Interview in den Nürnberger Nachrichten am 24.02.2021 Wildermuth: "Die Menschen vertrauen uns mehr denn je"
Seit Anfang Februar leitet Dr. Katja Wildermuth als neue Intendantin die Geschicke des Bayerischen Rundfunk. Die 55 Jahre alte Journalistin spricht im Interview über die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in der Corona-Krise, die Rundfunkgebühren und den Franken-Tatort.
Das Interview führte Alexander Jungkunz von den Nürnberger Nachrichten:
Frau Wildermuth, der BR fährt eine dezidierte Regionalstrategie, eröffnet Studios in Weißenburg und in Neumarkt – was haben Sie vor? Wollen Sie uns, den regionalen, privatwirtschaftlich finanzierten Medienhäusern, das Wasser abgraben?
Katja Wildermuth: Nein, überhaupt nicht. Wir haben den Auftrag, die Menschen in ganz Bayern zu erreichen – alle Altersgruppen und soziale Schichten, in allen Regionen. Deshalb hat der BR diese Regionaloffensive gestartet. So sind wir noch näher dran an den Menschen und können Themen aus den Regionen, die für ganz Bayern relevant sind, optimal fürs BR-Programm aufbereiten. Diese soziale und regionale Breite ist wichtig für unsere Akzeptanz. Gleichzeitig setzen wir entsprechend unserem Auftrag ganz dezidiert auf Audio und Video. Wir sehen uns überhaupt nicht als Konkurrenz zu Regional- und Heimatzeitungen. Deren Rolle ist und bleibt für uns beispiellos – kein anderes Medium ist so tief verwurzelt und berichtet so detailliert im Lokalen. Das wollen und können wir gar nicht leisten. Wir wollen unser Kerngeschäft gut machen – Audio und Video.
Wo können Medienhäuser und der BR kooperieren, was verbindet uns?
Wildermuth: Uns sollte klar sein: Wir haben als Qualitätsmedien eine ganz wichtige gemeinsame Aufgabe. Wir alle erleben eine Entwicklung, die mir große Sorgen macht: Wir sehen, wie die Gesellschaft immer mehr in Teilöffentlichkeiten zerfällt. Da gehen nicht nur Meinungen auseinander, da erodiert teils auch die Gesprächsgrundlage, wenn Fakten zur Meinung umdeklariert werden. Ich sitze jetzt hier an einem grauen Tisch – und dann kommen Menschen und sagen: Für mich ist der grün. Wenn das Verständnis von Realität so weit auseinanderläuft, sehe ich für uns als Gesellschaft ein handfestes Problem. Da haben wir eine enorm wichtige Aufgabe für unseren demokratischen Diskurs: Wir müssen als Qualitätsmedien verlässliche Gesprächsgrundlagen bieten.
Teils kooperieren wir ja – Stichwort gemeinsames Rechercheteam zum NSU und Rechtsextremismus in der Region...
Wildermuth: Diese Kooperationen werden weitergehen. Beispiele wie dieses zeigen sehr gut, wie wertvoll Qualitätszeitungen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk gemeinsam für die Gesellschaft sein können.
Riesen-Thema für unsere Leserinnen und Leser: Wie geht es weiter mit dem "Franken-Tatort"?
Wildermuth: Wir haben jetzt den siebten Fall abgedreht, der im Frühjahr läuft – "Wo ist Mike?". Und wir haben bald Drehstart für den achten Fall. Und es geht munter weiter. Ich mag dieses Format, das mit großer Leidenschaft fortgesetzt wird.
Sie bauen gerade das Studio Franken aus. Da entsteht ein neuer Saal – was haben Sie damit vor?
Wildermuth: Die Baustelle ist im Zeit- und im Budget-Limit – was ja nicht selbstverständlich ist in diesen Tagen. Nach dem Sommer werden wir den Saal eröffnen. Unser Wunsch ist, dass das ein lebendiges kulturelles Zentrum wird für die ganze Region – offen auch für andere Partner und Veranstalter. Das zeigt auch, dass wir uns immer weiter öffnen wollen und müssen. Das ist für Qualitätsmedien ganz wichtig: Transparenz und Öffnen – schaut uns über die Schulter, schaut uns bei den Produktionen zu. Selbst unsere größten Kritiker verstehen dann besser, wie wir arbeiten. Ganz konkret bietet der neue Saal mit smarter Technik eine enorme Bandbreite von Schlager über Kammermusik bis zur Medienkunst.
Wenn man sieht, wie der BR expandiert in der Region, dann hat man den Eindruck, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk beim Blick auf die Finanz- und Gebührendebatte auf hohem Niveau jammert...
Wildermuth: Zwei Begriffe möchte ich gern korrigieren. Zum einen das Wort "expandieren". Tatsache ist: Wir haben seit 2009 keine Beitragsanpassung. Wir haben die letzten zehn Jahre alle Preissteigerungen ohne Erhöhung des Rundfunkbeitrags kompensieren müssen. Die Regionaloffensive des BR ist eine räumliche Expansion – aber sie ist durch Umschichtungen von Ressourcen in die Region entstanden. Wir konnten die letzten elf Jahre nur überstehen, indem wir massiv in den Bereichen Verwaltung und Produktion gespart haben. Wir bauen im BR zum Beispiel 450 Stellen in der Fernsehproduktion ab bis 2025. Wir sparen in der ARD insgesamt bis 2028 rund 588 Millionen Euro über strukturelle Reformen ein.
Und was ist der zweite Begriff, der Sie stört?
Wildermuth: Das Wort "jammern". Wir denken uns den Rundfunkbeitrag ja nicht selbst aus. Die KEF als unabhängige Kommission prüft den Bedarf, den wir als Sender anmelden, und kürzt das regelmäßig zusammen. Dann geht dieser Vorschlag an die Landesregierungen, die dem neuen Rundfunkbeitrag zustimmen müssen.
Thomas Gottschalk hat kürzlich in einer Wutrede die Öffentlich-Rechtlichen scharf kritisiert und deren "Verwaltungsmoloch" angeprangert...
Wildermuth: Manches an seiner Kritik erscheint mir doch aus der Zeit gefallen. Etwa der Vorwurf, wir erreichten keine jungen Leute – das ist sehr am traditionellen Fernsehen orientiert, da ist der Altersdurchschnitt höher. Aber: Bayern 3 ist das erfolgreichste Radioprogramm bei den 14- bis 29-Jährigen, wir haben Super-Angebote für junge Leute, zum Beispiel PULS oder auch das junge Nachrichtenformat News-WG... Und dass Landesrundfunkanstalten nicht zusammenarbeiten, stimmt auch nicht. Unsere DNA als ARD ist regionale Vielfalt – aber wo Kooperation machbar ist, da findet sie statt.
Glauben Sie, dass die Rundfunkgebühren überhaupt nochmal steigen werden – angesichts der heftigen Debatten 2020, als Sachsen-Anhalt einen Zuwachs blockiert hat?
Wildermuth: Die Beiträge richten sich nach dem, was unser Auftrag von uns verlangt. Den Auftrag definieren die Landtage und die Rundfunkgesetze. Daher ist für mich die wesentliche Frage: Haben wir weiter eine Debatte darüber, was der Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist und was sein Auftrag? Vor dieser Debatte müssen wir uns nicht verstecken. Gerade das letzte Jahr und die große Diskussion darüber, was denn glaubwürdiger Journalismus ist, haben gezeigt: Die Menschen vertrauen uns mehr denn je, sie halten unsere Informationen für verlässlich.
Sie loben Ihre Rolle während der Corona-Krise. Es gibt aber auch Studien, die gerade den Öffentlich-Rechtlichen zu viel Staatsnähe, zu wenig Kritik und zu viel Alarmismus bescheinigen...
Wildermuth: Es gibt sehr unterschiedliche Studien, die meisten attestieren uns eine große Differenziertheit in der Berichterstattung. Wir haben doch alle erlebt: Die ersten Wochen der Pandemie waren Wochen der Exekutive, da lag auf den ersten Entscheidungen der Politik auch ein Schwerpunkt in der Berichterstattung. Ich habe aber doch den Eindruck, dass es dann relativ rasch eine sehr plurale Diskussion gab, auch in unseren Formaten. Aber erst einmal mussten wir journalistisch und als Menschen lernen, mit dieser völlig neuen Informationslage umzugehen, die sehr zahlenkonzentriert war.
Viele unserer Leserinnen und Leser sind Fans von Bayern 2, dem Hörfunkprogramm mit sehr viel guten Texten. Aber wer da einschaltet, kennt immer mehr schon – weil die Wiederholungen massiv steigen. Passt das zu Ihrem Auftrag?
Wildermuth: Wenn Sie Fans von Unterhaltungsformaten fragen, werden wahrscheinlich auch sie über zu viele Wiederholungen klagen... Ganz ehrlich: Niemand hört 24 Stunden am Tag Bayern 2. Deshalb senden wir bestimmte Inhalte bewusst zu anderen Tageszeiten noch einmal, weil sie dann eine ganz andere Hörerschaft erreichen. Und immer mehr holen sich das Angebot per Podcast oder Download in der Audiothek, das erreicht dann wiederum andere Zielgruppen. Wir produzieren dort hochwertiges, beständiges Programmvermögen – die Hörspielreihe zum NSU-Prozess zum Beispiel. Im europäischen Vergleich haben wir immer noch ein hohes Niveau an Erstausstrahlungen – aber klar: Neues Programm kostet Geld.
Sie sprechen veränderte Seh- und Hörgewohnheiten an. Wird denn die "Tagesschau" – für viele ein Ritual – in zehn Jahren noch den Stellenwert haben wie heute?
Wildermuth: Aktuell hat sie ja Rekordquoten. In Zeiten, wo Menschen verlässliche Fakten und Qualitätsjournalismus wollen, kommen sie gern zurück zur "Tagesschau" oder auf unsere Angebote im BR. Hätten Sie mich vor fünf Jahren gefragt, hätte ich das nicht so prognostiziert. Und die "Tagesschau" hat es sehr gut geschafft, auch in den sozialen Kanälen eine starke Marke zu sein und zu bleiben. Da muss man nicht unbedingt um 20 Uhr einschalten.
Veröffentlichung der Onlineversion mit freundlicher Genehmigung des Verlags