Ruhmeshalle Die Ärzte - Die Bestie in Menschengestalt
Anfang der 90er war Punk eigentlich schon lange tot - gestorben an Ausverkauf und dumpfen Parolen. Die Ärzte starteten die Reanimation. Mit dem Album "Die Bestie in Menschengestalt", Pop und blöden Witzen.
Mit 13 hab ich meine Haare mit Kochseife gewaschen. Das roch nicht unbedingt gut, war aber egal. Ich wollte keinen Rosenduft, sondern Dreadlocks. Der beste Weg dahin, hieß es auf dem Schulhof, war waschen mit Kochseife. Immer wieder. Bald sah mein Kopf aus wie ein explodierter Wischmopp. Aber immerhin: Ich war Punk, ein Rebell. Und den Soundtrack zur Rebellion lieferten 1993 Die Ärzte.
Die beste Band der Welt (aus Berlin)
Anfang der 80er reiten Die Ärzte auf der Punkwelle und sie spült die Band in große Hallen. Doch mit dem Erfolg kommt auch die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien: Wegen allzu expliziter Liedtexte landen zwei Alben auf dem Index. Aus Punkersicht natürlich ein Erfolg – doch dann nehmen Kaufhausketten die Platten aus den Regalen, die Einnahmen schwinden, die Frustration wächst – und 1989 lösen Die Ärzte sich auf.
1993 beschließt die Band, es nochmal zu versuchen. Die Ärzte leben wieder – dummerweise ist jetzt aber der Punk tot. Bands wie Die Toten Hosen oder Slime machen zu diesem Zeitpunkt entweder Ausverkauf oder grölen alte Parolen. Grunge ist das neue Ding, lange Haare und Flanellhemden statt Iros und Lederjacken, man singt über suizidale Tendenzen und lässt die Schultern hängen. Depression statt Rebellion – doch Die Ärzte setzen auf Antidepressiva.
Mach die Augen zu
Bei der Platte "Die Bestie in Menschengestalt" geht es auf einmal um Harmonien und nicht um Hass. Mit gutgelauntem Pop vertreiben Die Ärzte die Tristesse. Statt platten Parolen verpacken sie eine tiefenpsychologische Analyse von Nazi-Hirnen in Punk mit Pop-Akkorden.
Ernst nehmen kann man das natürlich nicht – das Tolle ist aber, dass man das auch gar nicht soll. Mit der "Bestie in Menschengestalt" verarschen Die Ärzte Nazis, Politiker, sich selbst und die halbe Musikszene, es gibt Schmalz und Schmackes - und dazu noch Texte, die bald tausende Teenies auf Klassenfahrt mitgrölen. Auch ich.
Wieder was gelernt
Was nach der Bestie in Menschengestalt folgte, war unausweichlich: Das nächste Album, "Planet Punk", war noch okay. Dann kam die Konzept-CD "Le Frisur", auf der es nur um Haare ging. Und 1998 erschien dann "13" mit "Männer sind Schweine". Als meine Eltern irgendwann anfingen, Ärzte-Songs im Radio mitzusummen, war klar: Die Band ist Mainstream. Doch da war ich längst auch schon kein Punker mehr. Trotzdem sind bei mir zwei Dinge hängengeblieben: Zum einen der Text von "Schrei nach Liebe" und zum anderen die Erkenntnis, dass Kochseife weder saubere Haare macht, noch gut für Dreadlocks ist.