Ruhmeshalle D'Angelo - Voodoo
D'Angelos Album "Voodoo" aus dem Jahr 2000 verbreitet eine mystische Magie, wie sie vielleicht nur noch Miles Davis' "Kind Of Blue" zugeschrieben werden kann. Ein unerreichbares Meisterwerk des modernen Neo-Soul.
Genau Mitte der 1990er. Ich sitze bei einem Kumpel im Zimmer. Im CD-Wechsler rotieren die härtesten Alben von Naughty by Nature, 2Pac, Public Enemy, Brand Nubian und Ice Cube. Kleine Pause, der Wechsler dreht sich und dreht sich... Plötzlich ertönt Orgel-Sound, ein sanfter HipHop-Beat setzt ein, dann kommt ein Typ mit einer dermaßen sanften Kopfstimme dazu, dass ich mich schon fast intim berührt fühle. Die ersten Sekunden von D'Angelos Song "Brown Sugar" erklingen. Ich war sofort Fan.
Erst fünf Jahre später, wir haben die Jahrtausendwende hinter uns, halte ich D'Angelos Album "Voodoo" in den Händen. Ich kaufe die Platte natürlich blind und bin erst einmal enttäuscht. Die Soundästhetik hat sich stark geändert. Die Platte hört sich fast wie eine Live-Aufnahme an, nur ohne Publikum. Der HipHop-Flair, der "Brown Sugar" für mich so ausgezeichnet hatte, ist so gut wie weg. Eine reine R'n'B-Platte. Später wird man das Neo Soul nennen.
Magisch wie Miles Davis' "Kind of Blue"
Anfangs enttäuscht, dann total begeistert. "Voodoo" geht nämlich ganz langsam und vorsichtig auf dich zu, dann umarmt es dich aber mit einer angenehmen Wärme, die du zuerst gar nicht einordnen kannst. Dann willst du nicht mehr loslassen. Diese kaum greifbare, unerklärliche Magie, die immer Miles Davis "Kind of Blue" zugeschrieben wird, hat auch D'Angelos "Voodoo".
Jeder einzelne Song klingt jedes Mal wieder so direkt, als ob man gerade bei seiner Entstehung dabei wäre. Als ob grad zufällig einer auf Aufnahme gedrückt hätte um einen einzigartigen Moment festzuhalten. Aber: Dieses Mittendrin-Gefühl ist tatsächlich Ergebnis harter handwerklicher Arbeit. Es heißt ja, dass D'Angelo für "Voodoo" oft zwei Wochen an einem einzelnen Sound gefeilt hat. Es heißt, der Aufnahmeraum sei so lange umgestellt worden, bis er den perfekten Klang hatte. Mit diesem besessenen Perfektionismus hat D'Angelo ein Ausnahmealbum hervorgebracht, das ihm später auch zum Verhängnis wird.
Kunst um der Kunst willen
Ich spare es mir hier, Vergleiche mit Prince, Al Green, Stevie Wonder oder unzähligen anderen männlichen R'n'B-Sängern zu erzwingen. Die hat D'Angelo alle gehört, die haben ihn alle inspiriert. Punkt. "These Songs are Testaments of Artistry" schreibt D'Angelo in einem Plädoyer am Anfang des Booklets von "Voodoo". Es gehe grundsätzlich darum, dass man sich als Künstler vor allem um die Verbesserung der eigenen Kunst bemühen solle, nicht um eine Wiederholung eines erfolgreichen Konzepts. Das hat D'Angelo auf "Voodoo" umgesetzt. Ich kenne kein anderes Album, das wie "Voodoo" klingt. Und ich kenne auch keinen, der eine Stimme hat wie D'Angelo. Für mich unvergleichlich und einzigartig.
An seinem Selbstanspruch und dem gleichzeitigen Hype um seine Person, ausgelöst vor allem durch das Video zu "Untitled", das D'Angelos nackten und - typisch für ihn - perfekten Oberkörper zeigt, ist er aber dann künstlerisch wie menschlich zerbrochen. Seitdem hat er vor allem durch Autounfälle und Alkoholmissbrauch auf sich aufmerksam gemacht. Er arbeitet aber ständig an neuer Musik, heißt es. Meinetwegen kann er dieses Mal auch zehn oder 15 Jahre für ein weiteres Album brauchen. Wenn nur wieder 13 solche Meisterstücke dabei rauskommen wie auf "Voodoo".