FAZ "Wir sollten jetzt aus den Gräben herauskommen"
BR-Intendant Ulrich Wilhelm spricht mit Michael Hanfeld - erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 11. März 2013: Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks, ist seit zwei Jahren im Amt und hat viel vor: den Sender umbauen, den Streit mit den Verlagen schlichten, den neuen Rundfunkbeitrag erklären, die Zahl der Talkshows reduzieren. Wie geht das?
"Wir sollten jetzt aus den Gräben herauskommen"
Sie sind seit zwei Jahren Intendant des Bayerischen Rundfunks. Macht Ihnen Ihre Aufgabe im Augenblick Freude?
Ja! Es gibt kaum eine abwechslungsreichere Aufgabe. Ein so großes und leistungsfähiges Medienunternehmen, das in Bayern eine so starke Prägekraft hat, auf die digitale Zukunft einzustellen ist eine Herausforderung. Die Schnelligkeit der Veränderungen, die weltweit alle Medien erfasst, zwingt längst auch Hörfunk und Fernsehen zu neuen Antworten. Im Kern geht es darum, den Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Gesellschaft im Wandel zu wahren.
Wie stellen Sie den Bayerischen Rundfunk auf das digitale Zeitalter ein?
Mit Offenheit für das Neue. Wir werden uns nicht mehr wie bisher nach Übertragungswegen aufstellen, sondern nach Inhalten. Das heißt: Wir werden integrierte journalistische Bereiche haben für Aktualität, für Wirtschaft, für Wissenschaft, für Sport und vieles mehr. Dafür gilt es eine Fülle von Voraussetzungen zu schaffen: organisatorisch, technisch, baulich. Am wichtigsten ist es, dass der Kulturwandel von allen Mitarbeitern getragen wird. Über tausend Kollegen vor allem des Hörfunks werden auf unseren bisherigen Fernsehcampus umziehen, denn die trimediale Zusammenarbeit beruht auf engem Austausch und kurzen Wegen. Die Bündelung unserer Kräfte schafft Spielraum für ein vertieftes journalistisches Angebot. Außerdem fordert das Publikum zu Recht, dass man unsere Inhalte überall dort findet, wo Nutzer sie erwarten. Nur dann werden wir sichtbar und relevant bleiben.
Die Relevanz spürt im Augenblick jeder, der einen Bescheid zum neuen Rundfunkbeitrag bekommt. Und plötzlich sehr viel mehr für ARD und ZDF zahlen soll.
Zunächst gilt: Jede Institution, die mit öffentlichen Geldern umgeht, muss sich Kritik gefallen lassen. Wir stellen uns dieser Kritik. Wichtig ist aber, die großen Zusammenhänge nicht aus dem Auge zu verlieren: Die stabile Entwicklung Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten beruht auch darauf, dass die Qualität unserer Medien sehr hoch ist. Jede Demokratie ist schicksalhaft angewiesen auf einen lebendigen öffentlichen Diskurs. Dieser braucht Vielfalt, Verlässlichkeit, Vermittlung! Dafür stehen die Qualitätsmedien, sie bilden in Deutschland eine Verantwortungsgemeinschaft. Bei aller Kritik im Detail darf nicht vergessen werden, was unserem Land ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fehlen würde. Vieles würde schlichtweg nicht mehr stattfinden: Beim BR als Bayerns größtem Kulturinstitut wandert im Hörfunk jeder zweite Euro in den Bereich Kultur. Auch beim Fernsehen investieren wir gut 40 Prozent unseres Etats in die Kultur. Die Bandbreite reicht von oscarprämierten Spielfilmen über Literaturtage, Theaterfestivals und Lesungen bis hin zum weltberühmten Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. ARD und ZDF haben neben der BBC das wohl leistungsfähigste Korrespondentennetz der Welt, die „Tagesschau“ ist die angesehenste Nachrichtensendung Deutschlands. Die Gesamtleistung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gilt vielen als Selbstverständlichkeit, sie ist aber nur dank des Rundfunkbeitrages möglich. Radikale Einschnitte bei den Finanzen blieben nicht ohne Folgen für das kulturelle Leben.
Was sagen Sie einem Unternehmen, das plötzlich ein Vielfaches an Rundfunkbeitrag zahlen soll? Ebenso die Kommunen: Sollen die jetzt mehr zahlen und hoffen, dass sich das in zwei Jahren ändert?
Wir werben in allen Gesprächen um die Einsicht, dass die bisherige, auf Geräte bezogene Gebühr nicht mehr haltbar war. Nachdem immer mehr Nutzer unsere Angebote über Tablets und Smartphones empfangen, war die alte Rechtslage von der Wirklichkeit überholt. Die neue Regelung haben sechzehn Landtage mit völlig verschiedenen politischen Konstellationen gemeinsam beschlossen. Der Gesetzgeber kann bei weit über 40 Millionen Sachverhalten nicht jeden Einzelfall regeln. Deshalb hat er von sich aus zu Recht eine Evaluierung aller Auswirkungen im kommenden Jahr festgelegt. Wir werden den Parlamenten für diese Überprüfung Daten aufbereiten und etwa mit der Wirtschaft und den Kommunen mögliche Härtefälle gemeinsam analysieren.
Und diejenigen, die sich über Gebühr belastet sehen, müssen Geduld haben.
Wo das Gesetz Ermessensspielraum lässt, können wir es bürgerfreundlich vollziehen. Wir können im Rechtsstaat aber nicht gegen den Gesetzeswortlaut handeln. Im Übrigen gibt es im neuen Recht auch eine Fülle von Entlastungen, zum Beispiel bei Familien, bei denen die Kinder eigenes Einkommen haben und bei den Eltern leben. Früher zahlten sie mehrfach Gebühren, heute aber gemeinsam nur noch einen Beitrag.
Sehen Sie schon Punkte, an denen man Veränderungen vornehmen sollte?
Wir sind nicht der Gesetzgeber. Aber beispielsweise bei Unternehmen mit vielen Filialen und Fahrzeugen muss die Belastungssituation genau geprüft werden.
Der Verfassungsrechtler Christoph Degenhart sagt, der Rundfunkbeitrag ist gar kein Beitrag, sondern eine Steuer.
Es gibt demgegenüber viele Staatsrechtler, die mit guten Gründen die gegenteilige Auffassung vertreten. Auch der ehemalige Verfassungsrichter Grimm hat in Ihrer Zeitung keine Zweifel an der gewählten Finanzierungsform geäußert.
Professor Kirchhoff, der den Beitrag mit einem Gutachten begleitet hat, zieht zum Vergleich die „Kurtaxe“ heran. Jörg Schönenborn, Chefredakteur des WDR, redet von „Demokratie-Abgabe“. Das würde bedeuten, dass unsere Demokratie ohne den Rundfunkbeitrag nicht funktioniert.
Steuern werden ohne Zweckbindung für die Finanzierung staatlicher Aufgaben erhoben. Daneben existiert die konkrete Gebühr. Wenn ich in ein Schwimmbad gehe, zahle ich Eintritt. Dann gibt es noch den Beitrag, der für die Möglichkeit anfällt, bestimmte Angebote zu nutzen. In Wohnungen und Betriebsstätten besteht die Möglichkeit, die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu empfangen. Dafür fällt der neue Rundfunkbeitrag an. Ich glaube, dass bei vielen Kritikern im Hintergrund eine andere Frage die entscheidende Rolle spielt: Halten wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Größenordnung für notwendig? Darüber würde ich gerne diskutieren.
Gerne, über ein System mit siebeneinhalb Milliarden Gebühreneinnahmen kann man immer sprechen. Es geht um die Frage, wie Sie Ihre Mittel einsetzen. Der SWR hat zwei Orchester fusioniert. Die ARD gibt Hunderte Millionen für kommerzialisierte Sportarten aus. Die ARD hat die Bundesliga für hundert Millionen Euro pro Jahr, das ZDF die Champions League für rund fünfzig Millionen Euro. Das nennt sich dann „Grundversorgung“.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat nicht nur einen gesetzlichen Auftrag für Bildung und Kultur, sondern auch für Unterhaltung und Sport. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht mehrmals aufgetragen. Gleichwohl müssen wir verantwortungsvoll haushalten. Wir können deshalb beim Sport nicht um jeden Preis mitbieten. Und schon in der Vergangenheit haben wir mehrfach nicht den Zuschlag bekommen. Zum Teil konnten wir Rechte günstiger erwerben als in der Vorperiode. Die Summe, die wir für den Sportrechteeinkauf haben, wird aufgrund unserer eingefrorenen Etats weiter sinken. Wir haben keinen Spielraum nach oben. Und schauen Sie sich die Dinge im Einzelnen an: Die Olympischen Spiele würde keiner unserer Wettbewerber im Vollprogramm in einer derart umfassenden Weise präsentieren können, wie es das Publikum bei uns schätzt. Das gilt auch für die Turniere der Fußball-EM und -WM.
Wie machen Sie Jüngeren klar, dass sie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zahlen müssen?
Indem wir Jüngeren mehr Angebote machen, die sie in dieser Form nur bei uns bekommen. Viele junge Menschen stellen sich ihr Medien-Portfolio über das Internet zusammen. Wir müssen noch offensiver und kreativer werden, um die Lebenswelten und den Geschmack junger Menschen zu treffen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss diesem Land mit Qualität dienen. Dies umschließt alle Altersgruppen. Eine demokratische, arbeitsteilige Gesellschaft braucht hohe Qualität bei Information, Bildung und Kultur. Für diesen Grundkonsens müssen wir werben. Für die vielen komplexen Fragen unserer Gesellschaft, der Demographie und Alterssicherung, Fragen des Umgangs mit Technologien, der Außenpolitik, der Wirtschaft und der Finanzmärkte, ist eine kontinuierliche, vertiefte Diskussion notwendig. Dies wird noch viele Jahre von Journalisten getragen. Meinungsstarken Blogs wird eine wachsende Bedeutung zukommen. Die Öffentlich-Rechtlichen sind in der privilegierten Situation, nicht auf Quoten schielen zu müssen. Die Quote darf ohnehin nie zum Selbstzweck werden, sie ist lediglich eine dienende Größe, die in Anbetracht der Mediennutzung des Internets an Aussagekraft verliert. Die Bürger brauchen verlässliche und neutrale Informationen auf allen Kommunikationswegen. Mit Hilfe von Redaktionen, die seit Jahren ihre Themenfelder bearbeiten und Orientierung geben können. Die Qualitätszeitungen, deren traditionelles Erlösmodell bedroht ist, sind hierfür unverzichtbar. Und deshalb hoffe ich, dass sich Paid Content weiter durchsetzt.
Die deutschen Zeitungsverlage und die ARD sehen sich eher vor Gericht wieder - im Streit um die „Tagesschau“-App -, als dass sie zu Gemeinsamkeiten fänden.
Zu diesem Punkt kommen wir, wenn wir aufhören, zu sehr über Abgrenzungen zu verhandeln, und gemeinsame Interessen verwirklichen. Es ist doch zum Beispiel unverkennbar, dass Zeitungen bei ihren Online-Auftritten immer stärker auf Bewegtbilder setzen. Es wäre lohnend, darüber nachzudenken, wo wir unser unbestrittenes Know-how in diesem Bereich auch den Zeitungen zur Verfügung stellen können. Wenn wir aus den Gräben herauskommen und gemeinsame Interessen in der digitalen Welt definieren, können wir zu Lösungen kommen.
Wie ist Ihr Eindruck von der Medienpolitik? Mein Eindruck: Die deutsche Medienpolitik findet im Schrebergarten statt. Die Medienwelt wird derweil beherrscht von gigantischen Konzernen.
Ich bedaure sehr, dass in den meisten Parteien die klassischen Medienpolitiker und die Netzpolitiker getrennt aufgestellt sind. Eigentlich müssten alle permanent zusammen über die neuen Entwicklungen nachdenken. Und es stellt eine Schwierigkeit dar, dass für den Rundfunk die Länder zuständig sind, für die Telekommunikation der Bund, aber die weltweiten Entwicklungen sich überhaupt nur noch europaweit in einer gemeinsamen Anstrengung beeinflussen lassen. Es gibt in Europa die Tendenz, Bereiche zu bevorzugen, in denen ein Zuwachs von Arbeitsplätzen erwartet wird, zum Beispiel die Internetwirtschaft. Das ist nachvollziehbar. Das darf aber nicht dazu führen, dass die herkömmlichen Medien ungeachtet ihrer Bedeutung für Demokratie, Kultur und Gesellschaft untergepflügt werden. Hier muss es einen Interessenausgleich geben. Das gilt für das Urheberrecht genauso wie für die Verteilung von Frequenzen. Die Frage muss immer lauten: Was ist der Wert eines Bereichs der Wirtschaft für unsere Gesellschaft? Die Politik muss stärker koordiniert werden - zwischen Brüssel und den EU-Ländern. Und es muss stärker ganzheitlich gedacht werden.
Wie viele Talkshows hat die ARD nächstes Jahr noch im ersten Programm?
Pacta sunt servanda. Alle laufenden Verträge sind zu respektieren. Wenn Verträge auslaufen, besteht die Möglichkeit, über die entsprechenden Formate neu zu entscheiden. Meine Haltung ist seit langem bekannt: Ich bin für eine Reduzierung der vorhandenen fünf Talkshows. Dadurch würden wir auch im Schema beweglicher. Ich glaube, dass wir mehr Vielgestaltigkeit brauchen in der Durchdringung politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Sachverhalte. Das Gespräch ist ein Weg, aber nicht der alleinige. Ich glaube, dass wir mehr Dokus, Sondersendungen, „Brennpunkte“, Features, Themenabende benötigen.
Sie könnten jetzt noch sagen, welche der Talkshows übrigbleiben sollen.
Ich habe großen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die die Sendungen machen. Das sind Profis mit einer erstklassigen Reputation. Es wäre nicht angemessen, an dieser Stelle Präferenzen zu äußern. Dies besprechen wir im Kreis der Intendanten. Ich bin aber - wie gesagt - überzeugt, dass wir mehr Vielfalt und mehr Varianten brauchen. Da wir knappe Finanzen und keine anderen Sendeplätze haben, geht das eine nur, wenn man etwas anderes dafür aufgibt. Dies gilt nicht nur für die Talkshows.
Wenn der neue Rundfunkbeitrag durchgerechnet ist: Wie hoch werden die Einnahmen von ARD und ZDF sein? 7,5, acht Milliarden pro Jahr, achteinhalb?
Es gibt immer wieder Stimmen, die behaupten, dass Hunderte Millionen Euro zusätzlich eingehen werden. Ich glaube das nicht. Für fast neunzig Prozent der Haushalte ändert sich nichts, bei anderen gibt es Belastungen, aber genauso Entlastungen. Die Prognosen sind derzeit sehr volatil und schwanken zwischen einem leichten Minus und einem leichten Plus. Für den Bayerischen Rundfunk stelle ich mich auf stagnierende oder sinkende Budgets ein. Und entsprechend werden wir handeln.
Die Fragen stellte Michael Hanfeld.