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Nürnberger Nachrichten "Es sind wenige Kritiker, aber laute"

BR-Jubiläum: Intendantin Katja Wildermuth über Lage und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den bayerischen Sender und den Franken-"Tatort". Von Michael Husarek und Birgit Ruf

Stand: 28.06.2024

Dr. Katja Wildermuth (Intendantin, Bayerischer Rundfunk). | Bild: BR/Markus Konvalin

Zum 75. Jubiläum des Bayerischen Rundfunks rücken auch die Darsteller des Franken-"Tatorts" an. Welchen Stellenwert hat die Reihe für den BR? Wo steht der Sender und wo will er hin? Fragen an Intendantin Katja Wildermuth.

Frau Wildermuth, der BR feiert heuer 75 Jahre. Was wollen Sie als Intendantin mit Ihrem Sender für die Menschen im Freistaat sein?
Wertvoll und wertgeschätzt. Journalistisches Handwerk und Medien, die verantwortungsvoll mit Informationen umgehen, sind derzeit wichtiger denn je. Als BR wollen wir Angebote machen, die Netflix, Instagram oder ProSieben nicht haben. Wir überlegen uns bei allen Programmangeboten: Was macht uns einzigartig? Das sind dann zum Beispiel BR24 oder Medienkompetenzprojekte oder neue Formate wie unser Kultur-TikTok-Kanal „Literally“.

Es gab Zeiten, da wurde Ihr Sender wie auch andere öffentlich-rechtliche stärker wertgeschätzt von der Gesellschaft. Wie gehen Sie damit um?
Nach wie vor ist die Wertschätzung für unsere Angebote sehr hoch, das zeigen viele unabhängige Umfragen. Klar gibt es auch Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie heutzutage bedauerlicherweise an fast allen demokratischen Institutionen. Wir sehen aber auch: In Summe sind es eher wenige, aber sehr laute Kritiker.
Apropos laute Kritiker: Mit der Einladung der AfD zu Podiumsdiskussionen im Vorfeld der Europawahl hat der BR Kritik einstecken müssen. Wie wollen Sie dauerhaft mit dem Thema umgehen?
Es gibt klare gesetzliche Vorgaben, die sogenannte abgestufte Chancengleichheit für Wahlsendungen. Daran halten wir uns.

Sie könnten ja auch mutig sein und sagen: Daran halten wir uns nicht!
Gerade wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk sind zu Gesetzestreue sowie zu Neutralität und Ausgewogenheit auch in heißen Phasen von Wahlkämpfen verpflichtet.

Noch ein konfliktträchtiges Thema: Die Bereitschaft zu einer Erhöhung der Rundfunkbeiträge geht auf nationaler Ebene zurück. Was bedeutet das für Sie?
Wir sind im Moment inmitten eines Verfahrens, das gesetzlich geregelt ist. Es besteht aus drei Schritten: Die Anstalten melden gemäß dem Auftrag ihren Bedarf an, darüber berät die unabhängige Experten-Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs und gibt eine Empfehlung ab. Diese liegt aktuell bei einer Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 58 Cent – also nicht mal dem Gegenwert einer einzigen Brezn pro Monat, und das bei der aktuellen Inflation. Die Politik kann nur mit schwerwiegenden Argumenten die Beitragsempfehlung ablehnen. Ich gehe davon aus, dass gerade in diesen Zeiten, in denen wir viel über Vertrauensverlust in demokratische Institutionen reden, auch in der Politik eine große Rechtstreue vorliegt und das Verfahren ordentlich zu Ende geführt wird.

Und damit die empfohlene Erhöhung kommt. Bleiben wir bei den Finanzen: In München errichten Sie einen neuen Standort, dessen Baukosten für massive Kritik sorgten.
Die Kritik bezog sich auf die Verteuerung eines Teilprojekts unseres Neubaus in Freimann: die Kantine, deren Baukosten wegen eines zusätzlichen unvorhergesehenen Sanierungsbedarfs von rund vier Millionen Euro auf 15 Millionen Euro angestiegen sind. Aber: Das gesamte Bauprojekt, das zu 95 Prozent fertig und übergeben ist, ist insgesamt voll im Kosten- und Zeitplan geblieben – ein in diesen Zeiten herausragendes Ergebnis. Die Kostensteigerungen bei der Kantine wurden durch Einsparungen an anderer Stelle ausgeglichen.

Auch in Nürnberg haben Sie mit viel Geld ein Studio errichtet. Von solchen Investitionen können andere Medien, etwa der private Hörfunk oder private TV-Sender nur träumen. Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu üppig ausgestattet?
Was wir in Nürnberg 2022 eröffnet haben, ist ein schlankes, modernes und kleines Studio – ohne riesige Showtreppe, dafür mit multifunktionalen Räumen für Produktionen und Veranstaltungen mitten in Franken.
Nürnberg ist Ihr größter Standort jenseits der Zentrale. Und trotzdem mussten die Franken lange kämpfen, um ihren eigenen „Tatort“ zu bekommen. Hört man in München zu wenig auf die Provinz?
Ich finde nicht, dass man die regionale Verankerung des Bayerischen Rundfunks an der Frage der Spielorte eines Krimiformats festmachen kann. Sie zeigt sich doch viel eher darin, dass wir in ganz Bayern 30 Korrespondentenbüros haben. Nachhaltiger als ein „Tatort“-Dreh sind auch unsere vielen Kultur-Partnerschaften mit Franken – von den Bamberger Symphonikern über das Erlanger Poetenfest bis zum Stadttheater Fürth.

Zwischen privat finanzierten Medien und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ein Streit entbrannt, der sowohl die EU-Kommission als auch die Gerichte beschäftigt: Es geht um vermeintlich textähnliche Angebote auf ihren digitalen Ausspielkanälen. Müssen die wirklich sein?
Uns ist bewusst, der wirtschaftliche Druck auf die Verlage hat zugenommen. Das hat auch mit dem gewandelten Mediennutzungsverhalten zu tun. Ich finde es aber in Zeiten des Smartphones nachgerade absurd, wenn Verbandsfunktionäre fordern, dass wir uns praktisch auf die gute alte Glotze zurückziehen und unsere Qualitätsangebote den Beitragszahlern im Netz vorenthalten sollen. Wir haben den Auftrag, mit unserem politisch und ökonomisch unabhängigen Journalismus zur demokratischen Meinungsbildung beizutragen. Dazu müssen die Angebote da sein, wo Meinungsbildung stattfindet.

Auch Unterhaltung ist Teil des Auftrags. Ein dehnbarer Begriff. Wie weit geht denn die Unterhaltung beim BR?
Etwa 60 Prozent unserer Programmangebote sind aus dem Informationsbereich, etwa zehn Prozent aus dem Unterhaltungsbereich. Wir konzentrieren uns auf Einzigartiges. Für den BR ist Unterhaltung zum Beispiel die „Fastnacht in Franken“, die „Brettl-Spitzen“, bayerisches Kabarett, Franz Xaver Bogners Serie „Himmel, Herrgott, Sakrament“ oder die neue Staffel zur Geschichte des Oktoberfestes. So etwas macht nur der BR.

Ein Teil des Auftrags ist auch die Bildung. Gegen die Kürzung der Kulturprogramme regt sich derzeit heftiger Widerstand unter anderem mit Petitionen für eigenständige Kultursendungen statt Häppchenkultur. Bleiben Sie bei Ihrer Streichliste?
Es gibt keine Streichliste. Wir haben im Rahmen der Programmreform bei Bayern 2 bestimmte Sendeplätze umgestaltet, manche Inhalte tauchen unter anderen Überschriften auf. Das ist richtig. Aber wir haben keinen einzigen Cent aus dem Kulturbereich genommen. Ziel der Neuausrichtung ist vielmehr, Kulturinhalte einem noch breiteren Publikum in den hörerstarken Zeiten zu präsentieren und zugleich im Digitalen neue Zielgruppen zu erreichen.

Welchen Stellenwert hat Kultur im BR?
Eine unserer Stärken ist unsere Art, mit redaktionellem Blick und Reflexionen auf Kultur zu schauen. Das gilt umso mehr im Hinblick darauf, was uns mit KI-generierten Informationen noch alles bevorsteht. Deswegen wehre ich mich so gegen das Klischee der Häppchenkultur. Was uns auch künftig einzigartig macht, sind gerade nicht nur kurze, schnelle Berichte. Diese Häppchen kann auch die KI aus dem Netz zusammensuchen. Was uns einzigartig macht, sind Langformate, Unerwartetes, selbst gesetzte Themen – also das, was nur Journalisten, was nur Menschen können.

Wird der BR auch noch seinen 100. Geburtstag feiern können?
Ja, freilich! Jetzt feiern wir aber erst einmal unseren 75. Nicht mit einer großen Studio-Gala, sondern mit unserem Publikum in allen sieben Regierungsbezirken vor Ort. Dazu kommen wir mit BR-Stars in die jeweiligen Regionen und zum Auftakt jeder Festwoche gibt es eine Kulturveranstaltung – in Nürnberg zum Beispiel kommende Woche unsere Jubiläums-Preview zum 10. „Tatort-Franken“.

Zum Thema

Vorab-Premiere des Franken-"Tatorts"
Bei einer exklusiven Premiere wird der zehnte Franken-"Tatort" mit dem Titel "Trotzdem" , der erst im Herbst im Fernsehen zu sehen sein wird, am Montag, 17. Juni im BR Studio Franken vorab gezeigt - in Anwesenheit der Hauptdarsteller Dagmar Manzel, Fabian Hinrichs und Eli Wasserscheid sowie des Regisseurs und Drehbuchautors Max Färberböck.
Die "Frankenschau aktuell" berichtet ab 17.30 Uhr vom Roten Teppich. Vom 21. bis 23. Juni wird der Studiopark an der Nürnberger Wallensteinstraße zur Kärwa mit Fahrgeschäften, Musik, Tanz und Unterhaltung. Mehrere Sendungen werden live von dort gesendet oder dort aufgezeichnet.
Am 23. Juni kommt die Publikums-Diskussionssendung "Sonntags um 11" in BR24 live aus dem BR-Studio Franken. Das aktuelle Thema: "Ja zur Stadt-Umland-Bahn: Wie kann Mittelfranken davon profitieren?". Zu Gast ist Michael Husarek, Chefredakteur des Verlags Nürnberger Presse.

Nürnberger Nachrichten vom 13.06.2024, siehe auch hier.
Von Michael Husarek und Birgit Ruf


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