Presse - Intendantin


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Interview im Donaukurier „Wir bringen da noch mehr Power rein“

Die öffentlich-rechtlichen Sender transformieren sich. Gesendet wird längst nicht mehr nur für Radio und Fernsehen, sondern für YouTube, TikTok und Mediatheken, die Mitarbeiter berichten crossmedial. BR-Intendantin Katja Wildermuth im Interview mit dem Donaukurier über eine schleichende Medienrevolution.

Stand: 11.02.2022 14:02 Uhr

Dr. Katja Wildermuth (Intendantin, Bayerischer Rundfunk), Juli 2021. | Bild: BR/Markus Konvalin

Frau Wildermuth, seit Jahren nimmt die Bedeutung von Streaming-Diensten wie Netflix rasant zu. Auch die ARD und der BR bieten Mediatheken, in denen Sendungen zu jedem beliebigen Zeitpunkt angesehen werden können. Wie sehen Sie in Zukunft das Verhältnis von linearem Fernsehen und den neuen Online-Medien?

Katja Wildermuth: Unsere Angebote im Fernsehen und im Radio haben nach wie vor eine große und vor allem sehr treue Anhängerschaft. Diese Treue ist für uns ein extrem hohes Gut, das wir pflegen. Gleichzeitig bemerken wir, dass sich das Nutzungsverhalten ändert, die Hälfte der unter 50-Jährigen konsumiert schon nonlineare Inhalte. Die ARD Mediathek hatte im vergangenen Jahr einen Zuwachs von 60 Prozent. Das ist ein großer Erfolg, auch wenn wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen. Die unter 30-Jährigen sehen sich bereits zu 80 Prozent die ARD-Angebote online an. Wir spüren außerdem einen ungeheuren Podcast-Boom, und wir beobachten die Erfolge der großen Streaming-Anbieter. Deswegen haben wir in der ARD besprochen, dass wir integraler arbeiten wollen. Wir schauen nicht mehr danach, welche Inhalte wir für einzelne Sendeplätze des linearenFernsehens und des Hörfunksvorbereiten und welche für Mediathek und Audiothek, sondern wir versuchen, die Inhalte möglichst crossmedial für alle Medien aufzubereiten. Außerdem bieten wir auch Serien etwa nur für die Mediathek an, die werden dann gar nicht mehr im Fernsehen gezeigt.

Es gibt heute eine größere Pluralität der Vertriebswege. Sie bedienen ja nicht mehr nur Hörfunk und Fernsehen, sondern auch noch Facebook, Instagram und TikTok. Einer ihrer Sender ist eigentlich fast nur auf YouTube zu finden: das Content-Netzwerk Funk.

Wildermuth: Funk hat sehr viele Ausspielwege, YouTube ist nur einer davon. Denn: Wir sehen inzwischen sehr unterschiedliche Nutzungsvorlieben. Gleichzeitig haben wir nun ein einziges Gerät, mit dem alles dargestellt werden kann: das Smartphone, das es ja erst seit 15 Jahren gibt. Aber die Nutzung von Online-Inhalten ist sehr unterschiedlich – ob man etwa an einer Straßenbahnhaltestelle mal eben die Weltlage checkt oder zu Hause zusammen vor dem Fernseher entscheidet, wie das Abendprogramm aussehen soll. Gleichzeitig wissen wir, dass die Leute ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf ein Gerät konzentrieren, sondern mindestens immer noch ein weiteres Gerät nebenbei nutzen, etwa ein Smartphone. Und da schaut jeder etwas Anderes. Die Anforderungen an uns werden dadurch größer, denn wir müssen für jeden Ausspielort passgenau produzieren. Wir haben eine besonders hohe Audio- und Videokompetenz. Aber so wie sich die Gesellschaft ausdifferenziert, so differenzieren sich auch unsere Medien aus. Das heißt am Ende, dass wir sehr viel mehr anbieten als früher.

Wird eines Tages das lineare Fernsehen abgeschaltet werden?

Wildermuth: Das werden am Ende die Zuschauerinnen und Zuschauer entscheiden. Ich sehe es auf lange Sicht noch nicht kommen. Fernsehen, Radio und Mediatheken gehen Hand in Hand.  Wir machen einfach starke Video- und Audio-Angebote. Natürlich denken wir noch an Sendeplätze. Aber in zunehmendem Maße beziehen wir uns auf unsere Online-Plattformen, wo die Inhalte anders, eher thematisch sortiert werden. Das ist eine andere Art der Kuratierung. Aber, und das ist mir wichtig: Ich glaube, dass das Publikum dankbar dafür ist, wenn wir Inhalte vorsortieren und strukturiert anbieten.

Die Strukturänderungen, die sie schildern sind immens. Das erfordert auch eine zunehmend crossmediale Zugangsweise zu den Inhalten. Die Redakteure arbeiten nicht mehr ausschließlich für ein Medium, etwa den Hörfunk, sondern sie müssen auch für Online Texte liefern und für das Fernsehen Bildbeiträge. Wie gut nehmen die Mitarbeiter in Ihrem Haus diese Veränderungen auf?

Wildermuth: Worauf man sich immer verlassen kann, ist, dass die Macherinnen und Macher von Inhalten auch wollen, dass diese Inhalte wahrgenommen werden. Und sie freuen sich, wenn es möglichst viele tun. Deshalb sehen die meisten im crossmedialen Arbeiten eine Chance. Ich produziere nicht nur einen Inhalt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt gesendet wird, sondern ich überlege auch, wie er noch anderen Menschen zugänglich gemacht werden kann, die womöglich erst Tage später dafür Zeit haben. Das sind immer wieder großartige Augenblicke, wenn Hörfunkspezialisten mit Fernsehleuten zusammenarbeiten und die verschiedenen Medien zusammendenken.

Die klassische Musik war immer beim BR ein bedeutender Schwerpunkt. Das äußert sich darin, dass der BR die einzige Sendeanstalt in Deutschland ist, die sich einen eigenen Kanal für klassische Musik leistet. Und der BR verfügt immer noch über zwei große symphonische Orchester. Bleibt die Klassik auch in Zukunft eine Kernkompetenz?

Wildermuth: Klassik gehört zu unserem Auftrag und zu unserem Profil. Es hat ja jede Landesrundfunkanstalt ihre besonderen Stärken. Der BR hat eine hohe Kompetenz im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, im Film und bei den Serien – denken Sie nur an „Monaco Franze“, „Servus Baby“, „Hindafing“ oder „Die Hausmeisterin“. Da haben wir eine große Tradition. Und zu dieser gehört auch die Klassik!

Bleibt es bei den beiden Orchestern?

Wildermuth: Die stehen nicht zur Disposition, da sie sie ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Es geht nicht nur darum, dass wir klassische Konzerte anbieten. Die Klangkörper haben auch ein großes Engagement im Bereich Education. Wir arbeiten mit Nachwuchskünstlern, mit Musikklassen, wir bieten Musikvermittlung. Wir haben beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das den Ruhm unserer Sendeanstalt in der ganzen Welt verbreitet, mit Simon Rattle einen Chefdirigenten gefunden, dem gerade die edukative Seite besonders wichtig ist. Das Ziel muss sein, dass die Menschen in Bayern sagen: Es ist gut, dass es den Bayerischen Rundfunk gibt, es ist aber auch gut, dass es die Klangkörper des BR gibt. Dafür wollen wir noch intensiver in die Region gehen, wir brauchen noch niederschwelligere Angebote in der klassischen Musik. In den Mediatheken gibt es fantastische Angebote, etwa die Podcasts mit dem Pianisten Igor Levit, die ein sehr breites Publikum erreichen. Klassik bedeutet bei uns viel mehr, als nur klassische Konzerte zu veranstalten. Wir sind innerhalb der ARD auch zuständig für die Koordination der Klassik und der Kuratierung der Inhalte in der Mediathek. Da gibt es großartige Dokumentationsreihen, etwa über Komponistinnen.

Dokumentationen bilden ja ohnehin einen Schwerpunkt, den Sie innerhalb der ARD wahrnehmen. Wie äußert sich dieses Engagement?

Wildermuth: Wir haben beobachtet, welche Erzählformen, besonders in den Mediatheken, großen Zuspruch erfahren. Und dazu gehört langformatiges Erzählen: Dokumentarfilme und Dokumentationen. Sie geben dem Publikum die Möglichkeit, sich tiefer in ein Gebiet hineinzudenken, lange Recherchen können umfassend dargestellt werden. Deshalb hat die ARD beschlossen, eine neue Koordination zu gründen. Der Befund war: Wir alle machen sehr viel auf dem Gebiet der Dokumentation, aber manchmal wäre es vielleicht besser, wenn wir unsere Kräfte mehr bündeln. Wir haben viele Juwelen, aber nicht alle bringen wir zum Strahlen. Daher benötigen wir eine Koordination – die Synergien schafft und etwa Koproduktionen ermöglicht. Unser Ziel ist mehr redaktionsübergreifende Zusammenarbeit, die zum Beispiel anregt, dass man gemeinsam auch mal einen größeren Wurf plant und diesen erfolgreich auf allen Ausspielwegen verbreitet. Wir können da in unserer Koordinationsrolle noch mehr Power reinbringen.

Ein Streitpunkt in der gesamten Medienwelt ist das Gendern. Wie halten Sie es damit beim BR und wie ist hier der Diskussionsstand innerhalb der ARD?

Wildermuth: Der BR fördert geschlechtergerechte Sprache, aber es gibt keine allgemeine Regel, die wir allen unseren Angeboten überstülpen wollen. Unser Maßstab ist das Publikum: Wir schauen ganz genau, für welche Zielgruppe wir welches Format machen. Und letztlich entscheiden die Redaktionen, die ihr Publikum und dessen Erwartungen am besten kennen, welcher Weg für welches Angebot der jeweils richtige ist. Dabei sollte Sprache immer verständlich sein. Auch innerhalb der ARD wird das Thema Gendersprache intensiv diskutiert.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags


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