296. Verhandlungstag im NSU-Prozess Gericht hält Verfassungsschützer Temme für glaubwürdig
Für Andreas Temme dürfte der 296. Verhandlungstag im NSU-Prozess ein ganz besonderer sein, obwohl er selbst gar nicht anwesend war. Was der Vorsitzende Richter Manfred Götzl nun zusammenfassend über die sechs Tage sagte, an denen Temme als Zeuge aussagte, wird der Ex-Verfassungsschützer sicherlich als eine Art Rehabilitation empfinden.
Zumindest das Gericht glaubt ihm also seine Erinnerungen an das, was am 6. April 2006 in einem Internetcafé in der Holländischen Straße in Kassel passierte. Nach eigener Darstellung saß Temme im hinteren Raum des Cafés und chattete im Internet, als der Betreiber Halit Yozgat im vorderen Zimmer erschossen wurde. Temme will von der Tat nichts mitbekommen haben und das Gericht hält das für glaubhaft.
Die Nebenklage sieht das anders
Nach Überzeugung des Senats wurde auf Halit Yozgat geschossen, als Andreas Temme noch an einem der Computer im hinteren Zimmer eingeloggt war. Der Zeuge Temme habe die Tat nicht wahrgenommen, sagte Richter Götzl nun zusammenfassend. Die Anwältin Doris Dierbach sieht das völlig anders. Sie vertritt im NSU-Prozess die Eltern des Mordopfers Halit Yozgat.
"Wenn man Entscheidungen eines Gerichts hört, hat man ja häufiger das Gefühl, möglicherweise in einer anderen Hauptverhandlung gesessen zu haben als das Gericht. Also aus unserer Sicht hat Herr Temme eine ganz trübe Figur gemacht."
Doris Dierbach, Anwältin von Yozgats Eltern
Der Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme wich den Fragen im Gerichtssaal aus und berief sich auf nicht nachvollziehbare Erinnerungslücken, sagt Anwältin Dierbach. Weitere Prozessbeteiligte sehen es ähnlich. Doch das Gericht lehnte zahlreiche Beweisanträge im Fall Yozgat ab, darunter auch die Forderung nach weiteren Zeugenbefragungen.
Die Nebenklage ist fassungslos
Es begründet diese Ablehnungen auch mit den Erkenntnissen aus den Befragungen von Andreas Temme. Der damalige V-Mann-Führer in der Kasseler Außenstelle des hessischen Verfassungsschutzes war nach eigenen Angaben in dem Internetcafé, um im Netz zu flirten. Dass Temme sich nach dem Mord aus privaten und dienstlichen Gründen nicht als Zeuge bei der Polizei meldete, nannte Richter Manfred Götzl nun plausibel und nachvollziehbar. Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer kann es nicht fassen.
"Das sehe ich diametral anders. Herr Temme ist mitnichten glaubhaft gewesen. Es ist wirklich lebensfremd, dass ein Mann, der knapp zwei Meter groß ist, dreimal an der Leiche oder dem fast verstorbenen Halit Yozgat vorbei läuft und ihn dabei nicht gesehen haben will."
Sebastian Scharmer, Nebenklageanwalt
Das Gericht legt sich fest
Andreas Temme kam beim Verlassen des Internetcafes und auch zuvor auf der Suche nach dem Cafébetreiber direkt an dem Tresen vorbei, hinter dem sich das Mordopfer befand. Temme legte seinen Schilderungen zufolge schließlich das Geld für die Internetnutzung auf den Tresen – ohne Halit Yozgat zu sehen. Die Opferangehörigen und ihre Anwälte glauben Temme diese Version nicht. Das Gericht aber hat sich eine abschließende Meinung gebildet. Anwältin Doris Dierbach ist sich sicher, wie das auf ihre Mandanten wirken wird.
"Ich gehe natürlich davon aus, dass die Familie Yozgat enttäuscht sein wird, weil sie sich natürlich noch eine stärkere Aufklärung einer Rolle von Temme erhofft hat. Auf der anderen Seite muss man natürlich damit leben, dass in so einem Prozess immer Fragen offen bleiben."
Doris Dierbach, Anwältin von Yozgats Eltern
Andreas Temme zumindest werden im Prozess keine Fragen mehr gestellt. Im Fall Yozgat ist aus Sicht des Gerichts keine weitere Beweisaufnahme mehr nötig.