Münchner-Merkur-Interview "Auch Unterhaltung gehört zum Auftrag"
BR-Intendant Ulrich Wilhelm über Castingshows, den Siegeszug des Wortes bei Bayern 3 und die Rundfunkgebühr. (Münchner Merkur vom 19. Oktober 2011). Interview: Rudolf Ogiermann.
Sein Vorgänger hatte das Büro noch im „Verbindungsbau“, Ulrich Wilhelm (50), seit 1. Februar dieses Jahres als Nachfolger von Thomas Gruber Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), residiert hoch oben im Hochhaus. Aufwärts ging es zuletzt auch mit den Marktanteilen des Münchner Senders. Vor allem beim Hörfunk konnte man zulegen, nach eigenen Angaben um zehn Prozent. Beim Fernsehen beträgt der Marktanteil derzeit 7,2 Prozent, damit liegt der BR unter den Dritten auf Platz 2 hinter dem MDR – auch dank der quotenstarken täglichen Serie.
Herr Wilhelm, sagen Ihnen die Namen Brunner, Kirchleitner, Ertl und Preissinger etwas?
Wilhelm: Ja, sicher! Sie leben in Lansing, dem fiktiven Schauplatz unserer Serie „Dahoam is dahoam“. Natürlich habe ich nicht jeden Tag Gelegenheit, sie zu sehen. „Dahoam is dahoam“ hat ein ganz treues Publikum, rund 16 Prozent der Zuschauer in Bayern sehen regelmäßig zu. Kein kommerzieller Sender würde eine solche, im Dialekt gedrehte und auf die engere Heimat bezogene tägliche Serie machen. So etwas gibt es nur beim BR. Und sie ist eine unserer erfolgreichsten Sendungen.
Es werden aber doch ziemlich banale Geschichten erzählt. Ist die Quote vielleicht nur deshalb so weit oben, weil das Niveau so weit unten ist?
Wilhelm: Nein, diese Wertung teile ich nicht. „Dahoam is dahoam“ ist gut gemacht. Im Übrigen gehört Unterhaltung – neben Information und Bildung – zum gesetzlichen Grundauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders. Die Quote ist kein Selbstzweck und kein Wert an sich. Was sich einprägt, ist Qualität. Unser wesentlicher Auftrag besteht doch darin, Sendungen zu produzieren, die die immer komplexer werdenden Vorgänge in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur verlässlich erläutern und die Menschen in die Lage versetzen, Sachverhalte selbst zu beurteilen. Auf dieser Mitsprachefähigkeit beruht unsere Demokratie. Dies macht den unverwechselbaren Stellenwert des Bayerischen Rundfunks in der Gesellschaft aus. Deshalb bieten wir viele hochwertige Programme jenseits aller Quotenzwänge.
Sie bieten auf der einen Seite das sehr Populäre, damit Sie auf der anderen Seite das sehr Spezielle zeigen können?
Wilhelm: Unsere Programmmacher konkretisieren täglich den gesetzlichen Auftrag. Jeder Mensch möchte Orientierung, aber auch Entspannung und Abwechslung. Ich glaube, dass es eine kluge und zeitgemäße Mischung braucht, die aber in allen ihren Bestandteilen unserem besonderen öffentlich-rechtlichen Auftrag genügen muss. Unterhaltung im Bayerischen Fernsehen muss anders aussehen als Unterhaltung bei den privaten Anbietern.
Zugespitzt formuliert könnte man sagen, „Dahoam is dahoam“ ist „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ auf Bayerisch. Und jetzt gibt es auch noch „Mia san mia“, das ist „Das Supertalent“ auf Bayerisch. Wo ist da der Unterschied zum Angebot der Privatsender?
Wilhelm: Es gibt entscheidende Unterschiede! „Mia san mia“ ist eine Castingshow, die Menschen nicht bloßstellt oder vorführt, sondern mit viel Sympathie ihre besonderen Stärken zeigt. Und auch Veronika von Quast, Hans-Jürgen Buchner und Hannes Ringlstetter in der Jury setzen das Konzept authentisch und niveauvoll um.
Es wird von vielen kritisiert, dass es im deutschen Fernsehen eine wahre Krimischwemme gebe, und jetzt sind im Ersten obendrein Regionalkrimis am Vorabend geplant, bei denen auch der Bayerische Rundfunk kräftig zuliefert.
Wilhelm: Die Vorabendkrimis bringen mit ihrer deutlichen regionalen Färbung einen neuen Ansatz in die ARD. Der BR setzt unter anderem auf Franz Xaver Bogner als Regisseur und auf bayerische Stars wie Monika Gruber oder Andreas Giebel. Das wird nicht nur spannend, sondern auch etwas zum Schmunzeln. Was generell Actionkrimis im deutschen Fernsehen angeht – ich rede jetzt von solchen mit relativ stereotypen Drehbüchern –, so ist auch mein Eindruck, dass es zu viele davon gibt.
Sollte man die Zahl der Krimis also insgesamt zurückfahren?
Wilhelm: Ich empfehle, auf mehr Qualität zu setzen, wie es der BR tut. Die Heimatkrimis, die wir als erste Anstalt in der ARD machen, sind hochwertig und haben eine hervorragende Resonanz. Wir investieren viel in diese Krimis und leisten uns erstklassige Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler.
Der WDR stockt die Zahl seiner „Tatort“-Standorte auf und lässt künftig auch in Dortmund ermitteln. Denken auch Sie darüber nach, zu expandieren und einen weiteren „Tatort“-Standort neben München einzurichten?
Wilhelm: Dieses Anliegen wird immer wieder an uns herangetragen, vor allem aus Franken. Um ein Ermittlerteam als Marke einzuführen, bedarf es einer gewissen Regelmäßigkeit. Bislang produziert der BR nur zwei bis drei Münchner „Tatorte“ pro Jahr. Der WDR liefert erheblich mehr Folgen und hat deshalb mehr Möglichkeiten zu variieren.
Sie haben eben von der Unterscheidbarkeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmangeboten gesprochen. Was unterscheidet beim Radio Bayern 3 und Antenne Bayern? Die Musikauswahl kann es nicht sein...
Wilhelm: Vor allem über mehr Wortbeiträge ist es Bayern-3-Chef Walter Schmich gelungen, die Reichweite von Bayern 3 deutlich zu steigern, auf den höchsten Wert seit 1993. Es gibt beispielsweise mit „Mensch Otto“ am Abend nicht nur eine eigene, populäre Gesprächssendung, auch sonst haben wir den Informationsanteil erhöht. Meine Erwartung ist, dass auch die private Konkurrenz nachziehen wird, weil der Hörer mehr Information wünscht. Gerade der Ausbau der Regionalberichterstattung mit 22 Korrespondentenbüros in ganz Bayern ist ein wichtiges Erfolgsrezept von Bayern 1, unserer stärksten Welle. An unseren fünf Hörfunkwellen kann man im Übrigen sehen, wie ernst wir unseren Auftrag als öffentlich-rechtlicher Sender nehmen. Drei dieser fünf Wellen sind ganz profilierte Minderheitenprogramme. Wir haben als einziger Sender in der ARD mit BR Klassik einen reinen Klassikkanal, wir haben eine hochangesehene Kulturwelle mit Bayern 2, und mit B 5 aktuell das älteste und erfolgreichste Inforadio der Bundesrepublik. Wir leisten uns das – und zwar buchstäblich. Wir geben für diese drei Wellen den weitaus größten Teil unseres Hörfunkbudgets aus.
Lassen Sie uns weiter über Geld reden. Die ARD hat einen zusätzlichen Finanzbedarf von 900 Millionen Euro für die nächste Gebührenperiode angemeldet. Prompt gab es wütende Proteste vom Verband der Privatsender...
Wilhelm: Die Diskussion ist teilweise unsachlich geführt worden. ARD und ZDF haben von sich aus für die Jahre 2013 und 2014 keine Erhöhung angestrebt. Dies wurde von Anfang an den Ministerpräsidenten und Landtagen signalisiert, die derzeit über die Umstellung von Gebühr auf Beitrag ab 2013 befinden. Zugleich hat die ARD bei der pflichtgemäßen Anmeldung ihres Bedarfes bis 2016 Maß gehalten und nicht einmal einen Ausgleich der Inflation zugrunde gelegt. Beim BR haben wir seit 2009 und noch mindestens drei weitere Jahre eingefrorene Etats – trotz Energiekostensteigerung, trotz neuer Tarifabschlüsse und trotz Anstieg von Rechtekosten und Technikkosten im Rahmen der notwendigen Digitalisierung. Es ist deshalb unfair, wenn weiter behauptet wird, wir seien maßlos und meldeten ständig mehr an. Wir sind fest darauf eingestellt, bis auf weiteres mit dem bisherigen Betrag von 17,98 Euro monatlich auskommen zu müssen.
Aber für die Jahre ab 2015 rechnen Sie mit mehr Geld?
Wilhelm: Die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sender, Red.) wird sich sehr genau ansehen, wie sich die Teuerung entwickelt. Und wie sich – wenn es ab Januar 2013 zur Umstellung von der gerätebezogenen Gebühr auf die Haushaltsabgabe kommt – das Beitragsaufkommen entwickelt. Falls sich die Einnahmen von ARD und ZDF wider Erwarten erhöhen würden, könnte theoretisch der Betrag in der Zukunft auch gesenkt werden. Und falls sie nach der Umstellung deutlich geringer ausfallen, dann würde die KEF dies ebenfalls berücksichtigen.
Fürchten Sie keine Klage von Bürgern, die argumentieren, sie hätten keinen Rundfunkempfänger, würden also auch nicht zahlen?
Wilhelm: Mit dieser Frage haben sich viele Verfassungsjuristen befasst. Und auch die Staatskanzleien haben das Gesetzeswerk intensiv geprüft, bevor es in die 16 Landesparlamente eingebracht wurde. Alle sind unisono zu dem Schluss gekommen, dass die Haushaltsabgabe rechtmäßig ist.
Mit anderen Worten, es hätte keine Aussicht auf Erfolg, wenn ein Einzelner klagt?
Wilhelm: Ich glaube, dass diese Änderung, wie bisher jede Änderung im Rundfunkrecht, Gegenstand von Klagen sein wird. Aber ich gehe davon aus, dass das Gesetzeswerk Bestand hat.
Wie bewerten Sie den Ausgang des Gerichtstermins im Streit zwischen Verlegern und ARD um die „Tagesschau“-App?
Wilhelm: Ich habe von Anfang an das Gespräch mit den Verlegern gesucht und diesen Weg für erfolgversprechender gehalten als eine gerichtliche Klärung. Das hat sich nach dem Termin beim Landgericht bestätigt. Ich werde mich in die anstehenden Gespräche konstruktiv einbringen.
Sie sind auch Sportintendant der ARD. Wenn Sie, wie Sie betonen, mit immer weniger Geld auskommen müssen, müsste dann bei kostenintensiven Rechten wie im Sport nicht bald die Ampel auf Rot springen?
Wilhelm: Die ARD ist ja nicht auf Expansionskurs. Wir bieten für die gleichen Sportereignisse, die wir bereits früher hatten. Wir werden also zum Beispiel nicht bei der Formel 1 in einen Bieterwettstreit eintreten. Olympische Spiele erwarten die Zuschauer mit Recht bei ARD und ZDF. Die Privaten können ihr Programm für solche Großereignisse nicht 14 Tage komplett freiräumen, da sie jede Programmminute refinanzieren müssen. Wir können das machen, inklusive umfassender Berichterstattung über das Gastgeberland, und das ist sicher auch im Interesse des Sports.
Sie gehen also davon aus, dass die Rechtevermarkter Ihnen im Zweifel entgegenkommen?
Wilhelm: Es gibt einen Wettbewerb, der bei manchen Sportereignissen auch sehr hart ist. Wir würden – und das wissen auch die Anbieter – trotzdem eher auf ein attraktives Recht verzichten, als irrationale Summen zu bezahlen.
Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.