Ruhmeshalle Dusty Springfield - Dusty In Memphis
An Weiße, die "schwarze Musik" machen, hat man sich heute längst gewöhnt. In den 60er Jahren löste Dusty Springfield mit ihrem Soul-Album "Dusty In Memphis" noch einen handfesten Skandal aus. Und zwar nicht nur wegen ihrer Musik.
Mitte der Sechziger Jahre ist Dusty Springfield ein Star in England - aber trotzdem nicht zufrieden mit ihrer Musik. In ihrer eigenen Fernsehsendung stellt sie der englischen Bevölkerung die Musik vor, die sie liebt: Die Supremes, Stevie Wonder, Smokey Robinson - sie alle sind zu Gast bei Dusty. Dann singt sie zusammen mit Soul-Legende Martha Reeves einen Song. Das weiße Spießertum ist entsetzt: Eine Weiße, die "Neger-Musik" singt? Ein Skandal!
Die zwei Gesichter der Diva
Geboren als Mary Isabel Catherine Bernadette O'Brien ist Dusty Springfield eigentlich ein schüchternes und zurückhaltendes Mädchen, dem das Vertrauen in die eigene Stimme fehlt. Aber sie lernt ihre Zweifel zu unterdrücken, indem sie sich hinter meterhohen Frisurtürmen und Tonnen von Mascara versteckt. Die Kunstfigur Dusty Springfield kommandiert Musiker herum und prügelt sich auch mal mit dem Jazz-Schlagzeuger Buddy Rich in einer Bar. Von da an lebt sie im Zwiespalt zwischen der schüchternen Mary und der Grenzen überschreitenden Dusty.
Angestachelt vom Skandal um ihre TV-Show will Dusty Springfield gleich ein ganzes R'n'B-Album aufnehmen und unterzeichnet dafür bei Atlantic Records - dem Label ihres großen Idols Aretha Franklin. Für die Aufnahmen in Memphis, Tennessee stellen ihr die Label-Chefs ihr Top-Produzenten-Team zur Seite: Allesamt erfahrene Musiker, die davor schon mit Elvis Presley und Wilson Pickett gearbeitet hatten. Aber aus allen Songs, die ursprünglich für das Album aufgenommen wurden, wählt Dusty genau null aus. Mit ihrer unfassbar sanften, sinnlichen Stimme und ihrem perfekten Timing kann sie eigentlich aus jedem Abfalleimer einen Eisbecher zaubern - aber mit den Songs ist sie einfach nicht zufrieden. Denn zum ersten Mal in ihrer Karriere gibt sie die Produktion aus der Hand. Bei all ihren Alben zuvor hat sie selbst den Ton im Studio angegeben, nur die Credits dafür lies sie sich nie geben. Denn die schüchterne Mary findet das als Frau einfach nicht glaubwürdig.
Erst die nächsten 20 Songs finden ihre Gnade. Mit dabei: Nummern von Carole King, Burt Bacharach und Randy Newman. Obwohl die Songs purer Soul sind und für schwarze Künstler geschrieben wurden, versucht Dusty niemals "schwarz" zu klingen. Anders als Aretha Franklin, die über jedem einzelnen Ton steht, singt sie auf eine einzigartige Art und Weise um die Worte herum. Ihre sanfte, sinnliche Stimme wirft einen nicht um - sie ergreift einen.
Dusty siegt über Mary
Trotz aller Perfektion wird "Dusty in Memphis" ein kommerzieller Flop. Nicht weil das Album schlecht wäre, sondern weil Dusty wieder mal über Mary gesiegt hat: In einem Interview outet sie sich als bisexuell. Das ist 1970 einfach zu viel für die prüde Öffentlichkeit. Erst Jahre später entdecken Musikliebhaber und Kritiker das Album erneut und stellen es dort hin, wo es hingehört: Zu den besten Alben aller Zeiten.
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