Der schöne Tod Nürnberger Epitaphienkunst gestern und heute
Die Jahrhunderte alten Nürnberger Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus zählen weltweit zu den schönsten Begräbnisstätten – auch dank ihrer einzigartigen Vielzahl von Epitaphien. Solche reich verzierten Grabinschriften bestellen sich auch heute noch Menschen für ihre letzte Ruhestätte.
Berühmt wurden die Nürnberger Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus nicht allein durch die historischen Grabstätten so namhafter Künstler und Geistesgrößen wie Albrecht Dürer, Veit Stoss oder Willibald Pirckheimer, sondern auch durch ihre einzigartige Vielzahl von Epitaphien aus insgesamt sechs Jahrhunderten.
Epitaphien: reich verzierte, kunstvolle Grabinschriften
Epitaphien sind Grabdenkmale zwischen Kunst und Kunsthandwerk. Viele der Epitaphien sind dabei aber künstlerische Meisterwerke, originär und originell, Reliefs, Skulpturen, die den Verstorbenen die letzte Ehre erweisen. Bildhaft oder in Schrift geben sie Auskunft über die Bestatteten, die Familie, die Zeit und stehen nicht zuletzt für die Existenz der Verstorbenen über den Tod hinaus.
Totenköpfe, Engel und Posaunen
Die Epitaphien sind nicht nur reines Schmuckwerk, nicht nur schöne Dekoration und Verzierung des Todes, sondern begreifen sich zugleich immer auch als "Mento Mori" – als: Bedenke, dass Du sterben wirst! Häufig zu finden ist daher die typische Symbolik, der Tod dargestellt als Gerippe mit Sense und Schriftrolle, Engel mit Posaunen, geflügelte Sanduhren oder gekreuzte Knochen und immer wieder – ein Leitmotiv durch alle Jahrhunderte hindurch – der Totenkopf. Diese allegorischen Bilder stehen für die Vergänglichkeit allen Seins.
Alles ist flüchtig, nichts ist zu halten
"Fremde sind wir auf der Erde alle, und es stirbt womit wir uns verbinden."
Grabinschrift auf dem Johannisfriedhof
Dieser Spruch des Dichters Franz Werfel ist nachzulesen auf dem Johannisfriedhof, im steinernen Pflaster, ein paar Meter vor der kleinen gotischen Kirche St. Johannis. Er erinnert daran, dass letzten Endes alles flüchtig, nichts zu halten und zu behalten ist. Vor allem das Barock ist die überbordende Zeit der Epitaphien. Die Menschen der Zeit lieben das Ornament und sind zugleich, nicht zuletzt durch den Dreißigjährigen Krieg, die ständigen Hungersnöte, die immer drohende Pest und andere Geißeln dem Tod lebenslang sehr nah. Der Tod gehört zum Leben. Zudem führt im 16. und 17. Jahrhundert das wachsende Repräsentationsbedürfnis des städtischen Bürgertums und des Adels zu einer wahren Blütezeit der Epitaphien-Kultur.
Nürnberger Epitaphien-Verein will Kunstschätze erhalten
Die Nürnberger Kunsthistorikerin Ruth Papadopoulos ist aktiv im Verein "Geschichte für alle" und gehört zum ambitionierten Team im Nürnberger Epitaphien-Verein, einem Bürgerverein, der sich 2018 im 500. Jahr des Bestehens der beiden Friedhöfe gründete. Ziel war vor allem der Erhalt der uralten, durch Witterungs- und andere Einflüsse vielfach vom Verfall bedrohten Epitaphien. Ruth Papadopoulos ist die Hüterin und Kennerin dieser Nürnberger Kunstschätze, wirklich eine Koryphäe. Auf den historischen Friedhöfen veranstaltet sie auch Führungen, wie hier auf dem Johannisfriedhof, der zur Zeit seiner Gründung noch außerhalb der Stadtmauern lag.
"Nürnberg war einzigartig in Sachen Seuchenhygiene zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Wir haben ein absolutes Bestattungsverbot innerhalb der Stadtmauern im Jahr 1518. Da wurde also dieser Friedhof nicht neu angelegt, aber die Form festgelegt, in der wir ihn heute sehen. Sie sehen liegende Grabsteine, alle nach Osten ausgerichtet, alle von gleicher Länge. Nämlich sechs Nürnberger Werkschuh, ein bisschen unterschiedlich in der Form. Sie können also unterscheiden, ob Sie barocke, Renaissance- oder diese ganz ursprüngliche Form haben. Diese liegenden Grabmäler haben einen Schmuck, und das ist ein Epitaph. Und das ist das Einzigartige an Nürnberg: die Epitaphienkultur."
Dr. Ruth Papadopoulos, Kunsthistorikerin vom Verein 'Geschichte für alle'
Spektakuläres Grab des Patriziers Georg Paumgartner
Von großer Schönheit und ästhetischem Reichtum zeugen heute viele der Gräber und Inschriften. Ruth Papadopoulos führt zu einem der berühmtesten, weil spektakulärsten Gräber auf dem Johannisfriedhof, dem Grab des Nürnberger Patriziers Georg Paumgartner.
"Georg Paumgartner entstammte einer Patrizierfamilie, die Jahrhunderte aktiv im Rat war und praktisch mit den anderen Patrizierfamilien verwandt war. Dreißig Jahre seiner Lebenszeit fallen in den Dreißigjährigen Krieg. Daran sieht man schon, was er für ein Verhältnis zum Tod gehabt haben muss. Das war etwas völlig Normales in seinem Leben. Er war auch aktiv beteiligt. Er war im Militär und er war 'Zweiter Losunger' der Stadt Nürnberg. Zweiter Losunger bedeutet so eine Art Bürgermeister. Wir stehen vor seinem großartigen Grab, das aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist. Früher war es noch großartiger, denn es war verbunden mit einem Gitter und verschiedenen Darstellungen, Kupfertafeln, die an der Friedhofsmauer befestigt waren. Heute ist die Situation eine andere, heute liegt das Grab frei. Wir haben eine große Inschrift unter dem reich gestalteten Barockepitaph, die alle seine Titel nennt und interessanterweise auch eine Jahreszahl: 1679."
Dr. Ruth Papadopoulos, Kunsthistorikerin vom Verein 'Geschichte für alle'
1679? Das ist interessant, denn Georg Paumgartner starb erst 1686, also sieben Jahre später. Das Epitaph, das auf seinem Grab liegt, wurde also vor seinem Tod zu Lebzeiten hergestellt. Es ist davon auszugehen, dass er selbst das Grab gestaltet hat.
Der schöne Tod
Mit jedem Grab und jedem Epitaph, das sich mit Hilfe von entsprechenden Kenntnissen entziffern und "lesen" lässt, entfaltet sich eine andere Welt, ein anderer zeitlicher und räumlicher Kosmos. Es ist ein reicher kulturhistorischer Schatz, der auf den beiden historischen Nürnberger Friedhöfen, St. Johannis und St. Rochus lagert. Man muss lange suchen, bis man ein Grab findet, das nicht mit einem Epitaph geschmückt ist. Der schöne Tod. Man gewinnt den Eindruck, die Menschen früher hätten das Sterben förmlich zelebriert und kultiviert.
Epitaphien – bis heute gefragt
Friedhöfe sind Orte für die Lebenden. In einer Gesellschaft, in der viele den Tod durch laute Betriebsamkeit verdrängen, in Grabpflege auch kein Geld mehr investieren möchten, sich manche auch für anonyme Gräber entscheiden, für Wald- oder für Meerbestattungen, die ihnen vielleicht zeitgemäßer und natürlicher erscheinen, gibt es aber auch heute noch viele Menschen, die sich ein Epitaph für ihren Grabstein schon zu Lebzeiten bestellen. Fast scheint es, als gäbe es gegenwärtig wieder ein gesteigertes Interesse an diesem uralten Handwerk. Allerdings existieren kaum genügend Kunsthandwerker oder Künstler, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die Epitaphien-Kunst braucht und sucht dringend Kreative.
"Jeder Mensch ist zu Lebzeiten ein Unikat. Und deshalb denke ich, dass auch ein Epitaph den Charakter eines Unikats haben muss. Nur dann kann es als Grabmal funktionieren. Und jede Kultur, die sich nicht wandelt, ist zum Sterben verurteilt, so auch die Epitaphien-Kultur."
Thomas Haydn, Epitaphien-Künstler
Epitaphien im 21. Jahrhundert – dem Zeitgeist geschuldet?
Thomas Haydn stammt aus Österreich, lebt aber seit vielen Jahrzehnten in Nürnberg. Er ist Epitaphien-Künstler. Der Österreicher und der Tod – ein scheinbar uraltes Klischee. Die Frage an ihn: Entsprechen Epitaphien im 21. Jahrhundert einem neu erwachten Zeitgeist?
"Das ist eine interessante Frage, denn dann müsste man die Behauptung aufstellen, dass Sterben einen gewissen Zeitgeist hat. Ich glaube, es hat eine andere Begründung. Die Gedenkkultur und Bestattungskultur ist uns nahezu verloren gegangen. Und ich glaube, dass die Menschen gemerkt haben, dass diese Kultur einen Sinn hat. Den Menschen fehlt in dieser prekären, in dieser Ausnahmesituation, in der sie einen Menschen verlieren, diese Kultur. Diese Kultur ist ja nicht entstanden, weil jemand lustig war und gesagt hat, jetzt mach ich mal eine Bestattungskultur, sondern die hat sich entwickelt, seit es die Menschen überhaupt gibt. Man spricht ja davon, dass die Bestattungskultur die erste Kultur überhaupt ist. Und die hat sich über all die Jahrtausende gewandelt und in unserem Zeitalter wurde diese Kultur sehr stark ökonomisiert, wie so vieles andere auch in unserem Zeitalter. Und so ist der tiefere Sinn verloren gegangen. Und ich glaube, dass die Menschen wieder auf der Sinnsuche sind und daher sich verstärkt wieder dieser Kultur zuwenden. Sie brauchen diese Kultur. Und das ist, glaub ich, der Grund, warum wieder nach individuellen Grabmalen gesucht wird."
Thomas Haydn, Epitaphien-Künstler
Es gibt es also zahlreiche Menschen, die schon zu Lebzeiten zu Thomas Haydn kommen und ein Motiv für ein Epitaph gemeinsam mit ihm aussuchen. Begegnungen, die besondere Sensibilität erfordern. Thomas Haydn geht es darum, in diesen Gesprächen das individuelle "Wesen" eines Menschen zu erfassen und entsprechend ein Grabmal zu entwerfen.
Moderne Epitaphien – mitunter umstritten
Alle aktuellen künstlerischen Entwürfe müssen von einem Epitaphien-Gremium abgesegnet werden. Viele davon werden begrüßt. Es gab aber auch heikle Entwürfe, die für viele Diskussionen im Gremium sorgten. Konfliktbeladen war vor allem eine Arbeit, die Thomas Haydn für den verstorbenen Besitzer eines Nürnberger Sanitätshauses entwarf, ein in der Tat mehr als ungewöhnliches Grabmal, das nicht jedem Geschmack entsprach und massiven Widerstand provozierte. Am unteren Rand des Grabes liegen hier ein Paar Männerschuhe, so, als habe sie gerade in diesem Moment jemand ausgezogen, ohne besondere Achtsamkeit oder Sorgfalt. Ein Schuh liegt über Kopf. Von hier aus führen Abdrücke von zwei nackten Füßen über die Grabfläche bis an ihr oberes Ende. Sie graben sich tief in den Stein ein. Der letzte Fußabdruck ist nur noch unvollkommen gestaltet, kaum noch zur Hälfte sichtbar, so, als habe dieser Mensch jetzt eine andere Welt, eine andere Dimension betreten, vielleicht das Jenseits.
Dringender Restaurierungsbedarf
Lange Zeit allerdings wurde dieser einzigartige kulturhistorische Schatz der Stadt Nürnberg kläglich vernachlässigt. Viele Grabinschriften haben heute dringenden Restaurierungsbedarf, zahlreiche Gruften auf den Friedhöfen sind sogar vom Einsturz bedroht. Viele Epitaphien sind seit Jahrzehnten zerstört. Sogar Kriegsschäden aus dem Zweiten Weltkrieg wurden bis heute nicht behoben und nicht restauriert.
"Also hier sehen wir ein kaputtes Epitaph. Der untere Teil ist abgebrochen und auch oben fehlt ein Teil, den wir aber nicht mehr haben. Es liegt jetzt hier, weil es zur Restaurierung gehen soll. Es soll wieder verbunden werden und dann ans Grab kommen. Das ist eines der älteren Epitaphe, die wir hier haben."
Elfi Heider, Leiterin des Johannis-Friedhofs