Bayerischer Rundfunk Bayerischer Kabarettpreis 2023: Preisträger stehen fest
Die Preisträger und Preisträgerinnen des Bayerischen Kabarettpreises 2023 stehen fest: Der Hauptpreis geht an den Kabarettisten und Fernsehmoderator Till Reiners, der Musikpreis an die Musik-Kabarettistin und Liedermacherin Anna Piechotta aus Rheinland-Pfalz und der Senkrechtstarter-Preis an die Kabarettistin und Autorin Teresa Reichl aus Regensburg.
Mit einer neuen Kategorie, dem "Creator-Preis", wollen der Bayerische Rundfunk und das Münchner Lustspielhaus satirisches Schaffen in verschiedensten Formen jenseits der klassischen Kabarettbühnen würdigen. Sebastian Hotz alias El Hotzo, Satiriker, Twitter- und Instagram-Star, gebürtig aus Forchheim (Oberfranken), bekommt als erster Preisträger die Auszeichnung.
Die Preisverleihung findet am Montag, 6. November 2023, im Münchner Lustspielhaus statt und wird am Donnerstag, 9. November, im BR Fernsehen ausgestrahlt. Kabarettist, Moderator, Musiker und Autor Hannes Ringlstetter führt als Gastgeber durch den Abend, seine Band sorgt für den musikalischen Rahmen. Zudem wird auch Kabarettist Ottfried Fischer in der Sendung gefeiert, der kurz vor der Preisverleihung seinen 70. Geburtstag begeht.
"Das Kabarett lebt – und wie! Das beweisen die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger des Bayerischen Kabarettpreises in besonderer Weise. Sie alle eint ihr junges Alter und das hohe Maß an Kunstfertigkeit, mit der sie ihre Profession ausüben. Dabei setzen sie neue Impulse, sei es durch eine erfrischend andere Ansprache des Publikums, die gekonnte Nutzung verschiedener Plattformen oder die große Themenvielfalt, aus der sie schöpfen. Herzlichen Glückwunsch an Till Reiners, Anna Piechotta, Teresa Reichl und El Hotzo."
BR-Programmdirektor Kultur Björn Wilhelm
Neue Kategorie: "Creator-Preis"
Satire findet nicht nur auf Kabarettbühnen und in Comedy-Clubs statt, sondern beispielsweise auch im Internet. Satirische Kunstformen sind dort vielfältig zu finden: in Videos auf YouTube oder in Mediatheken, Podcasts, Tweets, Cartoons, Instagram-Storys, Facebook-Live-Streams oder TikTok-Reels. Mit der Kategorie "Creator-Preis" würdigt der Bayerische Kabarettpreis Künstlerinnen und Künstler, die Satireformen jenseits der Kleinkunstbühnen präsentieren: von der klassischen Stand-up-Performance über Filme, Videoclips, Fotos, Grafiken, Comics und Texte bis hin zu satirischen Audios.
Preisträgerin Kategorie Senkrechtstarter: Teresa Reichl
Auch wenn Teresa Reichl die diesjährige Preisträgerin in der Kategorie Senkrechtstarter ist – man könnte meinen, sie steht schon seit langer, langer Zeit auf der Bühne. Mit ihren gerade mal 25 Jahren kommt Teresa Reichl als unverwechselbares Original daher und bringt rasend schnell und blitzgescheit die Dinge auf den Punkt.
Zarte 19 Jahre war die gebürtige Niederbayerin alt, als eine Freundin sie 2015 heimlich bei einem Poetry Slam in Reichls Studienstadt Regensburg anmeldete. Dort schlug sie mit ihrer Bühnenpräsenz, ihrer Kraft, ihrer überbordenden Sprachfreude gleich dermaßen ein, dass sie zur Wiederholungstäterin wurde. 2016 erlangte sie den Titel Bayerische U20-Meisterin im Poetry Slam, 2021 erhielt sie den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg und steht mittlerweile rund 100 Mal im Jahr auf Bühnen im deutschsprachigen Raum, von Zürich bis Hamburg und von Graz bis Cuxhaven.
Will man verstehen, was das Publikum an Teresa Reichl so begeistert, kann man entweder ihr erstes Soloprogramm mit dem wegweisenden Titel "Obacht, i kann wos" anschauen, ihr auf Instagram folgen oder ihren YouTube-Kanal abonnieren. Egal, welches Mediums sie sich bedient – die Leidenschaft, das Engagement, die Freude, mit der Reichl ihre Beobachtungen, Erkenntnisse und Anmerkungen zum Leben von sich gibt, springen auf die Zuschauenden über.
Zum Beispiel, wenn sie die große Liebe zu ihrem Studienfach der Klassischen Deutschen Literatur dadurch beweist, dass sie deren Hauptwerke in höchst amüsanten 60-sekündigen Videos zusammenfasst. Und nicht nur das: Reichl plädiert dafür, den männlich dominierten Literaturkanon zu öffnen und zu erweitern – damit alle Zugang zu dieser aufregenden Geisteswelt finden.
Halbgares gibt es bei ihr nicht. Sie greift Szenen aus dem Leben auf, die jede und jeder genauso schon erlebt hat – aber sie macht begreifbar, warum die zwischenmenschliche Kommunikation so oft scheitern muss. Viel zu oft macht sich der Sprechende zum Mittelpunkt der Beziehung, viel zu selten wird wirklich empathisch miteinander geredet. Etwa wenn eine vermeintliche Freundin so tut, als ginge es ihr um das Wohlbefinden der anderen, sie diese in Wahrheit aber nur mit Bodyshaming malträtiert, um sich selbst besser zu fühlen, und das auch noch als "Sorge" tarnt.
Teresa Reichl tritt als Feministin auf, die weiß, wie wichtig Sprache im Umgang zwischen Menschen ist. Sinnvolles Gendern ist ihr ein Anliegen, ebenso wie ein selbstbewusstes Auftreten, das sich nicht dem Diktat genormter weiblicher Formen unterjocht. Sie steht zu ihrem Körper, trägt, was ihr gefällt und frönt ihrer Leidenschaft Pommes mit Ofenkäse, ohne Scham.
So viel Offenheit, Unverstelltes und Authentisches findet man selten auf Kabarettbühnen. Und so liefert die Senkrechtstarterin 2023 gerade für junge Frauen das Rüstzeug zur Selbstermächtigung, indem sie ihre Zweifel und ihr Hadern mit sich öffentlich thematisiert und dadurch Autonomie und die Deutungshoheit darüber erlangt.
Dass Humor in all ihrem Tun ihr schärfstes Schwert ist, zeigt sie schon durch die selbstgewählte Bezeichnung für ihre Person, wenn sie sagt, sie sei ein "semiprofessioneller Scherzkeks". Das "semi" sollte sie streichen.
Preisträgerin Kategorie Musikpreis: Anna Piechotta
Singen und Klavierspielen können viele Menschen – aber so mitreißend und furios, so lustig und bitterböse, so anarchisch und auch mal berührend ernst können es die Wenigsten. Anna Piechotta, die diesjährige Preisträgerin in der Sparte Musikkabarett, sitzt ganz allein auf der Bühne, vor ihr nichts als ein Klavier, dazu ihre grandiose, facettenreiche Stimme – das genügt schon. Mit diesen wenigen, dafür umso effektiveren Mitteln fesselt sie umstandslos ihre Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie fängt sie ein mit ihrem Charme und der scheinbaren Leichtigkeit ihrer Musikstücke, die sich immer deutlich komplexer herausstellen, als man bei den ersten Tönen vermutet.
Überhaupt muss man Erwartungen bei einem Abend mit Anna Piechotta über den Haufen werfen. Mit ihren langen, dunklen Haaren, den großen Augen im mädchenhaften Gesicht sieht sie hübsch, aber harmlos aus, beinahe naiv. Doch ihre Texte beweisen das Gegenteil. Die 41-Jährige kann sehr böse und gemein sein und unfassbar komisch, vor allem im schwarzhumorigen Bereich. Mit ihrer klassisch ausgebildeten Stimme deckt sie eine breite Palette an Stilformen ab: Mal klingt sie wie eine Chansonnière aus den 1920er-Jahren, dann wie eine Opernsoubrette oder eine Rockröhre – und das alles kommt sehr leichtfüßig und wie selbstverständlich daher.
Ihre Themen sind das Menschliche, Zwischenmenschliche und Allzumenschliche – in all seinen Facetten. In ihren "Elternliedern", basierend auf bekannten Kindermelodien, legt sie Zeugnis davon ab, dass so ein Töchterchen auch mal ein Monster sein kann. Aus der verliebten Frau in ihrem Song "Du bist der Mann für mich" wandelt sie sich in eine gemeingefährliche Stalkerin, und das vermeintliche Plädoyer fürs Rauchen entpuppt sich als mehr oder minder subtile Warnung vor diesem Laster – virtuoses Röchelsolo inklusive.
Man kommt nicht umhin, bei Auftritten dieser jungen Frau aus Cochem an der Mosel an Georg Kreisler zu denken. Genau wie der Wiener Virtuose verbindet sie das Leichte und das Abgründige, das Heitere und das Morbide – dies jedoch auf moderne, erfrischende Art und Weise, die nie die Leichtigkeit und den Optimismus drangibt. Bestens unterhalten, überrascht und beeindruckt – so verlässt das Publikum einen Bühnenabend mit Anna Piechotta.
Preisträger Kategorie Hauptpreis: Till Reiners
Eigentlich ist dieser Mann eine Zumutung. Stellt sich mit diesem harmlos bubenhaften Grinsen auf die Bühne, und dann beleidigt er sein Publikum. Sagt den Zuschauerinnen und Zuschauern ganz klar, an welchen Stellen ihr Lachen falsch ist, überführt sie der Doppelmoral und deckt eiskalt ihre Denkfehler auf. Und wie reagieren die Anwesenden? Mit Begeisterung, Schenkelklopfen, brandendem Applaus und ausverkauften Hallen. Diese "Methode Reiners" funktioniert so gut, weil der diesjährige Hauptpreisträger des Bayerischen Kabarettpreises von Anfang an klarmacht, dass er genauso tickt wie seine Zuschauerinnen und Zuschauer. Weil er selbstironisch offenbart, dass auch er an falschen Stellen lacht, zur Doppelmoral neigt und immer wieder Denkfehlern unterliegt. Er stellt klar: Wir sind alle nur Menschen, unsere Verfehlungen verbinden uns und bedingen unser Menschsein geradezu. Keiner ist besser als der Andere. Und dabei thematisiert er seine eigenen Privilegien, indem er sich zum Beispiel selbstironisch als Bildungsbürger schildert. Als solcher wird er nämlich sehr kleinlaut, wenn er in der Berliner U-Bahn versucht, für seine Werte einzutreten. Seine Texte sind geprägt von scharfsinnigen Analysen, die auch vor entlarvender Selbsterkenntnis nicht Halt machen. Triebfeder und Kern seines Kabaretts ist die politische Auseinandersetzung, die er trotz sperriger Themen immer mit großer Leichtigkeit und auf Augenhöhe mit seinem Pubikum umsetzt.
Neben seinem ungeheuren Gespür für Timing, gepaart mit seiner leicht nuscheligen, verschliffenen Sprache, die stets Aufmerksamkeit fordert, ist es vor allem seine Lust, Geschichten zu erzählen, die die Bühnenprogramme von Till Reiners prägen. Und diese Storys aus dem Leben sind bevölkert von kuriosen und gleichzeitig vertrauten Figuren, vorzugsweise aus dem Großstadtdschungel. Ständig schlüpft der 38-Jährige in andere Rollen, seine schnell wechselnde Mimik und winzige Gesten genügen schon, um leibhaftige Figuren vor sich auf der Bühne erstehen zu sehen. Hier der koksende Banker, dort die ständig mahnende Spaßbremse oder der brachiale U-Bahn-Gast – ein Panoptikum an skurrilen Typen, die einen am Ende eines Abends mit Till Reiners nach Hause begleiten – ob man will oder nicht.
Till Reiners ist in Duisburg geboren und in Geldern in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, dort, wo die Leute per se nicht auf den Mund gefallen sind. Zackig und schnell geht es in seinen Texten zu, und er liebt es, sein Publikum zu überraschen. Nie weiß man am Anfang, worauf seine Nummern hinauslaufen, meist unterwandert er die Erwartungen geschickt – und steigert damit die Komik immer noch weiter. Gerade wenn er Dinge wörtlich nimmt, sind seine Erkenntnisse bestechend. "Lebe dein Leben, als sei’s dein letzter Tag? Dann wäre ich alt und inkontinent!" Die Schlussfolgerung daraus muss er gar nicht mehr aussprechen.
"Kunst ist die verpackte Frage: Liebst du mich?", hat Till Reiners in einem Interview gesagt und dass er mit seinen Programmen dem Publikum jeden Abend diese Frage stellt. Die Antwort lautet natürlich immer: "Ja!"
Preisträger Kategorie Creator-Preis: Sebastian Hotz
Nach Tickets und Tourdaten für El Hotzo sucht man vergebens. Denn dieser Mann treibt seine kabarettistischen Späße nicht auf abgenutzten Holzbühnen, sondern nutzt die bekanntesten Bühnen des Internets für seine Kunst. Auf Twitter und Instagram ist Sebastian Hotz als El Hotzo berühmt. 1,3 Millionen Menschen folgen ihm auf Instagram, über eine halbe Millionen bei Twitter. Hier scheint ein junger Mann, der in einem 160-Seelen-Dorf in der fränkischen Schweiz aufwuchs, am Werk zu sein, der die Interessen, Befindlichkeiten und vor allem das Humorverständnis seiner Generation perfekt erfasst hat. Seine Tweets und Storys, Podcasts und Posts sind gesellschaftskritisch, analytisch, satirisch bis sarkastisch – und immer treffend. Und trotz der Schärfe und Unerbittlichkeit, mit der er Fehlentwicklungen in der Gesellschaft auf den Punkt bringt, spürt man doch, dass hier ein netter, gar verletzlicher Kerl agiert, der sich wünscht, die Welt wäre ein besserer Platz für alle Menschen.
Prägend für seinen Stil sind die 280 Zeichen, die man auf Twitter für einen Tweet verwenden kann. Denn diese Vorgabe verlangt die größtmögliche Konzentration auf das Wesentliche eines Gedankens. Das erfordert viel Kopfarbeit, noch dazu, wenn es lustig und überraschend sein soll. Und so sind El Hotzos Sprüche oft grammatikalisch verknappt, in ungewohnter Syntax verfasst oder gleich comicartig und anhand von Fotos oder Collagen illustriert. Über 25.000 Tweets hat der 27-Jährige seit 2017 verfasst – zehn bis zwanzig Stück am Tag und damit eine neue Satiregattung geschaffen.
Sebastian Hotz glaubt nicht daran, dass Comedy und Kabarett dazu beitragen, irgendetwas zu verbessern oder zu verändern. Hier täuscht er sich offensichtlich. Denn mit seinen Sprüchen gibt er gerade der jüngeren Generation Denkanstöße, die diese eifrig in unzähligen Kommentaren miteinander diskutieren und verhandeln. Am besten lernt man, wenn man gar nicht merkt, dass man etwas lernt, sondern meint, einfach Spaß zu haben. Und vielleicht verhält es sich bei Künstlerinnen und Künstlern genauso: Je geringer ihr Anspruch, etwas verändern zu wollen, umso leichter gelingt es ihnen, genau das zu tun.
Und Sebastian Hotz ist weit mehr als El Hotzo: Er ist Host zahlreicher Podcasts, moderiert monatlich eine eigene Radiosendung, und im April erscheint sein erstes Buch, der Roman "Mindset". Und wenn er mit diesem bald auf Lesetour geht, dann kann man endlich doch Daten finden und Tickets erwerben.
Der Bayerische Kabarettpreis
Der Bayerische Rundfunk fördert Kabarett und bietet mit der Verleihung des Bayerischen Kabarettpreises namhaften Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne und jungen Talenten ein Sprungbrett. Der Bayerische Kabarettpreis ist eine Gemeinschaftsinitiative des Bayerischen Rundfunks und des Münchner Lustspielhauses. Seit 1999 wird der Preis jährlich in vier Kategorien an Künstlerinnen und Künstler aus dem deutschsprachigen Raum verliehen. Er würdigt scharfsinniges Kabarett, das auf unverzichtbare Weise die Gesellschaft und das Zeitgeschehen künstlerisch ergründet.
Weitere Informationen auf br.de/kabarettpreis