Münchner Merkur / tz Die Nummer eins
Sie ist zwar in Berlin geboren, wuchs aber in Anzing (Landkreis Ebersberg) auf, studierte, promovierte und lehrte Geschichte an der LMU in München, bevor sie ab Mitte der Neunzigerjahre ihre Karriere beim öffentlich-rechtlichen Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) begann. Seit gestern ist Katja Wildermuth, die zuletzt als Programmdirektorin das Funkhaus in Halle (Sachsen-Anhalt) leitete, zurück in der alten Heimat. Als neue Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR) folgt die 55-Jährige auf Ulrich Wilhelm (59), der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidierte.
Sie haben in Ihrer Jugend sicher auch die Programme des BR genutzt. Hatten Sie Lieblingssendungen? Woran erinnern Sie sich besonders gern?
Ich bin tatsächlich mit dem "Betthupferl" und mit "Meister Eder und sein Pumuckl" als Hörspiel aufgewachsen, später habe ich mit meinen Geschwistern mit dem Kassettenrekorder vor dem Radio gesessen und versucht, die Hits der Woche bei "Pop nach acht" auf Bayern 3 aufzunehmen und war immer ganz froh, wenn keiner reingequatscht hat. (Lacht.) Wir haben "Live aus dem Alabama" geschaut, "Die Hausmeisterin" und "Irgendwie und sowieso", quer durchs Programm also.
Nun sind Sie die erste Frau an der Spitze des BR. Kommt jetzt die 50/50- Quote im ganzen Haus?
Dass jetzt eine Frau den BR leitet, ist für den Sender unbestreitbar ein historischer Schritt, für mich ist es ein Schritt in Richtung Selbstverständlichkeit. Wir haben eine sehr vielfältige Gesellschaft, die sich immer mehr ausdifferenziert, und ich finde, das sollte sich auf allen Ebenen und auch in allen Positionen widerspiegeln. Was man für dieses Amt braucht, nämlich Qualifikation und Erfahrung, bringe ich, so denke ich, als Person mit, das Geschlecht ist dabei sekundär. Was mir als Intendantin wichtig ist, ist eine moderne Unternehmenskultur, die Eigenverantwortung, Transparenz und Zugänglichkeit wertschätzt, gerade in diesen schwierigen Zeiten. Die Medienwelt ist sehr dynamisch geworden, wir stehen vor großen Herausforderungen, technisch wie inhaltlich. Eine moderne Personalführung und -entwicklung ist da ein wichtiges Thema. Für Frauenförderung gibt es, soweit ich weiß, schon verschiedene Instrumente beim BR – Mentoring und Coaching, familienfreundliche Arbeitsbedingungen, gezieltes Sichtbarmachen von weiblichem Nachwuchs. Wie diese Kultur gelebt wird, werde ich mir jetzt anschauen, denn ich bin auch gespannt, welche weiterführenden Ideen es bei den Kolleginnen und Kollegen im Haus gibt.
Das heißt, von einer starren Quote halten Sie nichts?
Ich denke, der erste Schritt ist, die vorhandenen Möglichkeiten zu überprüfen und auszuschöpfen. Das gilt es dann zu evaluieren. Für mich sind Geschlechtergerechtigkeit und Frauenförderung Elemente von Binnenpluralismus, den wir mehr denn je anstreben sollten. Dazu gehört das Geschlecht, dazu gehören aber auch soziale und regionale Herkunft und die Lebenswirklichkeit des Einzelnen. Wir brauchen diese Vielfalt im BR, damit wir auch glaubhaft die Vielfalt in der Bevölkerung wahrnehmen und abbilden können.
In Freimann entsteht derzeit das neue Aktualitätenzentrum, ein gigantischer Neubau. Ist das – buchstäblich – die größte Baustelle Ihrer Intendanz?
Das Aktualitätenzentrum ist ja nur die sichtbare Vollendung der Umstrukturierung in Richtung Crossmedialität. Es gibt viele gute Gründe für dieses zeitgemäße Strukturieren nach inhaltlichen Zuständigkeiten anstatt nach Ausspielwegen. Für mich der wichtigste: Wir produzieren tolle Inhalte, und deshalb sollten wir alles daransetzen, mit diesen Inhalten möglichst viele Menschen zu erreichen. Ein Feature beziehungsweise dessen Inhalt bei Bayern 2 sollten nicht nur diejenigen finden, die gerade zufällig Bayern 2 eingeschaltet haben, sondern auch Interessierte, die zu anderen Zeiten oder gar kein klassisches Radio mehr hören. Mit der crossmedialen Verbreitung erreichen wir eine größere Sicht- und Hörbarkeit der Qualitätsinhalte, die wir Tag für Tag produzieren. Jetzt gilt es, die neue Struktur mit Leben zu füllen, und dafür ist das neue crossmediale Redaktionszentrum sozusagen der letzte Stein. Wir brauchen, um unsere gemeinsame Stärke voll auszuschöpfen, die persönliche Begegnung – das merken wir ja gerade jetzt, wo sie nicht so einfach möglich ist. Nur so erzeugt man wichtige kreative Prozesse.
Ihr Schwerpunkt beim MDR waren Geschichte und Dokumentation. Haben Sie schon Pläne, was Sie beim BR diesbezüglich an neuen Formaten einführen wollen?
Grundsätzlich sehe ich meine Aufgabe als Intendantin darin, die Rahmenbedingungen für gute Programme zu schaffen, strategische Impulse zu setzen, aber nicht darin, den Mitarbeitenden konkrete Formate vorzugeben. Abgesehen davon ist der BR im Bereich Dokumentation gut aufgestellt, denken Sie an die Dokumentarfilmreihe "Dox", denken Sie an "Dok Thema" und "Bayern erleben" oder an das Traditionsformat "Lebenslinien", ein ganz starker Mix von Porträts über Promis und Alltagshelden. Und natürlich gibt es auch im Audiobereich hervorragende dokumentarische und historische Produktionen.
Ausgerechnet an Ihrer langjährigen Wirkungsstätte, im Land Sachsen-Anhalt, ist die Erhöhung des Rundfunkbeitrags abgeblockt worden. Wie sehr schmerzt Sie das?
Natürlich waren wir Rundfunkmacher enttäuscht, und zwar alle, auch jenseits des Mitteldeutschen Rundfunks. Es wurde immer wieder versucht, in Magdeburg Überzeugungsarbeit zu leisten und transparent zu machen, was die rechtlichen und finanziellen Grundlagen für die Beitragsfestsetzung sind. Hierfür gibt es ja ein verfassungsrechtlich geschütztes Verfahren, eine unabhängige Kommission, die eine Beitragsempfehlung ausspricht. Dieser ist grundsätzlich zu folgen, und das darf nicht mit politischen Gegenforderungen verknüpft werden. Es ist kein Basar. Viele Gegenargumente hatten mit dem Verfahren aber gar nichts zu tun, da ging es um Strukturfragen, da ging es um die Berichterstattung über den Osten, die dem ein oder anderen nicht gefiel. Die Beitragsanpassung und damit die Rundfunkfreiheit darf nicht Spielball politischer Interessen sein.
Wie wollen Sie eine Wende in der Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erreichen?
Aktuelle Umfragen zeigen, dass 82 Prozent der Menschen sich durch uns gut informiert fühlen. Facebook, nur mal zum Vergleich, vertrauen gerade einmal sieben Prozent. Ich bin mir nicht sicher, ob das, was man auf den Medienseiten mancher Zeitungen oder online liest, wirklich widerspiegelt, was die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung über uns denkt. Aber natürlich ist eine breite Akzeptanz und Wertschätzung unserer Angebote auch in Zukunft eine wichtige Herausforderung.
Diejenigen, die vom teuren "Staatsfunk" reden – nur eine kleine, aber laute Minderheit?
Sie können das selbst verifizieren, Sie sind genauso Journalist wie ich. Es gibt so viele Untersuchungen, die eine andere Sprache sprechen und uns bescheinigen, dass die Öffentlich-Rechtlichen gerade im Bereich der Information die absolute Nummer eins sind. Die Menschen suchen uns und schätzen gute Recherche. Das gilt ja genauso für andere Qualitätsmedien wie Ihres. Das ist eine Ermutigung für die Kolleginnen und Kollegen, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten. Aber es ist natürlich nichts, worauf wir uns ausruhen dürfen.
Das Gespräch führte Rudolf Ogiermann.