"Die Vandalen kommen!" Kratzer und Dellen in der weißblauen Idylle
Alles geht mal kaputt und muss ersetzt werden. Das ist schon lästig genug. Umso ärgerlicher ist es, wenn Intaktes mutwillig und ohne jeden Sinn zerstört wird. Diese "blinde Zerstörungswut" wird Vandalismus genannt, und leider gibt es das auch in Bayern.
Eingeworfene Scheiben, abgetretene Autospiegel, zerkratzter Lack, Graffitis an Wänden und U-Bahnen – Vandalismus begegnet uns auf Schritt und Tritt, vor allem in den Städten. Rundfunk, Zeitungen, und Online-Medien berichten fast täglich über Fälle von Zerstörungswut, und auch die polizeiliche Kriminalstatistik für 2017 weist bei den Sachbeschädigungen auf Straßen, Wegen und Plätzen einen Anstieg von 12,6 Prozent aus, das entspricht 2.007 Fällen mehr als 2016.
Was ist los in Bayern? Verwahrlost die weißblaue Idylle?
Wer sich auf die Suche nach der sogenannten Wahrheit hinter den Zahlen macht, hat es gar nicht so leicht. Denn die Kriminalstatistik wirft einfach alleSachbeschädigungen in einen Topf, also auch jene, die nicht aus Lust am Zerstören, sondern "aus Versehen" oder aus "Unachtsamkeit" passieren. Wer kann also sagen, wieviel davon Vandalismus ist?
"Van|da|lis|mus, der: Substantiv, maskulin - blinde Zerstörungswut"
au dem Duden
Laut anderer Untersuchungen soll der Anteil von Jugendlichen und Heranwachsenden als Täter von Sachbeschädigungen zugenommen haben. Die Justiz kann dazu allerdings keine Angaben machen, denn einen "Straftatbestand Vandalismus" gibt es im Gesetzbuch gar nicht.
Das Innenministerium verweist auf die Polizeidienststellen und auch Justiz und die Sozialämter verweisen auf die Polizei. Wer den Vandalismus näher betrachten will, muss suchen: Nach Tätern, den Taten, den Opfer, den Polizisten und jenen, die das ganze beseitigen müssen.
Randale in der Schule
Als Georg Gebhard, der Leiter des Carl-Spitzweg-Gymnasiums in Germering, am 26. Juni 2018 in die Schule kam, erfuhr er erstaunliches: "Die Schüler haben mir berichtet was passiert ist. Sie haben ihren Abiturstreich abgesagt, weil hier Ehemalige gewütet hätten." Die Abiturienten hatten sich nachts einschließen lassen, um den Abischerz vorzubereiten. Doch dann kamen Auswärtige dazu, die davon erfahren hatten, und randalierten.
"Die sind da mit rein und die haben sie dann nicht mehr herausbekommen. Und da haben sie die Polizei gerufen", sagt Gebhard. Eine Art Wirbelsturm fegte durchs Gebäude. Blumenkübel wurden über die Brüstung geworfen, Papier und Bierdosen überall auf dem Fußboden verteilt. Die gerufene Polizei beendete schließlich das Treiben.
"Eine gewisse Portion Frustration"
1.100 Schülerinnen und Schüler kommen hier täglich zum Unterricht. Die Schule macht einen gepflegten Eindruck, ein sozialer Brennpunkt ist das hier nicht. Über die Bewegründe der Täter kann der Schulleiter nur mutmaßen. "Manche sind frustriert, wenn sie beruflich nicht weiterkommen, wenn sie den Schulabschluss nicht schaffen. Ist schon klar, dass da auch eine gewisse Portion Frustration dabei ist."
"Halb|star|ker: substantiviertes Adjektiv, maskulin - Jugendlicher, der, meist in Gesellschaft von Gleichgesinnten, sich laut produzierend in der Öffentlichkeit auftritt"
aus dem Duden
Natürlich sei das Vandalismus gewesen, sagt der Schulleiter. Deshalb hat er auch Anzeige erstattet, obwohl der Schaden nur etwa 800 Euro ausmachte. "Wir haben ein Leitbild und eine Vereinbarung. Hier ist alles voll, das geht nur, wenn die Hausordnung eingehalten wird. Und wer die Hausordnung bricht muss auch die Konsequenzen tragen. Zumal es Leute waren, die nicht mehr in der Schule sind."
Bis zum Morgen hatten die Abiturienten schon wieder das meiste aufgeräumt. Der Schock saß allen aber noch in den Knochen. Grundsätzlich herrsche ein vertrauensvolles Verhältnis in der Schule. Auch wenn die Lehrer heute nicht mehr als Respektsperson angesehen werden. Da habe sich etwas verändert. Die Schule müsse heute auch immer mehr Aufgaben übernehmen, die früher die Familie geleistet hat. Wo beide Elternteile arbeiten, fehlt den Kindern oft ein Ansprechpartner, weiß der Schulleiter.
Offenheit statt "Kadettenanstalt"
Zudem werden die Rückzugsflächen für Kinder und Jugendliche immer weniger. Demnächst wird ein großes Areal in der Nähe der Schule mit 2.000 neuen Wohnungen bebaut. Es wird also wieder enger, auch im Schulgebäude, sagt Schulleiter Gebhard: "Am Abend wird unsere Turnhalle vom TSV genutzt, ein großer Sportverein mit über 5.000 Mitgliedern. Dann sind Musikschulen abends hier drin. Diese Gebäude sind nie ganz abzuschließen. Wir haben keinen Hausmeister der hier wohnt. Da ist das ein gewisser Unsicherheitsfaktor. Die Schule ist immer offen."
Heftige Streiche gegen Lehrer kennt Gebhard auch aus seiner eigenen Jugend. Das hat es immer gegeben, sagt er. Vandalismus gänzlich verhindern? Das geht nicht, ist er sicher, wenn man "nicht zu einer alten Kadettenanstalt zurückkehren will."
Seit in jener Nacht der Streifenwagen aus der Polizeiinspektion Germering die Tat aufgenommen hat, laufen die Ermittlungen. Ein immenser Aufwand für die Beamten und den stellvertretenden Inspektionsleiter Andreas Ruch: "Es ist so, dass wir mittlerweile zwei Beschuldigte ermittelt haben, die sind beide aus dem Raum Ammersee." Also keine ehemaligen Schüler.16 Zeugen gibt es, die noch befragt werden müssen. Abgeschlossen sind die Ermittlungen noch lange nicht.
"Heranwachsende eben"
Auch im benachbarten Gauting mussten zwei Streifenwagen zu einem Abi-Scherz ausrücken. Schüler waren auf ein Flachdach gestiegen, dessen Statik nun geprüft werden muss. Dennoch werden Aber Schulen eher selten zum Tatort, sagt Polizist Andreas Ruch. Sachbeschädigungen an Pkw im Stadtgebiet seien ein größeres Problem. "Da gab es in den letzten Jahren immer wieder Fälle, wo ein Täter gleich in einer Nacht 20 bis 25 Autos beschädigt hat."
Da werden Spiegel abgetreten, der Lack verkratzt, Antennen abgebrochen. "In zwei Fällen ist es konkret geglückt, dass wir die Täter dingfest machen konnten", sagt Ruch. "Es sind in der Regel Jugendliche in dem Alter bis 21, Heranwachsende eben, die vorwiegend diese Straftaten begehen, das steht fest."
"He|ran|wach|sen|der, der: substantiviertes Adjektiv, maskulin - 1. jemand, der heranwächst 2. (Rechtssprache) jemand, der das achtzehnte, aber noch nicht das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat"
aus dem Duden
Autos sind oft das Ziel von Vandalismus. stehen sie doch überall herum und lösen oft Neidgefühle aus. Die Hitliste in punkto Lackkratzen führt derzeit ein 26-Jähriger aus Unterfranken an. Die Anklage wirft ihm vor, er habe von Juli 2017 bis April 2018 in 37 sogenannten Tatserien, insgesamt 1.700 Fahrzeuge beschädigt, verteilt über die ganze Region Würzburg und Schweinfurt. Sachschaden: 2,3 Millionen Euro. Die Geschädigten bleiben darauf sitzen. Zurückzahlen wird der offenbar geistig Labile den Schaden wohl niemals können.
Daher kommen die Vandalen
Die Vandalen kommen! Einst lief den Römern der kalten Schauer über den Rücken, wenn dieser Ausruf erklang. Die Mitglieder des germanischen Stamms gingen in die römische Geschichtsschreibung als brutale Plünderer und Zerstörer Roms im Jahre 455. Doch man tut ihnen damit ein wenig Unrecht! Denn ganz richtig ist so nicht.
"Van|da|le, der: Substantiv, maskulin - 1. Angehöriger eines ostgermanischen Volksstamms 2. zerstörungswütiger Mensch"
aus dem Duden
Tatsächlich handelte es sich damals um die reguläre "Wegnahme aller wertvollen Gegenstände" aus der Stadt, die dem Sieger übergeben worden war. Aber eine kampflose Übergabe der Welthauptstadt Rom sah in der Historie nicht gerade gut aus. So hängte man den Vandalen eine wüste Plünderorgie an, gegen die man machtlos war. Propaganda! Verwüsten konnten die Vandalen aber auch. Zum Beispiel auf ihrem Zug durch Gallien rund 50 Jahre vorher.
So oder so sprach lange Zeit sprach niemand mehr von den Vandalen. Erst in der französischen Revolution wurden sie wieder herbeizitiert. Als die Jakobiner Kirchen und Klöstern verwüsteten, veröffentlichte der Bischof von Blois, Henri-Baptiste Grégoire, seinen Brandbrief Rapport sur les destructions opérées par le vandalisme. 1798 nahm die Académie française den Begriff Vandalismus für "blinde Zerstörungswut" in ihr Wörterbuch auf. Fortan fand er Verwendung in ganz Europa.
Völlig sinnbefreit
Kirchenschändung, das zählt zum Kulturvandalismus. Ziel dabei ist, eine Gemeinschaft in ihrem Selbstverständnis, ihrer Identität zu treffen. Der zugehörige Straftatbestand heißt heute "gemein-schädliche Sachbeschädigung". Oft sind solche Taten aber auch völlig sinnbefreit; wenn zum Beispiel psychisch Kranke dafür verantwortlich sind, wie es Pfarrer Markus Wolf 2018 in Bamberg erlebt hat.
"Ich wurde von den Schwestern des Heilig-Grab-Klosters angerufen, dass bei ihnen der Heilige Josef vom Sockel gestoßen wurde", erinnert sich Wolf. "Wir haben die Polizei gerufen, die hat dann alles aufgenommen. Ich bin davon ausgegangen, dass es ein Einzelfall war." Doch am nächsten Tag klagten die Schwestern über ein von der Wand gerissenes Kreuz, und in St. Otto waren zwei Figuren umgestoßen worden.
"Wir konnten uns nicht erklären, was die Beweggründe der Person waren, so was zu machen."
Pfarrer Markus Wolf
Der Pfarrer, die Bürger und die Gemeinden waren schockiert. Vandalismus in Kirchen kannte man nicht. Immerhin entstand ein Schaden von 20.000 Euro in fünf Gotteshäusern. Die Gemeinde erstattete Anzeige, der Täter wurde schnell gefasst, kam erst in U-Haft, dann in die Psychiatrie. Was den Pfarrer dann aber mehr entsetzte als die Tat, waren die Reaktionen aus der Gemeinde und der Bevölkerung.
"Jetzt haben sie ihren Dreck!"
"Die Kirche ist doch selber Schuld, die will dass die ganzen Asylanten hier in Deutschland sind und jetzt haben sie ihren Dreck!" So fasst Wolf die Reaktionen zusammen, die ihn zu Hauf telefonisch erreichten. "Im Nachhinein bin ich froh, dass es kein Asylant war. Sondern ein Bürger aus dem christlichen Abendland", sagt der Pfarrer. "Erschreckend war wirklich, dass alles auf die Asylanten und auf die Muslime übertragen wird, als Sündenböcke."
"Sün|den|bock, der: Substantiv, maskulin - jemand, auf den man seine Schuld abwälzt, dem man die Schuld an etwas zuschiebt"
aus dem Duden
Die Figuren der Kirche sind wieder restauriert und aufgestellt. Zusperren will Markus Wolf die Kirchen keinesfalls, um so etwas künftig zu verhindern. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass sich so etwas nicht wiederholt, auch beim Bamberger Polizeioberkommissar Christian Heyd. Die Polizeiinspektion Bamberg-Stadt bekommt es eher mit Vandalismus an Autos zu tun, so Heyd, vor allem am Wochenende. Der Fall in Kirchen war auch für ihn kurios.
"Es ist unser Job, für dieses subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hier in Bamberg zu sorgen", sagt der Polizeioberkommissar. "Dieses subjektive Sicherheitsgefühl ist schon ganz wichtig, dass die Leute auch einen Haken dahinter setzen können: das war jetzt so, ist ein Ausnahmefall und wir haben hier kein Dauerproblem in der Stadt. Das ist wichtig für unsere Arbeit."
Verkratzen ist dumm, "etching" ist gefährlich
Ortswechsel in die Schienenwerkstatt der VAG in Nürnberg. Hier hat man tagtäglich mit Vandalismusschäden an U-Bahnzügen zu tun. Vorarbeiter Tim Klein kennt die bevorzugten Objekte der Täter: die Scheiben. Dort verewigt sich immer wieder jemand, trotz sogenannter Antiscratching-Folie. "Wir sind immer drauf und dran, unsere Fahrzeuge in einem sehr guten Zustand zu halten", erklärt Klein. "Je mehr Kleinigkeiten verkratzt sind, desto mehr gesellt sich hinzu."
Das Verkratzen von Scheiben ist dumm, "etching" mit Säure ist aber schlicht gefährlich. "Ein absolutes No-go", sagt Klein. "Etching heißt, die Fenster werden mit Flusssäure beschädigt." Flusssäure riecht nicht und ist klar wie Wasser, dabei aber brandgefährlich, erklärt er: "Die Säure läuft einfach ab, bleibt aber dann im Wasserkanal stehen. Wenn hier Kinder mit Fingern oder Gesichtsteilen in Berührung kommen, führt das zu sofortigen Verätzungen."
"Graf|fi|to, der oder das: Substantiv, maskulin, oder Substantiv, Neutrum - <meist im Plural Graffiti> auf Wände, Mauern, Fassaden usw. meist mit Spray gesprühte oder gemalte [künstlerisch gestaltete] Parole oder Figur"
aus dem Duden
Säuren und ätzende Reinigungsmittel muss Klein selbst einsetzen, um außen am U-Bahn-Zug Graffitis und Schmierereien zu entfernen. So "verzierte" Züge werden sofort aus dem Verkehr genommen und in die Zug-Waschanlage rangiert. VAG-Mitarbeitermit Atemschutz, Schutzanzug, Schutzbrille und speziellen Gummistiefeln gehen dann "in diesem Gleis ans Eingemachte", so Klein. Sprich: Handarbeit mit Pinsel und Bürste.
Es war schon schlimmer
"Es gibt keine Maschine dafür. In speziellen Wannen muss das Reinigungsmittel samt Farbe aufgefangen und dann als Sondermüll entsorgt werden." Ebenso die Pinsel, Reinigungstücher und nach einmaligem Gebrauch auch die Schutzanzüge. "Die haben nach Kontaminierung nur noch für sieben Stunden Standzeit." Danach könnten sie für den Mitarbeiter gefährlich werden.
2017 hat das in Nürnberg 150.000 Euro gekostet, nur bei den U-Bahnzügen. Aber es gab schon schlimmere Zeiten: Anfang 2000 hatte die VAG fast keinen Zug mehr ohne zerkratze Scheiben. Doch seit viele Fahrgäste mit ihren Smartphones beschäftigt sind, kommen sie anscheinend seltener auf dumme Gedanken.
Auch werden heute viele Teile der Innenverkleidung robuster gebaut, mit Glasfaserkunststoff laminiert und mit Aluminium verstärkt. Decken in Wabenbauweise halten mehr aus als frühere. Aber in der Sattlerei gibt es immer zu tun, denn die Sitzpolster sind Dauer-Opfer von Vandalismus.
Der Fahrgast zahlt
Das Problem der VAG sind aber nicht nur die Materialkosten, sagt der Geschäftsbereichsleiter der Schienenwerkstatt, Thomas Luber: "Wennein Fahrzeug ausfällt, kann es kein verdienen und dazu natürlich die Arbeitszeit." Über die Jahre kämen so erhebliche Summen zusammen, die letztlich die Kunden mitzahlen müssten. "Das ist natürlich für den normalen Fahrgast eine Belastung, die wir eigentlich nicht bräuchten."
Auch der Einbau von Videoüberwachungsanlagen war nicht gerade billig, liefert aber Beweismaterial und erleichtert die Fahndung nach Tätern. Das ist die Arbeit von Florian Kopczyk und seinen Kollegen im Kommissariat 23 der Münchner Polizei. Er arbeitet eng mit den Beamten der Bundespolizei zusammen. Graffiti-Sprayer haben in der Münchner S- und U-Bahn kaum eine Chance. München gilt als der bestgesicherte U-Bahn-Bereich in Deutschland, und ist sogar bei der internationalen Sprayer-Szene dafür berühmt.
Deswegen gibt es da auch Sprayertourismus. "Wir hatten mit Graffitisprayern aus Australien, aus Spanien, aus Österreich aus der Schweiz zu tun", sagt Kopczyk. "Bei ihrer Graffitiszene in Spanien sagt man: Willst du wirklich in der Szene was Großes sein, da musst du es schaffen, in München einen U-Bahnzug zu besprühen." Geschafft haben das die iberischen Sprayertouristen nicht.
Schmierschriften und Staatsschutzdelikte
Allein das K23 hat 2017 fast 1.800 "Graffititaten" in ganz München bearbeitet, der Gesamtschaden lag in den letzten Jahren über einer Million Euro, weiß der Polizist. Nicht mitgezählt die politischen Graffiti. Die sind ein Fall für das Fachkommissariat Staatsschutzdelikte. Darüber hinaus gibt es noch sogenannte Schmierschriften. Dazu gehört der klassische Klospruch auf öffentlichen Toiletten. Auch der hat keinen "künstlerischen Hintergrund" und ist deshalb nicht in der K23-Statistik.
Wird ein Graffito angezeigt, steht dem K23 das große kriminalistische Besteck für die Ermittlungen zur Verfügung, und das lohnt sich bei Schäden über 1.000 Euro auch, meint Florian Kopczyk. Am Tatort werden alle Hinweise gesichert: Spraydose, Filzstift, Sprühcap, Einmalhandschuhe, Rucksack, Stoffbeutel – "das sind alles Tatmittel, an denen man sehr gute beweisrelevante Spuren sichern kann. Was man definitiv immer sichern kann, sind DNA-Spuren. Das ist der beste Tatnachweis den es gibt", sagt Kopczyk.
Ärztesöhne, Rechtsanwaltssöhne, Managersöhne
Die Sprayer sind zwischen 14 und 21 Jahren alt und überwiegend männlich. Sie seien grundsätzlich umgängliche Leute. Die Beamten kennen ihre Klientel genau, denn sie machen bei Tatverdächtigen auch Hausbesuche. "Also ich war schon in vielen Häusern von Ärztesöhnen, von Rechtsanwaltssöhnen und Managersöhnen", weiß Kopczyk zu berichten. Die Beamten bewegen sich hier in höheren Kreisen, "und man muss dann mal fragen, warum ist der Sohn auf diese Schiene gekommen. Und vielleicht hilft auch das manchmal, um einen Eltern-Kind-Konflikt wieder gerade zu rücken."
Oft würde ein aufmerksamer Blick ins Jugendzimmer und ein Gespräch genügen, um eine kriminelle Sprayerkarriere zu verhindern, meint er. Ein klassisches Sprayerzimmer sieht nach Kopczyks Erfahrung aus wie folgt: "Da ist der Schrank, der Schreibtisch, der Bürostuhl oder das Nachtkästchen. Die Sachen sind alle beschmiert, massiv beschmiert. Oder es liegen Spraydosen rum, oder es liegen vielleicht die Sprühcaps rum, oder Stifte." Wenn Eltern im Schulrucksack mit Graffititags beschmierte Hefte finden, rät der Polizist, "sollte man sich schon mal überlegen: Was macht der?"
"Hey, cooles Tag!"
Beim Verein Brücke München e.V. ist jemand dabei, der als Sprayer erwischt wurde und im "Projekt Graffiti München" einen Täter-Opfer-Ausgleich durchlaufen hat. Nennen wir diesen jemand einfach mal Eddi. "Ich bin auf einer Schule für Gestaltung und vorher bin ich in die Graffiti-Szene so ein bisschen reingekommen", erzählt er. "Und dann bin ich dazu gekommen in so eine Clique. Und ich hab ab und zu um Aufmerksamkeit zu bekommen, auch mitgemacht, illegale Tags gemacht." Der Lohn war ein Lob von Freunden, erklärt er: "Hey du hast da ein cooles Tag gemacht!"
"Tag [tæg] (engl. tag ‚Markierung‘, ‚Etikett‘, ‚Schild‘): Signaturkürzel, welches das Pseudonym eines Writers darstellt
Writer: Bezeichnung für einen Graffiti-Sprüher, der das Writing praktiziert
Writing (kurz für Style-Writing oder auch Graffiti-Writing): Bezeichnung für die Gestaltung und das Anbringen künstlerischer Graffiti mit dem Namen als Basiselement der Komposition"
aus Wikipedia
Dann wurde einer von Eddis Freunden erwischt. "Die Polizei hat quasi in das Handy von meinem Freund geschaut und hat dort meinen Tag-Namen mit meinem richtigen Namen im Zusammenhang gefunden. So ist die Polizei auf mich gekommen." Die Anzeige trudelte zuhause ein, die Standpauke der Eltern folgte.
Als Ersttäter wurde Eddi von der Polizei zum Verein Brücke geschickt. Dort legte man ihm die Schadensumme vor: 300 Euro. Viel Geld für einen Schüler! Die Brücke-Mitarbeiter handelten mit den Stadtwerken einen Täter-Opfer-Ausgleich aus. Eddi musste vier Stromverteilerkästen sauber neu lackieren und ist damit aus dem Schneider. Der Schuss vor den Bug hat gesessen.
Wo sprayen?
Eddi will lieber nur noch an legalen Stellen sprayen. Aber von denen gebe es zu wenig, einer davon ist am Schlachthof. "Da gehen so viele Leute sprayen, dass dein Bild, wofür du vielleicht 20 Euro gezahlt hast für die ganzen Dosen und Caps, nach einem Tag schon wieder übersprayt ist." Wenn es mehr Orte gäbe, an denen legale Graffitis möglich sind, würde das nicht passieren und der Reiz am Illegalen wohl auch nicht so groß.
Auch wenn Vandalismus immer wieder in den Medien aufscheint: Bayern ist sicher! Jahrelang gingen die Zahlen für Sachbeschädigungen zurück, erst 2017 stiegen sie wieder an. Doch die Schadensummen bleiben immens. Alleine in München fallen für U-Bahn, Bus und Tram jährlich zwischen 1,8 und 2,2 Millionen Euro an.
Wo liegen aber die Ursachen für Vandalismus, in unserer Wohlstandsgesellschaft? Wissen wir Sachwerte nicht mehr zu schätzen, weil sie immer verfügbar sind? Geht es uns zu einfach zu gut? Vielleicht sollten wir wieder mehr mit offenen Augen durch die Welt gehen, und wieder nach dem alten Sprichwort leben: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu!