Interview im vbw.Magazin "Gesinnungstests gibt es beim BR nicht"
Für die Demokratie gibt es gar nichts Besseres als einen relevanten und glaubwürdigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sagt BR-Intendantin Katja Wildermuth im Interview mit de vbw-Magazin. Zudem erklärt sie wie man Netflix, YouTube, Amazon, Spotify & Co. Paroli bieten kann
Frau Wildermuth, darf ich mit der Tür ins Haus fallen?
Sie dürfen!
Wofür brauchen wir einen öffentlich- rechtlichen Rundfunk?
Wenn es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gäbe, Hörfunk, Fernsehen und Online, dann müssten wir ihn erfinden. Er bietet einen verlässlichen, unabhängigen, nicht von Erregungswellen getriebenen oder durch Algorithmen definierten, sondern inhaltlich sauber recherchierten Journalismus. Es gibt durch die neuen Medien heute viele, die Inhalte anbieten – aber bei weitem nicht alles, was angeboten wird, hat auch etwas mit verlässlichen Nachrichten und seriösem Journalismus zu tun, ist also sorgfältig bearbeitet und gegengecheckt. Und was das Internet angeht: Da ist die Gefahr unheimlich hoch, dass wir mit wenigen Stichworten in einer Suchmaschine durch einen Algorithmus in eine Blase geführt werden, aus der man kaum mehr herauskommt. Oft auch, weil man gar nicht mehr heraus will, weil die Blase jede Menge Selbstbestätigung bietet. Andere Meinungen, Themen und Blickwinkel werden ausgeblendet. Das ist für die Gesellschaft und unsere Demokratie sehr gefährlich. Der öffentlich- rechtliche Rundfunk ist als Brückenbauer zwischen den jeweiligen Blasen ein probates Gegenmittel gegen solche Echokammern. Wir sehen ja, wie es just in jenen Ländern, in denen die öffentlich-rechtlichen Sender weniger relevant sind oder ihre Glaubwürdigkeit sogar von staatlicher Seite angezweifelt wird, um die Demokratie bestellt ist.
Wie erklären Sie sich, dass es auch hierzulande zunehmend gesellschaftliche und politische Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen gibt?
Ich glaube, das muss man hinterfragen: Gibt es mehr Kritik als früher? Oder wird sie nur lauter und vehementer vorgetragen? Dieser Wahrnehmung, die es zweifellos gibt, möchte ich deshalb Umfragen und Studien entgegenstellen, die jedes Jahr von unabhängigen Instituten durchgeführt werden: Gemessen wird der sogenannte „Public Value“, der öffentliche Wert des Bayerischen Rundfunks. Und da schneiden wir sehr gut ab. Wir haben Glaubwürdigkeitswerte, die aktuell so hoch sind, wie sie noch nie waren. Was das Ansehen des BR bei den Menschen in Bayern angeht, so landen wir auf dem zweiten Platz – nach BMW und zusammen mit dem FC Bayern. Aber ja: Es gibt Kritik, und natürlich, mit Kritik muss man sich auseinandersetzen.
Es gibt auch Studien, die den Öffentlich- Rechtlichen in Deutschland bescheinigen, im politisch konservativen Spektrum deutlich weniger Vertrauen zu genießen als im links-grünen. Können Sie sich das erklären?
Ich halte das für ein Narrativ. Nur weil es immer wieder so gesagt wird, ist das für mich noch nicht erwiesen. Zumal sich diese klassischen Rechts-Links- Schemata auch überlebt haben: Früher gab es rechte Politmagazine und linke Politmagazine. Die Grenzen, an denen entlang der politische Diskurs geführt wird, sind heute ja nicht mehr so klar, wie sie früher waren. Der rechte Vertreter einer linken Partei kann heute weiter rechts stehen als der linke Vertreter einer rechten Partei. Progressivität und Konservativität werden ganz anders definiert. Die Gesellschaft und die gesamte politische Landschaft sind heute deutlich komplexer. Zu unserem Auftrag zählt, die bayerische Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt und Lebenswirklichkeit abzubilden. Dazu gehört natürlich ein Meinungspluralismus innerhalb des BR – und der ist viel mehr als Schwarz-Weiß.
Eine Umfrage unter ARD-Volontären hat im vergangenen Jahr ergeben, dass 92 Prozent mit Grünen, Linken und SPD sympathisieren, nur drei Prozent mit der Union und nur 1,3 Prozent mit der FDP. Derlei könnte erklären, warum sich manche gesellschaftlichen und politischen Gruppen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gar so wohlfühlen.
Zunächst einmal handelt es sich dabei um keine repräsentative Umfrage, sondern um das Ergebnis einer losen Abfrage innerhalb eines noch nicht einmal vollständig abgebildeten Volontär- Jahrgangs, der sich wiederum nur zum Teil beteiligt hat. Sie hat daher keinerlei Aussagekraft. So wenig man aus der Gruppe der Wählerinnen und Wähler unter 30 auf die Gesamtbevölkerung schließen kann, ist es auch nicht möglich, von Volontärinnen und Volontären auf die parteipolitischen Präferenzen der Gesamtheit der Journalistinnen und Journalisten zu schließen. Was entscheidend ist: Der immer in irgendeiner Form vorhandene eigene Hintergrund darf die journalistische Arbeit nicht beeinflussen. Darauf legen wir in unserer Ausbildung höchsten Wert.
Gleichwohl: Was sagt das über die politische Diversität öffentlich- rechtlicher Sender aus?
Wie gesagt, gar nichts. Wichtig ist tatsächlich, dass wir beim BR die gesamte Bandbreite unserer Gesellschaft repräsentieren. Dazu ist es unerlässlich, dass wir nicht zu homogen rekrutieren. Damit meine ich Vielfalt im gesamten Wortsinn – Alter, Geschlecht, Orientierung, soziale und regionale Herkunft, kulturelle Prägung, Bildungswege. Was bei unseren Rekrutierungen zählt, ist die fachliche Eignung. „Gesinnungstests“ gibt es beim BR nicht.
Pluralität ist nett, doch Synergien sind wirtschaftlich: Es gibt Überlegungen, öffentlich-rechtliche Sender zu verdichten, etwa Landesrundfunkanstalten zusammenzulegen. Und natürlich die Frage, ob es wirklich zwei Familien braucht, ARD und ZDF. Wie stehen Sie dazu?
Ganz Europa beneidet uns um die ARD und ihre regionale Verankerung. Sie ist Teil unserer Stärke, Teil unseres gesetzlichen Auftrags. Daran sollten wir festhalten. Das heißt nicht, dass Kooperationen nicht ausgebaut werden können. Auf dem Video- und Audiomarkt können wir als ARD unsere Stärken gegenüber YouTube, Spotify und Netflix am besten gemeinsam als Netzwerk ausspielen: Audiothek, Mediathek, Tagesschau, Sportschau und KiKA – das sind unsere „Big Five“. Da haben wir nicht nur Kraft, sondern sind auch relevant.
Aber die Frage, die gestellt wird, ist doch, ob bei einer Pressekonferenz der Bundeskanzlerin ein Kamerateam vom BR sitzen muss, eines von der ARD und dazu noch die Kollegen vom ZDF?
Die Frage ist, welchen Wert man der Vielfalt in der Berichterstattung beimisst. Vielfältige Berichterstattung bedeutet, auch vielfältige Blickwinkel zu haben. Wenn da also Journalisten des BR sitzen und zugleich Journalisten des ARD-Hauptstadtstudios, dann haben diese jeweils einen unterschiedlichen Fokus. Die BR-Kollegen werden bei der Pressekonferenz der Kanzlerin versuchen, speziell die Frage zu beantworten: Was bedeutet das für Bayern? Die Zeiten, in denen fünf oder sechs Kollegen in einer Pressekonferenz saßen, sind längst vorbei. Aber nochmal: Pluralismus ist ein hoher Wert und hat große Bedeutung für unsere Demokratie.
Eine Kritik, die immer wieder zu hören ist, lautet, der öffentlich- rechtliche Rundfunk versuche, die Gesellschaft zu erziehen. Irritationen gab es etwa 2015 bei der Flüchtlingswelle und 2020 bei Corona, wo viele fanden, dass zu kritiklos die Regierungslinie verbreitet wurde. Aktuell umstritten ist etwa das Gendern – an den Regeln der deutschen Sprachlehre vorbei. Wie hält es da der BR?
Wir müssen unsere Arbeit gut machen. Das bedeutet, ordentlichen Journalismus abzuliefern und dadurch Orientierung zu ermöglichen. Auf dieser soliden Faktenlage können sich die Menschen ihre Meinung selber bilden. Was das Gendern angeht, so halte ich das für eine sehr interessante, dynamische Debatte. Was ich daran gut finde, ist, dass es zu einer Sensibilisierung des Sprachgebrauchs geführt hat, zu einer gewissen Selbstbeobachtung und zum Hinterfragen der eigenen Praxis. Der BR hat für sich entschieden, auf geschlechtergerechte Sprache zu achten, vorerst allerdings ohne den sogenannten Genderstern. Wir werden bis zum Jahresende Erfahrungen sammeln und dann neu evaluieren. Ausgenommen davon sind junge Angebote, bei deren Zielgruppe das bereits etabliert und akzeptiert ist. Ich bin der Meinung: Eine wachsende Sensibilität ist gut, aber entscheiden sollten wir das in Ruhe.
Vorerst also keine „BürgerInnenmeisterInnenkandidatInnen“ beim BR?
Ich sage Ihnen: Das ist mitunter auch eine Generationenfrage. Es gibt junge KollegInnen (sie macht ein bewusstes Knackgeräusch in der Mitte des Wortes) in diesem Haus, für die ist das bereits völlig selbstverständlich. Und andere machen es eben nicht. Klar ist: Bei Nachrichten geht es auch um Verständlichkeit. Deshalb möchte unsere Geschäftsleitung aus der Emotionalität dieser Debatte herauskommen, um am Ende eine valide Entscheidung im Haus treffen zu können.
Ganz im Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer und der Zuhörerinnen und Zuhörer.
Beziehungsweise der Zuschauenden und Zuhörenden.
Zweifellos definiert ein Sender wie der BR auch das Bild bestimmter gesellschaftlicher Gruppen …
Unbedingt! Und deshalb müssen wir die Rollenbilder, die wir in fiktionalen Erzählungen vermitteln, stets überdenken. Wir müssen Klischees immer wieder hinterfragen. Es ist eine unserer vornehmsten Aufgaben, Stereotype zu durchbrechen.
Wenn also beispielsweise Unternehmer und Manager in Filmen und Serien immer als Menschen dargestellt würden, die in Villen wohnen und anderen etwas Böses wollen …
… dann wäre das nicht gut. Aber ehrlich gesagt, fallen mir da eher beeindruckende Dokumentationen ein wie die Filme über Aenne Burda, über die Gebrüder Albrecht und die Gebrüder Dassler. Sollte es also diesen Eindruck geben, dann kann ich den insofern nicht bestätigen. Und was unter der Rubrik Wirtschaft die nachrichtliche Berichterstattung angeht, haben wir – alleine mit Blick auf das heutige Programm – gute Themen im Angebot: Über die Landwirtschaft – mit und ohne Fleisch. Über die bayerische Zulieferindustrie. Über den Maschinenbau. Über den Arbeitsmarkt, den Einzelhandel, den Wohnungsbau. Ich glaube, wir verfügen da sowohl über eine große Expertise als auch ein hohes Verständnis für und eine starke Affinität zum Berichtsgegenstand.
Eine Auswirkung des Diskurses über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, dass es Menschen gibt, die die Zahlung der Rundfunkgebühren demonstrativ verweigern – und dafür sogar Beugehaft auf sich nehmen. Der WDR exerziert das gerade durch und lässt einen „GEZ-Rebellen“ für Monate einsperren. Würde der BR auch so weit gehen?
Der Beitrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist eine gesetzliche Abgabe. Und Gesetze müssen eingehalten werden. Werden Gesetze nicht eingehalten, läuft der für diesen Fall vorgesehene Rechtsweg an. In meiner Wahrnehmung ist das aber auch ein von sogenannten GEZ-Rebellen bewusst provoziertes Auf-die-Spitze- Treiben dieses Themas – mit großer medialer Begleitmusik. Ich denke, man wird jeden Einzelfall betrachten müssen. Wir beim BR hatten einen solchen Fall jedenfalls noch nicht.
Zuletzt gab es bei den Öffentlich- Rechtlichen einige ziemlich prominente Abgänge von Moderatoren, die abspringen und ins Lager der Privatsender wechseln. Ein beunruhigender Trend?
Ich würde nicht sagen, dass die abspringen. Wechsel sind etwas ganz Normales. Natürlich ist es schade, wenn wir ein großes Talent verlieren. Aber es gehört zum Alltag, und es gibt ja auch gegenläufige Bewegungen. Natürlich können wir als Öffentlich- Rechtliche gerade bei den Spitzengehältern ökonomisch nicht das bieten, was Private bieten. Aber die Motive für Wechsel sind sicher individuell verschieden.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat feste Sendezeiten und zwei Beine: Information und Unterhaltung. Informationen bietet das Internet – und zwar fast in Echtzeit. Und die Unterhaltung kommt von Netflix und Amazon – und zwar dann, wenn die Nutzer es wollen. Wie lange können Sie da noch mithalten?
Gemäß unseres Auftrags haben wir vier Beine: Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung. Alle folgen einem Ziel: Möglichst viele Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten zu erreichen. Information liefern wir durch hochklassig ausgebildete Journalisten, die Gründlichkeit vor Schnelligkeit setzen, die alle journalistischen Standards beachten und die ganz sauber trennen zwischen Informationen und Behauptungen. Mit der Unterhaltung, die von der Übertragung eines Generationen und soziale Herkünfte überspannenden Events wie ein Fußballspiel bis hin zum „Tatort“ reicht, erreichen wir viele Menschen nicht nur mit dem Kopf, sondern auch emotional, tragen zu gemeinsamen identitätsstiftenden Momenten und Wertebildung bei. Kultur ist ein weiteres, sehr starkes Standbein, bei dem wir viel mit Partnern wie Kulturinstitutionen arbeiten und die Aufmerksamkeit auf kreatives Schaffen lenken – auf Programme, die auf dem freien Markt von vornherein nicht refinanzierbar wären. Ebenso ist es im Bereich der Bildung: Da hat sich die jahrelange Kompetenz, die wir aufgebaut haben, gerade im vergangenen Jahr ausgezahlt, als viele Schulen wegen Corona geschlossen hatten – keine schnellen Videos dubioser Herkunft, sondern mit Fachexperten erarbeitete seriöse Bildungsinhalte. Das ist alles gleichermaßen wichtig.
Aber Unterhaltung kann Netflix auch …
Na klar, deswegen schauen wir hier ganz genau, was unsere Stärken sind. Was können wir, was andere nicht machen? Das reicht von „Dahoam is Dahoam“, das eine ganz starke Fanbase hat, bis zur Serie „Servus Baby“, die eine ganz andere Zielgruppe anspricht. Da können wir unsere ganze regionale Breite ausspielen, auch mit hiesigen Produzentinnen und Produzenten.
Ihr Vorgänger Ulrich Wilhelm hat eine Transformation des BR eingeleitet. Sie sind nun ein halbes Jahr hier. Gibt es noch viele Baustellen, Reformbedarf?
Wir müssen uns daran gewöhnen, dass Aufbruch der neue Normalzustand ist. Wir werden nie mehr irgendwo ankommen und sagen: Geschafft! Dafür ist die Medienwelt viel zu dynamisch geworden. Niemand weiß, welche Herausforderungen und Chancen uns die Technik in fünf Jahren bringen wird. Was die crossmediale Aufstellung des Senders angeht, also die Aufstellung nach Inhalten statt nach Ausspielwegen, sind wir schon richtig gut. Jetzt müssen wir lernen, die tollen Inhalte, die wir produzieren, noch besser zu verbreiten – also auf anderen Wegen neuen Zielgruppen zugänglich zu machen. Das ist ein ewiger Lern-und-Change-Prozess. Die bauliche Schaffung des crossmedialen Campus in Freimann ist da für uns ein ganz wichtiger Punkt – weil durch das Näheprinzip Kreativität befördert wird. Wir sind gut aufgestellt, was die Regionalität angeht: Wir können innerhalb von einer Stunde von jedem Punkt in Bayern live berichten. Wir haben hier viel gelernt, etwa, wie flexibel wir sind und welche technischen Möglichkeiten wir umzusetzen imstande sind. Aber der Technik- Boost ist nicht zu Ende, er wird weiter die Arbeitsweisen und die Berufsbilder verändern. Und das schlägt auch auf die Unternehmenskultur nieder: Wir werden immer flexibler, probieren Dinge aus – ohne allen möglichen Bedenken vorab Rechnung getragen und ohne alle sieben Unterschriften eingeholt zu haben. Experimentierfreude, Eigenverantwortung, das Bilden von agileren Teams über viele Hierarchiestufen hinweg – das wird unsere Zukunft.
Sie wollen den BR also zum Start-up machen?
Bei Start-ups denkt man immer an eine Garage. Die müsste in unserem Fall mit über 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ziemlich groß sein. Im Ernst: Eine öffentlich-rechtliche Institution wie der BR folgt anderen Regeln – doch an der ein oder anderen Stelle können wir uns von der Start-up-Kultur durchaus inspirieren lassen.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags