Main-Echo "Qualitätsjournalismus hochhalten"
Katja Wildermuth: Die Intendantin des BR über regionale Stärken, teure Sportrechte und laute Minderheiten
Katja Wildermuth (57) ist gut gelaunt und entspannt bei ihrem Besuch im Medienhaus Main-Echo: Weder die aktuelle Finanzierungsdebatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch die von einer kleinen, aber lauten Minderheit gestellten Grundsatzfragen zur Existenzberechtigung des ganzen Systems rauben der Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR) die Zuversicht. "Die Menschen sind froh, wenn der BR zu ihnen kommt, sie schätzen unsere Arbeit", ist die Chefin von rund 5200 Mitarbeitenden sicher. Im exklusiven Interview erläutert Wildermuth, warum sie die regionale Verankerung des BR für entscheidend hält – und warum es trotzdem nicht möglich ist, über alle (Sport-)Ereignisse in Bayern zu berichten.
Nervt Sie die Debatte um Verschwendung in den öffentlich-rechtlichen Sendern, gerade auch nach dem Skandal um ihre Kollegin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)?
Da wir uns durch den Beitrag der Gemeinschaft finanzieren, ist es das gute Recht von allen, uns zu fragen, was mit dem Geld passiert. Deshalb nervt mich die Debatte nicht. Maximale Transparenz über unsere Ausgaben ist die einzig mögliche Antwort: Wir müssen immer klar sagen, wie viel Geld geht in welches Programm, wie viel in die Verwaltung? Wie viel Geld geben wir für Informationssendungen aus, wie viel für Kultur, wie viel für fiktionale Erzählungen? Und wir müssen uns stets der offenen Debatte stellen, ob die Verteilung des Geldes richtig ist, oder ob wir etwas besser machen müssen.
Diskussionen gibt es immer mal wieder um teure Sportrechte. Wie stehen Sie zu diesen Aufwendungen?
Ich habe es schon gesagt: Die Frage, für welche Programmteile wir wie viel Geld aufwenden, ist vollkommen berechtigt. Gerade im Sport flammt diese Debatte immer dann auf, wenn Veranstaltungsorte wie Peking bei den Olympischen Winterspielen oder Katar bei der Fußball-WM gesellschaftspolitisch umstritten sind. Uns muss aber bewusst sein, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen unterschiedliche Perspektiven und deshalb auch unterschiedliche Meinungen haben, wenn es um die Sinnhaftigkeit von Investitionen in Übertragungsrechte geht. Ganz ehrlich: Ich kann mir eine Fußball-EM in Deutschland ohne ARD und ZDF nicht vorstellen.
Es gibt aber auch Sportereignisse in Bayern, denen der BR die kalte Schulter zeigt: Ein in unserer Region laut diskutiertes Beispiel war das Halbfinale in der Ringer-Bundesliga zwischen Kleinostheim und Mainz. Ihre Kollegen vom SWR in Mainz kamen mit einem eigenen Fernseh-Team zu diesem Kampf nach Aschaffenburg; vom BR war nichts zu sehen. Wie kann das sein?
Ich bin selbst eine leidenschaftliche Sportlerin und kann sehr gut verstehen, dass Vertreter von Verbänden und Vereinen sich wünschen, dass wir stärker bei ihnen präsent sind, weil sie selbst unheimlich viel – gerade auch im Ehrenamt – investieren. Jeden dieser Wünsche zu erfüllen, ist für uns nicht umsetzbar. Der BR-Sport berichtet jährlich über rund 50 verschiedene Sportarten. Es wird aber leider immer Einzelfälle wie in ihrem Beispiel geben, bei denen wir eine Enttäuschung produzieren, weil wir uns fokussieren müssen.
Liegt es vielleicht daran, dass der bayerische Untermain vom BR-Hauptsitz in München doch ziemlich weit weg ist?
Nein, ganz sicher nicht. Wir haben hier in Aschaffenburg zwei tolle Korrespondentinnen, die eine großartige Arbeit machen und ihre Zulieferung in allen unseren klassischen und digitalen Kanälen von Jahr zu Jahr deutlich steigern. Der BR lebt davon, in allen Regionen hervorragend vertreten zu sein – das ist unser Markenzeichen, da sind wir beispielgebend.
Sind Sie da sicher?
Ja, das bin ich. Wir haben 30 Regional-Standorte, wir sind in den Regionen so stark vertreten wie keine andere ARD-Anstalt. Wir sind damit ein Vorbild für ganz Europa, wie ich aus Gesprächen mit internationalen Kolleginnen und Kollegen weiß. Für uns arbeiten Menschen, die aus den Regionen kommen und in den Regionen leben. Und sie arbeiten mit einer großen Kompetenz und Selbstverständlichkeit für alle unsere Medienkanäle – und sie sichern damit auch die Zukunft eines qualitativ hochwertigen Journalismus.
Das sehen nicht alle so positiv. Bayerische Verleger, die mit ihren Medienhäusern ein wichtiges Standbein in den digitalen Kanälen haben, werfen Ihnen unlautere Konkurrenz vor, weil der BR "presseähnlich" – gemeint ist mit programmfernen Texten und Bildern – unterwegs sei.
Ich sehe keinen Konflikt mit den bayerischen Verlegern. Wir machen anders als die klassischen Medienhäuser keinen Lokaljournalismus, sondern Regionaljournalismus. Dabei konzentrieren wir uns eindeutig auf unseren Kern, den Audio- und Videojournalismus. Das macht bei uns 70 bis 80 Prozent aller Inhalte aus. Ich bin überzeugt, dass wir mit den Verlegern an einem Strang ziehen, um den Wert des Qualitätsjournalismus gemeinsam hochzuhalten.
Was meinen Sie damit konkret?
Wir müssen gemeinsam alles Erdenkliche dafür tun, dass die Menschen den Unterschied zwischen redaktionell kuratierten, qualitätsgesicherten Informationen auf der einen Seite und irgendetwas von irgendwem Hochgeladenem erkennen. Aktuelle Studien liefern Hinweise, dass die Sorge vor Falschinformationen inzwischen in unserer Bevölkerung weit verbreitet ist und dass es – trotz der Lautstärke einer kleinen Gruppe – eine unverändert hohe Wertschätzung für den Qualitätsjournalismus gibt. 75 Prozent der Menschen in Bayern vertrauen dem BR, ähnliche Werte erreichen andere Qualitätsmedien. Damit geht eine hohe Verantwortung einher: Wir müssen durch exzellente journalistische Arbeit tagtäglich dafür sorgen, dass unser wichtigstes Gut, unsere Glaubwürdigkeit, erhalten bleibt.
Ist die Glaubwürdigkeit von Qualitätsmedien eine Basis für unsere Demokratie?
Ja. Ein Konsens über eine Basis an gesicherten Fakten ist unerlässlich – nur auf dieser Basis kann sich dann ein produktiver demokratischer Meinungsstreit entwickeln. Wir haben lange unterschätzt, wie erodierend die Wirkung sein kann, wenn diese Basis in Frage gestellt wird.
Wird sich eine solche Basis in einer immer vielfältigeren digitalen Welt erhalten lassen?
Da bin ich sehr zuversichtlich, ich sehe diese Vielfalt erst einmal als große Chance und Bereicherung, gerade fürs journalistische Arbeiten. Und wir sollten nicht den Fehler machen, eine kleine, aber sehr laute Gruppe, die vor allem aus der rechtspopulistischen Ecke kommt und das gesamte System anzweifelt, überzubewerten. Wenn wir unseren Job gut machen, dann werden sich die Fake-News-Produzenten mit ihren gezielt gesäten Zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Qualitätsmedien nicht durchsetzen. Und wir werden diese Aufgabe gut erledigen, da bin ich sicher.
Interview: Martin Schwarzkopf
Main-Echo, 29. 3. 2023