alpha-thema Bayern unterm Hakenkreuz
Mehr als 70 Jahre lagen sie in Archiven und auf Dachböden: private Farbfilme aus den Jahren 1931 bis 1945, gedreht von Hobbyfilmern aus Bayern. Die Regisseurinnen Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer haben viele Stunden dieses Materials gesichtet und die Bilder in zwei Dokumentationen zum Sprechen gebracht.
Die Filme "Jahre der Verführung" und "Jahre des Untergangs" gewähren einen unmittelbaren Einblick in die Zeit, jedoch nur in die Ausschnitte des Lebens, die man auf das teure Zelluloid bannen wollte. Was zeigen sie und - noch wichtiger - was zeigen sie nicht? Was tragen sie zum Verständnis der NS-Zeit bei? Danach fragen die beiden Dokumentationen sowie die anschließende Diskussion beim "alpha-thema: Bayern unterm Hakenkreuz" – am Montag, 27. Januar 2020, ab 20.15 Uhr.
"Jahre der Verführung" um 20.15 Uhr, das sind Urlaubsbilder aus Oberbayern, ein Faschingsumzug in Nürnberg, einen Reigen tanzende junge Frauen – die harmlosen Bilder sehen wir heute mit Unbehagen. Zu Recht: Durch die jubelnde Faschingsmenge fährt ein Motivwagen mit einem Galgen, an dem Pappmaché-Puppen hängen, Hasskarikaturen von Juden. Die tanzenden jungen Frauen im Zeltlager des "Bunds Deutscher Mädel", sie sind die zukünftigen "arischen" Mütter für das "1000-jährige Reich". Jeder Lebensbereich, und sei er noch so privat, stand im Dienst der Diktatur.
Um 21.00 Uhr folgt "Jahre des Untergangs", der Krieg: Wehrmachtssoldaten und ihre Frauen – Sie singen, lachen, essen und trinken. Ein Bäckermeister aus Dachau filmt seine Familie, bald wird sie vier Kinder zählen – und die Mutter das Mutterkreuz verliehen bekommen. Die Hochzeitsreise des SS-Obersturmführers mit seiner attraktiven jungen Frau. Ihr Eintrag in die "Sippenakte" lautet: "Das Gesamterbgut der beiden Sippen liegt über dem Durchschnitt." Das ist "arische" Elite. Längst wird massenhaft getötet und gestorben, und immer noch zeigen die Filme die freundliche Seite des Lebens. Auch diese Unbeschwertheit steht unter dem Diktat des Krieges: So kann man ihn aushalten. Erst die Recherche der Regisseurinnen macht die Kehrseite dieser Bilder deutlich.
In "alpha-podium: Bayern unterm Hakenkreuz“ um 21.40 Uhr diskutieren im NS-Dokumentationszentrum München die Regisseurinnen der beiden Filme, Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer, der Zeitzeuge und Journalist Karl Stankiewitz, die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums, Mirjam Zadoff, und der stellvertretende Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks, Andreas Bönte. Bönte hebt den bisher unbekannten Blickwinkel dieser Filme "zwischen Normalität und Wahnsinn“ hervor: Menschen, die feiern, die fröhlich sind. Sie können das, weil sie zur Mehrheitsgesellschaft gehören und oft auch zu den Profiteuren der faschistischen Diktatur. Deren Brutalität wird erst durch die gesprochenen Kommentare gegenwärtig, obwohl sie in jedem Detail steckt und nur wenige Kilometer entfernt massenhaft tötet. Mirjam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, resümiert: Es ist "die Normalität der Diktatur und wie einfach es war, sich wohlzufühlen, wenn man auf der richtigen Seite war". Wie das Wissen darüber an die nächsten Generationen weitergegeben werden kann und was die beiden Filme dazu leisten, ist ein zentraler Diskussionspunkt des von Tilmann Seiler moderierten Gesprächs.
alpha-thema: Bayern unterm Hakenkreuz – Die Sendungen im Einzelnen
Montag, 27. Januar 2020
20.15 Uhr: Jahre der Verführung
Farbfilme aus Bayern 1931-39
Dokumentation, 2019
BR Mediathek: nach Ausstrahlung 12 Monate verfügbar
21.00 Uhr: Jahre des Untergangs
Farbfilme aus Bayern 1939-45
Dokumentation, 2019
BR Mediathek: nach Ausstrahlung 12 Monate verfügbar
21.40 Uhr: alpha-podium: Bayern unterm Hakenkreuz
Gespräch, 2019
Mit den Regisseurinnen Despina Grammatikopulu und Michaela Wilhelm-Fischer, dem Münchner Zeitzeugen und Journalisten Karl Stankiewitz, der Direktorin des NS-Dokumentationszentrums München, Professorin Mirjam Zadoff sowie Andreas Bönte, dem stellvertretenden Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks
Moderation: Tilman Seiler
BR Mediathek: nach Ausstrahlung 5 Jahre verfügbar