Presse - Intendantin


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HORIZONT "Immer noch Luft nach oben"

Seit fast genau einem Jahr steht Katja Wildermuth als Intendantin an der Spitze des Bayerischen Rundfunks – und damit in einer Zeit, die von Pandemie, Beitragsdiskussionen und digitalen Herausforderungen geprägt ist . Im Interview spricht die Fernsehjournalistin darüber, wie sie den viertgrößten ARD-Sender aufstellen und dabei die Gesellschaft in all ihrer Diversität bestmöglich abbilden will.

Stand: 27.01.2022

Dr. Katja Wildermuth (Intendantin, Bayerischer Rundfunk), Januar 2021. | Bild: BR/Markus Konvalin

Frau Wildermuth, das Emotion-Magazin hat Sie Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit HORIZONT für besonders gute "Gender Balance in Media" ausgezeichnet. Was machen Sie beim BR besser als andere?
Ob wir etwas besser machen als andere, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der von der Gesellschaft als Ganzes getragen wird, bei diesem Thema eine besondere Verpflichtung haben. Wir müssen ein vielfältiges, ausgewogenes Programm anbieten, und ein solches kann nur aus einer vielfältigen, ausgewogenen Belegschaft heraus entstehen. Derzeit liegt der Anteil weiblicher Führungskräfte beim BR bei 37 Prozent. Das ist besser als der Durchschnitt in deutschen Unternehmen, aber es ist natürlich nicht das, wo wir hinkommen möchten, um die Gesellschaft in ihrer Breite abzubilden. Es ist immer noch Luft nach oben.

Wo gibt es Nachholbedarf?
Geschlechtergerechtigkeit ist für uns mittlerweile selbstverständlich, sie ist aber nur ein Aspekt von Vielfalt. Wir müssen genauso viele andere Facetten abbilden wie etwa unterschiedliche Bildungswege, unterschiedliche soziale Milieus oder auch das unterschiedliche Leben in Stadt und Land. Für uns als Medienunternehmen ergeben sich zusätzlich intern noch weitere Perspektiven: die zwischen älteren und jüngeren Kolleginnen und Kollegen, den erfahrenen und den weniger erfahrenen, den Digital natives und denen, die sich ins Digitale erst einarbeiten mussten, zwischen ausgebildeten klassischen Journalisten und Instagrammern. In diesen verschiedenen Gruppen werden die großen Themen unserer Zeit wie zum Beispiel der Klimawandel ganz unterschiedlich diskutiert, die Gesellschaft differenziert sich sehr stark auseinander. Damit steigen auch die Anforderungen an uns.

Wie bilden Sie diese Vielfalt ab? Reichen Appelle und gute Vorsätze – oder braucht es strenge Regeln oder Quoten, um Diversität gewährleisten zu können?
Das Ziel, dass wir vielfältiger werden müssen, wird von niemanden mehr hinterfragt – und das ist schon sehr viel mehr, als wir vor ein paar Jahren behaupten konnten. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass der Bewusstseinswandel über allem anderen steht. Zudem haben wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sui generis keine sehr hohe Fluktuation. Deshalb würde selbst eine numerische Stellschraube, wenn man sie jetzt zöge, nicht übermorgen zu einem 100-prozentig zufriedenstellenden Ergebnis führen. Wir brauchen also andere Formen der Förderung – solche, mit denen das Thema in den Köpfen, aber auch in den Herzen ankommt

Welche Fördermaßnahmen sind das?
Das beginnt bei den Parametern der Personalrekrutierung und geht über das Sichtbarmachen von interner Vielfalt bis hin zur langfristigen Förderung von weiblichem Potenzial. Wir haben dafür zahlreiche Konzepte sowie Mentoring- und Coaching-Programme, und seit 2019 gibt es im BR einen Diversity-Beirat, der regelmäßig aktuelle Entwicklungen thematisiert und im Dialog mit Geschäftsleitung und Programmverantwortlichen steht. Aber auch der Austausch von Best-Practice-Beispielen ist ein sehr erfolgreiches Modell. Es geht ja vor allem um das Thematisieren, um ein aktives Ansprechen. Deshalb ist es für mich auch ein wichtiges Signal, dass die neue ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger Diversität als eines ihrer Hauptthemen definiert hat.

Was das Programm betrifft, beteiligt sich der BR seit knapp einem halben Jahr an der sogenannten 50:50-Challenge der BBC, deren Ziel es ist, den Frauenanteil in den Fernseh-, Hörfunk- und Onlineformaten zu erhöhen und Frauen allgemein sichtbarer zu machen. Welche Erfahrungen haben Sie seitdem gemacht?
Bei der 50:50-Challenge geht es darum, unsere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner überall dort, wo es unsere redaktionelle Kompetenz ist, gleichberechtigt auszuwählen. Wir können nicht alles steuern, das ist klar. Wenn ein Bundeskanzler männlich und eine Außenministerin weiblich ist, dann sind die Interviews nun mal so. Aber im Bereich der Fachleute zum Beispiel kann man natürlich sehr wohl auf eine Ausgewogenheit achten. Das Argument, dass es für dies oder jenes schlicht keine Expertin gibt, gilt heute nicht mehr. Im BR beteiligen sich mittlerweile schon fast 40 Teams an der Challenge, die weit mehr ist als eine symbolische Übereinkunft. Sie verändert das Bewusstsein in den Redaktionen und damit ganz konkret unser praktisches Arbeiten, und erste Fortschritte sind eindeutig zu erkennen. Mit einer systematischen Evaluation wollen wir demnächst beginnen und werden danach konkrete Zwischenergebnisse haben.

Welches Feedback bekommen Sie von Ihren Zuschauerinnen und Zuschauern? Haben Sie den Eindruck, sie legen ebenfalls großen Wert auf diese Themen?
Wir wollen die Menschen nicht erziehen, aber wie ich bereits sagte: Wir haben als öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine besondere Verantwortung. Das gilt auch für die Sprache. Wir fördern eine geschlechtergerechte Sprache, aber es gibt keine allgemeine Regel, die wir allen überstülpen wollen. Unsere oberste Maxime ist die Publikums-Orientierung: Wir schauen ganz genau, für welche Zielgruppe wir welches Format machen. Und letztlich entscheiden die Redaktionen, die ihr Publikum und dessen Erwartungen schließlich am besten kennen, welcher Weg für welches Angebot der jeweils richtige ist. Dabei gilt natürlich immer das Primat der Verständlichkeit. Wir müssen bei diesen Themen auch immer aufpassen, dass die Diskussion über die Form nicht die Diskussion über die Inhalte überlagert.

Sie sind mittlerweile seit fast genau einem Jahr BR-Intendantin und damit in einer Zeit im Amt, die von Corona, Beitragsdiskussionen und scharfer Medienkritik geprägt ist. Was waren die größten Herausforderungen in den zurückliegenden Monaten?
Die Pandemie ist für uns, die wir sowohl im Audio- als auch im Videobereich einen sehr großen Betrieb aufrechterhalten müssen, eine echte Herausforderung. Das gilt für die technische Infrastruktur genauso wie für unsere journalistische Leistung, für die der Kontakt zu anderen Menschen eine entscheidende Rolle spielt. Ich habe größten Respekt davor, wie unsere Teams das alles leisten. Gleichzeitig brachte die Pandemie eine große Chance: Es gab einen großen Technik-, Innovations- und Eigenverantwortungsschub, und unkonventionelle Herausforderungen brachten viele unkonventionelle Lösungen mit sich. Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass viele unserer 5000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BR mittlerweile erschöpft sind – genau wie der Rest der Gesellschaft. Es ist einfach eine besondere Zeit.

In dieser werden die Aufgaben immer mehr, das verfügbare Geld immer weniger. Wo sind Ihre Prioritäten?
Alles, was wir neu machen, müssen wir an anderen Stellen wieder einsparen. Das ist schon seit vielen Jahren so. Deshalb legen wir innerhalb der ARD einen starken Fokus darauf, im Bereich Verwaltung und Technik synergetisch zusammenzuarbeiten. Der BR hat zum 1. Januar zusammen mit dem SWR eine gemeinsame Softwarefirma gegründet, die sich übergreifend um digitale Bereiche wie zum Beispiel die App-Entwicklung kümmert. Zudem läuft im Verwaltungsbereich die SAP-Prozessharmonisierung, wir arbeiten bei den Archiven enger zusammen. Wir haben schon sehr viele Einsparpotenziale gehoben, aber dieser Weg ist, das können Sie sich vorstellen, endlich.

Wo setzen Sie also Ihre Schwerpunkte?
Diese Frage ist in der heutigen Zeit nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer erwarten von uns das, was sie aus der Internetnutzung gewohnt sind: ständig verfügbare, maßgeschneiderte Inhalte. Es reicht nicht mehr, ein Programm für alle zu machen, sondern wir brauchen viele spezifische Angebote für viele ausdifferenzierte Zielgruppen. Wenn wir unsere Aufgabe erfüllen und zur demokratischen Meinungsbildung durch ökonomisch unabhängigen Journalismus beitragen wollen, dann müssen wir dort sein, wo die Menschen sind. Wir müssen auf immer mehr Ausspielwegen vertreten sein, und das erfordert wiederum teils völlig neue Inhalte und Erzählweisen. In vielen Bereichen machen wir das schon sehr gut, schauen Sie sich die Tagesschau auf Tiktok an, die App BR24 oder die News-WG auf Instagram. Hier schaffen wir es, unsere journalistische Kompetenz mit neuen Erzählformen zu verbinden. Aber dieser Prozess ist nie abgeschlossen, es kommen laufend neue Aufgaben dazu.

Gibt es Inhalte, die im Gegensatz dazu nicht mehr so gut ankommen?
Ich beobachte, dass es ganz selten eine klare Antwort gibt auf die Frage, was die Zuschauer und Zuhörerinnen nicht mehr wollen. Alles was wir anbieten, hat – und das ist ein hohes Gut, das wir nicht hoch genug schätzen können – sehr treue Fans. Die einen lieben das inhaltlich pralle ausdifferenzierte Programm von Bayern 2, andere haben ihre Sehroutinen mit Serien wie "Dahoam is Dahoam" oder "Servus Baby", die eine große Brandbreite an Lebenswirklichkeiten abbilden und damit ganz unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Wir evaluieren laufend, für welche Gruppen wir im Moment mit welcher Energie welche Angebote anbieten und wo es blinde Flecken und Zielgruppen gibt, die wir noch zu wenig erreichen. Das ist kein Prozess, den wir einmal anstoßen und an dessen Ende ein Strategiepapier für die nächsten fünf Jahre steht. Es ist vielmehr ein ständiges Hinterfragen des eigenen Tuns.

Ihr Sender hatte innerhalb der ARD immer eine Sonderrolle. Welche Handschrift möchten Sie dem BR verleihen? Bislang sprachen Sie viel über Kooperation und Zusammenarbeit.
Die programmliche Vielfalt, die die ARD und besonders der BR mit seiner Regionaloffensive haben, darum beneidet uns ganz Europa. Die BBC hat gerade erst die Initiative "BBC across the UK" gestartet, und auch andere Länder, die traditionell weniger föderal sind, verstehen jetzt allmählich, was schon lange unser Alleinstellungsmerkmal ist: Wir sind bei den Leuten vor Ort! Den BR kann man an 30 Standorten in ganz Bayern treffen. Diese Nähe, diese Ausdifferenziertheit und die besonderen regionalen Betrachtungsweisen sind ein einzigartiger USP. Denn das ist etwas, das amerikanische Streamingdienste nicht können. Gleichzeitig hat sich aber natürlich das Nutzungsverhalten geändert, die Menschen hören nicht mehr nur Radio und schauen fern. Im Digitalen gibt es keine Bundeslandgrenzen. Hier, und darin sind sich alle Intendantinnen und Intendanten der ARD einig, schaffen wir nur Relevanz, wenn wir kooperieren.

In Form einer gemeinsamen Mediathek…
…die auch eng mit jener des ZDF verknüpft sein sollte, genau. Wir brauchen im Digitalen die gebündelte Power der Öffentlich-Rechtlichen, ohne regionale oder senderspezifische Besonderheiten zu missachten oder die inhaltliche Vielfalt zu beeinträchtigen. Es ist Kooperation angesagt. Die Stärkung der Mediathek ist im Übrigen auch der Schwerpunkt der großen Programmoffensive der neuen ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. Wir starten jetzt mit genuinen Mediatheksformaten, schwerpunktmäßig in den Genres Fiktion und Dokumentation. Gerade die Dokumentation ist für mich ein klarer Zukunftsbereich, in dem wir mit hintergründigem Journalismus sehr viel anbieten können. Die dafür neu geschaffene ARD-Koordination hat übrigens der BR übernommen, da werden wir also eine starke Rolle spielen. Dasselbe gilt beim Thema Wissen und Bildung. Hier werden wir unser Angebot ARD Alpha im Zusammenspiel mit den anderen Landesrundfunkanstalten zu einem digitalen Portal für Bildung und Wissenschaft weiterentwickeln. Jenseits des Programms engagiert sich der BR sehr stark beim Thema Nachhaltigkeit und bündelt, gemeinsam mit dem ARD-Generalsekretariat, ARD-weit die Bemühungen auf diesem Feld.

 Von Katrin Ansorge


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