Ruhmeshalle Marvin Gaye - What's Going On
Als Marvin Gaye 1971 "What's Going On" veröffentlichte, war er in eine andere Haut geschlüpft: Aus dem fröhlichen Motown-Hitlieferanten war ein bärtiger Nachdenker mit Schlips geworden.
Vor dem Album war bereits der Titeltrack, "What’s Going On", erschienen. Diesen Song hatte Renaldo "Obie" Benson von den Four Tops seinem Labelkollegen Marvin Gaye überlassen. Der Chef von Motown Records hielt die Nummer für die schlechteste Marvin-Gaye-Single überhaupt. Selten hat sich ein Musikmanager mehr getäuscht.
Natürlich wurde aus der vermeintlichen Niete ein Monster-Hit. Und schleunigst musste ein Album hinterher geschoben werden. Innerhalb von nur knapp zwei Wochen nahm Marvin Gaye eine Platte auf, die als perfekter Spiegel ihrer Zeit gesehen werden kann. Ein Kampf mit Dämonen, inneren wie äußeren. Der Vietnamkrieg war gerade auf einem scheußlichen Höhepunkt, die Rassen-Unruhen der späten 60er Jahre hatten tiefe Wunden geschlagen, die schwarze Bevölkerung der USA litt unter großer Armut. Und Gaye selbst kämpfte gegen seine Drogensucht und war unglücklich verheiratet mit der Schwester seines Labelbosses. Von den Problemen mit seinem despotischen Vater ganz zu schweigen.
Spirituelle Reise zu sich selbst
Marvin Gaye - What's Going On (Cover)
"What’s Going On" geht auf all diese Dämonen ein. Und Marvin Gaye findet einen, der ihn und seine Sorgen wenigstens ein Stück weit trägt: Gott. "Mercy Mercy Me" behandelt diese Gottesgläubigkeit, ebenso wie "God Is Love". Mit dieser Platte habe er seine Freiheit erkämpft, meinte Gaye später.
So ziemlich jedes Musikmagazin hat dieses Album als eines der besten des 20. Jahrhunderts gekürt. Zu Recht. Und Marvin Gaye bekam obendrein den Segen von oben: Der US-amerikanische Bürgerrechtler und Geistliche Jesse Jackson lobte das Album. Damit habe Marvin Gaye gezeigt, dass er ein ebenso guter Prediger sei wie jeder andere, der auf einer Kanzel steht.
Weder davor noch danach fand Marvin Gaye ein derart gutes Gleichgewicht zwischen seinen inneren Abgründen und seiner genialen Musikalität wie auf "What’s Going On".