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Einblicke in die Gülen-Bewegung Wohngemeinschaft oder islamische Sekte?

Sie ist Erdogans Feindbild Nummer 1: Die Gülen-Bewegung. Auch in Bayern gibt es sie. Sie betreibt hier Schulen, Nachhilfeeinrichtungen und Kindertagesstätten. Ist sie wirklich eine verschwörerische Sekte, wie auch hierzulande ihre Kritiker behaupten?

Von: Fabian Mader

Stand: 11.08.2016 | Archiv

Fetullah Gülen, Gründer der Gülen-Bewegung | Bild: picture-alliance/dpa

Bernhard Lassotta sitzt für die CDU in Baden-Württemberg im Landtag. Er beschäftigt sich seit drei Jahren mit der Gülen-Bewegung und hat eine klare Meinung:

"Wenn Gülen verlangt, dass sich politische, religiöse und soziale Ordnungen den Vorstellungen Mohammeds unterzuordnen haben, ist das mit unserem Verständnis der Gewaltenteilung nicht kompatibel."

CDU-Politiker Bernhard Lassotta

Mit solchen Vorwürfen kann Mustafa Güngör wenig anfangen. Er ist Gülen-Anhänger und lebt in Augsburg. Für ihn steht die Lehre Gülens gerade für das Gegenteil: Nämlich für das friedliche Nebeneinander der verschiedenen Religionen:

"Zu sagen, dass das Christentum, oder das Judentum weniger wert sind, das ist mit meinem Verständnis nicht vereinbar."

Mustafa Güngör

Die Gülen-Bewegung tritt in Deutschland gerne als Brückenbauer zwischen den Religionen auf. Es gibt Dialogabende - an denen Juden, Christen und Muslime zum Beispiel übers Fasten diskutieren. Außerdem betreibt sie allein hierzulande mehr als 20 Schulen und rund 150 Nachhilfeeinrichtungen.

Kinder aller Kulturen willkommen

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Güngör leitet den Verein Frohsinn, der in der Region Augsburg mehrere Kindertagesstätten und eine Privatschule trägt. Ausdrücklich sind dort Kinder aus allen Kulturen willkommen: "Von den 174 Kindern, die in den Kindertagesstätten betreut werden, sind nur 30, oder 35 muslimisch." Weder an den Kindertagesstätten noch in der Privatschule spiele Gülens Lehre eine Rolle - es gibt an der Schule in Jettingen-Scheppach nicht einmal Islamunterricht. Und Türkisch nur als Wahlfach.

Woher kommt also die Kritik an der Bewegung? Die Ethnologin Kristina Dohrn von der FU in Berlin beschäftigt sich seit 10 Jahren mit Gülen. Für sie sind die Schulen, Kitas und Dialogabende eben nur ein Teil der Bewegung - die andere Seite sind private Wohngemeinschaften.

"In den meisten Fällen sind das drei bis sechs Studierende, die da zusammenleben. Die Hauptmotivation, dort zu leben, ist sich eben mehr mit den Ideen Fethullah Gülens zu beschäftigen und die eigene Lebensweise danach auszurichten."

Kristina Dohrn

Hin und wieder dienen auch Nachhilfeeinrichtungen als Tor zu diesem inneren Kreis der Gülen-Bewegung. "Es gibt ein Beispiel, da hat mir eine Nachhilfelehrerin erzählt, dass die Eltern ihr Kind da angemeldet haben für Matheunterricht. Und da wurde sie gefragt, möchte dein Kind nur Matheunterricht oder möchten Sie auch, dass ihr Kind hier eine religiös moralische Unterweisung bekommt."

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Aussteiger berichten sogar davon, dass die Bewegung in diesen Wohngemeinschaften wie eine Sekte organisiert sei - und dass es eine straffe Hierarchie gebe. Der Augsburger Gülen-Anhänger Mustafa Güngör streitet das ab. Er selbst hat in einer solchen WG gelebt - es sei dort recht liberal zugegangen: "Es gab jetzt keine Unterweisung oder keinen streng geregelten Tagesablauf, und ich glaube es ist das Normalste, dass Menschen zusammenkommen, die viel gemeinsam haben." Ganz so zweckfrei sind die WGs aber wohl doch nicht. Gülens Bewegung hat in der Türkei in den 70er-Jahren begonnen. Damals war es für Muslime fast unmöglich, im Staat oder in der Wirtschaft Karriere zu machen. Beispielsweise war es verboten, an Universitäten das Kopftuch zu tragen.

Fromm und gleichzeitig erfolgreich

Gülens Antwort: Eine goldene Generation von Muslimen ausbilden, die beides sind: Fromm und gleichzeitig erfolgreich. Auch, um den Einfluss der Muslime auf die Gesellschaft zu stärken und das Land islamischer zu machen.

Ethnologin Katharina Dohrn fällt es nicht leicht, Gülen in konservativ oder fortschrittlich einzuteilen. Einerseits "ist es schon so, dass die meisten Personen in der Gülen-Bewegung ein Kopftuch tragen, sich sehr auf eine bestimmte Form der weiblichen Frömmigkeit besinnen."

Investieren und exportieren

Andererseits, fordere Gülen Männer und Frauen auf, "sollt ihr Business-Leute werden und investieren, exportieren und in andere Länder gehen. Ich denke, dass das auch das Erfolgsgeheimnis der Gülen-Bewegung ist." Inzwischen ist die Bewegung in 160 Ländern aktiv - vielerorts betreiben sie die besten Schulen des Landes. "Das heißt, dass auch die Kinder von Ministern auf diese Schulen gehen. Und so kommt es auch zu einem sehr engen Kontakt zur politischen Elite." Ausführlich hat sich der Verfassungsschutz Baden-Württemberg mit der Gülen-Bewegung befasst. Er kommt zu dem Schluss: Eine Gefahr für die Demokratie stellen ihre Mitglieder derzeit nicht dar - den Rechtsstaat wollen sie nicht aushebeln. Allerdings seien manche der Ideen von Gülen selbst - zum Beispiel über die Rolle der Frau - zumindest verfassungskritisch zu bewerten.


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