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Die Nürnberger Kongresshalle Wie die Kultur einem Koloss zu Leibe rückt

Nürnberg bewirbt sich unter der Losung "Past Forward" als Kulturhauptstadt Europas 2025. Dafür soll die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände als Kulturort erschlossen werden – und der Erinnerungskultur neue Dimensionen verleihen.

Von: Inga Pflug

Stand: 09.10.2020 | Archiv

Die Nürnberger Kongresshalle: Wie die Kultur einem Koloss zu Leibe rückt

Unter der Überschrift "Past Forward" hat Nürnberg sich ein ehrgeiziges Programm auferlegt: Mehr als 60 konkrete Projekte sind im Kulturhauptstadtjahr geplant – von der klassischen Ausstellung über Diskussionsformate, Mitmachaktionen im öffentlichen Raum bis zu umfangreichen, genreübergreifenden Festivals. Jedes Projekt fußt auf der Nürnberger Geschichte, wird aber in die Gegenwart und Zukunft gedacht. So auch die Nürnberger Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände.

Vom "Ausstellungsrundbau" zur Lagerhalle

1949 fand in und vor der Kongresshalle die Deutsche Bauausstellung (DBA) statt.

Das monströse Halbrund, das bislang weitgehend ungenutzt ist, soll als Kulturort erschlossen werden und auch der Nürnberger Erinnerungskultur eine neue Dimension verleihen. Ein Paradigmenwechsel – denn seit den 1950er-Jahren wird das Gebäude, das den massivsten Baukörper auf dem gesamten ehemaligen Reichsparteitagsgelände darstellt, ganz pragmatisch hauptsächlich als Lagerfläche genutzt: Nach dem Krieg dient der massive Baukörper der Stadt zunächst als Fläche für die Deutsche Bauausstellung 1949. Eine Auseinandersetzung mit der Historie des Geländes wird dabei konsequent vermieden – genauso wie der Begriff "Kongresshalle". In den Katalogen wird stattdessen konsequent das Kunstwort "Ausstellungsrundbau" verwendet, auch bei der 900-Jahrfeier der Stadt 1950.

Quelle als wichtigster Mieter

Das Versandhaus Quelle war von 1972 bis 2006 Hauptmieter der unvollendeten ehemaligen Kongresshalle.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten scheitern sowohl die Pläne für ein Fußball-Stadion, als auch für einen Abriss. Als in den 1980er-Jahren ein Investor ein Erlebnis-Zentrum realisieren will, lehnt der Stadtrat ab. Das Versandhaus Quelle ist bis 2007 der wichtigste Mieter. Nürnberger Faschingsvereine, Autoschrauber, ein Kanuverein, städtische Dienste, der Schaustellerverband und zig andere mehr haben in dem Koloss Platz gefunden. Die Miet-Einnahmen sichern zumindest den Erhalt des Gebäudes.

Die Nürnberger Kongresshalle - von der Grundsteinlegung bis heute

Offene Wunde in der Identität der Stadt

Es scheint, als hätte die Stadt Berührungsängste dem Koloss gegenüber, bestätigt auch Marietta Piekenbrock. Die Kuratorin und Kulturmanagerin entwickelt bei Nürnbergs Kulturhauptstadtbewerbung Perspektiven zur Transformation des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes und war als Außenstehende zunächst verwundert über die bislang so heterogene Nutzung des Geländes mit den ikonischen Bauten – etwa als Freizeitort, Ort für Sportveranstaltungen und das Volksfest, aber eben auch Erinnerungsort.

"Ich habe sehr schnell gespürt, dass es große Berührungsängste gibt, vor allen Dingen auf Seiten der Kulturpolitik. Dieses Gelände ist immer noch wie eine Wunde in der kollektiven Identität der Stadt. Und ich glaube, dass die kommende, die nächste Gesellschaft, weniger Berührungsängste haben wird, das zu gestalten oder diesen Prozess zu gestalten, als die der letzten Dekaden."

Marietta Piekenbrock, Kuratorin, Kulturmanagerin und Beraterin der Stadt Nürnberg bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025

Dabei besteht Piekenbrocks Worten zufolge dringender Handlungsbedarf: Die Generation der Holocaust-Zeitzeugen verschwinde, gleichzeitig erlebe die Welt aktuell wieder viele demokratiefeindliche Dynamiken. Es gelte also die Demokratie zu verteidigen.

"Ich glaube, es ist der Zeitpunkt gekommen, als wirklich auch ein wichtiger Schwellenmoment in der bundesrepublikanischen Geschichte, diese Orte aus ihren psychologischen Fixierbändern herauszulösen. Und da kommt Nürnberg natürlich eine unfreiwillige Verantwortung, ich würde sogar sagen Kompetenz zu. Und ich würde es mal runterbrechen auf so etwas Einfaches: Das Gelände hier um die NS-Architekturen sind liegengebliebene Fragezeichen. Und das ist jetzt die Chance, diese Fragen aufzunehmen und zu beantworten."

Marietta Piekenbrock, Kuratorin, Kulturmanagerin und Beraterin der Stadt Nürnberg bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2025

Inzwischen gilt die Transformation der Kongresshalle als Herzstück der Nürnberger Bewerbung zur Kulturhauptstadt. Ateliers und kulturelle Ermöglichungsräume sollen entstehen, sagt Nürnbergs Kulturbürgermeisterin Julia Lehner. Und die künstlerische Arbeit soll in der Transparenz, für die Öffentlichkeit zugänglich und sichtbar stattfinden. Es sei der Stadt ein Anliegen, der Bevölkerung dieses Baumonument "zurückzugeben".

"Wir möchten, dass dieser Raum öffentlich zugänglich wird. Und das ist ein Stück weit eine neue Form der Erinnerungskultur. Wir möchten aufklären, wir möchten Substanz schaffen, damit eben die Menschen wissen, an welchem Ort sie sich befinden."

Julia Lehner, Kulturbürgermeisterin der Stadt Nürnberg

Wie genau das aussehen soll, ist noch unklar: Die Stadt spricht von einem "partizipativem Prozess" und betont, dass vor der Umnutzung erst die Bausubstanz überprüft werden muss.

Offene Fragen zum Brandschutz

Unklar sei unter anderem noch, welche Maßnahmen etwa für den Brandschutz und Fluchtwege ergriffen werden müssten und möglich sind. Außerdem werde die Kongresshalle2025 auch keinesfalls ein modern umgebauter "White Cube" sein, sondern vielmehr ein nutzbarer Rohbau, den Kulturschaffende dann in einer Art Laborsituation weiter für sich erobern könnten, betont der Leiter des Bewerbungsbüros, Hans-Joachim Wagner.

Künstler statt Auf AEG in der Kongresshalle

Eine viel konkretere Vorstellung beschreibt da schon Projektentwickler Bertram Schultze. Der Immobilienentwickler hat sich mit der Sanierung und Wiederbelebung der Leipziger Baumwollspinnerei einen Namen gemacht und ist in der Nürnberger Kunst- und Kulturszene spätestens seit der Konversion Auf AEG eine feste Größe.

Öffnung für die Öffentlichkeit

So könnte der Innenhof der Kongresshalle aussehen - wenn es nach Bertram Schultze geht.

Gemeinsam mit einem Architekturbüro hat er nun auch einen Plan zur Revitalisierung der Kongresshalle entwickelt. Der sieht vor, das Sockelgeschosses von außen in den Innenhof zu durchdringen – und auch vom Arkadengeschoss aus Zugänge ins Innere zu schaffen. Der Innenhof soll dafür in eine wellenförmige Hügellandschaft verwandelt werden und als öffentlicher Raum Kunstschaffenden aber auch den Nürnbergerinnen und Nürnbergern zur Verfügung stehen. Das Gebäude sei prädestiniert dafür, schon jetzt sei in den Mauern eine Atmosphäre spürbar, die zeige, dass hier eine quirlige, freisinnige, kreative Situation entstehen könne, so Schultze.

Reichsparteitagsgelände rückt näher an die Stadt

Dazu beitragen könnte auch die Stadtentwicklung im Umfeld des Reichsparteitagsgeländes. Denn durch den Bau der neuen technischen Universität wird das Areal einen neuen stadträumlichen Kontext erhalten, ist auch Hans-Joachim Wagner, vom Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüro überzeugt.

"Das Gelände wird zu einem Durchgangs-Gelände. Es wird der Stadt sehr viel näher rücken, als es jetzt der Fall ist. Es wird also ein Ort sein, ein Raum sein, an dem sich die Menschen sehr viel häufiger und auch sehr viel natürlicher aufhalten werden, als das bislang der Fall ist."

Hans-Joachim Wagner, Leiter des Bewerbungsbüros für die Kulturhauptstadt 2025

Graswelle und Licht

Schultzes Plänen zufolge sollen die provisorisch zugemauerten Öffnungen der Kongresshalle geöffnet und verglast werden. Damit werde dem Denkmalschutz genüge getan und Licht in das dunkle Gebäude gebracht.

"Interessant finde ich auch grundsätzlich die Näherung von innen, weil der historische Gedanke ja die Näherung von außen war, also die ganzen Besucher kommen von außen über die Treppenhäuser und gucken dann hier rein. Und ich finde es spannend, das eher von innen aufzurollen. Ich könnte mir vorstellen, das könnte einer der attraktivsten Stadträume werden, den die Stadt Nürnberg für die Zukunft zu bieten hat."

Bertram Schultze, Projektentwickler, MIB Coloured Fields GmbH

Bertram Schultze kann sich saalhohe Gänge mit viel Licht vorstellen.

Depots und Archive, Galerien und Ausstellungsräume, Cafés, Proberäume und vieles mehr kann Schultze sich in den Mauern der Kongresshalle vorstellen, verteilt über alle Etagen und das komplette Halbrund der Kongresshalle. Ein ambitioniertes Projekt – und vor allem noch ganz theoretisch und größer, als es die Stadt bislang dimensioniert. Doch internationale Beachtung wäre Nürnberg damit sicher, ist Schultze überzeugt.

"Auch kontrovers, das muss man dann aushalten. Das ist aber gerade auch gut, dass nicht nur gelobhudelt wird. Es wird immer Leute geben, die sagen, das ist der falsche Umgang hier. Es wird Leute geben, die sagen, wir brauchen diese spröde Situation, die wir heute hier haben, die einem ein bisschen den Schauder über den Rücken laufen lässt, weil man damit ein bisschen begreift, was damals eigentlich abgelaufen ist. Aber ich finde, man kann durch diese Kleinteiligkeit, Vielfältigkeit, Künstlerischkeit genau zeigen: Wir haben obsiegt über die. Und das finde ich ganz gut."

Bertram Schultze, Projektentwickler, MIB Coloured Fields GmbH

Dokuzentrum als wegweisender Eingriff

Ein Pfahl aus Stahl und Glas durchschneidet den nördlichen Kopfbau und bildet den Abschluss der Ausstellung des Dokumentationszentrums.

Richard Woditsch, Architekt und Professor für Architekturtheorie an der Technischen Hochschule Nürnberg betrachtet das 2001 fertiggestellte Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände im nördlichen Kopfbau als ersten wegweisenden Schritt im Umgang mit der Kongresshalle. Das Museum setzt sich nicht nur inhaltlich mit Nürnbergs Rolle im Nationalsozialismus auseinander, sondern setzt durch den Entwurf des Grazer Architekten Günther Domenig auch ein bauliches Zeichen: Der Pfahl aus Stahl und Glas, der sich vom Eingang des Doku-Zentrums bis in den Innenhof der Kongresshalle bohrt, bricht die Symmetrie der NS-Architektur und gilt als Akt der gestalterischen Selbstbehauptung gegenüber der nationalsozialistischen Überwältigungsarchitektur. Die Kongresshalle nun als Kulturort zu erschließen, wie es die Kulturhauptstadtbewerbung vorsieht, könnte Woditschs Ansicht nach einen ähnlich wegweisenden Eingriff darstellen – nämlich mit einem Programm, das dem ursprünglichen Sinn der Kongresshalle absolut widerspricht.

"Da müsste natürlich dieser Hof mit dem Gebäude insgesamt auch weithin konzeptionell stärker eingebunden sein. Das muss man nicht nur darauf reduzieren, dass der Stein oder die Steine sprechen, sondern dass halt auch was dazu erklärt wird, dass es ein Konzept dafür gibt, das auch weiterentwickelt wird, dass jede Generation daran weiterarbeitet. Und es eben halt nicht zu banalisieren, sondern dass es natürlich eine Nutzung bekommt und damit eine Bedeutung erhält."

Richard Woditsch, Architekt und Professor für Architekturtheorie an der Technischen Hochschule Nürnberg

Auch im anderen Kopfbau der Kongresshalle, bei den Nürnberger Symphonikern, ist man überzeugt, dass Kultur zur sinnvollen Reflexion des Gebäudes beitragen könnte. So wie es in den 1960er-Jahren der Einzug des Fränkischen Landesorchesters, wie die Symphoniker damals noch heißen, in die historischen Mauern war.

"Um das, was die deutsche Kulturtradition ja auch zu leisten imstande war, hier zu verorten. Und das halte ich für eine gute, für eine sinnvolle Brechung. Wir haben auch Konzerte dazu. Wir haben Inhalte dazu, wir haben Veranstaltungen dazu, und insofern hat das, glaube ich, eine sinnvolle Reflexion an der Stelle."

Lucius A. Hemmer, Intendant der Nürnberger Symphoniker

Künstler wollen in die Kongresshalle

Auch eine Befragung der Stadt Nürnberg hat ergeben, dass Verbände, Vereine und Kulturschaffende aller Sparten die Kongresshalle gerne nutzen würden. Die Kulturschaffenden äußerten in der Vorstudie Wünsche wie Produktionsräume, Ateliers und Lagerflächen, ebenso wie von außen zugängliche Begegnungsräume. Die selbe Befragung ergab auch: Der Bedarf an Platz und der Wille, die Kongresshalle künstlerisch zu belegen ist unabhängig von der Kulturhauptstadt Europas 2025.

Projekt für Generationen

Inzwischen ist die Bewerbungsphase fast abgeschlossen. Ende Oktober wird die Jury bekanntgeben, wer das Rennen gemacht hat. Neben Nürnberg kämpfen für Deutschland noch Chemnitz, Hannover, Hildesheim und Magdeburg um den Titel. Nach der Jury-Entscheidung wird sich zeigen, was Nürnberg diesmal aus seinem Nationalsozialistischen Erbe macht. Projekt-Beraterin Marietta Piekenbrock ist überzeugt: Die Kongresshalle ist in jedem Fall ein Generationenprojekt.

Stichwort: Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände

In dem gigantomanischen Koloss mit der Granitfassade, der an das römische Kolosseum erinnert, hätten nach dem Willen der Nationalsozialisten einst 60.000 Menschen Platz finden und dem Führer zujubeln sollen. Bei Kriegsbeginn 1939 wurden die Arbeiten an der Kongresshalle eingestellt. Was heute sichtbar ist, sind im Grunde genommen nur die Erschließungsgänge des Gebäudes – oder das wohl größte Treppenhaus der Welt. Vom Innenhof aus offenbart das Gebäude seine banale Substanz aus Backstein. Die Granitblöcke an der Außenfassade sind nur Blendwerk.


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