Bayern genießen Blau - Bayern genießen im Juni
Blau ist eine besondere Farbe. Göttlich, königlich, mächtig. Und doch gleichzeitig seltsam unbestimmt, vage, ziel- und bodenlos. Bayern genießen im Juni wagt mit Ihnen eine Fahrt ins Blaue.
Blau kommt herunten auf der Erde eher selten vor, dafür aber ist der ganze Himmel blau - wenn er nicht grad wolkenweiß ist oder eine graue Mischung von beidem; oder weißblau gerautet - wobei das in der Natur noch seltener vorkommen wird als das reine Blau, dafür in den Gedanken vieler heimatverbundener Bayern. Wie dem auch sei: Ich will Ihnen heute nicht das Blaue vom Himmel runtererzählen. Zwischen dem Blaueisgletscher am Hochkalter im Berchtesgadener Land, dem nördlichsten Gletscher der Alpen, der leider schon fast weggeschmolzen ist, und dem zumindest bisweilen blauen Main, gibt es nämlich unendlich viele Geschichten wirkliche, echte, erlebbare und genießbare Geschichten.
Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Blau"
Oberbayern: Blaue Stunden. Im Blauen Land in Oberbayern. Von Angela Braun
Niederbayern: Blaue Donau. Wie gemalt in Niederbayern. Von Sarah Khosh-Amoz
Oberpfalz: Blue Notes. Jazz in Regensburg. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Blaumann und Blue Jeans. Welt-Arbeitskleidung in Oberfranken. Von Susanne Roßbach
Mittelfranken: Blaue Zipfel. Ins Blaue gekocht in Mittelfranken. Von Tobias Föhrenbach
Unterfranken: Blauer Silvaner. Rarer Wein aus Mainfranken. Von Silva Schreiner
Schwaben: Blauer Schimmel. Blau gegessen in Schwaben. Von Doris Bimmer
Blaue Stunde im Blauen Land
Farbwörter sind in allen Sprachen ganz besondere, weil uralte Wörter. Und sie sind oft mehrdeutig. Nehmen Sie zum Beispiel den Roten Platz in Moskau: Krasnoye mesta heißt der auf Russisch. Aber eigentlich heißt er auch Schöner Platz, weil die slawische Wortwurzel krasy schön und rot gleichzeitig bedeutet. Schließlich wird blühendes, reifes Rot in der weiten Steppe Eurasiens eine eher seltene und deswegen begehrenswert schöne Farbe sein. Ganz ähnlich ist es mit unserem Blau. Das geht auf die indoeuropäische Wortwurzel bhel- zurück, die eine weitverzweigte Nachkommenschaft hervorgetrieben hat: Das Blähen und das Blasen und die Blase. Die bleiche Blässe genauso wie die Blüte und das Blatt. Auch das Blecken und das Blut. Aber auch das Wallen und die Welle - b und w liegen als Laute zwischen den Lippen ja sehr nah beieinander. All diese Wörter und noch manche mehr gehen zurück auf einen uralten Laut, der eigentlich eine Lautgebärde ist, also das nachmachen eines Vorgangs, indem man sein echtes oder imaginäres Geräusch nachahmt: Bhl-. So blubbert die Whelle, blitzt der Blick und der Blitz, platzt die Blüte, bleckt die Blässe. Bllll klingt die Bell, die englische Glocke, weswegen auch der Hund bellt. Er macht halt Krach. Aber wir wollen uns nicht verzetteln. Tatsache ist, dass eben auch der Himmel blaut. Egal ob er blassweiß ist oder hellblau, wenn der Wind bläst. Der Blick in den Himmel lässt uns zu jeder Tages- und Nachtzeit kleinwerden, demütig und sehnsüchtig gleichermaßen. Ganz besonders aber in den Stunden zwischen Tag- und Nacht, wo sich das Himmelslicht nicht entscheiden kann - den blauen Stunden eben. Die sind wohl nirgends intensiver als im Blauen Land, dem Landschaft gewordenen Lichtwunder rund um Staffelsee und Kochelsee in Oberbayern, aus dem ein Kunstwunder geworden ist: Der Blaue Reiter.
Hier gibt’s eine Menge Informationen rund um die Blauen Stunden, Natur und Kunst im Blauen Land. Die weltweit größte Sammlung mit Werken des Blauen Reiters finden Sie im Münchner Lenbachhaus.
Kleiner Rundweg
(auch zu finden unter Wanderungen im Blauen Land)
Vom Münterhaus geht es Richtung Süden durch die Kottmüller-Allee bis zu einem Höhenrücken mit einem traumhaften Ausblick über das Murnauer Moos. Der Weg führt hinunter direkt zur Ausflugsgaststätte „Ähndl“ und zum „Georgskircherl“. Diese kleine Kapelle wurde im 8. Jahrhundert erbaut und gehört zu den ältesten Kirchen in Deutschland. Dann führt der Weg weiter Richtung Westen, entweder im Moos oder oberhalb auf einer schmalen Straße, vorbei an Pferdekoppeln bis eine Abzweigung nach Norden kommt. Der Weg geht leicht bergauf und an der Waldgrenze nähert man sich dem „Drachenstich“, einer schattigen kleinen Schlucht. Dort soll der Legende nach der Murnauer Lindwurm seine vielen Jungfrauen verspeist haben. Vom Drachenstich geht zurück über die Kottmüller-Allee wieder nach Murnau.
Blaumann und Blue Jeans
Das Blau des Himmels und das Weiß der whellenden Wholken - die bayerischen Farben schlechthin. Und doch eigentlich wieder nicht. Die Grafen von Bogen, von denen die Wittelsbacher die weißblauen Wecken als Wappenfarbe übernommen haben, haben sich ursprünglich nur ein paar blaue Wecken auf ihren silbernen Schild gemalt. Fürs Turnier. Andere, wie die Grafen von Tirol, bzw. später die Habsburger, haben rote Streifen draufgemalt oder die Grafen von Hohenzollern schwarze Quadrate. Sonst hätt man die Herren beim Turnier unter ihren blechernen Rüstungen ja kaum auseinanderhalten können. Später haben sie ihre Waffen-, ihre Wappenfarben auch auf Papier übertragen. Das war weiß. Weswegen die bayerischen Farben heute weißblau, die österreichischen Farben rotweißrot oder die preußischen Farben weißschwarz-schwarzweiß geworden sind. Das Weiß hat jedenfalls das Silber des Blechs ersetzt. Übrigens auch das blitzende bleckende Blech teilt mit Blau die bhellende, strahlend-schreiende Wortwurzel. Wenn Blech patiniert, kann es auch schwarz werden, englisch black. Blau und schwarz sind also miteinander verwandt. Wenn man zuviel getrunken hat, ist man deswegen blau, weil einem leicht blauschwarz vor den Augen werden kann - oder eben flau. Sie sehen, mit dem bhl- kommt man leicht vom Hundertsten ins Tausendste. Schauen wir, dass wir die Kurve kriegen: Wenn die Adligen ihre silbernblecherne Arbeitskleidung ausgezogen haben, haben sie samtenbraune, schimmernd grüne, leuchtend rote, silbern und golden gewirkte Gewänder angezogen. Alles Farben die extrem teuer herzustellen waren. Schwarze und blaue Fürstengewänder hats natürlich auch gegeben - da aber mussten die Stoffe wenigstens teuer sein. Denn blau, blauschwarz waren auch die einfachen Jacken und Hosen, vor allem auch die Schürzen der Handwerker, überhaupt der gesamten arbeitenden Bevölkerung. Praktisch, weil nichtschmutzend. Der Blaumann war noch im zwanzigsten Jahrhundert die Arbeitskleidung schlechthin bei Schmieden genauso wie bei Seeleuten oder amerikanischen Goldgräbern. Deren Arbeitskleidung fertigte der aus Oberfranken in die neue Welt ausgewanderte Levi Strauß und kreierte damit auf Umwegen das moderne Weltkleidungsstück: Die Blue Jeans.
Blue Notes
Blau ist die Farbe der Sehnsucht, eines blümeranten Gefühls, das uns beschleicht, wenn wir in den Himmel schauen, der tagsüber blau und nachts black, schwarz ist und uns so klein und gleichzeitig so weit werden lässt. Wir haben das eine und wollen das andere, wir stehen an einem Platz und wollen zugleich weg, wir sind gefangen und wollen frei sein. Es sind diese Diskrepanzen, die uns leicht den Blues kriegen lassen. Heute fast sowas wie ein Luxusgefühl. Früher, bei den schwarzen Arbeitssklaven Amerikas, von denen der Blues kommt, da war dieses sehnsüchtige Gefühl nach Freiheit, Entgrenzung, Sprengen aller Ketten weit qweniger romantisch. Schwärzer, blutiger. Und es drückte sich aus im Gesang, eben dem Blues, der wiederum seine ganz spezielle Eigentümlichkeit erhält durch die Blue Notes: Schräge halbtönige Dissonanzen, die sich in den typischen Jazzakkorden in einen ganz eigentümlichen Klang auflösen. Vielleicht die gesamte moderne populäre Musik, zumindest aber Blues und Jazz sind ohne diese Blue Notes nicht zu denken. Jeder Jazzmusiker braucht sie. Immer und überall. Blue Notes machen regelrecht süchtig. Genauso wie die Umgebung, in der sie gespielt werden: Jazzclubs, in denen man eng aufeinandersitzt, die Luft zum Schneiden rauchig, laut, jazzig halt. Alles derzeit nicht möglich. Weswegen so mancher Jazzmusiker derzeit den Blues hat. Hier erklärt der Musikkabarettist und Jazzmusiker Helge Schneider die Blue Notes.
Blaue Zipfel
Die Wortwurzel bhel-,die in Blau genauso drinsteckt, wie im krachmachenden Bellen, war ungeheuer produktiv. Eine Lautmalerei: bhel- quillt und pulst und blubbert. Bhel- kann aber auch glitzern wie das Blech, das blank strahlt, hell weiß, italienisch bianco. Auch unser Wort blond gehört hierher, genauso wie blass. Blaues Blut haben die Adeligen ja auch vor allem deshalb, weil sie im Gegensatz zur arbeitenden Bevölkerung nicht braun waren, sondern vornehme Blässe trugen, blasse Haut, durch die die Venen blau geschimmert haben. Erinnern Sie sich, wie das war, wenn Sie als Kind im Freibad gefroren haben, dass es Sie nur geschüttelt hat? Da waren Sie vor Kälte so blass, dass die Lippen blau geworden sind. Ja, und jeder Kücheninteressierte weiß, dass so ziemlich jedes Lebensmittel durch Kochen seine Farbe verliert. Eingekochte Gurken werden blaßweiß, eingekochte Erdbeeren flau und grau. Und natürlich werden auch Fische wie Karpfen oder Forellen so. Sie schmecken aber nicht flau und grau, das ist vielleicht der Grund, warum Forelle blau, Karpfen blau so geschätzt werden. Die Franken haben der gesamtbayerischen Küche viele großartige Geschenke gemacht. Und die Blauen Zipfel gehören dabei zu den allergrößten. Einfach zuzubereiten und einfach gut. Probiern Sies aus!
Blauer Silvaner
Woran es liegt, weiß man eigentlich nicht so recht, aber blau ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen. Bei einer Umfrage des Instituts Allensbach aus dem Jahr 2014 galt das für satte 40 Prozent der Befragten. Mit weitem Abstand erst folgten Rot mit 19 und Grün mit 18 Prozent. Vielleicht ist das der Grund, warum man beides Grün und Rot auch gern einmal als Blau bezeichnet. Können Sie schafkopfen? Dann kennen Sie sicher die blaue Sau oder den blauen Ober - wobei es sich eben um die Grassau und den Grasober handelt, die in Wirklichkeit grün sind. Das könnte ja noch davon herrühren, dass die Wörter Blatt und blau auf die gemeinsame Wurzel bhel- zurückgehen. Andererseits wird auch rot gern einmal als blau bezeichnet. Sagen Sie Rotkohl oder Blaukraut? Hoffentlich letzteres, wie es in Franken, Schwaben und Altbayern üblich ist. Ebenso, wie es sich beim Blauburgunder, beim Blaufränkisch, bei der Blauen Zimmettraube, beim blauen Gänsfüßer und anderen neuen und alten Weinsorten eben um Rotwein handelt. Die Trauben sind blau, das Getränk rot, und wenn man es getrunken hat, sind Lippen und Zunge wieder blau. Aber Vorsicht Falle: Der Blaue Silvaner, eine seltene, wenngleich typisch fränkische Weinsorte, gehört da nicht dazu…
Blaue Donau
Nicht nur der Himmel - auch das Wasser ist selbstverständlich blau. Liegt natürlich daran, dass sich der Himmel im Wasser spiegelt. Vorzüglich natürlich in größeren Wasserflächen. Wie zum Beispiel im Staffelsee oder Kochelsee im Blauen Land. Solche Seen sind typisch für das bayerische Oberland - fürs Unterland, Niederbayern stehen dagegen die breiten Unterläufe der Flüsse, die sich aus den oberbayerischen Seen und ihren Abflüssen speisen. Und alle diese immer breiter werdenden Flüsse ergießen sich früher oder später in den großen Strom, das Wasser Niederbayerns schlechthin: Die Donau. Die Blaue Donau, die Schöne Blaue Donau. Ist sie das wirklich? In einer im Jahr 1935 - natürlich in Wien - durchgeführten Untersuchung hat man festgestellt, dass die Donau bei Wien sechs Tage im Jahr braun, 55 Tage lehmgelb, 38 schmutziggrün, 49 hellgrün, 47 grasgrün, 24 stahlgrün, 109 Tage smaragdgrün, 37 Tage dunkelgrün ist - aber blau: Niemals! Oder sagt man bloß blau, und meint damit hellgrün, stahlgrün, smaragdgrün, schmutziggrün, dunkelgrün oder grasgrün, wie bei den Schafkopfkarten? Grün ist ja eine Mischung aus Blau und Gelb. Ist die Donau vielleicht eigentlich gelb, von Erde und allerlei organischem Unrat, der die Kläranlagen überdauert, und wirkt sie nur grün, weil der blaue Himmel sich drin spiegelt? In Niederbayern jedenfalls ist die Donau sehr wohl blau. Zumindest auf den Gemälden von Ludwig Angerer, ein Künstler, der im Landkreis Kelheim lebt und sich regelmäßig von der schönen blauen Donau inspirieren lässt. Hier gehts zu den phantastisch realistischen Werken Ludwig Angerers, der sich selbst Angerer der Ältere nennt. Und hier gibt’s einen inspirierenden Tipp für eine der schönsten Wanderungen Bayerns: Von Kelheim über die Befreiungshalle zur Abtei Weltenburg und zurück. Inklusive grandioser Asamkirche, Biergartenrast in Bayerns ältester Klosterbrauerei und Zillenfahrt auf der Donau.
Blauschimmelkäs Chiriboga Blue
Woher kommen all diese Mehrdeutigkeiten im Zusammenhang mit Blau? Im Grund ist es ganz einfach: Der Himmel scheint blau, seine Konsistenz aber, die Atmosphäre, die Luft, ist durchsichtig. Genauso verhält es sich mit dem Wasser. Welche Farbe hat Wasser? Nicht greifbar! Blau und flau und blümerant, das Blausein, das feeling blue, der Blues aber auch die Blauäugigkeit - all das ist Ausdruck dieses Vagen, Ungewissen, Unreifen oder Überreifen, letztlich Unergründlichen, das diese Farbe bezeichnet. So unergründlich und ungewiss wie die Fahrt ins Blaue, eine Reise ohne gewisses Ziel. Die blaue Blume der Romantiker stand als Symbol für dieses ungewisse aber sehnsüchtige Ziel, das Streben nach dem Unendlichen, dem Transzendenten. Hier traf man sich mit den Vorstellungen der Antike. Der Himmel, das Wasser - weder Ägypter noch Römer unterschieden zwischen Blau und Grün. Die Götter sind unergründlich, unsagbar, unnennbar, göttlich halt und ebenso sind ihre irdischen Abbilder die Könige. Blau ist seither die königliche Farbe. Königsblau. Aber türkis und lindgrün waren bei den Ägyptern mindestens so königlich. Die ältesten künstlichen Farbpigmente der Welt, Ägyptisch Grün und Ägyptisch Blau, hat man aus Kupfersilikat hergestellt. Allein daher schon sehr ähnlich. Bestimmt gefallen hätte deswegen den Ägyptern auch der Blauschimmelkäse. Aber sie haben ihn nicht gekannt. Die Römer aber kannten ihn schon. Und obwohl sich bis heute die Experten streiten, welche Farbe genau der sogenannte Blauschimmel hat - die Kenner wissen: Er schmeckt göttlich. Übrigens: In der Pigmentmanufaktur Kremer in Aichstetten werden Ägyptisch Grün und Ägyptisch Blau heute noch hergestellt. Hier sehen Sie, wie ähnlich sich die Farben sind. Und hier gibt’s eine Bezugsadresse. wenn Sie Lust auf den einzigartigen Allgäuer Blauschimmelkäse Chiriboga Blue gekriegt haben.
Zum Schluss
Grün und blau is am Kasperl sei Frau lautet ein alter Spruch, mit dem man sagen wollte, dass die zwei Farben nicht zusammenpassen. Hat man zumindest lang gemeint. Könnt auch sein, dass der Kasperl, wenn er den Blues hat, himmelhochjauchzend zu Tode betrübt, wie er halt ist, mit seiner Pritsche auch einmal die Gretl erwischt hat. Ich kann mich da zwar an kein einziges Mal erinnern. Aber jeder von uns weiß, dass blaue Flecken mit der Zeit grün werden, bevor sie ganz verblassen. Und eins ist sicher: Wir sind noch einmal mit einem blauen Aug davongekommen. Den Blues dieses Winters und Frühlings können wir jetzt getrost vergessen und uns aufmachen ins Blaue, wohin die Wege des nun beginnenden Sommers uns auch immer führen.