinderkriegen machen und setzt eine Neuordnung der Familienpolitik durch. Aus Erziehungsgeld wird Elterngeld. Bis zu 1.800 Euro bekommen Eltern jetzt im ersten Lebensjahr eines Kindes fürs Daheimbleiben. Neu sind die Partner-, meist Vätermonate. Das Elterngeld wird verlängert, wenn beide Eltern sich bei der Betreuung des Babys abwechseln. Die Neuregelung tritt am 1. Januar 2007 in Kraft. Im Internet kursieren Tipps, wie ein Kind stichtaggenau zu Welt kommt.
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2007
Das Betreuungsgeld bring es geschmäht als "Herdprämie" zum Unwort des Jahres 2007.
2007
"Herdprämie"
Die große Koalition in Berlin beschließt: Ab 2013 soll der rechtliche Anspruch auf einen Krippenplatz kommen statt dem Erziehungsgehalt. Die Argumentation: Dann könne jede Frau arbeiten, wenn sie will. Allein die CSU ist damit nicht einverstanden. Sie greift einen Vorschlag des Thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus auf: Betreuungsgeld für all die, die keinen Kita-Platz beanspruchen. Eine heftige Debatte bricht los - Kritiker bezeichnen das Betreuungsgeld als "Herdprämie", ein Begriff, der es zum Unwort des Jahres 2007 schafft.
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2009
Wo schmeckt's besser - daheim oder in der Krippe?
2009
Kitas und Geld
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer gibt die CSU-Position nicht verloren und erkämpft gegen den Widerstand der Bundes-CDU einen Kompromiss. Der Anspruch auf den Krippenplatz soll im August 2013 kommen, der Kita-Ausbau vorangetrieben werden, aber im Koalitionsvertrag steht jetzt eben auch: "Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen, eine monatliche Zahlung eingeführt werden", das Betreuungsgeld. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) soll bis zum Sommer 2012 einen Gesetzentwurf ausarbeiten.
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2012
Es ist durch: 2013 kommt das Betreuungsgeld.
2012
Betreuungsgeld
Nach erneuten monatelangen Debatten wird das Betreuungsgeld im November 2012 im Bundestag verabschiedet. Es wird seit August 2013 gezahlt: 100 Euro pro Monat für Kinder ab 15 Monaten; ab August 2014 dann 150 Euro für das zweite und dritte Lebensjahr. Wer das Geld für die private Altersvorsorge einsetzt oder damit für die Ausbildung der Kinder spart, erhält 15 Euro Bonus. SPD und Grüne wollten die Familienleistung im Fall eines Wahlsiegs bei der Bundestagswahl wieder abschaffen.
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2015
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgericht verliest das Urteil zum Betreuungsgeld.
2015
Gesetz gekippt
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Betreuungsgeld verfassungswidrig ist. Die Länder und nicht der Bund wären für die Einführung zuständig gewesen. Das Urteil erfolgte einstimmig. Hamburg hatte gegen den Bund geklagt. Die Richter haben sich aber nicht dazu geäußert, ob das Betreuungsgeld falsche Anreize in der Familienpolitik setzt.