Bayern 2

     

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In Ewigkeit Der Kuchlerhof in Flintsbach am Inn

Seit zwölf Generationen ist der Kuchlerhof in Flintsbach am Inn bereits in Familienbesitz. Derzeit leben drei Generationen der Familie dort. Ein Ausflug zu einem nahezu "ewigen Hof" im Landkreis Rosenheim.

Von: Julia Binder

Stand: 21.12.2023 | Archiv

In Ewigkeit: Der Kuchlerhof in Flintsbach am Inn

"Es ist einfach schee, so a ehrwürdiges Gefühl, wenn man in so am oiden Anwesen wohnen derf. Ist ned so a nei bauts Haus, es ist Geschichte. I bin sogar da in der Stubn geboren, 1959, leb seitdem da, a mit meine Geschwister."

Uschi Unker

Uschi Unker ist die Bäuerin auf dem Kuchlerhof. Mitten in Flintsbach, mitten im Ortskern, direkt neben Kirche und Wirt steht der sehr gut erhaltene und gepflegte Hof. Schon ewige Zeiten lang. "Kuchler, seit 1293" steht auf einem Schild neben der Eingangstür.

"Es gibt in Flintsbach noch ein paar Höfe, die älter erwähnt sind, aber dass es immer in der gleichen Familie ist, des ist selten, ich hab jetzt keinen so rausgefunden. Oft hat ein Neffe, Verwandter den Hof übernommen, weil keine eigenen Kinder da waren."

Franz Unker

Nicht so bei den Kuchlers. Vor Bauer Franz Unker liegen jede Menge Urkunden, Dokumente, Fotos, Chroniken. Besonders interessant: Eine Aufstellung aller Familienmitgliedern, die bis heute auf dem geschichtsträchtigen Hof gelebt und gewirtschaftet haben.

"1633 wird ein Georg Kuchler als Besitzer erwähnt; dieser dürfte mit dem folgenden Georg Lechner personengleich sein. 1. Georg Lechner und seine Ehefrau Margarete. Ihre Kinder sind vor Beginn des Taufbuches (1627) geboren. Da ist dann der Vitus Lechner verzeichnet, am 9.12.1675 gestorben, sein Geburtsdatum ist nicht verzeichnet, weil es da das Taufbuch noch nicht gab."

Sabine Huber

Den Kuchlerhof gibt es seit 1293

Wer also vor Beginn der Aufzeichnungen im Kuchlerhof gelebt hat, das lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Das Gebäude an sich gibt es noch viel länger, seit 1293, heißt es in den Chroniken von Flintsbach. In der Stube hängt, an einem Ehrenplatz, seit 67 Jahren auch eine Urkunde.

"Des hod uns ois Kinder scho guad gfoin. De hängt immer scho am gleichen Platz, des woaß i scho immer."

Uschi Unker

Darauf ist zu lesen: "Aufgrund amtlichen Nachweises ist das Bauerngeschlecht Lechner seit 1627 in ununterbrochenem Besitz des Hofes beim Kuchler in Unterflintsbach, Landkreis Rosenheim, durch folgende Generationen: Georg, Vitus, Vitus, Kaspar, Josef, Michael, Johann, Martin, Martin, Josef."

"Mei Vater hat 58 übernommen und mia dann 88, also zwoa Generationen gengan da no ab auf dera Tafel."

Uschi Unker

Nach dem letzten Josef auf der Tafel, kam noch ein Josef und dann Uschi und ihre vier Schwestern. Es war also klar: Ein Mädchen wird den Hof übernehmen.

"Ganz am Anfang woit i ned unbedingt Bäuerin werden, hab boid Kinder kriagt, war erst 17, haben im Zuhaus gewohnt, ham a scheene Zeit gehabt. Dr Mo is ind Arbeit ganga, i hob a mit gehoifn. Irgendwann hab i denn gemerkt, i glab, jetzt is soweit, jetzt konn ichs dann scho macha."

Uschi Unker

Seither ist der Familienname auf dem Kuchlerhof Unker. Franz Unker, viertes von neun Kindern aus einer Landwirtschaft im benachbarten Brannenburg, und seine Uschi führen die Familientradition weiter.  

"A unheimlich scheens Gefühl, weil i mir denk, es konn ned abwärts gehen, wenns so viele Generationen geschafft ham, den Hof zu erhalten, muss es doch weitergehen. So hätt ich es meine Kinder vermittelt, hoff ich. Konn man nur so weitertragen. Aber ich hoffe, dass ma des Gefühl, dass des wirklich was Wertvolles ist, so weitergeben konn. Man konns ned erzwinga, des muss vo seiba kemma. Aber da hoff i, dass i schon was beitragn hab."

Uschi Unker

Die Generationen 12, 13 und 14 leben derzeit auf dem Hof

Es schaut ganz danach aus. Die Generationen 12, 13 und 14 leben derzeit gemeinsam auf dem Hof. Und sie helfen alle zusammen. 18 Milchkühe haben sie hier noch, eine kleine Landwirtschaft, Schweine, Hühner, Katzen, Enten, Hasen. Sabine Huber ist die Tochter von Uschi und Franz. Sie wohnt mit ihrer Familie im Zuhaus und ist, wie alle in der Familie, mit dem Wissen um die Geschichte ihres Hofs aufgewachsen.

"Da Opa hat immer so an netten Spruch gehabt: Er hätte so gern mal, dass einer aus jeder Generation um den Stubentisch sitzen dad und erzählt, wie es ihm ganga is. Und dann host du des so mitkriagt ois Kind, eigentlich a tolle Vorstellung. I glab, die Ewigkeit besteht da drin, dass ma des ned vergessen derf, die Vorgänger und man selber wird a ned so vergessen. Jeder hinterlasst halt seins, wenn man auf so am Hof wohnt, auch als Kind, du bist da einfach so eingebettet."

Sabine Huber

Sie wird alles dafür tun, dass ihr ehrwürdiger Hof erhalten bleibt, sagt die 43-Jährige. Denn es geht ja nicht nur um die gefühlt schon ewige Geschichte ihrer Familie. Sondern um viel mehr. Sabine Huber erinnert sich zum Beispiel noch sehr gut an all die anderen kleinen Bauernhöfe in Flintsbach – die es mittlerweile nicht mehr gibt.

"Des han so Sachen, wo ich denke, Wahnsinn, die ganzen kleinen Landwirtschaften und Strukturen, da geht a riesen Stück verloren. A außenrum. Jeder schreit ums Insektensterben, bei uns am Misthaufen is sicher koa Sterben. Da geht’s zu. In jedem Stall waren Schwalben, aber klar, dass da koane mehr wohnen, wenn die Ställe leer san. So a riesen Kreis, den man sich gar nicht denken konn, wos ois drohängt."

Sabine Huber

Der Kuchlerhof ist offen für alle

Nicht nur, um dieses Bewusstsein auch bei anderen zu schärfen, war und ist der Kuchlerhof – mitten im Dorf – schon immer offen für alle: Schulklassen kommen hierher für Führungen, die Kindergartengruppe schaut bei den Hasen vorbei, Buben aus dem Dorf helfen im Stall. Beim Almabtrieb sind mehr Treiber als Rinder dabei. Gelebte Tradition, das ist bei den Kuchlers nicht aufgesetzt, nicht zu touristischen Zwecken, sondern schon immer einfach nur selbstverständlich.

"Des zu dahoitn ist wirklich wichtig. Da gehören die Traditionen dazu, die Tracht, das Kirch gehen, das Bitten und Danken. Das muss a in oam wachsen kenna. Da braucht ma a scheens Umfeld, dann geht’s leichter. Und es tragt! Es tragt ganz fest."

 Uschi Unker

Leben auf dem Hof – nicht immer nur eine Freude

Über Generationen, über Unglücke und schlechte Zeiten hinweg. Schaut man in die Chronik der Kuchlers, war das Leben auf dem Hof nicht immer nur freudig. Viele Kinder sind jung gestorben, der Vater von Uschi Unker ist tödlich verunglückt.

"Wenn man des jetzt ned gern macha würden, und ned olle mithelfen, kannt ma so leicht aufhören, sogt sich, für was denn? Hab mei Rente. Mia machan des nicht, dass man riesen Geld verdient, sondern, dass mia den Hof erhalten. Und mia hoffen, dass so weitergeht."

Franz Unker

Der Kuchlerhof diente wohl als Küche für die Grafen von Falkenstein

Egal, was sich gesellschaftlich tut. Die Familie hat gezeigt, dass sie sich den Umbrüchen und Veränderungen anpassen kann. Heute sind die Unkers Nebenerwerbslandwirte, ihre Vorfahren arbeiteten noch im Dienst der Grafen von Falkenstein. Seit jeher hatte der Hof nämlich zur Grafschaft gehört. Höchstwahrscheinlich, so heißt es in den Chroniken, diente er als Küche. Deswegen auch der Name "Kuchler".

"Wos i da spannend find, das Geschlecht von de Falkensteiner is ausgestorben und uns gibt’s immer no."

Sabine Huber

"Da muss i schon sagen, dass unsere Vorfahren immer durchgehalten haben. Irgendeine Generation hätte sagen können: 'Hauen wir ois weiter, mach ma uns a scheens Leben.' Mia hoffen, dass es bei uns a no weitergeht."

Franz Unker

In der Stube vom Kuchlerhof in Flintsbach ist jedenfalls schon noch etwas Platz. Für mindestens eine neue Tafel, auf der dann die elf, zwölf, 13 weiteren Generationen der Familie am Hof aufgelistet werden können.


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